BaumitBayosan optimiert Abläufe

Integration macht mehr aus der IT

06.09.2004 von Uwe Küll
Enterprise Application Integration (EAI) hat im deutschen Mittelstand eher Seltenheitswert. Das Beispiel des Baustoffherstellers BaumitBayosan in Bad Hindelang zeigt, wie sich damit dennoch konkreter Mehrwert erzielen lässt.

„KEIN ERP- oder EAI-Anbieter kann die Prozesse eines mittelständischen Unternehmens auf die Schnelle optimieren, ohne Schaden anzurichten. Diese Aufgabe muss immer hausintern gelöst werden.“ Mit dieser provokanten Aussage in Richtung IT-Hersteller umreißt Ingo Bachmann, IT-Leiter und Mitglied der erweiterten Geschäftsführung bei Baumit Bayosan in Bad Hindelang, gleichzeitig sein eigenes Aufgabengebiet. Für ihn stehen weder die Technik noch der Anwender im Mittelpunkt des Interesses, sondern die unternehmensweiten, teilweise auch unternehmensübergreifenden Prozesse. Anwender und Technik, so Bachmann, können auch mal wechseln. Sie betreiben den Prozess, dürfen ihn aber nicht beschränken. Und weiter: „Der wirtschaftliche Erfolg unseres Unternehmens hängt letztlich von der

Qualität unserer Prozesse ab. Deshalb nutzen wir alle Mittel der Informationstechnologie, um die Abläufe bestmöglich zu unterstützen.“Und die Prozesse des Baustoffherstellers mit insgesamt 470 Mitarbeitern an zehn Standorten haben es in sich: Das Geschäft mit Werkstrockenmörtel und pastösen Produkten für den Bau stellt hohe Anforderungen an die Logistik. Denn einerseits hat sich die Just-in-Time-Lieferung inzwischen auch am Bau eingebürgert: Wer heute eine Lieferung Putz ordert, möchte möglichst zeitnah zum Eintreffen der Stukkateure beliefert werden. Andererseits erfordert die in der Baubranche übliche Kombination aus Direktlieferung und Lieferung ab Vorlieferant (Streckengeschäft) an sich schon einigen logistischen Aufwand.

„Für unser Geschäft gibt es keine Standardsoftware am Markt, mit der wir unsere Kernprozesse abbilden können“, lautete denn auch das Fazit der Suche nach einer neuen ERP-Software, auf die sich Bachmann 1999 begeben hatte. 160 000 Belege mit insgesamt 400 000 Positionen im Jahr, 4500 Warenempfänger, 2000 Rechnungsempfänger und 340 PC-Arbeitsplätze, verteilt auf zehn Standorte - das sind die Rahmenbedingungen für die IT bei BaumitBayosan. Bei der Auswahl einer neuen betriebswirtschaftlichen Lösung wurde Bachmann mit der E-Business-Suite von Oracle schnell fündig. Was ihn daran vor allem faszinierte, war die Offenheit des Datenmodells - ein wichtiges Kriterium, um bei den notwendigen Anpassungen möglichst freie Hand zu haben.

„Natürlich haben wir auch Standardkomponenten wie andere Unternehmen, etwa für Einkauf, Buchhaltung und Lagerverwaltung“, räumt Bachmann ein. Aber bei der Auftragsbearbeitung wollte sich das Unternehmen nicht mit dem Standard zufrieden geben, denn die Kernprozesse des Baustoffherstellers weisen einige Besonderheiten auf, und genau diese sind die Basis für den Erfolg des Unternehmens. „Der skontierfähige Anteil einer Rechnung beispielsweise ergibt sich bei uns aus der Entfernung. Deshalb haben wir ein zusätzliches Modul zur Entfernungsermittlung integriert“, erklärt Bachmann.

Natürlich war dazu eine höhere Investition im Customizing nötig, aber gleichzeitig wurden durch diese und andere Besonderheiten der eigenentwickelten Auftragsbearbeitung Ressourcen an anderer Stelle frei. Das hatte zur Folge, dass die stark steigenden Auftragszahlen im Jahr 2000, unmittelbar nach Einführung des Systems, ohne zusätzliches Personal bearbeitet werden konnten. Für diese Lösung machten die Verantwortlichen insgesamt 1,25 Millionen Euro locker - darin enthalten die komplette Einführung des ERP-Systems mit Finanzbuchhaltung, Auftragsbearbeitung, Lager und Einkauf, inklusive Hardware, Software sowie (externe und interne) Dienstleistungen. Die individuellen Erweiterungen, insbesondere im Bereich Auftragsbearbeitung, schlugen mit rund 250 000 Euro zu Buche. Ende 2000 wurde das Projekt schließlich abgeschlossen - „in Time und in Budget“.

