Hedgefonds und Hightech

Insiderskandal an der Wall Street

20.10.2009
Der Schock an der Wall Street sitzt tief. Eben erst setzt der berühmteste Börsenplatz der Welt nach der Finanzkrise zum Neuanfang an, gerade schien die Madoff-Betrugsaffäre verdaut - da erschüttert das nächste Beben das Herz New Yorks.

Der wohl größte Insiderhandel-Skandal der Hedgefonds-Branche rund um Milliardär Raj Rajaratnam zieht große Kreise. Nicht nur an der Wall Street, sondern bis hinein in US-Vorzeigekonzerne. Neben dem Millionenschaden drohe Amerika eine neue enorme Image-Katastrophe, urteilen US-Medien.

Thema Nummer eins

Das schillernde Schwergewicht Rajaratnam war am Montagmorgen Thema Nummer eins der Händler auf dem Weg zur Wall Street. "Festnahme von Hedgefonds-Chef erschüttert Branche", so die Schlagzeile der "New York Times". Das Konterfei des in Sri Lanka geborenen Schnauzbarts prangte auf allen Blättern. Und gleich daneben Hinweise auf mögliche Finanzkontakte zur Rebellengruppe der Tamilen-Tiger auf Sri Lanka.

Fahnder hatten den 52-Jährigen kurz vor dem Wochenende in seinem New Yorker Luxus-Appartement festgenommen, angeblich mit einem Flugticket nach London in der Tasche. Mit fünf Top-Managern als Komplizen soll er über illegale Aktiengeschäfte rund 20 Millionen Dollar (13,4 Millionen Euro) ergaunert haben. Rajaratnam streitet alles ab. Gegen 100 Millionen Dollar Kaution ist er auf freiem Fuß.

Weitere Festnahmen

Weitere Festnahmen gelten als wahrscheinlich. Ermittler seien noch mehreren Netzwerken ähnlicher Finanzbetrüger auf der Spur, zitieren US-Medien Insider. Einige stünden mit Rajaratnam in Verbindung, aber auch unabhängig davon hätten Fahnder mehrere Hinweise.

Der spektakuläre Fall erinnert an den berüchtigten Insiderhändler Ivan Boesky Mitte der 80er Jahre. Der Börsenbetrüger war Vorbild für den von Michael Douglas verkörperten Gordon Gekko im Kinoklassiker "Wall Street" von Oliver Stone. Der Regisseur dreht gerade Teil zwei.

SEC käme Erfolg gelegen

Mit an der Wall Street unüblichen Methoden der Terrorbekämpfung schlugen FBI und Staatsanwalt diesmal zu. Stundenlang belauschten sie Telefongespräche, werteten Unmengen von Daten zu Aktiengeschäften aus. Der US-Börsenaufsicht SEC käme ein prominenter Erfolg höchst gelegen: Seit ihren schweren Fehlern in der Finanzkrise und im Fall von Rekordbetrüger Bernard Madoff steht sie massiv in der Kritik.

Die Dreistigkeit und Gier der Verdächtigen verblüffte die Beamten: "Du bringst mich ins Gefängnis, wenn Du auspackst", soll die zu den Hauptbeschuldigten zählende Hedgefonds-Managerin Danielle Chiesi gesagt haben. "Ich bin tot, wenn das rauskommt."

Informationen aus der ersten Reihe

Top-Manager wie der IBM-Senior-Vice-President Robert Moffat steckten den Hedgefonds laut Staatsanwalt Preet Bharara geheime Informationen über ihre Konzerne illegal zu. Wenn die Kurse von IBM, Intel, Google und Co dann etwa nach Bekanntgabe neuer Quartalszahlen stiegen, verdienten sie kräftig mit. Die Devise laut Bharara: "Hilfst Du mir, helf ich Dir!" Als ein Komplize nicht mehr mitmachen wollte und auspackte, flog alles auf. Nun tauchen reihenweise redewillige Ex-Kollegen auf.

Der Skandal sei ein "Weckruf" für die ganze Branche, warnte der Staatsanwalt. Das "Wall Street Journal" interpretierte: "Gemeint ist, dass die Behörden Hedgefonds nun wie die Mafia behandeln." Für viele gehören die in der Finanzkrise bereits massiv gebeutelten Hedgefonds ohnehin längst wie andere Finanzinvestoren zu den "Heuschrecken".

Vermögen aus den 90ern

Rajaratnam erwarb sich in den 90er Jahren mit Tech-Aktien ein Vermögen. Der damalige "New Economy"-Boom war eine Hochzeit illegal gehandelter Informationen, bis die Blase spektakulär platzte. Doch Rajaratnam machte mit dem 1997 gegründeten Hedgefonds Galleon Group weiter Gewinne - völlig legal, wie er und die Komplizen unisono über Anwälte verlauten ließen.

Noch ist ungewiss, ob die Justizbehörden ihre mehrere Jahre zurückreichenden Vorwürfe vor Gericht ausreichend beweisen können. Wenn ja, drohen Rajaratnam bis zu 20 Jahre Gefängnis, manchen US-Medien zufolge sogar lebenslänglich.

Völlig unklar ist bislang, warum ein Milliardär seinen Reichtum für ein paar Millionen mehr aufs Spiel setzt. "Nach einiger Zeit ist Geld nicht mehr die Motivation", sagte Rajaratnam einmal. "Ich will gewinnen - jeden Tag." Nun hat er womöglich alles verloren. (dpa/tc)