Zu hohe Ansprüche, zuviel Stress

Karrierefalle Perfektion

12.03.2011 von Alexandra Mesmer
Perfektionisten haben den Anspruch, immer 100 Prozent oder mehr zu leisten. Sie sind für alles verantwortlich und kontrollieren es. Sie arbeiten am liebsten allein. Im (Berufs-)Leben haben Sie es darum oft schwer.

Auf den ersten Blick sind Perfektionisten für ein Unternehmen die perfekten Mitarbeiter. Sie streben fehlerlose und überdurchschnittliche Leistungen an, sie fühlen sich allein dafür verantwortlich, dass alles klappt. Sie handeln nach dem Grundsatz "Alles ist machbar, man muss sich nur anstrengen".

Nein-Sagen geht nicht – wer wirklich will, kann immer noch ein bisschen mehr. Doch Mitarbeiter, die eine solche Haltung an den Tag legen, können kaum mit Fehlern umgehen oder werten es schon als völliges Versagen, wenn sie einmal nicht die angestrebten 100 Prozent leisten. Sie arbeiten am liebsten allein, denn Teamarbeit bremst sie eher aus.

Gestresste Perfektionisten

Die Folge: Sie arbeiten länger als ihre Kollegen, sie sind schneller gestresst und schließlich unzufrieden. Das kommt auch daher, dass sie schlecht delegieren können und Aufgaben selbst erledigen oder nachbearbeiten, die andere eigentlich machen können. Sie versuchen oft, zu viele Aufgaben auf einmal zu erledigen, verzetteln sich im Kleinkram und konzentrieren sich zu wenig auf die wesentlichen Dinge.

Fristen halten sie nur unter Termindruck ein, da sie sich zu viel vorgenommen haben. So empfehlen sich Perfektionisten immer seltener für den beruflichen Aufstieg: Sie erwecken den Eindruck, dass sie ihre Arbeit nicht oder nur unter erheblichem Mehraufwand schaffen.

IBM fand in einer Befragung von 1000 deutschen Beschäftigten heraus, dass der Bekanntsheitsgrad im Unternehmen und eine souveräne Ausstrahlung den beruflichen Aufstieg am meisten beeinflussen, während dieser von der Qualität der eigenen Arbeit nur zu zehn Prozent abhängt.

Wege aus der Perfektionismusfalle

Die Management-Trainerin Irene Becker und die PR-Beraterin Jutta Meyer-Kles waren selbst jahrelang Perfektionistinnen, bis sie eingesehen haben, dass das Streben nach Perfektion nur Stress und Unzufriedenheit mit sich bringt. In ihrem Buch "Lieber schlampig glücklich als ordentlich gestresst" zeigen Becker und Meyer-Kles darum nachvollziehbare Wege aus der Perfektionismusfalle auf. Ein besonderes Augenmerk richten sie dabei auf Frauen, da diese zu übersteigerten Ansprüchen an sich selbst und an ihre Arbeit neigen.

Als Leser sollte man sich die Zeit nehmen, die zahlreichen Beispiele aus der Welt der Perfektionisten zu lesen, sich durch Checklisten zu arbeiten und anhand diverser Fragebögen eigene Einstellungen oder den Arbeitsstil zu hinterfragen und übersteigerte Erwartungen zu relativieren. Dann sieht man vieles klarer und vielleicht auch lockerer. Ein Beispiel: Statt "Nur eine fehlerlose Leistung wird anerkannt" sollte man sich sagen "In vielen Bereichen schmälert ein Fehler nicht die Anerkennung".

