2003 war ein Erfolg

IBMs Strategie trägt langsam Früchte

23.01.2004
IBM hat für das Jahr 2003 ein Ergebnis vorgelegt, das Analysten positiv überraschte. In fast allen Bereichen konnte Big Blue zufrieden stellende Zahlen vorlegen. Zudem zeigt sich das Unternehmen für die Zukunft gut gerüstet.

Wollte man denn einen Wermutstropfen in die positive Jahresabschlussbilanz des Konzerns (siehe Kasten "IBM im Jahr 2003") träufeln, dann durch den Hinweis, dass Big Blue nicht unwesentlich vom schwachen Dollar profitierte. Ohne den Währungsverfall des Green Back könnte die weltweite Nummer eins unter den IT-Anbietern im Jahr 2003 keinen Umsatzanstieg von 9,8, sondern "nur" von drei Prozent verzeichnen. Im vierten Quartal hätte der Konzern beim Umsatz statt um acht lediglich um ein Prozent zugelegt.

Hier irrte der Analyst

Allerdings gebietet es die Fairness, auch darauf hinzuweisen, dass Big Blue beispielsweise bei der Zahl gewonnener Neuverträge durch die Global-Services-Division wesentlich erfolgreicher war, als Analysten im Vorfeld der Präsentation des Jahresergebnisses noch glauben machen wollten. Vor zwei Wochen rechnete beispielsweise Bear-Stearns-Analyst Andrew Neff damit, Big Blues Dienstleistungssparte werde im vierten und letzten Quartal des Geschäftsjahrs 2003 lediglich Abschlüsse im Wert von rund zwölf bis 13 Milliarden Dollar erzielen. IBM selbst hatte mit Neuverträgen in Höhe von etwa 14 Milliarden Dollar gerechnet. Tatsächlich konnte der Konzern in den letzten drei Monaten des abgelaufenen Jahres aber neue Dienstleistungskontrakte in Höhe von 17,3 Milliarden Dollar abschließen - immerhin rund 38 Prozent mehr, als Neff prognostiziert hatte.

Vielleicht noch wichtiger: Das geschätzte Auftragspolster (Backlog) für die Tätigkeitsfelder strategisches Outsourcing, Business Consulting Services, Integrated Technology Services und Wartung hatte am 31. Dezember 2003 einen Wert von rund 120 Milliarden Dollar.

Der britische Brancheninformationsdienst "Computerwire" hat darüber hinaus eine Untersuchung über den weltweiten IT-Servicemarkt gefertigt. Demnach hat die Zahl der Dienstleistungsverträge mit einem Volumen von über 100 Millionen Dollar im Jahr 2003 um 49 Prozent zugenommen. Zudem konnten die Dienstleistungsanbieter doppelt so viele Abschlüsse (29) mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Dollar tätigen. IBM Global Services hat allein 21 Prozent dieser Großaufträge für sich verbucht.

IBM legte nicht nur in der Dienstleistungssparte zu. Die Systems Group (alle Server-Systeme inklusive der Großrechner) erzielte einen um 31,1 Prozent gewachsenen Gewinn von 2,05 Milliarden Dollar. Die Software-Division steigerte sich im abgelaufenen Jahr um 7,1 Prozent auf 3,8 Milliarden Dollar Profit. Lediglich das Sorgenkind Personal Systems Group mit den PCs musste, aufs gesamte Jahr gesehen, mit 118 Millionen Dollar Verlust (2002: 57 Millionen Dollar Profit) einen herben Rückschlag hinnehmen. Die Technology Group, in der Big Blues Chipproduktion (Power-Prozessor) angesiedelt ist, fuhr zwar ebenfalls einen Verlust ein (252 Millionen Dollar), konnte diesen aber gegenüber dem Vorjahr (1,05 Milliarden Dollar) spürbar reduzieren.

Dementsprechend positiv fiel denn auch die Zukunftsschau von IBM-Chef Samuel Palmisano aus. Das Investitionsverhalten der Kunden verbessere sich kontinuierlich, sein Unternehmen sei "enthusiastisch über die Aussichten für dieses Jahr und die Zeit danach". Big Blues Finanzchef John Joyce pflichtete dem bei: "2003 war das Jahr, in dem sich die Industrie wieder stabilisiert hat. 2004 sehe ich als das Jahr, in dem die IT-Industrie ihren nächsten Wachstumszyklus startet."

