IT-Services: Kampf um die erste Liga

15.09.2004 von Alexander Freimark
Bestenfalls durchwachsene Ergebnisse haben viele der mittelgroßen IT-Dienstleister im ersten Halbjahr erzielt. Die im Frühjahr verspürte Belebung der Branche war nicht stark genug, um die Wende zu untermauern. Nun ruht die Hoffnung auf 2005 - und auf dem Aufstieg in die erste Reihe.
Größe ist wichtig, Schnelligkeit auch, beides ist ideal.
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Der Aufbruch im Markt für IT-Services und Beratungsdienste kommt gewiss - wenn auch wahrscheinlich erst 2005. Zwar sind die ersten sechs Monate des Jahres für die mittelgroßen Vertreter der Branche nicht katastrophal gelaufen, aber von einer nachhaltigen Verbesserung kann keine Rede sein. So schrumpfte der Umsatz von Logica CMG um fünf Prozent, EDS hat Massenentlassungen angekündigt, Siemens Business Services (SBS) verlor im jüngsten Quartal rund elf Prozent der Einnahmen, und Atos Origin sowie Capgemini kämpfen mit stagnierenden organischen Umsätzen. Allerdings sehen die Unternehmen Zeichen der Belebung - etwas anderes bleibt ihnen auch kaum noch übrig.

Das schwächste Halbjahresergebnis lieferte Capgemini ab, wobei die Gewinnprognosen der Finanzanalysten deutlich verfehlt wurden. Die Reaktion fiel harsch aus: Die Agentur Standard & Poor''s senkte ihr Langfrist-Rating, Analysten reduzierten die Kurserwartungen, und die Capgemini-Aktie fiel in Paris um rund zwölf Prozent auf ihr 52-Wochen-Tief. Nach mehreren Umsatz- und Gewinnwarnungen in der Vergangenheit ist es mit der Reputation von Firmenchef Paul Hermelin in der Finanzgemeinde nicht zum Besten bestellt - der jüngste Fehlschlag hat dies noch verstärkt. Immerhin kündigte das Unternehmen an, seinen Finanzchef William Bitan durch Nicolas Dufourcq zu ersetzen. Den eigenen Rücktritt schloss Hermelin Berichten zufolge aus.

Die operativen Probleme von Capgemini sind schnell identifiziert: Das Projektgeschäft läuft weiterhin schwach, einige Altverträge wurden wegen versäumter Fristen teurer als erwartet, neue Outsourcing-Verträge wurden mit viel Geld erkauft, und in den USA ist der Umsatz um über 20 Prozent zurückgegangen. Für den PAC-Berater Tobias Ortwein ist es "erstaunlich, dass Capgemini gerade in den USA erneut so stark eingebrochen ist". Der Markt in Übersee sei bereits zu Beginn des Jahres angesprungen, berichtet der Branchenkenner. Vielleicht gebe es anhaltende Probleme bei der Integration von Ernst & Young, spekuliert Ortwein. In Deutschland habe sich Capgemini im ersten Halbjahr "nicht so schlecht entwickelt wie weltweit". Hier sei das Unternehmen bei IT-Services sogar leicht gewachsen.

Das erste Halbjahr Capgemini

Der Umsatz schrumpfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,7 Prozent von 3,02 auf 2,97 Milliarden Euro;

Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Firmenwertabschreibungen (Ebita) belief sich auf minus 20 Millionen Euro; Analysten hatten mit einem Profit zwischen 19 und 55 Millionen Euro kalkuliert;

Der Nettoverlust weitete sich von 90 auf 135 Millionen Euro aus.

Atos Origin

Der Umsatz kletterte dank der Sema-Übernahme verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 72 Prozent auf 2,65 Milliarden Euro;

Ohne die Einnahmen von Sema schrumpfte der Umsatz um 1,3 Prozent;

Der operative Gewinn stieg um 29 Prozent auf 158 Millionen Euro und lag damit im Rahmen der Erwartungen;

Das Nettoergebnis drehte aufgrund der Sema-Übernahme von plus 24 Millionen auf minus 22,6 Millionen Euro.

Zwar verfehlte Capgemini insgesamt die Gewinnerwartungen überraschend deutlich, doch im Grunde genommen war die Entwicklung vom Management schon vor Monaten so angekündigt worden. Er erwarte eine Belebung in der zweiten Jahreshälfte, hatte CEO Hermelin im Mai gesagt - an der Prognose hat sich auch in der vergangenen Woche nichts geändert. Immer noch geht das Management davon aus, im Gesamtjahr die Umsätze zweistellig zu steigern und eine operative Gewinnspanne von zwei bis drei Prozent zu erwirtschaften. Die Grenze zwischen Sturheit und Gewissheit ist fließend.

