Digital Natives

Junge Kreative lassen sich nicht anketten

06.06.2011 von Alexandra Mesmer
Arrivierte Unternehmen tun sich schwer mit den Digital Natives: Sie brauchen das neue Denken der Jungen, die aber Freiraum statt Hierarchien fordern.

Sicherheitslücke bei Android, Datenpanne bei Facebook, Apples iPhone speichert alle ortsbezogenen Daten. Kaum eine Woche vergeht ohne neuen Datenschutzaufreger. Viele (junge) Nutzer können das Spektakel nicht nachvollziehen. Sie benutzen Smartphones und soziale Netzwerke in derselben Intensität wie zuvor. Am Stellenwert der Privatsphäre lässt sich vielleicht noch am ehesten ein Graben zwischen den Generationen ausmachen. Aber gibt es ihn wirklich? Sind die so genannten Digital Natives anders als die Generationen davor? Müssen sich Unternehmen anstrengen, um den Web-affinen und jederzeit vernetzten Nachwuchs als Mitarbeiter an sich zu binden? Wie verändern Social Media eine Firma?

Lieber Projekte als feste Jobs

Sie diskutierten über Digital Natives (von links): Jonathan Imme, Heinrich Vaske, Jörg Limberg, Rüdiger Zarnekow, Walter Brenner, Volker Kratzenstein, Urs Vetsch und Felix Reiners.
Foto: Joachim Wendler

Diese Fragen versuchte der IT-Operations Day "Achtung, die Digital Natives kommen!" in Berlin zu beantworten. Patentlösungen konnten weder Wissenschaftler noch IT-Manager liefern. Auch Jonathan Imme, mit 27 Jahren selbst Teil der Zielgruppe und Veranstalter von Innovationcamps, wollte die unter 30-Jährigen nicht als uniforme Gruppe sehen: "Bei den Digital Natives geht es um ein neues Betriebssystem für Leben und Arbeit. Sie wollen weder Hierarchien noch klassische Karrieren. Sie bevorzugen Projekte statt Jobs und wollen Applaus. Aber das alles trifft nur auf etwa zehn Prozent der unter 30-Jährigen zu."

Imme, der selbst in einem Konzern gearbeitet hat, warnte die Unternehmen davor, Kreative und Querdenker "anzuketten". In festen Anstellungen würden sie es nicht lange aushalten und bald kündigen oder sich an ihre Umgebung anpassen und ihren Mut zur Kreativität verlieren. Stattdessen sollten Firmen das neue Denken des Nachwuchses über so genannte Innovationscamps anzapfen. In diesen befassen sich 20 bis 50 interdisziplinäre Teilnehmer an einem Ort außerhalb der Firma über mehrere Tage bis Wochen mit einer Aufgabenstellung, entwickeln Ideen und Prototypen. Das Feedback kommt vom externen Sparringspartner. Bei dem von der Deutschen Telekom finanzierten Innovationscamp "Palomar 5" hatten sich 30 Teilnehmer aus aller Welt sechs Wochen mit der Zukunft der Arbeit auseinandergesetzt und dann ihre Projekte und Prototypen vor 400 Leuten aus Politik und Wirtschaft präsentiert. Das hat laut Imme nicht so gut funktioniert. Um aus den Ideen der Jungen mehr Inspirationen für den Unternehmensalltag abzuleiten, wäre es besser gewesen, wenn sich die Camp-Teilnehmer mit den Telekom-Vertretern am Ende noch einmal zusammengesetzt hätten.

Mittlerweile binden Firmen wie Siemens Studenten gezielt ein und geben ihnen den größtmöglichen Freiraum bezüglich Arbeitszeit und -ort, um etwa im Social-Media-Umfeld Neues zu entwickeln. Walter Brenner, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen, hat die Erfahrung gemacht, dass Studenten bei der Analyse kein Blatt vor dem Mund nehmen: "Die Wahrheit ist für Unternehmen oft unangenehm. Aber gleichzeitig können sie über solche Projekte die Studenten als spätere Mitarbeiter gewinnen." Die Stimmung in diesen Projekten entscheide gleichzeitig über den Ruf als Arbeitgeber. Ist sie schlecht, verbreite sich das an der Universität schnell.

