John Chen, Sybase: "Homogenität ist ein Traum"

21.06.2005
Mit John Chen, CEO und President von Sybase, sprach CW-Redakteur Frank Niemann über die Strategie des Herstellers im Datenbank- und Infrastrukturgeschäft.

CW: Ist der von IBM, Oracle und Microsoft dominierte Datenbankmarkt noch interessant für Sybase?

John CHEN: "Kunden möchten Wahlmöglichkeiten, Flexibilität und offene Schnittstellen."

Chen: Auf jeden Fall. Wir führen im Markt für mobile Datenbanken, und zwar mit einem Anteil von 25 Prozent. Außerdem liegen wir mit Produkten für Börsenplätze und Trading-Systeme vorn. Doch die Marktanteile sagen nicht so viel aus. Unsere Kunden wie etwa die Deutsche Bank standardisieren viele ihrer Programme auf Sybase-Technik. Wir sind auch stark in den Branchen Telekommunikation, Militär und öffentliche Hand. Anders als die drei Wettbewerber ist Sybase jedoch nicht in den Segmenten Retail und Fertigung vertreten. Wo wir Produkte verkaufen, tun wir das sehr erfolgreich und profitabel. Natürlich wollen wir den Marktanteil ausbauen.

CW: Laut Gartner konnten Oracle und Microsoft 2004 im Datenbankgeschäft zweistellig zulegen, während Sybase stagnierte. Warum?

CHEN: Ich bin nicht mit den Zahlen einverstanden. Ich habe keine Ahnung, wo Gartner sie herbekommen hat. Ich vergleiche unsere Performance jedes Quartal mit der von Oracle, und da schneiden wir nicht so schlecht ab.

Wir sind die Nummer zwei im chinesischen Markt, und dort verkaufen wir fast nur Datenbanken für das Backoffice. Das sind verlässliche Marktdaten, sie stammen von der chinesischen Regierung.

Im ersten Quartal 2005 legte unser Datenbankgeschäft um 25 Prozent zu, wobei sich dies wohl nicht wiederholen lässt, da ein sehr großer Deal in Europa den Ausschlag gegeben hat. Ein Wachstumstreiber ist Linux. Der Absatz mit Datenbanken für das Betriebssystem nahm um sieben Prozent zu.

CW: IBM, Microsoft, Oracle und neuerdings SAP wollen die Infrastruktur im Unternehmen bestimmen. Wie kann die vergleichsweise kleine Firma Sybase da mithalten?

CHEN: Wir heben uns von denen durch überlegene Produkte für die Datenanalyse und für den mobilen Zugriff ab. Unser offenes Middleware-Konzept ist viel besser als der Kauf-alles-bei-mir-Ansatz der genannten Anbieter. Kunden wollen nicht alles aus einer Hand kaufen, da diese Infrastrukturprodukte meist nur mit sich selbst integriert sind.

CW: Manche Anwender sind froh, wenn wenigstens die Produkte eines Herstellers gut zusammenpassen.

CHEN: Wenn wir die IT noch einmal ganz von vorne entwickeln könnten, wäre eine Komplettlösung aus einer Hand perfekt. Die Wirklichkeit ist jedoch, dass Kunden verschiedene Datenbanken und Applikationen nutzen. Fragen Sie doch mal die 100 größten deutschen Firmen, ob sie ihre IT-Produkte von einem Anbieter gekauft haben oder künftig alles von einem Hersteller beziehen wollen. Homogenität ist ein Traum.

CW: Firmen wollen aber die Anzahl ihrer Lieferanten wegen der Integrationskosten reduzieren.

CHEN: Kunden möchten Wahlmöglichkeiten, Flexibilität und offene Schnittstellen - zumindest die großen Firmen. Es stimmt, dass sie nicht zu viele Lieferanten möchten, aber sie wollen auf alle Fälle nicht nur einen.

CW: Wie stellen Sie sicher, dass Sie einer dieser Lieferanten sind?

CHEN: Wenn wir unsere Offenheit aufgeben und den Kauf-alles-von-mir-Ansatz der Konkurrenz kopieren würden, wären wir ziemlich bald aus dem Geschäft oder ein Übernahmekandidat. Wir punkten mit einer offenen, leistungsfähigen Architektur, die kostengünstig zu betreiben ist und sich leicht verwalten lässt. Unsere "IQ Engine" (Datenbank-Engine für die Analyse von Geschäftsdaten, Anm. der Redaktion) zum Beispiel läuft auch auf Oracle-Datenbanken.

CW: Wie viel Umsatz machen Sie mit bestehenden und wie viel mit neuen Kunden?

CHEN: Etwa 20 Prozent entfallen auf Neukunden, viele davon stammen aus aufstrebenden Märkten wie China und Korea, aber auch aus dem indirekten Kanal. Value Added Resellers (VARs) und Systemintegratoren machen mittlerweile 40 Prozent des Umsatzes aus.

Jetzt können Sie sagen, so viele neue Kunden sind das ja nicht, und könnten zu dem Schluss kommen, dass wenige Neukunden ein Indiz für schlechtes Wachstum sind. Andererseits kann ich Ihnen mitteilen, dass 95 Prozent unserer Kunden wieder bei uns kaufen.

