IT-Manager wetten

KI – eine Aufgabe für das ganze Unternehmen

19.03.2020 von Nils Urbach, Dominik Protschky und Peter Hofmann
Nils Urbach, Professor für Wirtschaftsinformatik und Strategisches IT-Management an der Universität Bayreuth, Peter Hofmann, Universität Bayreuth und Dominik Protschky, Universität Bayreuth wetten, dass in fünf Jahren die Verankerung im Unternehmen zu den größten Herausforderungen in der erfolgreichen Anwendung von künstlicher Intelligenz zählen wird.
Autor Nils Urbach ist Professor für Wirtschaftsinformatik und Strategisches IT-Management an der Universität Bayreuth.
Foto: Universität Bayreuth

Ein 35-jähriger Rundenrekord auf dem Nürburgring wird dank dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) um eindrucksvolle 51,58 Sekunden unterboten. Die Maschine schlägt den Menschen jetzt auch beim Pokern und beherrscht dabei sogar das Bluffen. Es vergeht kaum eine Woche, in der kein neuer Durchbruch im KI-Wettrennen verkündet wird.

Eben diese technischen Durchbrüche erzeugen abermals hohe Erwartungen an das Potenzial der Technologie. Wer im KI-Wettrennen nicht abgehängt werden möchte, steht vor der Herausforderung, die Technologie und ihre Anwendungen im Kontext des gesamten Unternehmens zu verankern. So werden sich die CxOs schon bald wünschen, bereits früher über ihre KI-Strategie nachgedacht zu haben.

KI ist allerdings kein neues Thema. Die Idee, eine selbstlernende Maschine zu entwickeln, hat das Interesse von Wissenschaftlern und Praktikern bereits seit den 1940er Jahren geweckt. Dabei dient KI als Oberbegriff, um eine Vielzahl von Methoden und Anwendungen zusammenzufassen, die darauf abzielen, Aufgaben zu erfüllen, die typischerweise menschliche Intelligenz erfordern. So ist der im Jahr 1950 von Alan Turing formulierte Turing-Test noch heute Grundlage für die Diskussion über die Intelligenz von Maschinen.

Meilensteine der KI-Geschichte

Seitdem hat sich das Bestreben zur Schaffung intelligenter Maschinen in mehreren Meilensteinen manifestiert, darunter in der jüngeren Vergangenheit der Sieg im Schach gegen den Weltmeister Kasparow durch IBM Deep Blue (1996), der Gewinn der Quizshow Jeopardy durch IBM Watson (2011) oder der Sieg gegen den aktuellen Weltmeister im Spiel Go durch Deepmind Alpha Go (2017). Während die KI-Forschung viele Höhen durchlebt hat, führten Enttäuschungen aufgrund überzogener Erwartungen aber auch mehrmals zu Phasen mit geringerem Interesse und Investitionen, welche wir auch als KI-Winter bezeichnen.

Die Anwendung von KI ist ein großer Schritt für das Unternehmen.
Foto: metamorworks - shutterstock.com

Auch aktuell scheinen sich die Erwartungen wieder zu überschlagen, sodass die Frage nahe liegt: Steht der nächste KI-Winter schon vor der Tür? Im Gegensatz zu den Entwicklungen des vorigen Jahrhunderts hat KI heute bereits auf vielfältige Weise Einzug in unseren privaten und geschäftlichen Alltag gehalten. So ermöglicht der auf Deep Learning basierende Übersetzungsdienst DeepL bereits heute verblüffend fehlerfreie Übersetzungen. Und der Sprachassistent Google Duplex kann eigenständig in einem Restaurant anrufen, um einen Tisch zu reser­vieren.

Aus Daten Wissen erzeugen

Insbesondere Machine Learning, ein bedeutender Ansatz der KI-Entwicklung, wird in vielen Anwendungen eingesetzt, um aus Daten Wissen beziehungsweise Fähigkeiten zu erlernen. All diese Anwendungen lassen sich trotz der vorherrschenden Euphorie der schwachen KI-These zuordnen.

Im Gegensatz zur starken KI-These, welche auf ein nahezu vollständiges Nachahmen menschlichen Denkens und Handelns mit maschinellen Systemen und damit auf eine generische Intelligenz abzielt, werden der schwachen KI-These folgend lediglich konkrete Anwendungsprobleme intelligent gelöst. So versteht es Google Duplex zwar, einen Anruf täuschend echt menschlich durchzuführen, das Fahren des eigenen Autos sollte man dem Dienst aber lieber (noch) nicht anvertrauen.

