IT-Dienstleister DB Systel

Integriertes Test-Management hebt die Qualität

22.06.2010 von Ariane Rüdiger
Um die Softwareerstellung weiter zu industrialisieren, nutzt der IT-Dienstleister DB Systel seit 2008 ein einheitliches Test-Management-Tool (TMT).
Foto: Stefan Warter
Foto: Burson-Marsteller

Wenn es um die Sicherheit im Schienenverkehr geht, kennt das Eisenbahnbundesamt kein Pardon: Jede Funktion der Software, die in unternehmenskritischen Bereichen der Deutschen Bahn eingesetzt wird, muss vor der Inbetriebnahme erfolgreich getestet worden sein. Und nach jeder Veränderung ist das Prozedere zu wiederholen.

Die Software für die Deutsche Bahn zu entwickeln ist Aufgabe des IT-Dienstleisters DB Systel GmbH. Er setzt auf klar definierte Standards für Prozesse und Strukturen: Messlatte für die Softwareentwicklung ist CMMI (Capability Maturity Model Integration), und IT-Betriebsprozesse werden nach Itil (IT Infrastructure Library) abgewickelt. "Dadurch können wir garantieren, dass unsere Arbeitsergebnisse hohe Qualität haben und unsere Prozesse transparent sind", erläutert Gunnar Rühl, der als Senior Vice President Development Center bei DB Systel die Themen Technische Architektur, Design und Implementierung sowie Test in der Softwareentwicklung verantwortet.

Rühls Fernziel ist eine weitgehend automatisierte Test- und Entwicklungsumgebung. Als einen Schritt dorthin wollte er die Softwaretests stärker standardisieren und transparent machen. Zwar gab es bereits ein zentrales Prozess-Management im Testbereich und eine Testprozess-Bibliothek, doch waren die Test-Management-Tätigkeiten nicht in einer Software abgebildet. Es fehlte eine einheitliche, alle Projekte und Stadien umfassende Testinfrastruktur. Die einzelnen Projekte konnten ihre Werkzeuge für die Testdokumentation selbst auswählen. Deswegen waren die Ergebnisse oder Tests aus den einzelnen Projekten kaum wiederverwendbar. Effizienz und Erfolg einzelner Softwareprojekte ließen sich so nur schwer vergleichen. Mitarbeiter, die von einem Projekt in ein anderes wechselten, mussten sich auch in eine neue Tool-Landschaft einarbeiten.

Deshalb beschloss DB Systel, eine einheitliche Softwareplattform für den gesamten Testbereich einzuführen. Das "Test-Management-Tool" oder kurz: TMT sollte die Lücken in der Durchgängigkeit des Testgeschehens schließen und für alle Softwareprojekte nutzbar sein. Rühl versprach sich davon auch die Möglichkeit, den Test für neue Softwareprojekte zentral aufsetzen zu können: "Sie haben dann bei Weitergabe an die Projektteams bereits eine Reihe projektübergreifend gleicher Basistests."

Siebenstelliges Budget genehmigt

DB-Systel-Chef Detlef Exner
Foto: DB Systel, Exner

Ende 2005 fiel die Entscheidung. Bei der Auswahl der Testplattform machte "HP Quality Center" von Hewlett-Packard das Rennen. Konzeption und Implementierung sollte das Münchner Beratungsunternehmen C1Setcon GmbH übernehmen.
Die Geschäftsführung der DB Systel unterstützte die Implementierung nicht nur durch die Genehmigung des siebenstelligen Budgets für die zweijährige Tool-Einführung. Zudem stellte sich die Führungsebene während der gesamten Laufzeit eindeutig hinter das Vorhaben. "Es leuchtete uns ein, dass wir mit einem einheitlichen TMT den Aufwand der Softwareentwicklung reduzieren könnten", bestätigt Detlef Exner, Vorsitzender der Geschäftsführung von DB Systel.

Im Laufe des Jahres 2006 entwickelten und erprobten Mitarbeiter von C1Setcon und DB Systel gemeinsam das Migrationskonzept. Dem Projektteam für die Umsetzung gehörten bis zu sechs Mitarbeiter beider Unternehmen an.