Auch die Analysten von Ovum beurteilten die Entwicklung weniger kritisch als die Investoren. Sie bezeichneten die Strategie des Konzerns als richtig und belegten dies mit dem Orderbuch des Unternehmens: Dessen Volumen stieg von 6,1 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum auf aktuell 12,6 Milliarden Euro. In der zweiten Jahreshälfte schlagen sich auch erstmals die beiden Milliardenverträge nieder, die Capgemini mit der britischen Steuerbehörde Inland Revenue und dem texanischen Energieversorger TXU geschlossen hat. Dies ändere Ovum zufolge aber nichts an der Tatsache, dass Capgemini zu aggressiv auf die Jagd nach derartigen Outsourcing-Kontrakten gegangen ist. Die provokante Frage der Analysten lautet: "Wie lange kann man auf dem richtigen Weg gehen, wenn der Markt denkt, dass man sich verlaufen hat?"

Derweil erkor die "Financial Times" auf ihrer Titelseite Capgemini zu einem potenziellen Übernahmekandidaten - Hewlett-Packard (HP) und Atos Origin könnten interessiert sein. "Die Spekulationen gibt es immer wieder, wenn ein Unternehmen mit schlechten Quartalszahlen aufwartet", relativiert PAC-Berater Ortwein derartige Berichte. Grundsätzlich würden fast alle IT-Services-Anbieter als Übernahmekandidaten und gleichzeitig auch als potenzielle Käufer gehandelt. Völlig auszuschließen ist ein derartiger Deal in der krisenerprobten Branche aber nicht.

HPs Absichten sind unergründlich, und Atos Origin muss erst einmal den Erwerb und die Integration der Sema Group meistern. Aufgrund der Übernahmekosten drehte das Nettoergebnis im ersten Halbjahr ins Minus, ohne die Sema-Zahlen schrumpfte der Umsatz geringfügig. Dennoch steht der franösisch-niederländische Konzern besser da als Capgemini: Die operativen Margen in den ersten zwei Quartalen (fünf und sieben Prozent) lassen den defizitären Wettbewerber alt aussehen.

Organisch geht Atos Origin von stagnierenden Umsätzen im gesamten Jahr aus, erst 2005 soll ein "mäßiger, aber nachhaltiger" Anstieg erfolgen. Nach Jahren der Depression und der Umwälzungen wäre dies immerhin ein positives Etappenziel. Ob sich Atos Origin dann zusätzlich mit einer Übernahme von Capgemini belasten will, darf bezweifelt werden. Die internen Ziele des Unternehmens sind allerdings hoch gesteckt: "Wir wollen weitere Mega-Deals gewinnen, und zwar insbesondere in Deutschland", kündigte Gerhard Fercho, der Generalbevollmächtigte für Zentraleuropa, nach der Outsourcing-Übernahme von Itellium an.

Fercho strebt in 18 Monaten hierzulande das Umsatzziel von einer Milliarde Euro pro Jahr an, was etwa einer Verdreifachung der Einnahmen aus dem Jahr 2003 entspricht. Weltweit sind die Ansprüche ebenfalls ambitioniert: Atos will im gleichen Zeitraum rund zehn Milliarden Euro umsetzen. Im Jahr 2003 beliefen sich die Einnahmen auf 5,4 Milliarden Euro.

Die Strategie der IT-Dienstleister ist riskant, aber aus der Not geboren: Um in der ersten Liga - also bei den zuletzt erfolgreichen Konzernen IBM Global Services und Accenture - mitzuspielen, folgen die mittelgroßen Unternehmen dem eingeschlagenen Weg und kaufen Wettbewerber sowie Outsourcing-Kunden. Auch wenn sich der Markt im kommenden Jahr beleben sollte, wird das organische Wachstum nicht genügen, die Ansprüche der Investoren zu befriedigen. Fällt der Aktienkurs, wird man schnell vom Aufkäufer zum Ziel. Es gilt, an Masse zuzulegen, ohne dabei an Geschwindigkeit und Flexibilität einzubüßen. Der Nachweis, dass diese Gratwanderung gelingen kann, muss erst noch erbracht werden - vielleicht im kommenden Jahr.