Business-Software modernisieren

Infor will ERP-Linien über Komponenten erweitern

14.11.2008 von Frank Niemann
Der Anbieter von Business-Lösungen wie ERP COM und ERP LN will Produktinnovationen in Form Softwarekomponenten an die Nutzer ausliefern. Ohne umfangreiche Anpassungen und Release-Wechsel sollen Nutzer neue Funktionen einführen können. Im Augenblick haben viele Kunden indes anderes zu tun.

Nachdem Infor in den letzten Jahren eine Softwarefirma nach der anderen gekauft hat, will der Anbieter von Business-Lösungen nun beweisen, auch innovativ zu sein. Innerhalb der nächsten vier Jahre investiert der Anbieter mit Hauptsitz in Alpharetta im US-Bundesstaat Georgia insgesamt 325 Millionen Dollar in die Entwicklung neuer Produkte. Der Jahresumsatz von Infor liegt bei 2,2 Milliarden Dollar.

Neue ERP-Suiten will der Softwareanbieter jedoch nicht auf den Markt werfen. Vielmehr hat er vor, neben der Weiterentwicklung bestehender ERP-Linien zusätzliche Softwarekomponenten zu bauen, mit denen die Kunden ihre bestehenden ERP-Produkte ergänzen können. Vermarkten will der Hersteller diese Bausteine aber auch an Nutzer, die Geschäftsapplikationen von Infor-Konkurrenten verwenden. Insgesamt 19 Komponenten sollen bis Ende des nächsten Jahres erscheinen, verkündete das Softwarehaus während der diesjährigen Kundenkonferenz "Inforum" in Neuss.

Komponenteneinsatz ohne ERP-Upgrade

Komponenten sollen Infor-Nutzer, die beispielsweise "Baan", "Xpert" oder "Infor ERP COM" nutzen, in die Lage versetzen, neue Funktionen in Betrieb zu nehmen, ohne aber die gesamte ERP-Umgebung auf das nächste Release heben zu müssen.

Über Info My Day erhalten Softwarenutzer eine individuelle, auf ihre Rolle zugeschnittene Web-Seite mit Reports, Aufgaben und Kennzahlen.

Wer beispielsweise neue Funktionen für die Auftragsbearbeitung benötigt, für den steht mit "Order Management" eine entsprechende Komponente bereit. Sie besteht aus Softwarekomponenten zur Auftragsannahme, ein Preisverwaltung ("Price Book") sowie Lagerverwaltung ("Inventory Control") bereit. Order Management soll Anwender in die Lage versetzen, Preismodelle für verschiedene Kundengruppen zu pflegen, etwa für Großabnehmer und Einzelkäufer, ohne dafür kostspielige Anpassungen in ihrer ERP-Lösung vornehmen zu müssen, verspricht Jeff Ralyea, Vice President Product Management.

Open SOA verbindet alte Releases mit neuen Bausteinen

Besagte Bausteine sollen die Softwarenutzer über Integrationsmechanismen an ihre ERP-Kernsysteme anbinden können. Die Anbindungsverfahren sind Teil von Infors "Open SOA"-Ansatz. Er sieht vor, ERP-Produkte und die Komponenten über standardisierte Dokumente zu koppeln. Somit handelt es sich um eine asynchrone Anbindung. Dabei helfen ein Workflow-Engine sowie ein Event-Monitor. Definieren und Konfigurieren lässt sich die Anbindung der Komponenten über ein Eclipse-basierendes Entwicklungswerkzeug ("Studio"). Infor liefert diese und andere Open-SOA-Elemente gemeinsam mit neuen Produkt-Releases im Rahmen der Wartung an die Kunden aus. Auch einige Komponenten sind für Wartungskunden kostenfrei, für andere erhebt der Hersteller Lizenzgebühren.