chaoten
Perfekte Ordnung
Ihr Schreibtisch ist von Papierstapeln übersät und sieht aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ihr pedantischer Chef hat sich am Telefon angekündigt, er wolle kurz was besprechen. Halten Sie sich für Notfälle eine der oberen Schubladen frei. Fegen Sie die Stapel – bis auf ein paar vermeintlich wichtige Dokumente – hinein. Ihr Schreibtisch erweckt den Eindruck hochkonzentrierter und zielgerichteter Arbeit.
Kreatives Chaos
Wenn eine Schublade nicht mehr ausreicht, hilft die Flucht nach vorne. Verteilen Sie bunte Post-its mit dicken Pfeilen und Anmerkungen. Ein paar Mind Maps mit farbigen Ästen und unleserlichem Gekritzel runden das Bild ab. Bezeichnen Sie das Ganze als Ihr kreatives Chaos, ohne das Sie gar nicht arbeiten könnten.
Lücken kaschieren
Ihnen fehlen noch wichtige Schlussfolgerungen und Lösungsvorschläge? Entwerfen Sie rasch ein paar grobe Vorschläge auf der Basis von Schlagworten. Stellen Sie das Ganze als Szenariotechnik vor und überlassen Sie die Denkarbeit beim Publikum. Das Lob für Ihren interaktiven Vortragsstil kennt keine Grenzen.
Der Matador
Packen Sie den Stier bei den Hörnern: Geben Sie Ihre Fehler offen zu und zeigen Sie positive Folgen auf. Wenn Sie einen Fehler eingestehen, anstatt zu versuchen, ihn zu verbergen, nehmen Sie den anderen den Wind aus den Segeln. Seien Sie ehrlich und selbstbewusst: Alle sollen aus Ihren Fehlern lernen. Damit erweisen dem Team einen Dienst!
Qualifizierende Gegenfrage
Wenn man auf die Schnelle keine Antwort parat hat, hilft eine fordernde, aber neutrale Gegenfrage: „Welcher Aspekt interessiert Sie besonders?“, „Wie ist Ihre Meinung / Erfahrung / Informationsstand dazu?“ Das zwingt den Frager dazu, seine Frage genauer zu erläutern – während dieser Zeit kann Ihr Hirn auf Hochtouren arbeiten, um eine Antwort zu finden.
Ablenkung
Ebenso wirksam, aber komplizierter: das Ablenkungsmanöver. Greifen Sie ein Stichwort aus der Frage auf und benutzen Sie es als Überleitung zu einem Thema, bei dem Sie Bescheid wissen. Während Sie darüber reden, können Sie fieberhaft nach Antworten für die ursprüngliche Frage suchen. Wenn Sie das neue Thema gut genug etablieren, wird der Frager vielleicht sogar seine Ausgangsfrage vergessen.
Begründete Verweigerung
Falls Sie abschätzen können, dass Ihnen auch mit viel Zeitgewinn nichts zu einer Frage einfallen wird, dann verweigern Sie die Auskunft - aber nur mit einer plausiblen Begründung. „Aus abteilungsinternen Gründen möchte ich in dieser Phase noch keine Stellungnahme abgeben“ oder „Diese Frage lässt sich in der Kürze der Zeit nur ungenügend beantworten“ helfen Ihnen, die Antwort auf die gestellte Frage zu vertagen.
Tränendrüse
Manche Vorgesetzte sind durchaus für ein schlechtes Gewissen empfänglich, also auch für Mitleid: Schildern Sie, wie überlastet und gestresst, aber dennoch hochmotiviert und leistungsbereit Sie sind, mit welchen Schwierigkeiten Sie souverän fertig werden. Womöglich fühlt sich der Chef als Ausbeuter und Sie werden voller Mitgefühl für Ihre heroischen Anstrengungen bewundert.

Anleitung zum Nein-Sagen

Auch zum Nein-Sagen geben Becker und Meyer-Kles einige elegante Tipps. Wenn etwa ein Kollege Ihnen eine weitere Aufgabe aufs Auge drücken will und Ihnen mit den Worten schmeichelt "Das kannst du doch so gut", sollte man sich für das Kompliment bedanken. um dann gleich hinterherzuschicken, dass man ihm die Chance gibt, es durch Übung zur gleichen Meisterschaft zu bringen und er es daher selber machen darf.

Kommt der Chef mit einer zusätzlichen Aufgabe, sollte man auch erst deren Wichtigkeit und Dringlichkeit hinterfragen. Denn: "Viele Dinge stellen sich bei näherem Hinsehen als wenig durchdacht und überflüssig heraus", so die Autorinnen.

Auf dem Weg zum glücklichen Chaoten

In ihrem Buch geben Irene Becker und Jutta Meyer-Kles auch gute Tipps, wie etwas chaotische Mitarbeiter mit einfachen Mitteln ein gesundes Maß an Perfektion herstellen können:

Goldene Regeln für geläuterte Perfektionisten

  1. Seien Sie selbst Ihr schärfster Kritiker, aber nicht Ihr größter Feind. Setzen Sie sich realistische Maßstäbe.

  2. Denken Sie in großen Zusammenhängen, aber arbeiten Sie Schritt für Schritt!

  3. Fordern und Fördern Sie sich selbst und andere, aber überfordern Sie niemanden.

  4. Bügeln Sie Ihre Fehler aus und ärgern Sie sich nicht lang darüber. Lernen Sie aus Ihren Fehlern so schnell wie möglich und blicken Sie nach vorn!

  5. Manchmal ist Mogeln erlaubt.

  6. Verlieren Sie nicht den Humor. Lachen Sie über sich!