Standardisierung als Schlüssel

Schlüssel zur erfolgreichen unternehmensweiten Tool-Einführung war die Standardisierung: Viele Bereiche der Testplattform sind projektübergreifend einheitlich definiert, nur einige wenige dürfen durch die Projekte modifiziert werden: Berichte sollen Standardformate haben, zudem Kommunikations- und Benutzerschnittstellen sowie Rollen und Metriken für die übergeordnete Steuerung in allen Projekten gleich sein. Insgesamt war angestrebt, möglichst viele Kernfunktionen der Software unverändert zu erhalten, damit das Gesamtsystem kostengünstig im Betrieb und aufwärtskompatibel hinsichtlich neuer Versionen blieb.

Jedes Softwareprojekt konnte selbst einen Zeitpunkt für den Migrationsprozess bestimmen. "Dieser partizipative Ansatz erhöhte die Motivation der Betroffenen", so Michael Bangel, Leiter des Technology Center Test der DB Systel und operativ für das Projekt verantwortlich.

Für die Nutzung des TMT entrichtet heute jedes Projekt eine Flat Fee, unabhängig von der Zahl der Anwender. "Wir wollten damit verhindern, dass Projekte oder einzelne Mitarbeiter das Werkzeug gar nicht verwenden, um Kosten zu sparen", lautet Rühls Begründung.

Zwei Pilotprojekte vor dem Rollout

Vor der großflächigen Einführung stand die Auswahl geeigneter, sprich: großer und wichtiger Pilotprojekte. "Wählt man zu einfache Projekte, zeigen sich während der Implementierung in komplexeren Bereichen oft neue Herausforderungen", weiß Rühl. Ausgewählt wurde zunächst die Software für den bedienten Fahrscheinverkauf. Sie läuft bei den Bahnberatern in den Servicecentern auf dem Bildschirm, wenn Kunden ihre Fahrkarte ordern. Das zweite Pilotprojekt war das Trassenportal TPN.

Das Trassenportal TPM

  • Eine Trasse ist eine bestimmte Verbindung zwischen zwei Orten zu einem spezifischen Zeitpunkt. Über denselben Schienenstrang laufen also pro Tag mehrere Trassen.

  • Die Regulierungsregeln bestimmen, dass jedes der mehreren hundert externen Bahnunternehmen, die das Streckennetz der Deutschen Bahn nutzen, über das Portal jederzeit eine Trasse bestellen können muss.

  • Dabei sind nur etwa 30 Prozent der Trassen wiederkehrender Regelbetrieb, meist Personenzüge. Die restlichen 70 Prozent bestehen aus Sonderverkehren, insbesondere Güterzügen. Sie müssen kurzfristig in den Gesamtverkehr "eingefädelt" werden, denn diese Trassen können von den Kunden der Deutschen Bahn bis 24 Stunden vor geplanter Abfahrt bestellt werden.

  • Fällt das Portal aus, verletzt dies die Regulierung, da nun niemand eine Trasse ordern kann. Zudem entgeht der Bahn Trassenumsatz. Schlimmstenfalls gerät das gesamte schienengestützte Transportsystem durcheinander.

In beiden Projekten lief die Migration glatt. Die vorhandenen Tests ließen sich in Excel umstrukturieren und von dort aus in HP Quality Center einbringen. Beide Projekte konnten bis Ende 2006 auf die neue Umgebung umsteigen.

Dann folgte der Rollout in der Fläche. Von den rund 80 Softwareprojekten unterschiedlichen Umfangs sollten jeweils vier bis fünf pro Monat auf die neue Testplattform umsteigen. Die Anwender konnten die Termine mitbestimmen - passend zu ihren Testphasen. So verzögerte sich der für Ende 2007 geplante Endtermin bis April 2008. "Dafür hatten wir erheblich weniger Reibungen zu überwinden, weil die Anwender ihre Bedürfnisse respektiert sahen", erinnert sich Susanne Meyer-Fehlhaber, Projektleiterin bei DB Systel.

Customizing-Workshop zu Beginn

Jede Projektmigration begann mit einem zweistündigen Customizing-Workshop für Projektleiter, Test-Manager und Key-User. Die Rollout-Verantwortlichen erklärten das Tool und stellten dar, welche Anpassungsmöglichkeiten bestehen. Gleichzeitig erfuhren sie, wie viele Nutzer das neue Werkzeug verwenden würden, wie viele Tests - je nach Projekt zwischen einigen hundert und einigen zehntausend - das Projekt benötigte und welcher Migrationszeitraum gewünscht war.

