IT-Industrialisierung macht Komplexität beherrschbar

12.06.2007 von Karin Quack
Beim diesjährigen "Executive Forum" der COMPUTERWOCHE stand die Reduzierung der Fertigungstiefe im Mittelpunkt der Diskussionen.

Billiger, flexibler, leistungsfähiger – um diese Ziele zu erreichen, eifert die IT derzeit der Fertigungsindustrie nach: Sie ist auf der Suche nach Möglichkeiten für eine "Industrialisierung" ihrer Services. Diesem Bemühen widmete die COMPUTERWOCHE ihr diesjähriges "Executive Forum".

Networking für CIOs

Rund drei Dutzend handverlesene IT-Chefs – darunter auch eine Chefin – waren in diesem Jahr der Einladung nach Rottach-Egern gefolgt, wo die COMPUTERWOCHE bereit zum fünften Mal ihr jährliches "Executive Forum" ausgerichtet hatte. Neben Vorträgen und lebhaften Diskussionen waren diesmal auch Vieraugengespräche mit CIO-Kollegen eigener Wahl arrangiert worden. Auch die Freizeitaktivitäten kamen nicht zu kurz – angefangen vom Gourmet-Dinner über eine Partie Golf bis zum "Erlebniskochen".

Nach Ansicht von Wafa Moussavi-Amin, Analyst und General Manager bei der IDC Central Europe GmbH, manifestiert sich der Trend zur Industrialisierung der IT vor allem in der Virtualisierung von Plattformen. Die Unternehmen hätten im vergangenen Jahr weltweit 140 Milliarden Dollar für ungenutzte Server-Kapazität verschwendet, wobei nicht einmal so sehr die Hardwarekosten als vielmehr die Server-Management-Aufwände ins Gewicht gefallen seien. "Dieses Geld fehlt, um Innovationen umzusetzen", monierte der IDC-Manager.

Den impliziten Vorwurf an die IT-Manager wollte Jürgen Kaesberg, IT-Chef der Dr. Johannes Heidenhain GmbH, nicht unwidersprochen lassen: "Der Grund für die vielen kleinen Server ist doch, dass die Softwarequalität so schlecht ist. Die Applikationen stören sich gegenseitig und brauchen deshalb jeweils eine eigene Maschine", klagte er: "Wir lösen Softwareprobleme mit Hardware."

Drei Aspekte der IT-Industrialisierung

Fast alle Finanzdienstleister plädieren für IT-Industrialisierung, aber wenige tun es tatsächlich, weiß Deutsche-Bank-CIO Wolfgang Gaertner.
Foto: Joachim Wendler

Den Blick auf die Industrialisierung der Abläufe lenkte hingegen Wolfgang Gaertner, CIO Personal und Corporate Banking, Deutsche Bank AG: "Die Prozesse End-to-End anzuschauen, lernen die Banken gerade erst", hat er festgestellt. In einer Fraunhofer-Studie aus dem vergangenen Jahr hätten 77 Prozent von 219 befragten Finanzinstituten die Frage, ob die Banken die IT-Industrialisierung zur Prozessoptimierung nutzen sollten, mit "ja" beantwortet. Aber, so der Deutsche-Bank-CIO, "nur wenige tun es tatsächlich".

Zur Industrialisierung gehören aus Gaertners Sicht vor allem drei Themenkomplexe:

Standardisierung und Automatisierung beginnt für Gaertner beim "Aufräumen" der End-to-End-Prozesse. Das Mittel zum Zweck ist für ihn eine Service-orientierte Architektur (SOA). Sie sei das erste "IT-Thema", das nicht nur IT-intern, sondern auch mit den Geschäftsbereichen diskutiert werde: "Es gibt eine echte Nachfrage dafür." Der Grund sei, dass die IT die Vorteile der SOA zunächst nicht auf der technischen Ebene herausgestellt, sondern über die Abwicklungsprozesse erläutert habe. "Das Thema SOA wird ganz stark aus der Prozessperspektive getrieben", resümiert der Deutsche-Bank-Manager.

IT-Industrialisierung: Kostenvorteile und Technologie-Know-how

Die Reduzierung der Fertigungstiefe manifestiert sich bei der Deutschen Bank unter anderem in dem vor vier Jahren unternommenen Outsoucing großer IT-Teile an die IBM. "Das war der richtige Deal für uns", bestätigt Gaertner rückblickend. Die angepeilten Kostenziele (eine Milliarde Euro Ersparnis über zehn Jahre) seien durchaus erreichbar: "Wir werden das schaffen." Zudem profitiere die Bank von der Flexibilität und Transparenz der Kosten.

