IBM: Speicherrekord mit Nano-Lochkarten

11.06.2002
Mithilfe von Nanotechnik ist es IBM-Forschern gelungen, 1 Terabit pro Quadratzoll zu speichern. "Millipede", so der Name des Projekts, soll damit aber erst am Anfang stehen.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Eine kleine Sensation gibt es aus der Grundlagenforschung von IBM zu berichten. Mithilfe von Nanotechnik hat der Konzern im Rahmen seines in Zürich beheimateten Projekts "Millipede" eine Art mikroskopisch kleiner Lochkarte entwickelt, auf der sich bis zu ein Terabit (eine Billion Bits) auf einem Quadratzoll speichern lässt. Diese Speicherdichte ist über zwanzig Mal höher als bei neuester am Markt erhältlicher Magnetspeichertechnik.

Um die Kapazität einmal zu verdeutlichen: 1 Terabit entspricht in etwa 25 Millionen Buchseiten oder dem Inhalt von 25 DVDs (Digital Versatile Disks). Millipede benutzt Tausende feinster Spitzen, um winzige Vertiefungen in einen dünnen Kunststofffilm zu prägen. Der oben getätigte Vergleich mit der guten alten Lochkarte hinkt allerdings insofern, als sich die auf der Skala von Nanometern geprägten Strukturen überschreiben und auch löschen lassen.

Das Ende der Fahnenstange in diesem Bereich sei noch keineswegs erreicht, so IBM. "Da Nanometer-scharfe Spitze einzelne Atome adressieren können, sind Verbesserungen weit über den Terabit-Meilenstein hinaus möglich", erklärt Nobelpreisträger Gerd Binnig, eine der treibenden Kräfte hinter dem Millipede-Projekt. "Während die heute eingesetzten Speichertechnologien allmählich an fundamentale Grenzen stoßen, steht unser nanomechanischer Ansatz erst am Anfang und hat ein Entwicklungspotenzial für tausendfach höhere Speicherdichte."

Serienreife in Aussicht

Die aktuelle Terabit-Dichte erreichten die Züricher IBM-Forscher mit nur einer einzigen Silizium-Spitze. Die damit geprägten Vertiefungen haben einen Durchmesser von nur 10 Nanometer. Die Funktionstüchtigkeit des Konzepts hat IBM eigenen Angaben zufolge aber bereit mit einem experimentellen Speicherchip mit mehr als 1000 Spitzen erprobt. Derzeit werkeln die Wissenschaftler am Prototyp eines kompletten Speichersystems. Dieses soll bereits im kommenden Jahr betriebsbereit sein und dann beweisen, dass die Technik die praktischen Anforderungen an ein marktfähiges Produkt erfüllen kann.

Das geplante System arbeitet mit über 4000 Spitzen. Diese sind in einem winzigen Quadrat mit sieben Millimeter Kantenlänge angeordnet. Mit diesen Ausmaßen ließen sie sich im kleinsten derzeit erhältlichen Flash-Speicher-Formfaktor unterbringen. Während Flash aus Sicht der IBM in absehbarer Zeit die Kapazität von 1 bis 2 GB nicht übersteigen wird, könnte die Millipede-Technik bei gleicher Fläche und gleichem Energieverbrauch Kapazitäten von 10 bis 15 GB erreichen. Handys, PDAs und Armbanduhren könnten so mit enormer Speicherkapazität ausgestattet werden.

Millipede-Projektleiter Peter Vettiger kann sich aber auch schon weitere Einsatzbereiche vorstellen. "Andere mögliche Anwendungen sind beispielsweise Lithographie im Nanometerbereich, mikroskopische Abbildungen von relativ großen Bereichen oder atomare und molekulare Manipulation."

Wen's interessiert: Technische Details

Das Kernstück der Millipede-Technik ist laut IBM eine zweidimensionale Anordnung V-förmiger Silizium-Federzungen (Cantilever), die 0,5 Mikrometer (Tausendstel Millimeter) dick und 70 Mikrometer lang sind. Jede dieser "Zungen" besitzt an einem Ende eine weniger als 2 Mikrometer hohe Spitze. Beim aktuellen Stand der Technik sind auf einem Quadrat von drei Millimetern Kantenlänge 1024 (32 x 32) solche aus Silizium geätzte Zungen angebracht.

Die Millipede-Cantilever in extremer Vergrößerung.

Jede einzelne davon lässt sich über Zeitmultiplexing-Elektronik, wie sie in ähnlicher Art in DRAM-Chips verwendet wird, im Parallelbetrieb einzeln adressieren. Eine ausgefuchste Mechanik sorgt für exakte Ausrichtung der Schreibspitzen und Stoßdämpfung. Das Substrat mit dem Speichermedium wird über elektromagnetische Aktuation in X- und Y-Richtung bewegt; jede Spitze schreibt dabei in ihrem Speicherfeld von 100 Mikrometer Seitenlänge. Die kurzen Distanzen tragen IBM zufolge wesentlich zum geringen Energieverbrauch bei.

Beim Lesen, (Über-)Schreiben und Löschen haben die Spitzen Kontakt zu dem nur wenige Nanometer dicken Polymerfilm. Ein Bit wird dadurch geschrieben, dass der im Cantilever integrierte Widerstand auf (typischerweise) 400 Grad Celsius aufgeheizt wird. Die Spitze weicht dann das Polymer auf, sinkt ein und hinterlässt ein Vertiefung. Zum Lesen kühlt sich die Spitze auf 300 Grad ab; das Polymer weicht dabei nicht mehr auf. Fällt die Spitze in eine vorhandene Vertiefung, kühlt sich der Widerstand aufgrund besserer Wärmeableitung leicht, aber messbar ab.

Zum Überschreiben werden versetzte Vertiefungen aufgebracht, der äußere Ränder die früheren Löcher überdecken. Im IBM-Labor wurden bereits mehr als 100.000 Schreib- und Überschreibzyklen erreicht. Die Technik eignet sich Big Blue zufolge deswegen auch für einen wieder beschreibbaren Speichertyp. Der aktuelle 3-Quadratmillimeter-Versuchschip erreicht eine Speicherdichte von 200 Gigabit pro Quadratzoll und eine potenzielle Kapazität von 0,5 Gigabyte. Die nächste Generation bringt auf sieben Millimeter im Quadrat 4096 (64 x 64) Spitzen unter.

Zurzeit liegt die Schreib- und Lesegeschwindigkeit allerdings noch im Bereich von Kilobit pro Sekunde und damit bei 1000 Spitzen bei wenigen Megabit/s. Schnellere Elektronik soll hier künftig weit höhere Datenraten ermöglichen. Im Konzernlabor im kalifornischen Almaden will IBM bereits vor einigen Jahren Datenraten von 1 bis 2 Megabit pro Sekunde erreicht haben. Stark abhängig vom Durchsatz ist der Energieverbrauch. Bei wenigen Mbit/s dürfte Millipede demnach mit unter 100 Milliwatt auskommen, was in etwa auf Flash-Niveau und deutlich unter der Bedarf magnetischer Speicherung liegt.

In der Juni-Ausgabe der "IEEE Transactions on Nanotechnology" finden sich detaillierte Informationen zum aktuellen Stand der Millipede-Forschung. (tc)