IE 6: Browser-Desktop-Integration

20.08.2001 von Wolfgang Miedl
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Browser sind längst vom Darstellungsprogramm für Web-Seiten zum integralen Bestandteil moderner Betriebssysteme mutiert. Der mit Windows XP kommende Internet Explorer (IE) 6 bringt für Anwender und Entwickler einige interessante Neuerungen in den Bereichen Datenschutz und Desktop-Integration. Auch die einstige Schlüsseltechnologie Active X soll offenbar aufgegeben werden.

In den ersten Jahren des Web-Booms sahen vor allem Entwickler jeder Browser-Neuentwicklung mit Schaudern entgegen. Mit neuen HTML-Tags, die garantiert jede Standardisierungsbemühung unterwanderten, versuchten die Kontrahenten Netscape und Microsoft, die Klientel auf ihre Seite zu ziehen. Nachdem Microsoft den Browser-Krieg für sich entscheiden konnte, stehen nun für die Redmonder bei den Neuentwicklungen andere Aspekte im Vordergrund. Des leidigen Themas Datenschutz beispielsweise hat sich Microsoft nun endlich ernsthaft angenommen und einen ausgefeilten Cookie-Filter auf der Basis von P3P implementiert.

P3P (Platform for Privacy Preferences Project) ist ein vom W3C (World Wide Web Consortium) entwickelter Standard, der Surfern die Kontrolle über die Weitergabe von Daten ermöglichen soll. Websites sollen in Zukunft ihre Datenschutz-Richtlinien in XML-Syntax hinterlegen. Je nach Voreinstellung des Surfers überträgt der Browser dann an vertrauenswürdige Sites persönliche Informationen oder blockiert dies.

Cookies unerwünscht

Bisher hatten Cookies einen zweifelhaften Ruf. Einerseits sind sie nützlich, um etwa E-Commerce-Kunden bei wiederholten Besuchen wiederzuerkennen. Andererseits missbrauchten viele Unternehmen diese Technik, um das Surfverhalten auszuspionieren. Der IE 6 kann nun entweder alle Cookies blockieren oder einzelne nach individuellen Einstellungen zulassen oder abwehren. Um Website-Betreiber zur P3P-Unterstützung zu motivieren, blendet er in der Statusleiste ein kleines Verbotszeichen ein, das gut sichtbar fehlende P3P-Richtlinien signalisiert.

Keine Smart Tags

  

Schluss mit Cookie-Spionage: Das ausgeklügelte Cookie-Management des IE 6 dürfte auch Paranoiker zufriedenstellen. Potenziell unsichere Sites werden mit Verbotsschild an den Pranger gestellt.

 

  

Schluss mit Cookie-Spionage: Das ausgeklügelte Cookie-Management des IE 6 dürfte auch Paranoiker zufriedenstellen. Potenziell unsichere Sites werden mit Verbotsschild an den Pranger gestellt.

 

Microsoft hat die viel diskutierten Smart Tags nicht in den Browser eingebaut. Das proprietäre Client-seitige Hyperlink-System soll noch überarbeitet werden und zu einem späteren Zeitpunkt herauskommen. Für Anwender halten sich die Neuerungen in Grenzen. Interessant ist am Beispiel der neuen Bildersymbolleiste, welche Strategie die Redmonder bei der Einführung proprietärer HTML-Tags verfolgen. Die Bildsymbolleiste erscheint, wenn sich der Mauszeiger mehrere Sekunden über einem Web-Bild befindet, und ermöglicht ein einfacheres Abspeichern, Drucken, Speichern oder Versenden von Bildern. Dieses Verhalten dürften - wie das Erscheinen von Smart Tags als Zusatzlinks - viele Web-Designer als störend empfinden. Zum Deaktivieren kann daher das Attribut "Galeryimg="no" im Image-Tag oder - wie bei den Smart Tags - ein Meta-Tag im Head der Seite eingefügt werden ( ).

