Legos virtuelle 3D-Modelle haben bereits Kultstatus erreicht. Vor dem Kauf im stationären Lego-Shop hält der Kunde die mit QR-Code versehene Verpackung in die Kamera einer "Digital Box" und bekommt auf dem Bildschirm eine virtuelle, drehbare Rundum-Ansicht des fertigen Spielzeugs. Auch im Lego-Online-Shop gibt es bei einigen Angeboten wie der "Atlantis"-Fahrzeug-Serie diese Möglichkeit: QR-Code ausdrucken, über die Webcam einlesen und das 3D-Modell anschauen.
Kurzum: Analoges Einkaufen und digitales Erleben wachsen als "Augmented Reality Shopping" zusammen (Augmented Reality, kurz AR = erweiterte Realität). Laut einer Umfrage des E-Commerce-Consulting-Unternehmens Elmar/P/Wach von März 2011 halten fast ein Drittel der 64 befragten deutschen Online-Shop-Betreiber diese Technik für einen besonders wichtigen Trend im eCommerce.
Gesicht trifft Kamera
AR-Shopping findet nicht nur bei großen Konzernen wie Lego und Ikea statt: So haben mehrere Brillenhändler wie Glasses Direct aus Großbritannien, Ray-Ban aus den USA und auch Mister Spex aus Deutschland auf ihren Sites eine virtuelle Anprobe integriert. Der Kunde hält sein Gesicht in die Webcam und bekommt eine um das ausgesuchte Modell ergänzte Live-Aufnahme zurückgespielt, die sich den Kopfbewegungen in Echtzeit anpasst. Für Thilo Hardt, Produktmanager bei Mister Spex, ist das Vorgehen im Sinne der Online-Kunden. Eine eigene Marktstudie habe ergeben, dass 80 Prozent der Brillenträger vor dem Kauf wissen wollten, wie ihnen eine Brille stehe. "Mit der virtuellen Anprobe verbessern wir das Einkaufserlebnis, steigern die Brillenverkäufe und senken die ohnehin überschaubare Retourenrate", so Hardt. Der Shop verwende die Software seit Juni und habe darauf viele positive Rückmeldungen erhalten. Mister Spex hat sein Angebot der Brillen, die virtuell aufgesetzt werden können, in den vergangenen Wochen von anfangs zwölf Sonnenbrillen auf 500 Brillen aller Art vervielfacht. Auch wurde eine Facebook-Schnittstelle eingerichtet, über die die erweiterten Webcam-Fotos mit Freunden geteilt werden können, um herauszufinden, welches Modell die Online-Bekannten bevorzugen. Eine iPhone-App für die virtuelle Anprobe unterwegs ist noch in Arbeit. Doch die "virtuellen Spiegel", wie sie verschiedene Brillen-Shops anbieten, haben noch einen entscheidenden Nachteil: Sie benötigen fast immer ein spezielles Browser-Plugin respektive eine eigene Software, die zunächst installiert werden muss und für einige Kunden noch ein Hindernis darstellt. So auch bei Mister Spex, das seine 3D-Anprobe nach Angaben von Thilo Hardt demnächst aber komplett auf Flash 11 umrüsten werde.
Von Kopf bis Fuß
Dass AR-Shopping nicht nur den Kopf, sondern den gesamten Körper betreffen kann, zeigt das Berliner Startup UPcload. Via Webcam misst eine Software den Körper aus und liefert genaue Größenangaben für maßgeschneiderte Kleidungsstücke.
Die Möglichkeiten von AR-Shopping scheinen unbegrenzt - richtig eingesetzt, können sie für Shop-Betreiber zum Kundenmagneten werden. "eShop-Betreiber werden sich künftig schwer damit tun, komplett auf AR-Anwendungen zu verzichten", blickt Thilo Hardt auf die Trends im Online-Handel.