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Eben dieses fehlende Verständnis der Unterschiede zwischen einer schwachen und einer starken KI könnte der Ursprung für eine neue Welle der Enttäuschung sein und damit zu einem neuen KI-Winter führen. Wenngleich die Entwicklungen zur Erfüllung der starken KI-These überschätzt werden, sollte das wirtschaftliche Potenzial der bereits existierenden Anwendungen einer schwachen KI nicht unterschätzt werden. Die schwache KI ist kein Laborexperiment mehr, sondern hat ihren Weg in die Kommerzialisierung gefunden.

Durch den anhaltenden digitalen Wandel stehen immer mehr Daten in Unternehmen zur Verfügung. Zudem wurden in den vergangenen Jahren vor allem durch Deep-Learning-Algorithmen wesentliche Performance-Zuwächse erzielt. Dabei ist die Anwendung von KI nicht mehr nur ausgewählten Experten vorbehalten. Während die Anwendung von Open-Source-Frameworks wie Keras oder PyTorch bereits weit verbreitet ist, werden die Barrieren zur Anwendung von KI im Unternehmen durch Cloud-Dienste und KI-Plattformen immer weiter ­ab­gebaut. Die Anwendung von KI ist keine ­Raketenwissenschaft mehr.

Trotz der technischen Durchbrüche in der KI-Forschung setzen noch wenige etablierte Unternehmen auf KI. Die Fülle an bestehenden und potenziellen Anwendungsfällen stellt Unternehmen vor die Herausforderung, bewerten zu müssen, an welcher Stelle und in welcher Form KI einen Mehrwert in der Wertschöpfung liefern kann. Selbst wenn ein erfolgversprechender Prototyp entwickelt wurde, gilt es eine weitere Hürde zu überwinden: die Verankerung im Unternehmen.

Welche Einflüsse haben KI-Anwendungen auf Produkte, Services, Prozesse und Unternehmensstrukturen? Wie sollten Unternehmen mit der Blackbox-Problematik des Machine Learning umgehen? Wie lässt sich die Interaktion zwischen Menschen und KI gestalten? Wie können ethische, rechtliche und moralische Fragestellungen gelöst werden? Welche organisationalen Fähigkeiten werden benötigt und wie lassen sich diese entwickeln?

Organisatorische Hürden

Obwohl die Liste möglicher Fragestellungen noch fortgesetzt werden könnte, zeigt sich bereits, dass neben den technischen vor allem die organisationalen Herausforderungen nicht unterschätzt werden sollten. Neue organisationale Fähigkeiten und Kompetenzen werden notwendig und sind Basis für strategische Wettbewerbsvorteile. Neben den am Markt äußerst gefragten KI-Experten bedarf es zudem auf allen Führungsebenen eines grundlegenden und erwartungsgerechten Verständnisses von KI und dessen Anwendung im Unternehmen.

KI-Anwendungen ticken anders

Hierbei ist im Besonderen auch der Paradigmen­wechsel in der Anwendungsentwicklung hervor­zuheben. Im Gegensatz zu regelbasierten Funktionen rückt bei KI-Anwendungen das Training, Testen und Anwenden von Machine-Learning-Modellen in den Vordergrund. Hierbei stellt die intransparente Funktionsweise der KI aufgrund fehlender Erklärbarkeit in vielen Fällen eine Black­box dar. Die Performance des Machine-Learning-Modells hängt dabei von der Art des Modells, dessen Parametrisierung, des zu verarbeitenden Datensatzes sowie der zu lösenden Auf­gabe ab. Daten rücken ins Zentrum der Entwicklung und werden so zur essenziellen und stra­tegischen Ressource für die Anwendung von KI.

Daten können in nahezu jeder Wertschöpfungsaktivität im Unternehmen entstehen oder verarbeitet werden und sind damit Grundlage für zahlreiche Anwendungen: Dem Einkauf wird es zum Beispiel ermöglicht, durch die Auswertung von Transaktions-, Stamm- und Marktdaten Prozesse oder Aufgaben ganz oder teilweise zu automatisieren. In der Logistik kann die Qualität von Warenanlieferungen automatisiert geprüft werden. Roboterarme, die menschliche Bewegungen nachahmen, ermöglichen neue Potenziale der Automatisierung in der Produktion. Das Marketing profitiert von noch leistungsfähigeren Anwendungen, die dem Kun­den individuell die passende Werbung anzeigen oder das (gewünschte) Produkt vorschlagen.