Auch beim Thema Desktop-Integration gibt es Neuigkeiten. Im Kartellprozess war die bisherige Verknüpfung von Browser und grafischer Benutzeroberfläche ein zentraler Anklagepunkt. Das hält das Unternehmen nicht davon ab, diese Integration nun noch weiter zu treiben - laut Firmenchef Steve Ballmer werden auf lange Sicht Desktop und Internet komplett verschmelzen.

Der nächste Schritt in diese Richtung wird mit dem neuen Meta-Tag vollzogen. Damit können Web-Designer festlegen, dass bestimmte HTML-Elemente ihrer Seite wie Knöpfe oder Scroll-Leisten im Design von Windows XP erscheinen.

Vereinheitlichung von Server-Komponenten

Während damit Web-Seiten oder -Anwendungen auf Client-Seite Windows-ähnlicher werden, treiben die Redmonder auch die Vereinheitlichung von Server-seitig bereitgestellten User-Interface-(UI-)Komponenten voran. Offenbar besinnt sich das Unternehmen hier auf eine neue Strategie - anstelle der jahrelang propagierten, aber proprietären Active X Controls sollen diese Funktionen nun vollständig auf der Basis des Dynamic-HTML-(DHTML-)Standards bereitgestellt werden. Active X war bisher für Microsoft erste Wahl beim Aufbau von Web-Anwendungen. Die Technik hatte allerdings viele Gegner, weil dabei Benutzer alternativer Browser und Betriebssysteme ausgeschlossen waren und große, prinzipbedingte Sicherheitsprobleme bestanden. Offiziell hat sich das Unternehmen noch nicht von Active X verabschiedet, ein White Paper für Web-Entwickler spricht aber eine deutliche Sprache: "Wir

möchten Sie mit Nachdruck dazu aufrufen, dass Sie alle Funktionen, die Sie bisher in Active X Controls bereitstellen, auf das DHTML-Behavior-Modell migrieren".

"ASP .NET"

Bereits mit dem IE 5.5 wurden die DHTML-Behaviors eingeführt. Es handelt sich dabei um gekapselte und wiederverwertbare, scriptbasierte Komponenten, die Funktionen oder Eigenschaften für DHTML-Elemente wie Navigationsleisten bereitstellen. Server-seitig ergänzt die Gates-Company diese neuen Browser-Fähigkeiten durch die Internet Explorer Web Controls, die Bestandteil der zukünftigen Applikations-Server-Umgebung "ASP .NET" (ASP = Active Server Pages) sind. Aus Sicht der Redmonder werden dabei zwei Probleme gelöst: Alte oder Nicht-Microsoft-Browser werden von ASP-basierten Anwendungen als solche erkannt und mit abgespeckten HTML-3.2-Controls bedient, womit die leidigen Inkompatibilitäts-Schwierigkeiten beseitigt wären. Gleichzeitig werden die eigenen Browser wegen der besseren Unterstützung der Web Controls als Frontend für zukünftige Anwendungen positioniert.

Auch die längst überfällige volle Unterstützung von CSS1 (Cascading Style Sheet) werden Entwickler mit Erleichterung aufnehmen. Typischerweise müssen Designer aber auch hier an den Anfang ihrer Dokumente die "!DOCTYPE"-Deklaration einfügen, um den IE 6 in den standardkonformen Modus umzuschalten. Andernfalls bleibt es bei der unzureichenden CSS1-Unterstützung der Vorgängerversionen. CSS2 wird in eingeschränkter Form unterstützt.

Alles in allem bringt der IE 6 für die Anwender mit Ausnahme des P3P-konformen Cookie-Filters wenig Neues. Interessanter sind da schon die Erweiterungen für Entwickler. Es zeichnet sich ab, dass der Browser im Rahmen der .NET-Aktivitäten vor allem mit ASP.NET zunehmend als Frontend für Web-basierte Anwendungen genutzt werden kann.