ERP: Infor koppelt Altprodukte über SOA-Techniken

16.11.2007
Von 
Vice President Software & SaaS Markets PAC Germany
Der Business-Software-Hersteller Infor Global Solutions erläuterte den Softwareanwendern auf der Konferenz "Inforum" in Frankfurt am Main, wie die bestehenden Softwareprodukte Baan IV und V sowie ERP COM weiterentwickelt werden. Einen wichtigen Teil des Vorhabens bilden die Business Information Services (BIS).

Bis heute hat Infor 31 Unternehmen gekauft. Gebetsmühlenartig wiederholt der Hersteller sein Versprechen, keinen Kunden zum Upgrade zu zwingen. Selbst für ältere Lösungen wie etwa "Baan IV" will der Anbieter neue Funktionen sowie Zusatzprodukte entwickeln. Erweiterungsmodule basieren auf Technik von übernommenen Softwarehäusern, die über Schnittstellen an unterschiedliche ERP-Produkte angebunden werden können.

Infor erwirtschaftet mittlerweile einen Jahresumsatz von 2,3 Milliarden Dollar und steht damit auf Weltrangliste auf Platz drei hinter SAP und Oracle. Von den Einnahmen entfällt fast die Hälfte auf Wartung, etwa 27 Prozent auf Dienstleistungen sowie knapp ein Viertel auf Lizenzeinnahmen. Noch lässt sich Infor jedoch nur bedingt in die Karten blicken, da die Firma anders als die großen Wettbewerber noch nicht an der Börse notiert ist.

Wachstum vor allem durch Übernahmen

Nach den Worten von Jim Schaper, Chairman und CEO des in den USA beheimateten Unternehmens, kamen in den letzten zwölf Monaten 1700 Neukunden hinzu. Damit will er verdeutlichen, dass Infor Softwarefirmen nicht nur wegen der Wartungseinnahmen erworben hat. Gleichwohl bleibt Schaper zufolge die Übernahme weiterer Softwarefirmen wichtigster Wachstumsmotor. "Alle Softwarefirmen haben eingesehen, dass organisches Wachstum allein nicht ausreicht, wie letztlich auch der Kauf von Business Objects durch SAP beweist." Schaper könnte sich auch vorstellen, den Service-Bereich von Infor durch einen Zukauf zu erweitern. Um die eigene Professional Services Organisation zu stärken, hatte die Firma zwei auf Baan-Produkte spezialisierte Einführungspartner geschluckt.

Insgesamt 9000 Anwender zählt die Firma in Zentraleuropa, die Hälfte davon sind ERP-Kunden. Sie nutzen unter anderem Produkte wie "ERP LN" (vormals Baan) und "ERP COM" (vormals "Infor:COM"). Diese meist aus der Fertigungsindustrie stammenden Kunden hören genau zu, wenn Infor neue Produktfahrpläne bekannt gibt.

Keine hochtrabenden SOA-Pläne

Infor-Chef Jim Schaper sieht seine auf Übernahmen gestützte Wachstumsstrategie bestätigt, da auch SAP mit dem Business-Objects-Kauf bewiesen habe, dass rein organisches Umsatzwachstum allein nicht genügt.
Infor-Chef Jim Schaper sieht seine auf Übernahmen gestützte Wachstumsstrategie bestätigt, da auch SAP mit dem Business-Objects-Kauf bewiesen habe, dass rein organisches Umsatzwachstum allein nicht genügt.

Anders als Softwarehäuser wie SAP und Oracle investiert Infor nicht in umfangreiche Middleware, um die eigenen Produkte SOA-fähig zu machen. Ein mit "Enterprise SOA" von SAP vergleichbarer Ansatz wäre angesichts der auf unterschiedlichen Plattformen und Programmiersprachen aufsetzenden Infor-Lösungen auch kaum machbar. Vielmehr sollen die einzelnen Programme im Rahmen der Strategie "Open SOA" Schnittstellen erhalten, die eine Integration in andere Infor-Produkte sowie mit Drittsystemen über standardisierte Geschäftsdokumente erlauben sollen. Diese Pläne bereits auf einer Konferenz in Las Vegas im September skizziert.

Statt Geschäftsapplikationen in zahlreiche Services zu zerlegen, wie es beispielsweise SAP tut, sieht der Infor-Fahrplan zunächst vor, bestehende Produkte über Open SOA mit Zusatzbausteinen zu versehen. Mit Service-Orientierung im eigentlichen Sinn hat das nicht viel gemein, sondern eher mit Anwendungsintegration.