Mobile Konzepte folgen
Noch einen Schritt weiter in der Verknüpfung von digitaler und analoger Wirklichkeit geht die britische Supermarktkette Tesco. Mit ihrer südkoreanischen Dependance Home Plus installierte das Unternehmen in zahlreichen Metro-Stationen des asiatischen Landes fotoreale Nachbildungen von Warenregalen samt QR-Code unter jedem dargestellten Produkt. Die wartenden Fahrgäste fotografieren den jeweiligen Code ab und legen das zugehörige Produkt damit gleich in den Warenkorb des Home-plus-Onlineshops. Das erspart den mühsamen Einkauf nach Feierabend und verkürzt die Wartezeit auf den nächsten Zug. Home Plus steigerte seinen Online-Umsatz dank der Augmented-Reality-Anwendung im technikbegeisterten Südkorea, wo jeder fünfte Einwohner ein Smartphone besitzt, nach eigenen Angaben um 130 Prozent.
Setzen Anbieter wie Lego und Mister Spex nur auf das Vorhandensein eines Produkts, einer Kamera und eines Ausgabegeräts, kommt bei Tesco zwingend noch die mobile Komponente hinzu. Dass Augmented Reality Shopping und mobiles, im weiteren Sinne positionsbasiertes, Einkaufen bei der Entwicklung künftiger eCommerce-Konzepte Hand in Hand gehen, zeigen weitere Beispiele.
Mobile Shopping
Das "Immer und überall"-Einkaufen gewinnt dank mobiler Geräte eine neue Qualität. Stellen Sie sich vor, es ist früher Abend und Sie sind auf Reisen. Von daheim kommt ein Anruf: Der Duschkopf ist gerade kaputt gegangen. Wo bekommen Sie jetzt so schnell einen neuen her?
Zweites Szenario: Es ist wieder einmal spät geworden im Büro und Sie haben noch nicht für das Wochenende eingekauft. In fünfzehn Minuten machen die Läden zu und Sie haben keine Ahnung, wo es auf die Schnelle jetzt noch asiatische Gemüsesuppe gibt.
Die Lösung für solche Probleme steckt heute in beinahe jeder Hosentasche und heißt Smartphone. Dank Apps und mobiler Seiten können Sie Ihre direkte Umgebung nach Geschäften und Produkten durchsuchen und auf dem schnellsten Weg finden. Der gesuchte Duschkopf findet sich beispielsweise im nur zwei Kilometer entfernten Hagebaumarkt, den Sie ohne die Filialsuche via PLZ auf m.hagebau.de aber niemals innerhalb weniger Minuten entdeckt hätten. Die asiatische Gemüsesuppe bekommen Sie zumindest bis zum nächsten Morgen via Amazon App und Morning-Express nach Hause geliefert.
Dein Smartphone weiß mehr als Du!
Es gibt auch den anderen Fall: Wer gerade unterwegs und in Shopping-Laune ist, aber nicht weiß, was er oder sie kaufen soll, nutzt Facebook Deals. Der ortsbasierte Dienst prüft die nähere Umgebung auf aktuelle Rabattaktionen und lotst den Anwender in entsprechende Geschäfte und Restaurants. Checkt man dann via Facebook Places in den Locations ein, gibt’s Produkte und Dienstleistungen zum reduzierten Preis oder kostenlos. In den USA sehr beliebt, ist die Zahl der teilnehmenden deutschen Partnerunternehmen noch überschaubar. "Die Unternehmen durchlaufen gerade eine Lernkurve und prüfen, wie das Geschäftsmodell aussehen kann", stellt André Richter, Geschäftsführer der Online-Marketing-Agentur Mindbox fest. Auf zehn Online-Werbekampagnen käme derzeit eine mobile, Tendenz steigend: "Viele Kunden scharren mit den Hufen."
Location-based-Shopping ist die Weiterentwicklung des mobilen Einkaufens: Der Kunde muss nicht mehr wissen, wo er sich gerade aufhält - sein Smartphone weiß es schon und führt ihn durch die Geschäfte. Selbst das Bezahlen kann das Gerät dank Near Field Communications bald übernehmen. (sh)