Darüber hinaus habe die IT-Auslagerung auch die Verfügbarkeit von Technologiewissen erhöht, so Gaertner: "Die IBM hat uns geholfen, zwei neue, komplett gespiegelte Rechenzentren auf modernstem Stand zu bauen. Ich bezweifle, dass wir das allein geschafft hätten." Last, but not least ermögliche die klare Schnittstelle zwischen Kunde und Lieferant die Definition und Einhaltung konkreter Service-Levels.

Auslagerung braucht kritische Masse

Globale Fertigungskooperationen betreibt die Deutsche Bank beispielsweise, indem sie Teile der IT-Abwickung in Asien erledigen lässt. Neben eigenen Einheiten arbeitet sie mit exklusiven Partnern. Durch Bündelung von Prozessen ließen sich nicht nur Einsparungen, sondern auch eine bessere Skalierbarkeit erzielen, erläutert Gaertner. Zudem erhöhe es die Verfügbarkeit, wenn jeder wichtige Prozess zweimal auf dem Globus abgewickelt werden könne.

Allerdings räumt der Deutsche-Bank-CIO ein, dass nicht jedes Unternehmen diesem Beispiel folgen könne: "Um daraus einen Nutzen erzielen zu können, brauchen Sie eine kritische Masse, sonst sind die Fixkosten zu hoch." Außerdem warne er davor, den gesamten Prozess nach außen zu geben. Auch die Deutsche Bank lasse nur einen Teil der Abwicklung extern erledigen. Die Steuerung der Abläufe sowie das Prozess- und Architekturwissen blieben im Haus: "Das braucht man, um mit den Lieferanten partnerschaftlich die Prozesse zu verbessern und zu erneuern."

IT-Industrialisierung: Mit gängigen Vorurteilen aufgeräumt

Eine Tradition auf den Executive Foren der COMPUTERWOCHE sind die "Dialoge" zwischen einem Wirtschaftsinformatiker der Universität St. Gallen und einem praxiserfahrenen IT-Chef. "Zehn Thesen zur Industrialisierung der IT" hatten Boris Otto, Projektleiter am Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI), und Peter Kraus, CIO bei der ZF Friedrichshafen AG, ihren Vortrag betitelt.

"Die Qualität der zugekauften Software ist derzeit eine Zumutung", klagt Peter Kraus, CIO der ZF Friedrichshaften AG.
Foto: Joachim Wendler

Kraus räumte zunächst mit einigen Vorurteilen gegenüber der IT auf: Häufig heiße es, die IT habe keine Metriken, um ihre Services zu verrechnen. "Das ist doch ein alter Hut, wir machen das seit mehr als zehn Jahren", entgegnete der erfahrene IT-Manager den Kritikern seiner Zunft. Auch die mangelhafte Kostenkontrolle in der IT gehöre ins Reich der Mythen und Sagen: "Nirgendwo gibt es eine bessere Kostentransparenz als bei uns."

Die immer wieder postulierte Reaktionsschnelligkeit zählt auch für Otto und Kraus zu den Grundvoraussetzungen für einen nennenswerten Wertbeitrag der IT: "Geschwindigkeit ist der wichtigste Faktor, um die Marktfähigkeit von Unternehmen zu unterstützen." Allerdings verwiesen die beiden Referenten auch auf die Janusköpfigkeit der Schnelligkeit: "Teilweise ist Geschwindigkeit ein Mittel, um sich vor einer sauberen Organisation zu drücken."

Die Themen der Industrialisierung

  • Ausgangspunkte sind die Geschäfts- und IT-Strategie.

  • Was bedeutet Industrialisierung im Einzelnen?

  • Globalisierung ist ein Treiber der Industrialisierung.

  • Serviceorientierung und Industrialisierung – ein Widerspruch?

  • Industrialisierung ist Voraussetzung für Netzwerkfähigkeit.

  • Ist die moderne IT digitale Fabrik oder Werkstattfertigung?

  • Industrialisierung heißt: Komplexität beherrschbar machen.

  • Datenqualitäts-Management als Rückgrat industrieller Abläufe.

  • Mit der Industrialisierung gehen neue Personalentwicklungsstrategien einher.

  • Ist die IT immer noch ein Innovationstreiber in der Standortdebatte?