"ERP-Homepage" auf Ajax-Basis

Eines dieser Erweiterungssysteme sind die "Business Information Services" ("vormals Infor Reporting Services"). Die Funktionen sollen es Nutzern von ERP COM, Baan und ERP LN erlauben, über moderne Oberflächen Berichte und Kennzahlen abzurufen, Aufgaben zu verwalten und auf Alerts zuzugreifen. Die Frontend-Technik "Homepage" präsentiert Geschäftsdaten in einer auf Ajax aufsetzenden Web-Oberfläche. Die dafür erforderlichen Daten gelangen vom jeweiligen ERP-System über eine Messaging-Architektur ("Infor Enterprise Service Bus") zu den Business Information Services. In den Homepages verweilt der Anwender jedoch nicht dauernd: Sobald der Nutzer eine ERP-Funktion aufruft, zum Beispiel zum Erfassen eines Auftrags, erscheint die alte Maske. Ist die Aufgabe erledigt, befindet er sich wieder in der Web-Maske. Dass Infor alte und neue Oberflächen vermischt, hat wirtschaftliche Gründe. "Es wäre viel zu aufwändig, sämtliche Masken von Baan IV und V umzuprogrammieren", so Bruce Gordon, Chief Technology Officer des Softwarehauses.

Zusatzbausteine für Baan-Kunden

Die Baan-Nutzer halten an ihren Lösungen fest, da ein Umstieg auf das aktuelle Produkt ERP LN aufwändig ist. Die neue Software unterscheidet sich stark vom Altsystem. Während die Baan-Lösungen beispielsweise noch Kreditoren und Debitoren in eigenen Datenstrukturen abbilden, gibt es bei ERP LN nur noch einen "Geschäftspartner", der sowohl Kunde als auch Lieferant oder beides gleichzeitig sein kann.

Um die ERP-Programme mit dem BIS zusammenzuschalten, passt Infor die Lösungen an, ohne hier jedoch massiv in den Quellcode eingreifen zu müssen. Die ersten Baan-IV- und –V-Kunden sollen die Homepage-Technik Mitte 2008 erhalten.

Weitere Entwicklungen bei Infor zielen darauf ab, bestehende ERP-Module durch angeflanschte SOA-Komponenten zu ersetzen. Mit einem "Multibook" können Unternehmen ihre Systemumgebungen für die internationale Rechnungslegung ausbauen. Das Rechnungswesen könnte ein Baan-Kunde ebenfalls über den Infor ESB einbinden und somit das interne Hauptbuch umgehen, wenn er dies wünscht. Das Baan-eigene General Ledger werde laut Gordon aber dennoch weiter gepflegt, solange es Nutzer gibt. Softwarespezialisten der übernommenen Firmen wie Varial, Smartstream und Masterpiece haben Multibook entwickelt.

Alternative für alte ERP-Hauptbücher

Die neue Interface-Technik dient Anwendern dazu, auf Berichte und Kennzahlen zuzugreifen sowie anstehende Aufgaben und Alerts zu sichten. Die Frontends der bestehenden ERP-Produkte bleiben bestehen.
Die neue Interface-Technik dient Anwendern dazu, auf Berichte und Kennzahlen zuzugreifen sowie anstehende Aufgaben und Alerts zu sichten. Die Frontends der bestehenden ERP-Produkte bleiben bestehen.

Anhand des Multibooks wird die Stoßrichtung von Infor deutlich. Die Softwarefirma bietet vermehrt moderne Funktionsbausteine an, die Anwender statt der bestehenden ERP-Module nutzen können. Statt vieler Hauptbücher in den jeweiligen Systemen muss Infor irgendwann nur noch das Multibook verwalten, welches sich als Gleichteil an alle ERP-Softwareprodukte andocken lässt. Ein weiteres Beispiel dafür stellt eine übergreifende Preisverwaltung dar. Ein neues, auf SOA-Prinzipien aufgebautes "Price Book" soll in der Lage sein, die zahlreichen unterschiedlichen Bausteine zur Preisermittlung zu ersetzen. Das gemeinsame Preissystem hat der Hersteller für Ende 2008 in Aussicht gestellt.

Modernisieren will Infor auch die auf der System-i-Plattform (vormals AS/400) laufenden Geschäftsanwendungen. Um Zusatzbausteine auch in die auf der Uraltsprache RPG basierenden Programme einzubinden, muss Infor jedoch in den Quellcode eingreifen. Dazu zählen unter anderem Applikationen von Brain und Mapics.

CRM-Modul für ERP-Kunden

Neben den für den Kunden kostenlosen Erweiterungen wie Multibook und Price Book plant Infor darüber hinaus kostenpflichtige Zusatzbausteine. Laut Firmenchef Schaper soll es eine rasch installierbare und angepasste Variante ("Business Edition") von "Infor CRM Epiphany" geben, die an Baan- und ERP-COM-Nutzer vermarktet werden soll. Die Epiphany-Lösung ist bis dato eher für große Firmen mit Endkundengeschäft konzipiert, beispielsweise haben Finanzdienstleister das CRM-Produkt eingeführt. Doch Infor-Kunden sind mehrheitlich mittelständische Fertigungsbetriebe, die hauptsächlich mit anderen Unternehmen Geschäfte abwickeln. Pläne in diese Richtung sickerten bereits im Sommer dieses Jahres durch. Unlängst für Europa freigegeben hat Infor die ebenfalls optionale Produktfamilie "Performance Management 10". Sie liefert Softwarenutzern Analysewerkzeuge für industriespezifische Auswertungen.