IBM ruft die Wende aus

Prompt äußerten sich die ersten Analysten positiv zu IBMs Ergebnissen. Merrill-Lynch-Mann Steven Milunovich bezog sich auf Joyce und sagte, Big Blue "rufe im Prinzip die Wende im Investitionsverhalten der Unternehmen aus, die insbesondere von Hardwarekäufen getrieben wird". Toni Sacconaghi von Sanford C. Bernstein & Co. kommentierte, das Quartal sei für IBM, gemessen an den Erwartungen, sehr solide gelaufen. Allerdings lasse der währungsbereinigte Zuwachs noch keinen Schluss auf ein allgemeines Wirtschaftswachstum zu.

IBMs Chef Palmisano hat sein Unternehmen auf die Herausforderungen der nahen Zukunft gut eingestellt, meinen die Unternehmensberater von Gartner. Nach ihrer Firmenanalyse vom Januar 2004 präsentiert sich der IT-Riese in fast allen Angebotsbereichen sattelfest.

Sämtliche Softwaresegmente wie DB2, Tivoli, Lotus und Websphere sind gut aufgestellt und werden positiv bewertet. Das Gleiche gelte für alle Servicethemen: Mit dem IT- und Business-Consulting stehe der Konzern stark da, in Sachen IT-Infrastruktur-Outsourcing sogar sehr gut. Diesbezüglich forciert IBM bekanntlich insbesondere das Thema On-Demand-Computing. Bei HP heißt die entsprechende Initiative Adaptive Enterprise, bei Sun N1. Alle drei versprechen Kunden, nur solche Rechenleistung zur Verfügung zu stellen - und abzurechnen -, die tatsächlich gebraucht wird. Das Marktforschungsunternehmen IDC prognostiziert diesen auch Utility Computing genannten Aktivitäten eine große wirtschaftliche Zukunft: Unternehmen wie IBM, HP und Sun hätten im Jahr 2003 bereits rund eine Milliarde Dollar mit solchen Angeboten erwirtschaftet. 2004 dürfte sich die Nachfrage nach solcher Dienstleistung laut IDC verdoppeln. 2007 erwartet das Marktforschungsunternehmen Aufträge für Utility Computing in Höhe von 4,6 Milliarden Dollar - ein wachsender Markt mithin.

Ins gleiche Horn stößt Gartner: Utility- oder On-Demand-Konzepte würden spätestens 2006 bei Firmen nicht mehr als exotische IT-Alternative angesehen. Vielmehr sei es dann ganz normal für Unternehmen, sich die Benutzung von Applikationen und Rechenleistung fallweise zur Verfügung stellen, verwalten und managen zu lassen.

Auch mit dieser Strategie scheint die IBM also gut beraten zu sein, wobei die Analysten der US-amerikanischen Unternehmensberatung Illuminata allerdings beim Thema Utility Computing Vorsicht anmahnen. IBM, HP und Sun versprächen ihren Kunden Rechenleistung aus der Steckdose. Solche Aussagen seien pure Übertreibung. Zwar gebe es einige wenige erste Produkte. Aber die meisten Visionen um Utility Computing seien nichts als fromme Wünsche und Blankoschecks, mit denen sich die großen Rechenleistungsanbieter nur ein Stück vom Servicekuchen sichern wollten.

Vorsicht bei On-Demand-Visionen

Jonathan Eunice, Analyst bei Illuminata, argumentiert, dass die bislang eingesetzte Technik in Laborumgebungen möglicherweise funktioniere. Im harten Alltag mit komplexen Unternehmensstrukturen nehme sich die Verwirklichung von On-Demand-Konzepten ganz anders aus. Wenn IT-Ressourcen einem Betrieb je nach Bedarf zugewiesen werden können sollten, müssten die bereits vorhandenen Ressourcen in den verschiedensten Betriebsteilen erst einmal ermittelt, zusammengefasst und sinnvoll verteilt werden. Allein an dieser Aufgabe würden die meisten On-Demand-Konzepte scheitern, sagt Eunice. Wollten Unternehmen nennenswerte ökonomische Vorteile (Economies of scale) aus dynamischen Datenzentren oder Grid-Konfigurationen schlagen, müssten die unterschiedlichen Unternehmensfürstentümer zunächst einmal einen Teil ihrer IT-Autonomie aufgeben. Andy Butler von Gartner stimmt Eunice insofern zu, als er sagt, On-Demand-Konzepte seien heute nur für Großkonzerne sinnvoll. Für mittelständische Betriebe hätten Anbieter à la IBM noch keine praktikablen Utility-Computing-Ansätze zu bieten.

