Organisation, Technik, Finanzen

Industrie 4.0 und die Risiken

28.09.2016 von Walter Huber  IDG ExpertenNetzwerk
Nachdem das Thema Industrie 4.0 zunehmend in Form von konkreten Projekten in der Realität ankommt, kristallisieren sich neben Chancen immer mehr auch die Risiken heraus. Diese zu kennen und zu adressieren, ist nicht nur für die erfolgreiche Projektarbeit essentiell, sondern auch, um im Nachgang die prognostizierten Potenziale zu heben.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Mit den Chancen von Industrie 4.0 gehen auch etliche Risiken einher.
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Mit Industrie 4.0-Projekten werden hohe Erwartungen hinsichtlich Produktivitätssteigerung und Kostensenkung verbunden und propagiert. Diese Potentiale werden durch eine Optimierung der Unternehmensprozesse erreicht. Hierbei wird nicht bei den Kernprozessen (Produktentstehung, Kundenauftrag, Sales und Aftersales) halt gemacht, sondern auch auf die unterstützenden Prozesse (wie Personal, Controlling) abgezielt. Die Optimierung erfolgt hierbei über vernetzte und intelligente (also smarte) Systeme und Elemente (wie sensitive Roboter, 3D-Drucker, Big Data). Die Steuerung erfolgt hierbei dezentral.

Wo aber Chancen liegen sind erfahrungsgemäß Risiken nicht weit. Die mit Industrie 4.0 verbundenen Risiken lassen sich in die Bereiche technische, organisatorische und wirtschaftliche Risiken gruppieren.

Technische Risiken

Industrie 4.0 wird vielfach stark aus technologischer Sicht betrachtet. Daher werden zuerst Risiken aus dieser Perspektive betrachtet. Die gute Nachricht ist, dass diese am besten zu beherrschenden sind. Generell gilt es, aller hier dargestellten Risiken kritisch unter Berücksichtigung der eigenen Situation zu analysieren und zu bewerten. Folgende technische Risiken treten in diesem Zusammenhang in der Praxis immer wieder auf:

Cyber-Security: Cyber-Attacken nehmen von Jahr zu Jahr zu. Sie betreffen sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen. Die hier entstehende "Angst" hemmt die Ausbreitung neuer Geschäftsmodelle. Ferner werden Unternehmen durch die zunehmende Vernetzung (Stichwort: vertikale und horizontale Integration) immer verletzlicher. Dies schließt auch die Manipulation der Maschinen und Produkte mit ein.

Verfügbarkeit der IT-Infrastruktur: Durch die immer stärkere Verwendung von Software und vernetzten Maschinen und Anlagen steigt zunehmend die Abhängigkeit der Unternehmen von einer leistungsstarken, skalierbaren und verfügbaren IT-Infrastruktur.

Zu schnelle Einführung von Technologien: Technologien durchlaufen einen Reifeprozess. Ein zu schnelles Einsetzen von neuen Technologien führt zu hohen Kosten und Frustration im eigenen Unternehmen. Vielfach werden hierbei durch Marketing und Vertrieb der jeweiligen Hersteller die Erwartungshaltungen in unrealistische Höhen getrieben.

Schnelles Internet: Aktuell rangiert Deutschland im internationalen Vergleich auf den hintersten Plätzen bzgl. dem Ausbau und der Verfügbarkeit eines schnellen Internets. "Allways on" ist aber in Zeichen der Digitalisierung und von Industrie 4.0 ein absolutes "Muss".

Zu viel IT und Automatisierung: Ein zu hohes Maß an IT und Automatisierung führt in die "CIM-Falle" (Computer-integrated Manufacturing). Unternehmen werden unflexibel und können die eingeführte Technologie nicht mehr ausreichend beherrschen. Ferner ist IT und Automatisierung kein "Allheilmittel".

Standardisierung: Deutsche Unternehmen beteiligen sich nur punktuell an internationalen Standards. Hierüber werden aber maßgeblich Technologien geprägt.