Schritt für Schritt integriert

Doch so etwas geht, wie Bachmann rückblickend resümiert, nicht von heute auf morgen: „In Form eines Big Bang war das nicht möglich. Allein diePlanung wäre dabei so aufwändig, dass man leicht den Überblick und damit auch dieKontrolle über die Kosten verliert.“ Bau- mitBayosan wählte daher den Weg in mehreren Schritten: zunächst Kernprozesse definieren und eine Basis legen, auf der man aufbauen kann. Denn über eines war Bachmann sich von Anfang an im Klaren und hatte dies auch mit der Geschäftsführung abgestimmt: „Die Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Unternehmensteilen in einer Weise, dass sie im ganzen Unternehmen verfügbar sind, erfordert eine langfristige Strategie. Sie kann nicht innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein.“

Prozesse detaillierter beschrieben

Denn Bachmanns Vision von einem Workflow im Sinne einer durchgängigen Prozessunterstützung meint mehr als nur dieMöglichkeit, auf eine gemeinsame Datenbasis zugreifen zu können: „Wenn es für den Fortgang eines Prozesses wichtig ist, dass ein Mitarbeiter eine bestimmte, im System vorhandene Information bekommt, muss das System ihm diese Information geben.“Um seine Vision zu verwirklichen, setzte Bachmann deshalb frühzeitig auf die Integration der Unternehmensanwendungen mit E-Mail. „Wenn heute einer meiner Mitarbeiter Urlaub beantragt, bekomme ich eine E-Mail. Damit erübrigt sich der tägliche Blick auf den Urlaubsplaner, und das entlastet mich.“ Genauso läuft es im Vertrieb: „Wenn jemand einen Termin nicht wahrgenommen hat, bekommt er eine E-Mail, dass der Termin noch offen ist und er

ihn nachholen oder stornieren soll“, so der IT-Chef. Prozesse sind bei Baumit Bayosan keine abstrakte Größe, sondern eine Summe einzelner Prozessschritte, für die jeweils bestimmte Zeitvorgaben bestehen. Jeder dieser Teilschritte wird im Systemdokumentiert. Dieses System hat zwei Vorteile: Die Verantwortlichen können erkennen, wie viele Prozesse sich aktuell in welchemStadiumbefinden, undes lässt sich auf einen Blick feststellen, in welchem Stadium sich ein bestimmter Vorgang gerade befindet. Diesem Zweck folgt der Systemaufbau: Jeder Abschluss eines Teilprozesses stößt einen neuen Teilprozess an, bis der Ablauf beendet ist - das gilt für Urlaubsanträge ebenso wie für Marketingaktionen oder Materialbestellungen.

Diese Transparenz der Abläufe dient jedoch nicht in erster Linie der Kontrolle, sondern vielmehr der Steuerung laufender Prozesse. Denn obwohl die Durchlaufzeit in der Regel nur zwei Tage beträgt, sind bis zu acht Änderungen an einem Auftrag keine Seltenheit. Schuld daran ist häufig das Wetter: Wenn es in Strömen gießt und der Fassadenputz deshalb nicht verarbeitet werden kann, muss unter Umständen kurzfristig Innenputz geliefert werden. Solche Änderungen sind nur dann realisierbar, wenn alle Beteiligten jederzeit über den Stand einer Lieferung informiert sind. Und diese Flexibilität ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor in der Baubranche.

Unterstützung für den Vertrieb

Deshalb stehen die benötigten Anwendungen Mitarbeitern und Vorgesetzten in rollenbasierten Portalansichten per Mausklick zur Verfügung. Doch auch damit ist das Thema Prozessunterstützung bei BaumitBayosan noch nicht abgeschlossen: Zu den laufenden Projekten unter Bachmanns Regie gehört beispielsweise ein mobiles Vertriebsinformationssystem für die 80 Außendienstmitarbeiter des Unternehmens.Mit Endgeräten des Typs Blackberry vom Hersteller RIM sollen sie künftig in der Lage sein, Warenbestände unterwegs zu überprüfen und online zu bestellen, offene Posten auf aktuellem Stand zu kontrollieren, Besuchsberichte oder Angebote einzugeben und Preisinformationen abzufragen. Bislang läuft das System noch im Probebetrieb mit fünf Clients.