CW: Ihre Datenbankkonkurrenz hat Produkte für den Mittelstand aufgelegt. Wie gehen Sie das Segment an?

CHEN: Ich habe da zwei Ansätze. Der erste sind Applikationsanbieter wie SAP. Seit Ende letzten Jahres unterstützt die Sybase-Datenbank SAP Business One. Von dieser Kombination gibt es etwa 20 Installationen in den USA. Dass sind alles neue Kunden, denn in diesem Geschäft waren wir bisher noch nicht.

Der zweite Ansatz ist Linux. Wir bieten für das Betriebssystem eine Datenbankversion zum Download an, die bis zu einem Datenvolumen von 5 Gigabyte kostenfrei ist.

CW: Auf der Linux-Plattform stehen Sie unter anderem mit MySQL im Wettbewerb.

CHEN: Wir haben eine interessante Beziehung zu MySQL. Im Datenbankumfeld sind wir Konkurrenten, in Sachen Middleware arbeiten wir zusammen. Die verkaufen Dienste, ich verkaufe Dienste und Lizenzen. Wenn Sie MySQL im Unternehmen einführen, zahlen Sie. Ob Open Source für Firmen langfristig die richtige Wahl ist, möchte ich hier nicht debattieren.

CW: Sie bewerben wie andere Hersteller auch Management-Lösungen für unstrukturierte Daten. Ich finde dies erstaunlich, da solche Informationen schon seit Jahrzehnten existieren.

CHEN: In der Vergangenheit war es nur erforderlich, solche Daten zu speichern oder von einem zu einem anderen System als Block zu übertragen. Heute müssen Unternehmen wegen der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, Anti-Terror-Maßnahmen, Kampf gegen Geldwäsche und für eine genaue Analyse von Geschäftsinformationen unstrukturierte Daten indizieren können. Das kann bisher noch keiner. Ein gutes Beispiel sind unsere Kunden aus dem Gesundheitswesen. Röntgenbilder sollen indiziert werden, um darin bestimmte Strukturen und Muster zu finden. Es geht da nicht um Content-Suche, sondern um kontextuelle Suche (nach Bitgruppen). Deshalb investieren wir in Suchtechnik für unstrukturierte Daten.

CW: Viele Anwender haben ganz andere Probleme. Es gibt Firmen, die haben in jeder Niederlassung andere Stammdaten. Können Sie denen auch weiterhelfen?

CHEN: Wir können mit unserem Produkt IQ Daten aus unterschiedlichen Datenquellen über Metadatenbeschreibungen zusammenbringen. Außerdem haben wir unlängst die Firma Avaki gekauft, was uns Technik für die Datenintegration beschert hat. Damit können wir unterschiedliche Datenbankinhalte in einer Federated Database darstellen. Das sind heute relationale Datenquellen, künftig werden es aber auch unstrukturierte Daten sein.

CW: Zum Beispiel auch Repositories von Content-Management-Programmen?

CHEN: Ja, und sogar Web-Seiten, E-Mails und Bilder.

CW: Wenn ich mich mit Documentum unterhalte, höre ich etwa das Gleiche.

CHEN: Das Management von unstrukturierten Daten ist eine Disziplin, die jeder Infrasturkuranbieter beherrschen muss. Wir haben eine datenzentrische Sicht, Documentum fährt einen speicherorientierten Ansatz. Es gibt mehr als einen Weg für diese Aufgaben. Ich denke, wer in fünf Jahren noch keine Lösung parat hat, wird nicht mehr im Geschäft sein.

CW: Wie beurteilen Sie Oracles Data Hubs und die Daten-Management-Lösungen von IBM?

CHEN: Ehrlich gesagt habe ich zu wenig Informationen über Oracles Produkte. IBM hat Trigo gekauft. Wir waren auch an Trigo interessiert, uns dann aber für den Kauf von Avaki und ISDD entschieden.

CW: Mussten Sie sich mit den Firmen begnügen, weil IBM Ihnen zuvorgekommen ist?

CHEN: Nein, wir hatten mit Trigo Gespräche geführt, lange bevor IBM die Übernahme eingefädelt hat.

CW: Wie unterscheidet sich denn Ihr Ansatz von dem der IBM?

CHEN: IBM kümmert sich im Gegensatz zu uns nicht um mobile Daten. Übrigens habe ich bislang noch nichts von Microsoft zum Thema unstrukturierte Daten gehört.

CW: Benötigt man nicht andere Datenbanken als die relationalen Systeme, um unstrukturierte Informationen zu speichern? Zum Beispiel XML-basierende Datenbanken?

CHEN: Heute basieren alle Datenbanken auf XML.

CW: Sie unterstützen XML, aber im Kern sind es relationale Datenbanken.