    (Zusammengetragen von Boris Otto und Peter Kraus)

Jedenfalls sei der IT keinesfalls der pauschale Vorwurf der Lansamkeit zu machen, konstatierte Kraus - im Gegenteil: "Wir sind häufig schneller als das Business." Technische Modifikationen stellten eine relativ leichte Übung dar – im Vergleich zu dem mühsamen Unterfangen, Organisationen und das Denken in den Köpfen der Mitarbeiter zu ändern. "Wir verkaufen so ein bisschen die Hoffnung, dass wir mit dem nächsten Software-Release die Probleme lösen werden, die aber meist im Zusammenspiel von Organisation und Prozessen sowie den Menschen begründet sind."

Keine Skaleneffekte durch Outsourcing?

Ein Merkmal der Industrialisierung ist die Arbeitsteiligkeit, die in der IT oft mit Outsourcing gleichgesetzt wird. Kraus ist jedoch skeptisch; die viel beschworenen Skaleneffekte hält er für überbewertet: "Wenn ich als Anwender eine bestimmte Größe habe, bringt das Outsourcing keinen weiteren Gewinn."

An dieser Stelle erhob sich allerdings Widerspruch. Aus Sicht von Walter Brenner, Professor für Wirtschaftsinformatik und Institutsdirektor an der Universität St. Gallen, sind die möglichen Einsparungen noch längst nicht ausgereizt: "Es gibt immer wieder neue Levels of Scales".

Im Zusammenhang mit dem Thema Taylorismus teilte Kraus auch einen Seitenhieb in Richtung Softwarebranche aus: "Die Qualität der zugekauften Software ist derzeit eine Zumutung." Während sich die Zulieferindustrie ständig den Audits der Automobilhersteller unterwerfen müssten, hätten die großen Softwarelieferanten keinerlei Überprüfung zu fürchten: "Dabei ist eine verlässliche Softwarequalität die Voraussetzung für eine Wertschöpfung im Netz."

Globalisierung fordert flexible Architektur

Vor allem die fortschreitende Globalisierung fordert geradezu eine Industrialisierung der IT-Services, betonten die beiden Dialogpartner. Wie stelle ich die Lieferfähigkeit an weit entfernten Orten sicher? Welcher Integrationsgrad ist erforderlich beziehungsweise erwünscht? Woher kommen die Kompetenzen? Welche kritische Masse ist nötig, um Services zu bündeln?

Diese Fragen müsse die IT angesichts der weltweiten Präsenz der Unternehmen stellen. Die richtige Antwort darauf sei, darin waren sich Kraus und Otto einig, in vielen Fällen eine Flexibilisierung des Architektur-Managements oder anders ausgedrückt: eine SOA.

Die IT braucht mehr Eigeninitiative

Zur Industrialisierung gehört für Otto und Kraus aber auch eine im wahrsten Sinne des Wortes Service-orientierte IT-Organisation. Unter diesen Vorzeichen sei ein IT-Controlling absolut unerlässlich.

An der internen Kundenschnittstelle bleibe "noch einiges zu tun", räumte der CIO ein. Nicht jedem IT-Mitarbeiter sei von vorn herein klar, woher er eigentlich seine Aufträge bekomme: "Weiß die Anwendungsentwicklung, dass auch IT-Operations ihr Kunde ist?" lautete die rhetorische Frage, die viele Zuhörer wohl im Stillen mit "nein" beantwortet haben dürften.

Hinsichtlich der Beziehung zwischen IT und Business ging Kraus auch mit seiner eigenen Zunft hart ins Gericht. Sie zeige relativ wenig Eigeninitiative, gab der CIO zu bedenken: "Wir jammern zu viel, dass wir vom Business nicht eingeladen werden. Aber welcher Anbieter wird eigentlich von seinen Kunden angerufen und gefragt: Ich habe da ein tolles Projekt, willst du nicht daran mitarbeiten?" Die IT müsse ständigen Kontakt mit den Business-Kollegen halten, forderte Kraus – nicht nur dann, wenn es im Service oder in den Projekten kritisch werde.

Niemand will Commodities managen

Den zweiten Dialog bestritten der bereits als Diskussionsteilnehmer aktiv gewordene Hochschullehrer Brenner sowie Martin Frick, CIO der Avis Europe Plc. Sie hatten ihren Vortrag anhand von acht Thesen strukturiert, ließen aber wie ihre Vorredner auch Raum für den Meinungsaustausch unter den Forumsteilnehmern.

