IT-Berater üben sich in Zweckoptimismus

04.06.2003 von Joachim Hackmann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der deutsche IT-Service- und Softwaremarkt krankt. Den Standardsoftware-Anbietern geht es schlecht, den IT-Systemintegratoren geht es schlechter, und den Management-Beratern geht es am schlechtesten. Einzig die IT-Dienstleister, die das Gros ihrer Einnahmen mit Outsourcing-, Wartungs- und Schulungsdiensten erzielen, sind zufrieden. So lautet die Quintessenz aus den vier aktuellen Lünendonk -Listen, die die 25 größten Anbieter in den jeweiligen Märkten benennen.
Im deutschen Markt für Standardsoftware gibt es eine Zweiklassengesellschaft: SAP und Microsoft dominieren den Markt, Oracle müht sich, Anschluss zu halten. Die Nummer vier erzielt weniger als ein Zehntel des SAP-Umsatzes. (Quelle: Lünendonk)

Wenn ein Unternehmen, das vornehmlich durch hohe Verluste, finanzielle Schwierigkeiten und Zweifel an seiner Überlebensfähigkeit von sich reden macht, den Sprung in die Top-25-Liste der deutschen Standardsoftware-Häuser schafft, dann wirft dies kein gutes Licht auf die Befindlichkeit der Branche: Intershop belegt den 22. Rang in der Lünendonk-Liste der 25 größten deutschen Anbieter. Im letzten Jahr wurde dem Jenaer Hersteller ein Platz in der Tabelle verweigert, weil Intershop es in dem ganzen Tohuwabohu um das Unternehmen nicht schaffte, Umsatzzahlen zu melden. Erfolgreiche Häuser sehen anders aus, und Lünendonks Tabelle ist demnach keineswegs als Hitliste zu verstehen.

„Es gibt vier oder fünf große und eine Vielzahl von kleinen Anbietern in Deutschland“, räumt Heinz Streicher, Berater beim Consulting- und Marktforschungshaus Lünendonk ein, „die Spannweite zwischen dem größten und kleinsten Anbieter der Liste ist enorm.“ Legt man die Inlandsumsätze der untersuchten Firmen zugrunde belegt die SAP AG mit Einnahmen von 1,65 Milliarden Euro den Spitzenplatz. Auf dem 25. Rang (beim Inlandsumsatz) führen die Marktforscher die Beta Systems AG aus Berlin mit einem Umsatz von 23 Millionen Euro. Die beiden Unternehmen trennen in der Liste nur 24 Plätze. Im Softwaremarkt sind es Welten.

Wie deutlich die SAP den deutschen Softwaremarkt prägt, lässt sich eindrucksvoll an der Auswertung der Exportzahlen unterstreichen. Die Top 25 der in Deutschland tätigen Gesellschaften führten im letzten Jahr Produkte im Wert von 6,6 Milliarden Euro aus - 87 Prozent davon wanderten in die SAP-Kassen. Jenseits von Walldorf versiegt das Interesse ausländischer Anwender an deutscher Standardsoftware. Zwar gibt es eine Reihe von Anbietern (etwa die Software AG, Mensch und Maschine Software, SAS Institute, FJA AG, Ixos Software sowie Nemetschek und Brain), die einen erheblichen Anteil ihrer Einnahmen im Ausland erzielen,

doch sind sie allesamt weit davon entfernt, in die SAP-Liga aufzusteigen. Zudem zeigt die Lünendonk-Liste, dass die internationale Ausrichtung der hiesigen Anbieter leicht rückläufig ist. Im letzten Jahr erzielten die betrachteten Unternehmen im Durchschnitt 59 Prozent ihrer Einnahmen durch den Export, in diesem Jahr sind es nur 57 Prozent.

Doch es gibt auch Positives zu melden. Die größten Anbieter Deutschlands konnten im letzten Jahr ihren Inlandsumsatz gegenüber der Gruppe aus dem Jahr 2001 um vier Prozent steigern. Im vorletzten Jahr beliefen sich die addierten Einnahmen auf 4,8 Milliarden Euro, 2002 waren es fünf Milliarden Euro (3,6 Milliarden Euro davon stammen von den ersten drei Unternehmen). Um das Gewicht der 25 führenden Hersteller im gesamten deutschen Standardsoftware-Markt einschätzen zu können, sind die Lünendonk-Berater auf die von der Unternehmensberatung Detecon erhobenen Zahlen angewiesen. Nach Angaben der T-Systems-Tochter sank im Jahr 2002 der hierzulande erzielte Umsatz mit Standardsoftware um 2,5 Prozent auf 13,4 Milliarden Euro. Diese

Angaben zugrunde gelegt, haben die in der Lünendonk-Liste aufgeführten Unternehmen somit einen Anteil von 37 Prozent am Gesamtmarkt. Im letzten Jahr waren es 35 Prozent.

Optimistische Softwareanbieter

Die Unternehmen sind aber keineswegs entmutigt. Zum Ende des Jahres erwarten sie im Durchschnitt, dass sie ein Umsatzplus von fünf Prozent in den Büchern notieren können. Mittel- und langfristig soll sich das Geschäft noch besser entwickeln, das ergab die Lünendonk-Umfrage, die im März und April betrieben wurde. Die derzeitige schwierige Lage werten die Befragten als eine Art Betriebsunfall. „Sie betrachten die Situation als den größten Konjunktureinbruch, den die Branche je erlebt hat“, berichtet Streicher.