Wenn IBM, HP oder Sun also mit dem neuen Konzept werben, um ihre Umsätze zu steigern, dann müsste zuerst einmal ein großer Kulturwechsel in den Unternehmen stattfinden. Dazu gehöre Motivation und sehr viel Energie. Um von einem bislang statischen zu einem dynamischen IT-Konzept zu wechseln, würden noch eine Menge Unternehmen viel Geld zum Fenster hinauswerfen. Dabei verlören sie Zeit und büßten ihre Wettbewerbsfähigkeit ein - und das in einer Zeit, in der IT das Herzstück allen Wirtschaftens ist. IBMs On-Demand-Konzept müsse also ebenso kritisch vom Anwender auf die jeweils innerbetriebliche Realisierungsmöglichkeit geprüft werden wie HPs Adaptive-Computing-Vision und Suns N1-Mission.

In IBMs Hardwarebereich sieht Gartner bis auf eine einzige Ausnahme nur positive oder hervorragende Aussichten: Die Zukunft des PC-Segments sei mit Vorsicht zu bewerten. Prinzipiell richtet IBM-Chef Palmisano das Unternehmen aber ohnehin darauf aus, die historische Abhängigkeit von der Hardware zu reduzieren und das Dienstleistungsgeschäft als dominierende Geschäftsgröße zu festigen. Im Jahr 2003 betrug der Umsatzanteil der Servicesparte (45,5 Milliarden Dollar) bereits 51 Prozent vom Gesamtergebnis (89 Milliarden Dollar). Der Gewinn beläuft sich mit 4,5 Milliarden Dollar auf 41 Prozent des gesamten operativen Firmenprofits von 10,9 Milliarden Dollar.

Mit dem Jahresergebnis ebenfalls gut leben kann IBMs Software Group (SWG): Knapp 16 Milliarden Dollar beträgt der Umsatz 2003. Damit ist diese Sparte das zweitstärkste Firmensegment. Der um 7,1 Prozent gestiegene Gewinn von 3,8 Milliarden Dollar trägt mit 35 Prozent zum Gesamtprofit von Big Blue bei.

Wie Illuminata sieht zwar auch die Meta Group in Sachen On-Demand-Computing noch "viel verbleibende Arbeit" insbesondere für die Softwaredivision. Allerdings sei zu erwarten, dass IBMs Softwerker sich vermehrt von reinen Technologieaspekten ab- und realisierbaren Marktstrategien zuwenden werden. Hierbei werde sich Big Blue vor allem auf vertikale Industriesegmente und auf kleine und mittelständische (SMB = Small and Medium Business) Unternehmen konzentrieren.

Von Bedeutung sei für die nahe Zukunft überdies, dass die IBM das Geschäftsmodell der Softwaregruppe komplett überarbeitet und der Firmenstrategie angepasst hat. Bislang sind die Geschäftseinheiten an den einzelnen Produktlinien orientiert. Jetzt identifizierte IBM für die Softwareeinheit zwölf Industriesegmente, nach denen der Vertrieb ausgerichtet wird. Das bedeutet, dass es nunmehr Entwickler und Marketing-Experten gibt, die über den Tellerrand ihrer jeweiligen Produktkategorien hinaussehen (cross-brand).

Ziel soll es sein, in den einzelnen Produktbereichen schneller und häufiger auf die Bedürfnisse bestimmter Industriesegmente zugeschnittene Protokolle, Datenmodelle, Adapter etc. zu entwickeln.

Erfolgreiche Softwarestrategie

Meta Group bescheinigt der IBM, eine erfolgreiche Softwarestrategie zu fahren. Das Unternehmen habe sich aus dem Geschäft mit unternehmensweiten Softwareapplikationen (ERP, SCM, CRM) mit Ausnahme der technischen Anwendung "Catia" für CAD und CAE im Prinzip zurückgezogen. Frühere Angebote im ERP-Umfeld ("Copics", "Mapics") wurden an Geschäftspartner verkauft oder eingestellt. Die CRM-Initiative "Corepoint" trug IBM in den späten 90er Jahren kurz nach ihrem Launch wieder zu Grabe.

Heute operiert Big Blue geschickter: In dem Maße, in dem kommerzielle Softwareanbieter wie SAP, Peoplesoft, Oracle, Siebel etc. dazu übergingen, ihre monolithischen Anwendungen zu parzellieren, tritt IBM mit diversen Angeboten an Middleware als im besten Fall unverzichtbares Bindeglied für diese Module auf. Die Strategie, so die Meta Group, ist einleuchtend: IBM kombiniert Infrastrukturprodukte, Beratungs- und Entwicklungsdienstleistungs-Kapazitäten sowie ihre Outsourcing-Ressourcen und tritt so als Partner von Unternehmenskunden auf, um deren komplexe Applikations- und Hardwarewelt zu handhaben.