Mitte nächsten Jahres soll darüber hinaus eine CRM-Software für die verschiedenen AS/400-basierenden Produkte von Infor auf den Markt kommen. Die Lösung für Sales Force Automation geht auf Entwicklungen von Geac ("System 21") zurück.

Neue Version von ERP COM

Neben den Open-SOA-Konzepten erläuterte Infor auch, wie die Software "ERP COM" weiterentwickelt wird. Mit dem Release ERP COM 7.1 richtet sich Infor an mittelständisch geprägte Betriebe, die flexible Funktionen für Mehrwerkesteuerung, Fremdfertigung und Einkauf sowie Lagerhaltung benötigen. Die für Ende nächsten Jahres in Aussicht gestellte Version soll Anwenderunternehmen helfen zu entscheiden, ob ein Einzelteil oder eine Baugruppe besser im eigenen Haus produziert oder eingekauft werden sollte (Make or Buy). Manche Unternehmen müssen hier fast täglich abwägen, meint Infor. Neben dem Beschaffungspreis spielt hier die Verfügbarkeit eine Rolle, daher fließen hier auch Informationen aus der integrierten Lieferterminermittlung ein. Die Beschaffungsart lässt sich jederzeit ändern, wobei auch Mischformen möglich sind: Einen Bedarf können Betriebe beispielsweise zu 40 Prozent einkaufen, den Rest im eigenen Werk herstellen.

Mahnstufenfunktionen für das Einaufsmodul

Auf Kundendruck hat Infor die Einkaufsfunktionen der Software ausgebaut. Dazu zählt eine Anfrageverwaltung. Zudem können Sachbearbeiter die Mahnstufe in den Bestellpositionen des Kunden hinterlegen.

Wie viele andere ERP-Hersteller hofft auch Infor auf Geschäfte mit Automobilzulieferern. An sie wendet sich die Softwarefirma mit Funktionen für Vendor Managed Inventory (VMI) und Packmittelverwaltung. VMI bedeutet, dass der Zulieferer dafür grade steht, das Lager des Autoproduzenten immer mit den gerade benötigten Teilen zu füllen. Die Packmittelfunktion ist wichtig, da Zulieferer die Verpackungsvorschriften der Autohersteller einhalten müssen. "Auto Ex" gestattet einen Datenaustausch via EDI. Neuerdings können Anwender die betreffenden Stammdaten einheitlich über dieses Modul pflegen. Sie sind somit nicht mehr gezwungen, Änderungen zusätzlich im Teilestamm in der Materialwirtschaft der ERP-Software zu pflegen. Weitere Neuerungen betreffen die Export- und Zollabwicklung. Hier gelten ab 2009 neue Vorschriften, die die Ausfuhr von Waren an bestimmte Personen und Länder im Rahmen des Schutzes vor internationalem Terror unterbinden sollen.

Nachschubsteuerung und Vendor Managed Inventory (VMI)

Ein neues Warehouse-Management erlaubt eine automatische Nachschubsteuerung und gestattet permanente Inventuren. Ferner lassen sich Verpackungen und Unterverpackungen im System abbilden.

Nutzern der ERP-Software soll es künftig leichter fallen, ERP COM an mehreren Standorten zu betreiben. Über einen Message Bus ("Infor Ibus") sollen sich die ERP-Datenbanken über Niederlassungen hinweg abstimmen lassen. Technisch war dies auch heute schon möglich, jedoch mit deutlich mehr Aufwand verbunden.

Über eine Absatzplanung verfügt die ERP-Software noch nicht, sie soll aber mit einem Feature Pack Ende 2008 an Kunden ausgeliefert werden. Dann sollen auch die Business Information Services beziehungsweise die Frontend-Technik Homepage zur Verfügung stehen. Feature Packs sind Funktionserweiterungen, die Infor zwischen den Major Releases freigibt.

Die kommende Version von ERP COM folgt auf das Release 6.3, das von den Bestandskunden jedoch kaum beachtet wurde, da es vergleichsweise wenige Neuerungen brachte. Ein Anwenderunternehmen, das namentlich nicht genannt werden will, verwendet ERP COM 6.1 an zwei Standorten und hat aus diesem Grund von einem Upgrade auf 6.3 abgesehen, kann sich aber gut vorstellen, auf 7.1 umzusteigen, vor allem wegen der Make-or-Buy-Eigenschaften.