Verunsicherung nach BGH-Urteil

Keine Panik - Kaufrecht gilt nicht automatisch

19.11.2009 von Claus Müller-Hengstenberg
Findet in IT-Projekten künftig immer das Kaufrecht Anwendung? Einige Anwälte verneinen das. Ihrer Auffassung zufolge gilt in vielen Fällen nach wie vor das Werkvertragsrecht.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe
Foto: BGH

Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23. Juli dieses Jahres sei klar, dass auf IT-Projektverträge grundsätzlich das Kaufrecht anzuwenden sei - so zumindest der Beitrag von Rechtsanwalt Martin Schweinoch auf COMPUTERWOCHE.de. Diese Auffassung kann nicht unwidersprochen bleiben - jedenfalls nicht in dieser Pauschalität, also wenn sie alle Arten von IT-Projekten einschließen soll.

Ein Bauwerk ist kein IT-System

Zunächst ist anzumerken, dass die zitierte BGH-Entscheidung einen Fall im Baubereich betraf, also kein IT-Projekt. Es fehlt in diesem Urteil auch jeder Bezug auf Vorhaben im IT-Bereich.

Zwischen einem Bau- und einem IT-Projekt gibt es jedoch große Unterschiede, die durchaus Bedeutung für die Vertragsgestaltung haben: So bestehen bei einem Bauwerk keine essentiellen Abhängigkeiten zwischen den Geschäftsprozessen des jeweiligen Unternehmens und dem fachlichen sowie technischen Design; das triff auf eine IT-basierende Anwendung aber durchaus zu. Die Zusammenhänge zwischen Architektur und "Funktionalität" sind im Bauwesen grundlegend anders als in IKT-Systemen. Auch Vorgehensweisen, Methoden, Projekt-Management und Erfolgskriterien im Bauwesen lassen sich in weiten Teilen nicht mit denen der IKT-Industrie vergleichen. Die Unterschiede zwischen IT- und Bauprojekten zeigen sich im Übrigen besonders deutlich bei den Mängelarten.

Web-Dienste sind ein Fall für sich

Weiterhin darf nicht außer Acht gelassen werden, dass IT-Projekte zunehmend alle Arten von Web-Dienstleistungen einbeziehen, beispielsweise Service on Demand, Access-Providing und Application-Service-Providing. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH vom 23. März 2005 und 15. November 2006 legt teilweise das Dienstvertragsrecht und das Mietrecht zugrunde, merkt aber an, dass für weitere Leistungen - darunter Programm-Updates und Programmpflege - auch das Werkvertragsrecht in Betracht kommen könne. Im Fall der Online- beziehungsweise Internet-Anwendungen hat die Bedeutung von dienstvertraglichen Leistungen sogar stetig zugenommen.

Was ist eigentlich neu?

Die BGH-Entscheidung sagt im Übrigen nichts Neues aus. Schon im Jahr 2001 hatte der Bundesgerichtshof bei der vertragsrechtlichen Einordnung von IT-Verträgen grundsätzlich unterschieden, ob im Fall von Anpassungsleistungen der IT-Unternehmer die Software mitliefert (dann gilt Kaufrecht), oder ob er sie an einer beim Kunden installierten Software vornimmt (dann ist es ein Werkvertrag).

Ohne Berücksichtigung dieser Grundsatzentscheidung haben sich Land- und Oberlandesgericht bei der vertraglichen Einordnung mehrheitlich an den jeweils "prägenden" Leistungen orientiert und - je nachdem - Kauf- oder Werkvertragsrecht angewandt.

Entscheidend ist der Plan

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass der BGH auch in der Entscheidung vom 23. Juli 2009 keineswegs immer absolut auf das Kaufrecht abstellt. Auch in einem Projekt aus dem Bauwesen ist es zumindest dann nicht anwendbar, wenn die Lieferung von "beweglichen Sachen" im Zusammenhang steht mit Planungs-, Konstruktions-, Integrations- und Anpassungsleistungen sowie diese Leistungen für den Gesamterfolg des Vertrags von wesentlicher Bedeutung sind.

In der IT-Fachwelt ist jedoch unbestritten, dass ein Phasen- und Vorgehensmodell für den Erfolg der Projekte maßgeblich ist. Also hat der Werkvertrag hier seine Bedeutung sicher nicht verloren.

Rechtlich zulässige Flexibilität

Diese Ausführungen belegen, dass das Kaufrecht nicht allgemein auf IT-Projekte angewendet werden kann. Es kommt vielmehr auf die Art der jeweiligen Leistungen und der gewählten Vorgehensweise an. Gerade in komplexen IT-Vorhaben, die in Form von Phasen- und Vorgehensmodellen entwickelt werden, sind werkvertragliche Bedingungen unverzichtbar: die Verantwortung des Bestellers im Rahmen der Mitwirkung, die Abnahme, die Möglichkeit von Teilzahlungen etc. Und diese Aspekte hat der BGH in dem fraglichen Urteil ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Zudem geht die juristische Fachliteratur in gewissem Umfang von einer rechtlich zulässigen Flexibilität der Vertragsgestaltung aus, soweit das IT-Projekt auf einem Vertrag unter Kaufleuten beruht. Daher ist nicht nachvollziehbar, warum IT-Projektverträge, die auf dem Werkvertragsrecht basieren, grundsätzlich unwirksam sein sollten.