Komponenten verfügen über eigene Geschäftslogik und eine Datenbank. Sie sind auf Grundlage einer einzigen Code-Basis für unterschiedlichen ERP-Lösungen und Branchenausprägungen erhältlich. Nach Angaben von Infor lassen sich die Bausteine mit verschiedenen Versionen einer ERP-Lösung verwenden, so dass diese beispielsweise sowohl Nutzern des veralteten "Baan IV" als auch der aktuellen Version "ERP LN" zur Verfügung stehen. Hierzu müssten weder der Kunde noch das Softwarehaus den Applikations-Code dieser Anwendungen verändern. Um einen Infor-Baustein in Betrieb zu nehmen, muss der Datenaustausch an die jeweilige ERP-Umgebung des Anwenders angepasst werden.

Auf der ERP-Suche?

Bei der Suche nach einem passenden ERP-System hilft Ihnen der ERP-Matchmaker (http://www.erp-matchmaker.de) von Trovarit und der COMPUTERWOCHE.

Mit Softwarekomponenten sollen ERP-Nutzer bestehende Systeme ausbauen können, ohne dazu aufwendige Anpassungen vornehmen zu müssen.

Infors Komponentenstrategie resultiert und anderem aus der Kundensituation. Viele Anwender verwenden alte Releases der ERP-Lösungen, die auch weiterhin gepflegt werden. Statt den Quellcode dieser Systeme in großem Stil zu überarbeiten, investiert Infor in Komponenten, die der Kunde gemeinsam mit der alten Programmversion nutzen soll.

ERP-Modernisierung von Außen

Künftig soll der Anwender in der Lage sein, bei Bedarf ERP-Module durch Komponenten zu ersetzen. Dies gilt beispielsweise für die Finanzbuchhaltung. Anfang nächsten Jahres will Infor die Komponente "Multibook" an die ersten ERP-Kunden ausliefern. Mit der generellen Verfügbarkeit rechnet das Softwarehaus Mitte 2009. Multibook gestattet es, Geschäftsabschlüsse nach unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards wie IFRS, HGB und US-GAAP sowie in verschiedenen Währungen anzufertigen. Manche Altprodukte der Infor-Kunden sind dazu kaum in der Lage. In den nächsten Jahren will Infor diese Komponente zu einer ausgewachsenen Finanzbuchhaltung ausbauen, die sich anstelle der entsprechenden ERP-Module verwenden lässt. Dazu zwingen wolle man die Anwender indes nicht, verspricht der Softwarekonzern.

Was sagen die ERP-Kunden?

Einerseits begrüßen die Anwender Infors Produktstrategie, andererseits beschäftigen sie sich derzeit mit anderen Aufgaben. "Die Komponentenstrategie von Infor ist eine logische Weiterentwicklung", findet Martin Jung, CIO bei CS Schmalmöbel aus Waldmohr. Der Möbelfabrikant nutzt "Baan IV". Jung ist gleichzeitig Vorstand der Deutschen Baan Usergroup (DBUG).

Derzeit überlegen viele Baan-Anwender, wie sie auf das aktuelle ERP LN umsteigen können. Mittlerweile sind Werkzeuge verfügbar, die den nicht einfachen Umstieg unterstützen. Statt auf einen Schlag können Firmen Komponente für Komponente in die neue Softwareumgebung überführen. "Vor allem Firmen, die ERP-Prozesse weltweit steuern wollen, stoßen mit Baan IV an Grenzen", gibt Thomas Müller zu bedenken. Der Baan-Systemverantwortliche bei Christ Pharma & Life Science in Vaihingen/Enz nutzt ebenfalls Baan IV und engagiert sich in der DBUG. Müller zufolge sei auch das Steuern von Konsignationslagern (Warenlager eines Lieferanten beim Kunden, bei dem erst bei Entnahme eine Rechnungsstellung erfolgt) mit dem Altsystem nicht möglich.