Anschließend erstellte das Projektteam aus einer standardisierten TMT-Schablone den projektspezifischen Prototypen und modifizierte ihn, wo möglich und erlaubt, nach den Vorstellungen der Anwender. Schließlich wurden die Tests importiert, die Anwender in ihre künftigen Rollen (für Testprozess und die Tool-Bedienung) eingewiesen sowie das Tool produktiv gesetzt. Eine solche Rollout-Phase dauerte zwei bis vier Wochen pro Projekt.

Weniger teure Fehler beim Design

"Nun profitieren wir von viel mehr Transparenz beim Softwaretest", freut sich Rühl. Beispielsweise gibt es jetzt ein projektübergreifendes Fehler-Management mit standardisiertem Reporting. Alle Fehler und ihr Bearbeitungsstatus werden dort dokumentiert. So lassen sich Wiederholungsfehler und langwierige Kommunikation per Mail vermeiden. Dank der automatisierten Integration der Daten aus den Projekten ist projektübergreifend erkennbar, in welchen Entwicklungsphasen die meisten Fehler auftreten. "Weil wir rechtzeitig gegensteuern können, machen wir weniger teure Fehler in früheren Entwicklungsphasen, etwa beim Design", sagt Rühl.

Für mehr Überblick sorgt auch das Dashboard. Dieses an HP Quality Center angebundene Werkzeug fasst den Entwicklungsstand aller Softwareprojekte bei DB Systel zusammen und stellt die Ergebnisse grafisch dar. Sowohl die Projektverantwortlichen als auch andere Entscheidungsträger bei DB Systel können sich so schnell über den Fortgang der Arbeit informieren. Sie sehen sofort, ob alle wichtigen Prozesse im grünen Bereich liegen oder wo Engpässe entstehen.

Sicherheit und Vertraulichkeit

Für Sicherheit und Vertraulichkeit ist gesorgt: HP Quality Center erhielt ein einfaches, intelligentes Rollenkonzept, durch das jeder Mitarbeiter nur die für ihn gedachten Informationen sieht. Die zusammenfassenden Management-Informationen bleiben den administrativen Ebenen vorbehalten, die sie für ihre Arbeit benötigen.

"Durch HP Quality Center und weitere Maßnahmen sind wir vom CMMI-Level 2 auf Level 3 gelangt", berichtet Rühl. Das bedeutet: Alle Vorgänge sind so eng verzahnt und durch IT-Werkzeuge transparent gemacht, dass das Management jederzeit einen aktuellen Einblick in die wichtigen Abläufe sowie ihre Auswirkung aufs Geschäftsergebnis bekommt - und bei Bedarf reagieren kann.

Das zentrale Überwachungs-Cockpit für die IT der Deutschen Bahn. (Foto: Günther Bauer)
Foto: DB Systel

Nun soll das System auch bei Softwareprojekten des Mutterkonzerns Deutsche Bahn eingesetzt werden. Diese Entscheidung begründet Eberhard Kurz, CIO Personenverkehr bei der Deutschen Bahn, folgendermaßen: "Das einheitliche TMT bietet uns Transparenz bezüglich des Testfortschritts und der Qualität unserer Software-Releases. Zudem verringert es den Aufwand im Reporting und erleichtert die Steuerung unserer Dienstleister."

In Breite und Tiefe ausbauen

Auch Rühl hat mit der Testinfrastruktur noch viel vor: "Wir wollen sie in die Breite und in die Tiefe ausbauen." Zum Beispiel evaluiert DB Systel derzeit ein Werkzeug für das Demand-Management. Außerdem wurde HP Quality Center an die selbstentwickelten Lösungen für die GUI-Testautomation und an "HP Loadrunner" angebunden.

DB Systel verwendet auch die HP-Lösung für das Incident-Management. Künftig können von diesem Tool erfasste Ereignisse, wo das sinnvoll ist, direkt in das Fehler-Management von HP Quality Center zurückfließen. So lassen sich Probleme, die auf Softwarefehlern beruhen, an der Wurzel beheben. Dazu noch einmal Rühl: "Schrittweise kommen wir unserem Fernziel, einer automatisierten Testumgebung, näher."