IT does matter, doesn´t it?

07.03.2005 von Alexander Freimark
Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht, besagt eine alte Weisheit. Sie gilt nicht für USB-Sushi-Sticks.

Wir alle haben der IT-Branche viel zu verdanken: Einen Job, manchmal ein Firmen-Handy sowie das Bewusstsein, in der schnellsten, heißesten und besten Branche aller Zeiten gearbeitet zu haben - damals.

Lecker, lecker: Speicher-Haute-Cuisin

Damals warben ERP-Anbieter in Hannover auch abseits der CeBIT auf Fußballerbrüsten, relationale Datenbanken waren als ökonomische Eckpfeiler im kollektiven Geist der Nation verankert, und selbst E-Commerce einschließlich Herrn Schambach galten als sexy.

Heute ist davon nicht mehr viel zu spüren, die "Endverbraucher" geben wieder den Takt vor. Schambach hat in die USA rübergemacht, Datenbanken lösen Big-Brother-Ängste aus, und im ERP-Segment ist der Markt flachkonsolidiert. Unternehmens-IT ist dort angekommen, wo sie Mitte der 90er Jahre gestartet ist: im Wirtschaftsteil der Tageszeitung bei den Anlegerinformationen, Sparte "Spekulative Investments und Turnaround-Wetten". Außer Google, denn dessen Angebote richten sich in erster Linie an Menschen, nicht an Unternehmen. Die CeBIT gibt das beste Beispiel für das aktuelle Erfolgspotenzial ab: Rein mit den Consumern, raus mit den Consumern, rein mit den Consumern.

Sobald nämlich die IT intensiv mit dem einzelnen Menschen in Verbindung tritt, ist auch heutzutage noch Spannung garantiert: intelligente Handys, Fernseher flacher als das Programm und USB-Peripheriegeräte in jeder erdenklichen Form. Hier gibt es Aschenbecher mit Raumluft-Ionisator, Aquarien mit Plastikfischen zur Stressbewältigung, Tastaturstaubsauger sowie beleuchtete Mousepads mit Cannabis-Blatt und Kaffeewärmer. USB-Speichersticks in Sushi- beziehungsweise Entenform (www.dynamism.com) bereichern jede Büroatmosphäre. Unübertroffen ist jedoch der USB-Vibrator (tatsächlich, wir haben alle darauf gewartet). Zehn Geschwindigkeiten gibt es bereits für knapp 65 Euro, und man muss nicht mal nach Hannover fahren, sondern kann im Web ordern (www.coolsells.de). Dort auf der Site findet sich auch das "Alte Testament" als Hörbuch-CD - für besinnliche Stunden am ERP-Messestand.

Keine Sorge: Ein Aussteller wird schon noch kommen.

Viele Anbieter der ernsthaften IT hingegen haben es versäumt, rechtzeitig auf den einzelnen Menschen zuzugehen. Chancen bieten sich viele: Wieso gibt es SAP-Software für Konzerne und Mittelständler, aber nicht für Privatnutzer? Hat nicht jeder Bürger ein Recht auf Kontenführung mit MySAP.home? Kommen nach den Professional Services von IBM nun endlich die Personal Services (zu leicht angepassten Tagessätzen)? Wieso verbessert Mercury die Performance von Anwendungen, nicht aber die Drehzahl meiner Waschmaschine? Wann kann ich meine häuslichen Prozesse mit "Aris" modellieren und die Compliance meiner Frau anhand von Kennzahlen überwachen? Was würden Gartners Sourcing-Ratschläge für den Wochenmarkt kosten? Selbst mein Baby könnte ich bis zur Schulreife nach Bangalore outsourcen. Zeit wäre es.

Beispiel Apple: Seit die Firma von ihren proprietären PC-Clones abgerückt ist und den ersten MP3-Player für alle Menschen erfunden hat, laufen das Geschäft und der Aktienkurs wieder. Beispiel Microsoft: Dessen traditionell defizitäre Spieledivision erwirtschaftete unlängst sogar operative Profite. Vor zwei Jahren waren "Xbox"-Käufer noch verhöhnt worden. Die Entertainment-Sparte setzte zuletzt 1,4 Milliarden Dollar um, mit Business Solutions (ERP-Programme) wurden 211 Millionen Dollar eingenommen - Stagnation und dazu anhaltende Verluste. Noch Fragen?