Industrie 4.0 in Deutschland
Smart Factory in der Praxis
179 Anwender hat die Staufen AG für ihren Industrie 4.0 im Jahr 2015 befragt. Aufgezeigt werden Veränderungen gegenüber dem Stand der Ding in 2014. Unsere Bildergalerie präsentiert wichtige Ergebnisse der Studie: 4 Prozent der Firmen haben Industrie 4.0 inzwischen gänzlich umgesetzt. 2014 lag der Anteil bei lediglich 1 Prozent.
Sprung bei der Logistik
Die Grafik zeigt, in welchen Bereichen die Firmen Industrie 4.0 einsetzen oder das planen. Gegenüber dem Vorjahr gab es bei der Logistik und Lagerhaltung einen großen Sprung.
Konkurrenz holt auf
Der internationale Vergleich zeigt die deutschen Firmen an der Spitze. Aber die Konkurrenz aus Asien und Übersee holt auf.
Selbstkritische Töne
Die Befragten meinen mehrheitlich, dass das Thema Industrie 4.0 in der Vergangenheit unterschätzt wurde. Insgesamt beurteilen sie die Lage kritisch und selbstkritisch.
Erwarteter Erfolg
Die Studienteilnehmer gehen überwiegend davon aus, dass sich dank Industrie 4.0 in fünf Jahren wirtschaftlicher Erfolg eingestellt haben wird. Gerechnet wird außerdem mit veränderter Produktpalette und neuem Geschäftsmodell.
Führung durch Kommunikation
Staufen wollte auch wissen, wie sich Industrie 4.0 auf das Thema Führung auswirkt. Die hier dargestellten Antworten auf diese Fragen zeigen insbesondere einen Bedeutungszuwachs der Kommunikation.
Angepasstes Leitbild
Diese Übersicht zeigt, welche Maßnahmen die Firmen im Hinblick auf Industrie 4.0 in Sachen Führung bereits umgesetzt haben. Mehr als 70 Prozent haben Leitbild und Führungsrichtlinien angepasst.

Organisatorische Risiken

Trotz der vielfach technischen Sichtweise auf das Thema Industrie 4.0 stellen organisatorische Risiken die größten Hindernisse dar. Sie sorgen auch regelmäßig für erhebliche Probleme und führen zu reduzierten Potentialen oder sorgen für eine zeitliche Verzögerung bei der Umsetzung von Industrie 4.0-Projekten.

Industrie 4.0 verändert die Arbeitswelt in erheblichen Maße, sowohl in den direkten als auch in den indirekten Bereichen. Ohne ein aktives Change Management werden die Mitarbeiter nicht "mitgenommen" und Abwehrhaltungen oder sogar aktives "Dagegen Arbeiten" nehmen zu.

Hierbei gilt es im Besonderen die Mitarbeitervertretung in Form des Betriebsrates frühzeitig zu informieren und in die Projekte aktiv zu integrieren, sonst droht von dieser Seite eine Blockadehaltung. Dies resultiert auch daher, dass Veränderung des Arbeitsumfeldes die Zustimmung des Betriebsrates erfordern. Somit sollte der Gang zum Betriebsrat ein fester Bestandteil in Projektplänen darstellen. Diese Kommunikation sollte nicht auf ein einzelnes Projekt beschränkt sein, sondern integraler Bestandteil des gesamten Veränderungsprozesses darstellen, denn nach einem Projekt ist vor dem nächsten Projekt.

Damit verbunden ist die, speziell in Deutschland, stark ausgeprägte Technikfokussierung. Diese falsche Fokussierung tritt aktuell in vielen Big-Data-Projekten zu Tage. Industrie 4.0 im Allgemeinen und Big Data im Speziellen stellt nicht nur eine technische, sondern auch eine Management-Revolution dar. Werden derartige Projekte zu sehr mit der technologischen Brille gesehen, so wird die hierin liegende hohe Sprengkraft übersehen, mit entsprechenden Konsequenzen.

Gleiches gilt übrigens für die immer noch vorherrschende starke "Hardware-Zentrierung". Software wird zukünftig eine zentrale Rolle spielen - bis hin zur Wettbewerbsdifferenzierung. Software kann deutlich schneller verändert werden als ähnliche Funktionalität in Hardware abzubilden. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass Software nichts wiegt und sie verursacht im Wesentlichen nur einmalige Kosten bei deren Entwicklung. Diesen Vorteil haben vor allem die Automobilhersteller erkannt und setzen daher unter anderem vermehrt auf Software im Auto. Die wachsende Bedeutung der Software in Unternehmen, sollte auch zu einer Re-Positionierung des IT-Bereichs führen.

Die immer schnellere Veränderung der Welt (vor allem durch die Software getrieben) haben auch für Unternehmen im Ganzen Konsequenzen. Sie müssen frühzeitig diese Veränderungen erkennen und darauf reagieren sonst droht der "Nokia- oder Agfa-Effekt", also das Abgleiten in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit. Als Konsequenz dieser Entwicklung muss die aktuell vielfach vorhandene mangelnde Innovations- und Veränderungskraft von Unternehmen deutlich geändert werden.