Im Laufe des ersten Quartals 2009 will Infor Baan IV mit Open-SOA-Merkmalen ausgestattet haben. Dann werden Nutzer der ERP-Software unter anderem in der Lage sein, jedem Anwender eine individuelle Einstiegsseite mit Berichten und Kennzahlen einzurichten ("My Day"). Die Inhalte des Web-basierenden Frontends stammen von dem Open-SOA-Bestandteil "Business Information Services", die Geschäftsdaten einer ERP-Umgebung entsprechend aufbereiten.

Nutzer von Infor ERP COM wollen umsteigen

Mehr mit Softwareupgrades statt mit Infors neuen Komponenten beschäftigen sich auch die Nutzer der ERP-Lösung Infor ERP COM. Etwa 90 Firmen, die das ERP-Produkt im Release 6.1 oder 6.3 nutzen, bereiten den Umstieg auf 7.1 vor. Zu ihnen zählt Wolfgang Kirn, IT-Leiter bei Rhein-Getriebe aus Meerbusch und Vorstandsvorsitzender des "Infor Anwendervereins". Teil des Projekts beim Getriebehersteller ist ferner, ein veraltetes Buchhaltung durch die Java-gestützte Rechnungswesen "Varial World Edition" von Infor zu ersetzen. Nutzen ziehen kann Kirn unter anderem von den Funktionen zur Fremdfertigung. Nur mit dem aktuellen Release sei eine saubere Kalkulation möglich, wenn sowohl im eigenen Hause als auch anderswo produzierte Artikel berücksichtigt werden müssen.

Unklar bleibt ob und wann Infor den Gang an die Börse wagt. Auch mit einem Ausblick für das nächste Jahr hält sich das Management weitgehend zurück. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2009, das im August endete, verkaufte Infor an Lizenzen soviel wie ein Jahr zuvor. Die Wartungseinnahmen stiegen leicht um zwei Prozent. Die Service-Sparte wuchs um 4,8 Prozent - nicht zuletzt deshalb, weil Firmen dazu übergegangen sind, ihre Applikationen vom ERP-Lieferanten betreiben lassen.

Infor und die Anwenderzufriedenheit

In der letzten ERP-Zufriedenheitsstudie hatten sich insbesondere die teilnehmenden Anwender von Infor ERP COM und ERP LN kritisch über den Anbieter geäußert. Nach Überzeugung der Anwendervereinigungen wirkten hier negative Erlebnisse aus der Vergangenheit nach. Dazu zählen Verunsicherungen in Folge der Übernahme des Konkurrenten SSA Global. Zudem hat Infor die ERP-COM-Kunden lange hingehalten, bis mit dem Release 7.1 endlich eine Applikation mit wesentlichen Erweiterungen auf den Markt kam.

Nach den Äußerungen der Anwender bemüht sich der Softwarekonzern um gute Beziehungen mit den Kunden. "Infor geht gezielter auf die Baan-Anwender zu, das hat es früher nicht gegeben", so Martin Jung, Chef der Deutschen Bann Usergroup. Nunmehr würden nicht nur die Kunden, sondern auch der Hersteller die Initiative ergreifen.

Künftig soll die von Infor ins Leben gerufene Online-Support-Plattform "Infor365.com" ausgebaut werden, so dass Nutzer Produktverbesserungsvorschläge eintragen und mit anderen diskutieren können.

Auch bei den Nutzern von Infor ERP COM hat sich die Support-Situation verbessert. Die von Kunden geäußerte Kritik am Support resultiert nach Aussage von Wolfgang Kobek, Vice President Central Europe bei Infor, unter anderem aus der Umstellung der Support-Plattform auf Infor365.com Ende 2007. "Da wurden nicht alle Fälle immer zeitnah bearbeitet."

Nach Angaben des "Infor Anwendervereins" können die Anwender nun Probleme über ein Web-Formular melden. Bisher gab es nur eine telefonische Hotline, bei der Anwendungsschwierigkeiten nicht immer in geeigneter Weise priorisiert wurden. "Supportanfragen werden nun schneller bearbeitet", so Wolfgang Kirn, Vorstandsvorsitzender der Anwendervereinigung.