After-Sales-Services können auf den Einsatz von Chatbots setzen, um häufig gestellte Kundenanfragen automatisch zu beantworten. Im Personalwesen kann der Arbeitsaufwand für Einstellungen durch automatisiertes Filtern von Bewerbungen anhand der Anforderungen des Unternehmens reduziert werden. Das Anwendungspotenzial von KI macht keinen Halt vor Abteilungsgrenzen. Für einen erfolgreichen Einsatz auf all diesen potenziellen Anwendungs­gebieten bedarf es daher einer ganzheitlichen Strategie sowie eines Daten- und KI-Managements in allen Bereichen.

Automatisierung und die Folgen

Die oben beispielhaft dargestellten Anwendungen von KI im Unternehmen machen deutlich, dass Automatisierung einen wesentlichen Bestandteil des Potenzials von KI darstellt. Autonom agierende Softwareagenten stellen neue Anforderungen an die Koordination und Kon­trolle in der Ausführung von Aufgaben. So stellt sich beispielsweise die Frage, wer einen Softwareagenten kontrolliert oder wie man im Team aus Menschen und KI führt. Damit geht aber auch die Debatte einher, inwieweit KI die menschliche Arbeitskraft ergänzen oder ersetzen kann. Zumindest in einer langfristigen Per­spektive müssen Unternehmen das Kompetenzprofil ihrer Mitarbeiter anpassen.

Die Automatisierungsbestrebungen legen aber auch nahe, dass sich Unternehmen und Politik über übergeordnete Ethikprinzipien Gedanken machen müssen. Diese Grundsätze können ein entscheidender Ankerpunkt für die Mitarbeiter sein und deren Vertrauen in KI stärken. In diesem Kontext erschwert der durch die Blackbox-Problematik verursachte Mangel an Nachvollziehbarkeit die Bildung von Vertrauen in KI-Lösungen. Es muss zum Beispiel ausgeschlossen werden können, dass Bewerber aufgrund ihrer Herkunft von einer KI-Anwendung für ein Bewerbungsgespräch abgelehnt werden. So bietet IBM zur Förderung einer fairen Gesichtserkennung kostenlos einen Datensatz an, der die Vielfalt menschlicher Gesichter repräsentieren soll.

Die Rolle des IT-Managements

Obwohl KI eine Aufgabe für das gesamte Unternehmen darstellt, werden die IT-Verantwortlichen über die digitale Transformation hinaus auch in der Umsetzung von KI-Projekten eine zentrale Rolle einnehmen. Während die digitale Transformation eine Voraussetzung für die Anwendung von KI im Unternehmen ist, stellt die Anwendung von KI wiederum neue Anforderungen an das IT-Management.

So muss sich das IT-Management beispielsweise damit auseinandersetzen, wie es bei der Definition von Service-Level-Agreements mit der Blackbox-Problematik des Machine Learnings umgehen kann. Die mit großen Datenmengen trainierten Deep-Learning-Modelle verschärfen die Anforderungen an die IT-Infrastruktur. Im Gegensatz dazu können durch den Einsatz von KI aber auch neue Potenziale entstehen.

So kann eine auf KI-Anwendungen basierende Automatisierung von bereits etablierten Geschäftsprozessen und Unternehmensanwendungen ganze Prozesslandschaften auf den Kopf stellen. Dabei sollte das KI-Potenzial auch an den Schnittstellen zu anderen digitalen Technologietrends wie zum Beispiel der Distributed-Ledger-Technologie oder dem Internet der Dinge analysiert werden.

Fazit

Aktuelle Anwendungen aus Praxis und Forschung im Bereich der (Wirtschafts-)Informatik zeigen auf vielfältige Weise den innovativen Charakter von KI-Anwendungen. Entscheidungsträger sehen sich jedoch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Sie müssen die Anwendungen von KI kennen, verstehen und deren Geschäftseinfluss bewerten können. Durch den Paradigmenwechsel in der Anwendungsentwicklung rücken vor allem Daten ins Zentrum, sodass die digitale Transformation und hier insbesondere das Etablieren von Big Data Analytics im Unternehmen zu einem zen­tralen Erfolgsfaktor wird.

Die Hürden für KI-Anwendungen sind allerdings geringer als gedacht: Verfügbare, hoch performante Libraries und effizienter Zugang zu vorkonfigurierten Cloud-Computing-Ressourcen senken die Hürden für die Anwendung von KI in Unternehmen. Dabei muss es auch nicht gleich ein selbstfahrendes Auto sein. Auch die Verbesserung von internen Prozessen kann zu Wettbewerbsvorteilen führen. Nichtsdestotrotz muss die Anwendung von KI als Aufgabe für das gesamte Unternehmen verankert und gemanagt werden. Hierbei sollte auch die ethische Perspektive nicht vernachlässigt werden. Die Anwendung von KI mag ein kleiner Schritt für den Entwickler sein, aber sie ist ein großer Schritt für das Unternehmen.

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