CHEN: Richtig, aber XML hat bereits die relationalen Datenbanken beeinflusst. Ob es neue Datenbanken geben muss, weiß ich nicht. In den nächsten drei Jahren werden relationale Datenbanken für Data Sharing und Datenintegration am schnellsten wachsen. Danach werden Lösungen für unstrukturierte Daten sehr wichtig sein, insbesondere für Sybase, da viele davon mobile Daten sein werden. Da müssen zum Beispiel Karten und Bilder verarbeitet werden. Und wenn Intel die nächste Centrino-Generation auf den Markt bringt, die GPS-Funktionen bietet, kommt eine Flut an unstrukturierten Daten auf uns zu. Nicht zu vergessen sind Informationen aus biometrischen Zugangssystemen und -ausweisen. Wir wollen weiter in diese Richtung investieren.

CW: Werden Sie weitere Firmen kaufen?

CHEN: Wir wollen zukaufen, aber auch selbst Technik entwickeln.

CW: Was haben Sie als nächstes vor?

CHEN: Middleware bauen, um unstrukturierte Daten zu transportieren und zu analysieren.

CW: Wie viel Umsatz erzielen Sie mit Ihren mobilen Lösungen?

CHEN: Wir wollen dieses Jahr etwa 150 Millionen Dollar mit der Sparte iAnywhere einnehmen, bei einer Vorsteuermarge von 15 bis 20 Prozent. Die Konkurrenten setzen allenfalls zehn bis 20 Millionen Dollar um.

CW: Sind das nur die Access-Lösungen?

CHEN: Ja genau. Dann kommen noch Middleware-Produkte dazu, die der Kunde benötigt, wenn er mobile Geräte einbinden will. Das sind dann nochmal rund 70 Millionen Dollar.

CW: Die iAnywhere-Käufer erwerben aber nicht automatisch auch die Middleware bei Ihnen, da sie ja oft schon bestehende Lösungen haben.

CHEN: In manchmal Fällen kaufen Firmen die Middleware auch woanders.

CW: Sie sind nach Deutschland gekommen, um mit Partnern zu sprechen. Was erzählen Sie denen?

CHEN: Wir erläutern, warum wir Datenbanken, Datenanalyse, Middleware und mobile Lösungen anbieten. Unsere Konkurrenten meinen, wir würden uns aus dem Datenbankgeschäft zurückziehen. Das ist lächerlich. Wenn ich meine Datenbankkunden vor den Kopf stoße, kann ich denen keine mobilen Produkte verkaufen.

CW: Wie sieht das künftige Geschäft mit Software aus?

CHEN: Egal, ob es Hosting oder Open-Source sein wird, fest steht, dass die Margen nie mehr so sein werden wie früher. Meine einzige Möglichkeit, die Marge zu halten, ist der indirekte Vertriebskanal.

CW: Warten denn die Partner auf Sybase? Schließlich rekrutieren auch Oracle, IBM und Microsoft fleißig Vertriebspartner.

CHEN: Oracle geht gerade in die andere Richtung. Ich kann mich für den Peoplesoft-Kauf nur bedanken, denn so sind wir mit SAP ins Gespräch gekommen. Wie Sie wissen, läuft Mysap nur auf Datenbanken von unseren drei Konkurrenten, nicht auf der von Sybase. SAP Business One dagegen unterstützt die Oracle-Datenbank nicht, wurde aber an unsere Datenbank angepasst. Im Gegensatz zu Oracle konkurriere ich nicht mit Anbietern von Business-Software.

CW: Werben Sie Partner von Oracle ab?

CHEN: Ja, viele.

CW: Wie viele?

CHEN: Die genaue Zahl weiß ich nicht. Wenn Sie ein Value Added Reseller sind, wollen Sie nicht nur eine Datenbank anbieten. Zudem hat Oracle schon öfters die Distribution sowie die Preise geändert.

CW: Was ist mit Microsoft und IBM?

CHEN: Microsoft ist am Massenmarkt interessiert. Zwischen denen und uns gibt es nur wenige Überschneidungen. Manche Partner sehen Microsofts Datenbank als Einstiegslösung an und unsere als Highend-Produkt. IBM ist ein direkter Konkurrent und hat viele Partner. Das ist deren Stärke.

CW: Solange es nur um Datenbanken geht, treten Sie nicht in Wettbewerb zu ERP-Playern. Diese Anbieter wollen verstärkt Analysefunktionen in ihre Produkte einbauen, die mit Sybase-Tools konkurrieren.

CHEN: Selbst SAP kann den Anwendern nicht alle Funktionen für die Datenanalyse liefern. Firmen wollen nicht nur Informationen aus SAP-Programmen, sondern auch solche von anderen Applikationen untersuchen.

CW: Können Sie Netweaver-Kunden Business-Intelligence-Funktionen liefern?

CHEN: Ich kann das Datenmodell und die Werkzeuge zum Bau von BI-Anwendungen zur Verfügung stellen.

CW: Würden Sie Ihre Lösung auch für Netweaver zertifizieren lassen, wie es Spezialisten wie Business Objects und Informatica getan haben?

CHEN: Kann ich nicht sagen. SAP betrachtet uns auf diesem Gebiet möglicherweise als Mitbewerber. Daher weiß ich nicht, wie gerne die das täten. Wenn SAP eine wirklich offene Plattform bieten will, dürften sie eigentlich nichts dagegen haben.