Die schon mehrfach thematisierte Technologiefokussierung führt auch dazu, dass Prozessverbesserungen in den Hintergrund zu geraten drohen. Effiziente (also Lean-basierte) Prozesse sollten aber auch in Zeiten von Industrie 4.0 das Rückgrat jedes Unternehmens darstellen.

Die mit Industrie 4.0 verbundene Digitalisierung und Vernetzung führt auch zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Thema Datenschutz. Hier gilt es sowohl die Rechte der eigenen Mitarbeiter aber natürlich auch der Kunden nicht einzuschränken.

Durch die immer stärkere und intensivere Interaktion zwischen Mensch und Maschinen steigt naturgemäß auch die Gefahr von Arbeitsunfällen. Dem Thema Arbeitsplatzsicherheit wird zwar durch die Hersteller (etwa von sensitiven Robotern) Rechnung getragen. Es sollte aber nicht unbeachtet bleiben.

Zu guter Letzt muss nochmals auf das Thema Mitarbeiter zurückgekommen werden. Es entsteht ein immer größerer Bedarf an Fachkräften (nicht notwendiger Weise akademisch ausgebildeter). Ausreichende Angebote und eine strategische Unternehmens- und Mitarbeiterplanung sind hier zwingend erforderlich.

Wirtschaftliche Risiken

In der Aufzählung dürfen natürlich wirtschaftliche Punkte nicht fehlen. Industrie 4.0-Projekte müssen sich sowohl wirtschaftlich für ein Unternehmen darstellen lassen als auch einen entsprechenden Return of Investments liefern. Diese Punkte verhindern teilweise das Starten von Industrie 4.0-Projekten. Die wichtigsten hier zu beachtenden Punkte sind:

Vielfach lange ROI-Zeiten: Vielfach sind erhebliche Investitionen im Zuge von Industrie 4.0 Projekten zu tätigen. Die Amortisierungsrate liegt hierbei entsprechend hoch, etwa bei 2-3 Jahren. Somit sollten zumindest die ersten Projekte in diesem Umfeld deutlich kürzere Investitionszeiten aufweisen - was durchaus möglich ist.

Mangelnde Investitionsbereitschaft: Nicht nur McKinsey hat festgestellt, dass deutsche Unternehmen deutlich zu wenig in das Thema investieren.

Verlust von Arbeitsplätzen: Die Digitalisierung wird vor allem zu Arbeitsplatzverlusten in den indirekten Bereichen und bei einfachen Tätigkeiten in der Produktion führen. Die Steigerung der Automatisierung und damit die Reduzierung von Kosten ist ja ein zentraler Punkt bei derartigen Projekten. Es darf aber unter keinen Umständen zu einem Arbeitsplatzabbau kommen, sonst gefährden Sie in Ihrem Unternehmen das ganze Thema - und natürlich auch ihren betrieblichen Frieden. Die Steigerung der Automatisierung muss vielmehr mit einer gleichzeitigen Erhöhung des Absatzes verbunden sein.

Verlust von Geschäftsfeldern: Durch die Digitalisierung treten neue Marktteilnehmer auf den Plan (Amazon, Apple,…) und können etablierte Hersteller (wie Buchhandlungen, Verlage) verdrängen. Über einen "Start-Up-Ansatz" etwa lassen sich, als eine Möglichkeit, neue Wege für etablierte Unternehmen beschreiten.

Mangelnde Forschungsförderung: Es existiert zwar eine gute Forschungs- und Förderlandschaft in Deutschland. Länder wie China und Japan geben aber ein Vielfaches im Bereich Forschungsförderung aus als Deutschland. Auch werden primär Innovationen gefördert und weniger Umsetzungsprojekte basierend auf schon heute etablierten Lösungen. Somit wird der Zurückhaltung bei Industrieunternehmen nicht ausreichend Rechnung getragen.

Gründer-Gen und disruptive Veränderung: In den USA steht ein Vielfaches an Risiko-Capital zur Verfügung als in Deutschland. Dementsprechend ist die Start-Up Szene in den USA deutlich ausgeprägter. Ferner ist das Scheitern, im Gegensatz zu den USA, gesellschaftlich in Deutschland stark negativ behaftet. Eine Konsequenz ist, dass zwar in Deutschland viele Technologien entwickeln, in den USA werden daraus Produkte und Geschäftsmodelle generiert.

Fazit: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

Das Aufzeigen von Risiken sollte nicht vor entsprechenden Projekten abschrecken, sondern vielmehr dazu ermutigen. Wenn man den "Feind - also die Risiken - kennt", kann man schon im Vorfeld entsprechende Maßnahmen aufsetzen. Somit gelingen nicht nur die Projekte, sondern es können auch die erhofften Potentiale gehoben werden. (mb)