Arbeitgeber
Wer sind die beliebtesten 30 IT-Arbeitgeber 2011?
Fast 7000 Informatikstudenten haben im "Trendence Graduate Barometer German IT " ihre Stimme abgegeben. Auf Platz 30 ist Accenture gelandet und damit die am besten platzierte IT-Beratung in dem Ranking, das insgesamt über 100 Plätze umfasst. Sehen Sie nun die Top 30 der IT-Arbeitgeber!
Auf Platz 29 folgt das ....
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, kurz DLR.
Den Reiz der Forschung....
übt auch das deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz auf Nachwuchsinformatiker auf. In diesem Jahr schaffte es die renommierte Einrichtung mit mehreren Standorten in Deutschland auf Platz 28.
Nvidia, mit Hauptsitz im kalifornischen Santa Clara,...
.. ist einer der größten Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen für Computer und Spielkonsolen. Auf Platz 27 der beliebtesten Arbeitgeber.
Jeder schaut Fernsehen...
...warum sollte dann ein Fernsehsender wie ProSiebenSat1 nicht ein attraktiver Arbeitgeber sein. Die private Sendergruppe hat es auf Rang 26 geschafft.
Oracle.....
...ist einer von vielen amerikanischen IT-herstellern, die beim deutschen Informatiknachwuchs hoch im Kurs stehen. Platz 24.
Abenteuer Forschung...
Auch die Max-Planck-Gesellschaft ist für den IT-nachwuchs eine wichtige Adresse, wenn es um den Berufsstart geht. Platz 24.
Die Lufthansa Systems...
hat im Vergleich zum Vorjahr vier Plätze verloren und findet sich nunmehr auf Rang 23 des Trendence-Rankings wieder.
EADS auf Platz 22...
...gehört auch für Informatiker schon seit Jahren zu den 30 beliebtesten Arbeitgebern.
Bosch ist....
...nicht nur für Ingenieure ein attraktiver Arbeitgeber, sondern auch für informatiker. Platz 20.
Harald Esch, Deutschland-Chef von Adobe,....
...kann sich nicht so recht freuen. Sein Unternehmen fiel in der Gunst der deutschen informatikstudenten: Von Platz 14 auf Platz 20.
Volkswagen....
...ist Deutschlands größter Automobilhersteller und landet beim IT-Nachwuchs auf Platz 18. Sieben Plätze besser als noch 2010.
Intel....
...ist weltweit der größte Prozessorhersteller. In diesem Jahr auf Platz 18.
Die Deutsche Telekom....
...sponsort nicht nur den FC Bayern, sondern investiert auch viel in das Recruiting. Das wird vom IT-Nachwuchs honoriert. Ein steiler Aufstieg von Platz 29 im Vorjahr auf Platz 17 in 2011.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik....
...kurz BSI ist für Informatikstudenten eine feste Größe, seit Jahren unter den Top 20, in diesem Jahr auf Platz 16.
Die Welt der Computerspiele.....
scheint den Nachwuchs magisch anzuziehen. Elektronic Arts (Platz 15) ist einer von drei Spieleherstellern unter den Top 30.
Gutes Produkt = guter Arbeitgeber
Diese Rechnung geht auch für Daimler auf. Die Informatikabsolventen wählten den schwäbischen Autokonzern auf Platz 14.
Amazon...
..ist das größtes Online-Kaufhaus und stieg in diesem Jahr neu auf Platz 13 ein.
Spielehersteller Crytek...
...ist in diesem Jahr der steilste Aufsteiger: von Platz 24 auf 11. Personalfrau Andrea Hartenfellner macht dafür die Veröffentlichung des Titels "Crysis 2" und das spannende, international geprägte Arbeitsumfeld verantwortlich.
Der Reiz des Geheimen....
zieht Informatiker zum BND. Der Bundesnachrichtendienst ist die Behörde, die mit Abstand am besten im Ranking platziert ist. Der BND ist auch auf diversen Recruitingveranstaltungen präsent.
Schnelle Autos....
machen nicht nur Männer sexy, sondern auch Arbeitgeber. Porsche schaffte in diesem Jahr den Sprung unter die Top Ten.
Auf Platz 9 folgt mit BMW...
ein weiterer Automobilkonzern, der auch 2010 schon unter den Top Ten war.
Audi....
...ist für Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure der Traumarbeitgeber, aber auch bei Informatikern können die Ingolstädter punkten. Platz acht und in diesem Jahr erstmals einen Platz vor BMW.
Siemens-Chef Peter Löscher....
...kann mit dem siebten Platz seines Konzerns eigentlich nicht zufrieden sein. Noch vor zehn Jahren führte Siemens das Ranking an. Für Informatiker ergeben sich hier aber auch deutlich weniger Chancen, nachdem die TK- und IT-Sparten ausgelagert beziehungsweise geschlossen werden.
Die Fraunhofer Gesellschaft....
mit ihren vielen Forschungseinrichtungen war für Informatikstudenten schon immer ein attraktiver Arbeitgeber, in diesem Jahr auf Platz 6 des Trendence-Rankings.
Microsoft...
..auf Platz vier in diesem Jahr wurde schon mehrfach als guter Arbeitgeber ausgezeichnet. Für junge Leute hat der Softwarehersteller auch ein gut dotiertes Traineeprogramm im Angebot.
SAP ist immer noch....
der größte deutsche Softwarehersteller. Für den IT-Nachwuchs war er früher der Traumarbeitgeber, mittlerweile ist er auf dem dritten Platz gelandet.
IBM...
hat nicht nur den Supperrechner Watson entwickelt, sondern ist auch für Informatiker eine feste Größe und behauptet sich seit Jahren auf Platz 2.
And the winner is...
im vierten Jahr in Folge Google. Für fast jeden vierten Informatikstudenten ist der Internet-Konzern der Traumarbeitgeber.