Attacke auf die Applikationsanbieter

Mit dieser Strategie attackiert das Unternehmen die Applikationsanbieter von vier Seiten: Unter dem "Websphere"-Middleware-Schirm verspricht Big Blue die Integration sowohl der Unternehmensapplikationen als auch der firmenweiten Daten zur Informationsgewinnung (Stichwort: Business Intelligence).

Dass IBM eine gezielte Softwarestrategie verfolgt, zeigt auch das kleine Beispiel der Vertriebskooperation mit Ascential, dessen ETL-Werkzeug (ETL = Extraction, Transformation and Loading) "Datastage" Big Blue vertreibt. Überlegung dürfte hierbei sein, dass Datenstrukturen Softwareapplikationen in der Regel überdauern. Mit der Übernahme des Enterprise-Application-Integration-(EAI-)Anbieters Crossworld 2001 hat sich Big Blue außerdem Zugang zu vordefinierten Geschäftsprozessen verschafft, die übrigens auch Siebel in seiner UAN-Architektur nutzt, um verschiedene Unternehmensapplikationen miteinander zu verschränken.

Websphere beinhaltet darüber hinaus ein rollenbasierendes Portal, das in Konkurrenz zu Angeboten der Wettbewerber steht. Je komplexer dabei die Applikationslandschaft in Unternehmen ist, desto höher sei die Chance der IBM, im Portalgeschäft die Oberhand zu behalten, urteilt die Meta Group. Der Trick: Ohne die unterliegende Geschäftslogik selbst anbieten zu müssen, habe IBM mit dem Portal den Link zum Endanwender geschaffen.

Die wichtigste Strategie ihres Angriffs auf die Siebels, SAPs, Peoplesofts, Oracles etc. dieser Welt sei aber IBMs Dienstleistungstruppe und der Kauf der Pricewaterhouse-Beratung. Big Blue habe hier sehr viel investiert, um hausintern Experten auf den unterschiedlichsten Anwendungsfeldern auszubilden oder solche Leute anzuwerben. Heute gebe es bei der IBM zu allen wichtigen kommerziellen Anwendungen eine große Zahl von Fachleuten.

Patente - seit Jahren Spitze

Wer die Potenziale des Unternehmens IBM einschätzen will, sollte last, but not least nicht vergessen, dass die Palmisano-Company Jahr für Jahr mit schöner Regelmäßigkeit die Liste der Patentanmeldungen anführt. Gerade erst hat das US Patent and Trademark Office (PTO) das Jahr 2003 resümiert. IBM reichte mit 3415 Patenten mit weitem Abstand die meisten Warenzeichenanmeldungen ein. Mehr als 1400 der IBM-Erfindungen stammen aus dem Softwaresegment. Canon, Zweitplazierter unter den erfindungsreichen Unternehmen, legte lediglich 1992 Patente vor.

Damit die Geistesblitze nicht zu reinen Elfenbeinturmgespinsten verkommen, wie etwa Forrester Research warnt, sondern in marktreife Produkte münden, hat Palmisano allen Geschäftsbereichen verordnet, ihre besten Ideen einmal im Jahr zu präsentieren und deren Marktrelevanz darzustellen. Der Firmenchef will damit seine Mitarbeiter nicht kontrollieren lassen, sondern ihre Kreativität fördern.

Glaubt man Bob Djurdjevic, Analyst bei Annex Research, werden all diese Qualitäten allein IBM trotzdem nicht helfen, in Zukunft weiter zu wachsen. Sein Rat an den Giganten lautet: Kaufen, kaufen, kaufen. Nur über Akquisitionen könne Big Blue noch expandieren. Geld dafür hat das Unternehmen: Die Cash-Vorräte wuchsen von sechs Milliarden Dollar 2002 auf 7,6 Milliarden Dollar Ende 2003.

Jan-Bernd Meyer, jbmeyer@computerwoche.de

Was IBM gekauft hat

- Mai 2003: Think Dynamics

- Februar 2003: Rational Software

- November 2002: Tarian Software

- Oktober 2002: EADS Matra Division

- Oktober 2002: Pricewaterhouse-Coopers

- September 2002: Holosofx

- September 2002: Access 360

- August 2002: Trellisoft

- Juni 2002: Metamerge

- Januar 2002: Crossworlds Software

- Juli 2001: Datenbanktechnik von Informix

- April 2001: Mainspring

(Auswahl)

Abb: IBMs Bilanz 2003 kann sich sehen lassen

Im abgelaufenen Jahr 2003 haben fast alle Produktsegmente Zuwächse verzeichnen können. Quelle: IBM