"Die Standardisierung der Prozessebene fällt leichter als die Konsolidierung der technischen Seite", so Avis-CIO Martin Frick.
Foto: Joachim Wendler

"Die Standardisierung der Prozessebene im Rahmen der Industrialisierung fällt leichter als die Konsolidierung der technischen Seite", konstatierte Frick. Die "Commodities", von denen in der Theorie immer wieder die Rede sei, ließen sich in der Praxis nur mit Mühe implementieren.

Das Auditorium stimmte dem weitgehend zu. Das Problem rühre aber teilweise daher, dass die großen Softwareanbieter die Standardisierung selbst noch nicht allzu weit voran gebracht hätten, so der Tenor der Diskussionsbeiträge.

"Wenn das Bewusstsein dafür nicht vorhanden ist, wird man nie Commodities bekommen", wandte Brenner ein. Tatsache sei doch, dass niemand Commodities managen wolle, sondern jeder nur strategische Projekte.

Auch Projekte ließen sich industrialisieren, so der Einwand von Rainer Ostermeyer, CIO der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Die Inhalte seien zwar individuell, aber die Vorgehensweise, um sie zu managen, durchaus standardisierbar.

Frick pflichtete seinem CIO-Kollegen bei und verwies auf Methoden wie "PMI" oder "Prince2" (siehe auch "PM von der Stange"). Gleichzeitig empfahl er den Zuhörern, die Service-Delivery-Practices von "Itil" (IT Infrastructure Library) und die Steuerungmechanismen aus "Cobit" (Control Objective for Information and related Technology) einzuführen.

Gemeinsam mit dem Business

Beinahe schon eine Binsenweisheit, aber deshalb nicht weniger wahr: Derartige Ansätze lassen sich nur mit der Hilfe des Topmanagements verwirklichen. "Sie brauchen einen CEO, der die Industrialisierung der IT mit vorantreibt", stellte Frick klar. "Es muss eine grundsätzliche strategische Entscheidung der Unternehmen für diese Vorgehensweisen geben."

"Sollte aber die nötige Initiative nicht von der Business-Seite ausgehen, muss die IT noch lange nicht resignieren", ergänzte Günter Weinrauch, CIO bei der Premiere AG: "Wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen."

Knallharte Kalkulation von Stückkosten

Mit den Interessen der Unternehmensführung dürfte sich auch die Aufforderung zu industriellen Methoden des Erfolgsnachweises decken. Brenner und Frick schlugen den anwesenden CIOs unter anderem vor, die Stückkostenrechnung, die in der industriellen Fertigung bereits gang und gäbe sei, auch in der IT einzuführen. "Das hat nichts damit zu tun, Kosten umzulegen", erläuterte Brenner, "hier ist knallharte Kostenkalkulation gefragt."

Aus Sicht des St. Gallener Wirtschaftsinformatikers Walter Brenner sind Applikationen nichts als Ressourcen.
Foto: Universität St. Gallen

"Argumentieren Sie in Produkten, nicht in Ressourcen", empfahl der Wirtschaftsinformatiker. Er räumt allerdings ein, dass dies beim CIO ein gewisses Abstraktionsvermögen voraussetze: "Eine Applikation ist nichts weiter als eine Ressource", gab er zu bedenken. Viel zu oft werde die Anwendung noch als das Ziel der IT betrachtet. Das führe jedoch zu einem falschen Selbstverständnis der Informatiker. Dazu passt der Denkanstoß, den Brenner seinen Zuhörern mit auf den Weg gab: "IT ist nicht Software, sondern ein Stück Prozessunterstützung."

Acht Thesen zur Industrialisierung

  1. Die IT-Industrialisierung kann sich die Fertigungsindustrie zum Vorbild nehmen.

  2. Zentrale Themen sind der Betrieb und die Serviceerbringung; Fokussierung auf das IT-Produkt ist essenziell.

  3. Im Mittelpunkt stehen Standardisierung und Automatisierung – oder sind Individualisierung und Flexibiltät wichtiger?

  4. Industrialisierung erfordert die Implementierung von Best Practices wie Stückkostenrechnung oder Six Sigma.

  5. Zudem muss die IT-Industrialisierung mit der IT-Innovation in Einklang gebracht werden.

  6. Darüber hinaus erfordert Industrialisierung auch neue Organisationsstrukturen.

  7. Industrialisierung bedeutet Professionalisierung und kontinuierliche Verbesserung.

  8. Und Industrialisierung impliziert die Entwicklung einer neuen Organisationskultur, die nur von innen heraus erfolgen kann.

    (Nach Martin Frick und Walter Brenner)