Verkaufen die Softwareanbieter weniger Produkte, gibt es für die IT-Beratungs- und -Systemintegratoren weniger zu tun. Dies belegen auch die Zahlen von Detecon. Im letzten Jahr gaben hiesige Anwender 13,5 Milliarden Euro oder 2,6 Prozent weniger für IT-Consulting und -Integration aus als im Jahr zuvor. Die im Inland erzielten Einnahmen der von Lünendonk ermittelten 25 größten Anbieter in diesem Segment schrumpften um 2,7 Prozent. Deutlicher fällt der Rückgang der Gesamtumsätze der Top-25-IT-Beratungs- und Systemintegratoren aus. Sie sackten im letzten Jahr sogar um sechs Prozent.

Insgesamt meldeten nur sechs Unternehmen steigende Einnahmen: Lufthansa Systems, Pricewaterhouse Coopers Consulting (PWCC, heute IBM Business Consulting Services), SAP SI, IDS Scheer, MSG Systems und ESG Elektroniksystem- und Logistik-GmbH. Nicht immer steckt echtes Wachstum dahinter: Die von Lufthansa Systems in den Jahren 2001 und 2002 gemeldeten Zahlen sind beispielsweise nur bedingt vergleichbar, weil das Unternehmen die Berechnungsgrundlage änderte.

Pro-Kopf-Umsatz schrumpft

Der Personalabbau der in der Liste aufgeführten Unternehmen hielt sich in Grenzen. Beschäftigten die Häuser im Jahr 2001 noch 49 300 Mitarbeiter, waren es in diesem Jahr 600 oder ein Prozent weniger. Der gegenüber dem Umsatz geringere Rückgang der Personalkapazität hat ein Sinken der Pro-Kopf-Einnahmen von durchschnittlich 147 000 Euro auf 140 000 Euro zur Folge. Dennoch bauen erste Unternehmen wieder Kapazitäten auf. Accenture, gemessen am Inlandsumsatz Marktführer in Deutschland, stellt beispielsweise wieder ein.

Trotz Wachstumsknick und der unterm Strich schlechten Zahlen des letzten Jahres rechnen die 25 großen IT-Consulting- und -Systemintegrations-Häuser mit einem deutlichen Plus von vier Prozent im laufenden Jahr. Lünendonk-Berater Streicher hat seine Zweifel: „Selbst wenn die Konjunktur im zweiten Quartal anspringt, sind vier Prozent Wachstum kaum noch zu schaffen. Ich denke, die Unternehmen räumen ungern ein, ein weiteres schwieriges Jahr meistern zu müssen.“

Outsourcer wachsen

Derartiger Zweckoptimismus ist den IT-Services-Unternehmen fremd. In dieser Kategorie listet Lünendonk die Anbieter auf, die ihr Geschäft vornehmlich in den Bereichen Outsourcing, Application Hosting, Facilities-Management, Equipment-Services, Wartung und Schulung betreiben. Nach Detecon-Berechnungen belief sich das Volumen dieses Teilmarktes auf deutschlandweit 16,1 Milliarden Euro und wuchs gegenüber dem Vorjahr um 4,5 Prozent. Für das laufende Jahr sind die Anbieter Streicher zufolge noch zuversichtlicher. Sie rechnen mit einem durchschnittlichen Wachstum von neun Prozent.

Die addierten Einnahmen der 25 in der Lünendonk-Liste aufgeführten Unternehmen gehen deutlich über das von Detecon bezifferte Volumen hinaus. In dieser Kategorie finden sich nämlich die großen hiesigen IT-Dienstleister wieder, die sich aufgrund ihres enormen Leistungsspektrums keiner der üblichen Kategorien zuordnen lassen. Da die Unternehmen keine aufgeschlüsselten Daten für die einzelnen Leistungskategorien veröffentlichen und manche internationale Unternehmen keine Angaben zum Deutschland-Geschäft machen, hat die Liste nur bedingte Aussagekraft. Lünendonk verzichtet deshalb auf ein Ranking.

Dennoch zeigt die Betrachtung der Tabelle, dass das Feld der größten hiesigen IT-Dienstleister von ausgegründeten IT-Abteilungen beherrscht wird. Die bedeutendsten Beispiele sind T-Systems und Siemens Business Services (SBS), immerhin größter beziehungsweise drittgrößter Anbieter in Deutschland. Beide Unternehmen sind im Drittmarktgeschäft relativ erfolgreich. Die Konzernmütter sind zwar nach wie vor die wichtigsten Kunden, doch das Gros der Einnahmen erzielen die Töchter mit externen Anwendern. Auf stolze Umsatzzahlen können zudem Service-Provider wie DB Systems (Deutsche-Bahn-Tocher), Fiducia (IT-Dienstleister vor allem für Volks- und Raiffeisenbanken) und Deutsche Post IT Solutions verweisen, nennenswerte Einnahmen außerhalb des Konzerns gelingen ihnen dabei

nicht.

„Sie treten aber am Markt auf, und sei es nur, um sich hier und dort an Ausschreibungen zu beteiligen“, schildert Streicher. Wenngleich sie Drittkunden selten mit ihren Angeboten überzeugen können, wühlen sie den Markt für IT-Dienstleistungen auf. „Jede ausgelagerte IT-Abteilung mit Ambitionen im Drittmarkt ist ein Störfaktor im Markt und sorgt für weiteren Preisdruck“, so der Lünendonk-Manager.