Aber auch heute schon arbeiten die Vertriebsmitarbeiter IT-gestützt - mit gleich zwei Systemen. Den Marketing Manager von Update nutzen sie für die Verwaltung von Terminen, Kontakten, Kundendaten und kleinen Statistiken. Hiermit erfassen sie beispielsweise unterwegs ihre Kundenberichte. Um diese Informationen auch für das Zentralsystem des Unternehmens nutzbar zu machen, portierte die Mannschaft von Bachmann das System selbst von der Updateeigenen Datenbank auf Oracle. Diese Oracle-Datenbank kommuniziert nun mit der Datenbank der Oracle-Business-Suite. Dadurch können dieAußendienstler über die zentrale Anwendung an Termine erinnert werden, die sie im Vertriebssystem erfasst haben, und erhalten turnusmäßige Statistiken.

Darüber hinaus können sie Kundendaten aus dem EAI-Portal abrufen, um sich auf einen Kundenbesuch vorzubereiten. Dabei erhält der Mitarbeiter, wenn er seinen Kunden ausgewählt hat, eine Liste mit Hyperlinks zu den entsprechenden Informationen im ERP-System zu Kundenkontakten, Auftragsstatistik und Offenen Posten. Außerdem kann er im EAI-Portal einen Vertriebsbericht, den er erhalten hat, noch einmal aufrufen und beispielsweise im Detail prüfen, wie sich der Umsatz eines bestimmten Kunden entwickelt hat.

Außerdem bietet das System die Möglichkeit, Detailinfos aus der Kontakthistorie mit übergreifenden Vertriebsberichten zu verbinden. So können beispielsweise Ansichten generiert werden, die einen Zusammenhang zwischen Umsatzentwicklung und Zufriedenheit eines Kunden visualisieren.

IT-Chef programmiert selbst

Um mit solchen und anderen Funktionen aus den vorhandenen Lösungen den größtmöglichen Nutzen zu ziehen, legt der IT-Chef auch persönlich Hand an: Etwa 30 Prozent seiner Tätigkeit bestehen aus „Hardcore-Programmierung“, so Bachmann. Das hat für ihn zwei Vorteile: „Zum einen kann ich die Arbeit meiner Mitarbeiter besser beurteilen, zum anderen habe ich dieMöglichkeit, auf eiligeAnfragen der Geschäftsführung sehr schnell zu reagieren, indem ich mich der Sache selbst annehme.“ Bestens bewährt hat sich das EAI Konzept auch bei der Zusammenführung der Unternehmen Baumit Deutschland und Bayosan, die im Jahr 2003 stattfand. Dabei ging es vor allem darum, auch die Vorjahresdaten von Baumit aus der dort zuvor eingesetzten ERP-Software von Mesonic zu integrieren, um fundierte Vergleiche

in der Geschäftsentwicklung zu ermöglichen. „Das erforderte viel Detailarbeit“, erinnert sich Bachmann. Heute betreut er mit seiner Mannschaft von Bad Hindelang aus sämtliche Standorte des fusionierten Unternehmens, denn auf die zentrale ERP-Software und das Portal wird von überall her per Web-Browser zugegriffen.

Bei der Ausstattung mit Servern und Clients gilt der Grundsatz: so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. „Wenn irgendwo ein Windows- 95-Client seit Jahren gut läuft, wird er inRuhe gelassen. Wir haben nicht den Anspruch, dass alle Clients gleich sein müssen“, erläutert Bachmann. Mit dieser Strategie gelingt es ihm, die EDV-Kosten konstant bei weniger als einem Prozent vom Umsatz zu halten.

Auch bei den Datenbankinstanzen im Hause sieht er keine Notwendigkeit, einen einheitlichen Stand herbeizuführen. „Von Versionsnummer 7.3.4 bis 8i der Oracle- Datenbank ist bei uns fast alles vertreten.“ Für die laufenden Anwendungen sei das ausreichend, und bei Erweiterungenkommees lediglich darauf an, dass alle Datenbanken die gleiche Sprache sprechen. Überhaupt vertritt Bachmann nicht die Ansicht, dass eine Software stets auf dem neuesten Versionsstand sein muss: „Wenn man bedenkt, dass die meisten Hersteller heute Produkte auf den Markt werfen, die nur zu 80 Prozent ausgereift sind, kann das nicht der Weisheit letzter Schluss sein.“ Bachmann setzt dem die Strategie entgegen, nur Komponenten zu benutzen, die mindestens zwölf Monate am Markt sind, sich also bereits bewährt haben.