In der zwischenmenschlichen IT bilden sich neue Kerngeschäftsfelder heraus, die die Abhängigkeit der Lieferanten von den Unternehmen reduzieren und zur Verankerung der Marke in der Gesellschaft beitragen. Dabei ist egal, was ich verkaufe; entscheidend ist, wie ich es verkaufe. Viele ernsthafte IT-Konzerne stehen in diesem Punkt vor einer echten Bewährungsprobe: Zwar meistern sie den ersten Punkt noch, doch zu der Frage des "Wie verkaufen?" gehen ihnen die Antworten aus. Meist folgt dann eine Zahl mit der Abkürzung Ghz.

Die Killerapplikation Ganz weit hinten in der Gunst des Redakteurs liegt der kalifornische Anbieter Phonebites, der die "interessanteste Applikation der letzten Jahre" im Handy-Segment entwickelt hat. Dies meint zumindest Siemens, weshalb sich der Konzern kurzerhand an dem Startup beteiligt hat (die allgemeinen Erfolge der Münchner im Handy-Geschäft stehen hier nicht zur Bewertung an). Eine Technik von Phonebites ermöglicht es, verschiedene Töne während eines Telefonats an den Gesprächspartner zu senden - damit werde ein Überraschungseffekt ausgelöst, "der üblicherweise sehr lustig ist": furz, kicher, furz. Das passende Headset kostet, die Sounds kosten, die Schuldnerberatungen bekommen neue Kunden. Was haben Handy-Hersteller in den vergangenen Jahren eigentlich getrieben, dass sie nichts Interessanteres als Funkfürze entwickeln konnten?

Immerhin haben einige Hersteller erkannt, dass inzwischen auch Frauen über den Kauf eines Geräts entscheiden dürfen. Bislang herrschte die Meinung vor, dass sich lediglich junge Männer mit Geld und Verstand für IT- und Elektronikspielzeug interessieren - das darin enthaltene Paradoxon wurde indes nie formell ausdiskutiert. Es handelte sich natürlich um eine platte Schutzbehauptung der IT-Marketiers und Produkt-Manager, die einfach zu faul waren, sich über das Design und die "Usability" der Geräte Gedanken zu machen - Motto: Graubeige ist schließlich auch eine Farbe. Fast die Hälfte aller Elektronikprodukte in den USA wird derzeit von Frauen erworben. Das sind knapp 50 Prozent, sagen Analysten.

Einschränkend sei hinzugefügt - es finden sich auch gelegentlich Ausnahmen von der Regel, dass personalisierte IT sinnvoll ist. Ein US-amerikanischer Koch beispielsweise bedruckt Esspapier mit einem herkömmlichen Canon-Drucker und selbstgerührter Spezialtinte (www.motorestaurant.com). Das Werk wird dann aromatisiert, je nach Aufdruck mit Lachs- oder Rindsgeschmack. Den Leuten schmeckts - in New York.

Reisen bildet Die Mitarbeiter der Privatwirtschaft, Selbständige und Freiberufler haben auf der Messe wieder mal das kleine Los gezogen. Demgegenüber können sich Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes erstmals den Besuch des "Public Sector Parc/Forum" als Sonder- und Bildungsurlaub anrechnen lassen. "Der Urlaub muss beim Dienstherrn beantragt werden, die Genehmigung liegt in dessen Ermessen", heißt es auf der Website der CeBIT. Mit den nötigen Freiräumen im Spesenwesen bietet sich so die Chance, an einem beruflichen All-inclusive-Event in der Messemetropole teilzunehmen. Buntes Armbändchen nicht vergessen!

Ein Ausrutscher ist auch das Festnetz-Videotelefon, das Arcor dieses Jahr aus der Messemottenkiste hervorgekramt hat (Pavillon P33). Dank DSL steht die Technik nun in den eigenen vier Wänden vor dem "Durchbruch". Laut "Spiegel Online" war der erste Apparat für die Videotelefonie bereits 1936 vorgestellt worden, und selbst die Deutsche Telekom hatte 2001 ein Einsehen und zog den letzten Stecker aus der ISDN-Videotelefonieanlage.

Wer das alles hat, nur keine Zukunft, kann sich in Holland jetzt einen Sarg in Handy-Form zimmern lassen. Auch das ist nur kurzfristig komisch. Spätestens bei der Fahrt in die Brennkammer verpufft der Spaß. Noch bizarrer ist das "Handy fürs Grab", das ein Tüftler aus Osnabrück erfand (www.telefonengel.com). Ein Superakku und ein kleiner Lautsprecher im wasserdichten Kasten machen es möglich, einen Monolog mit den lieben Verstorbenen zu führen, wenn man gerade mal unterwegs ist. Etwa in Hannover, zur CeBIT in der ERP-Halle. (ajf)