Komplexität statt Kreativität

Die Idee, sich Querdenker auf Zeit zu mieten, fand auch Urs Vetsch reizvoll. Ansonsten konnte der CIO der Zurich Financial Services das Buhlen um die Digital Natives nicht nachvollziehen. Die Versicherungsbranche sei weniger an Kreativen als an Mathematikern und Technikern interessiert. In der IT einer Versicherung gehe es darum, komplexe Prozesse abzubilden, wie sie etwa die Risikoberechnung einer Lebensversicherungspolice erfordere.

palomar
Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?
neue Antworten auf diese Frage suchten 28 Absolventen aus aller Welt in Berlin. Sechs Wochen lang dauerte der Workshop "Palomar 5". Foto: Palomar 5/ Carolin Seeliger
Sie haben Palomar 5 organisiert:
Philippa Pauen, Dominik Wind, Jonathan Imme, Hans Raffauf, Simon Wind, Mathias Holzmann (von links nach rechts)
600 Menschen aus aller Welt haben sich beworben....
....28 Absolventen, die unter anderem an Eliteuniversitäten in Harvard, Oxford oder Princeton studierten, wurden schließlich nach Berlin eingeladen. Foto: Carolin Seeliger
Denken ohne Grenzen
Sechs Wochen lebten die Kreativen in einer alten Berliner Malzfabrik und entwarfen Konzepte für ein neues Arbeiten. Foto: Norbert Ittermann
Nur der Schlafplatz war begrenzt.
Jeder Teilnehmer musste sich in einer drei Quadratmeter großen Koje aus Spanbretter betten. Foto: Norbert Ittermann
Ansonsten boten die einstigen Fabrikräume...
viel Platz für die Suche nach Ideen. Foto: Norbert Ittermann
Teamarbeit ohne Grenzen...
...ist für die jungen Generation ganz wichtig. Im Workshop praktizierte sie sie auch täglich.Foto: Norbert Ittermann
Rückzugsorte...
...fanden sich natürlich trotzdem. Foto: Carolin Seeliger
Achtung Auftritt..
..hieß es beim Abschlussgipfel, als alle Teams ihre Ideen präsentierten. Darunter ein mobiles Holodeck für mehr Entspannung im Arbeitsalltag (The Egg). Foto: Carolin Seeliger
300 Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur.
..hörten sich die Ideen der jungen Wilden an, die anders arbeiten wollen. Ohne Hierarchien, ohne feste Arbeitszeiten und nicht in Konzernen. Foto: Carolin Seeliger

Mehr Interesse an Digital Natives zeigt indes die Deutsche Bank, eigentlich auch ein konservativer Anwender. Felix Reiners trägt die schöne Jobbezeichnung Innovation Manager und übt diesen seltenen Beruf beim Frankfurter Geldhaus aus. Mit einem kleinen Team entwickelt er neue Ideen, benutzt die in Stanford entwickelte Methode Design Thinking und bastelt an Prototypen. "Die IT hat bei uns viele neue Sachen wie Blogs und internes Microblogging angestoßen", sagt Reiners. Gerade die interne Twitter-Variante biete die große Chance, sich mit Mitarbeitern aus ganz anderen Bereichen über hierarchische Grenzen hinweg auszutauschen. Erste Erfahrungen zeigten bereits das große Potenzial.

Sicherheit wiegt schwerer

Auch bei VW ist die neue Kommunikationskultur eingezogen. Volker Kratzenstein, Leiter IT-Projects, Architectures und Standards, stellte einen internen Vertriebsblog vor, an dem sich schon 35.000 VW-Mitarbeiter beteiligen. Die Kommunikation sei direkt, die Informationen würden schnell bereitgestellt, und die Communities organisierten sich selbst, so Kratzenstein über die Vorzüge von Social Media im Unternehmen. Allerdings müssten Compliance-Vorschriften eingehalten werden.

Compliance und Social Media sind aber in der Unternehmenspraxis oft Gegensätze. "Es herrscht ein Kampf zwischen Vertretern von Architektur und Sicherheit auf der einen und von Coolness und Innovation auf der anderen Seite", sagte Brenner, der schon über 200 Führungskräfte in Sachen Social Media trainiert hat. Viele IT-Chefs seien noch nicht bereit für Themen wie Web 2.0 oder Mobile und sähen Innovation als Hobby an nach dem Motto: Das mache ich, wenn ich mal Geld und Zeit übrig habe.

Digital Natives

Sie sind kaum älter als 30 Jahre, mit Internet und Mobiltelefon aufgewachsen und rund um die Uhr informiert. Eingefahrene Arbeitsweisen, Hierarchien und Verbote - insbesondere in Sachen Kommunikation - schrecken Digital Natives ab. Sie wollen keinen Nine-to-Five-Job, sondern arbeiten, wie es ihrem Lebensrhythmus entspricht. Ins Büro eingesperrt zu sein ist ihnen ein Greuel, lieber arbeiten sie auch mal von zu Hause oder dem Café aus. Sie definieren sich über ihre Aufgaben, die ihnen Sinn, Abwechslung und Spaß bringen sollen. Von Führungskräften erwarten sie direktes Feedback und Anerkennung. Eine klassische Karriere ist ihnen nicht so wichtig.