Stuttgarter nach Flop im Personal-Computer-Geschäft unter Erfolgsdruck:

IBM geht neue Märkte mit Spezialvertrieb an

20.01.1984

STUTTGART - Mit "zweistelligen Zuwachsraten" hat die IBM Deutschland GmbH eigenen Angaben zufolge 1983 erstmals mehr als zehn Milliarden Mark Umsatz einfahren können. Zusammen mit dem vorläufig noch nicht näher bezifferten Jahresergebnis gaben die Stuttgarter jetzt eine "Reorganisation" ihrer Vertriebsorganisation bekannt. Demnach werden, zwei Jahre nach der Einführung eines kundenorientierten Gesamtvertriebs, Schwerpunkte wie Personal Computer, Bildschirmtext und Telekommunikation ausgegliedert und zu einem Marketingbereich "Neue Märkte" unter der Leitung von Geschäftsführer Karl E. Michel zusammengefaßt (siehe auch Kolumne, Seite 9).

Der Geschäftserfolg im letzten Jahr dürfte die IBM in der Topliste der größten bundesdeutschen Unternehmen wieder ein erhebliches Stück nach vorn tragen. Beabsichtigt der Marktführer, das detaillierte Ergebnis erst bei seiner Bilanzpressekonferenz am 12. April bekanntzugeben, so beurteilen IBM-Insider das Resultat schon jetzt betont kritisch. Die GmbH habe zwar bei ihren Auslandsumsätzen wieder kräftig zugelegt, im Inlandsgeschäft aber nicht den erwarteten Zuwachs erzielt. Dabei sei zu bedenken, daß die Stuttgarter konzernpolitisch als Vertriebsgesellschaft mit einer rein inaktiven Exportstrategie gelten und somit nur indirekt Einfluß auf die Ausfuhr von Equipment an andere Konzernschwestern ausüben können.

Das Geschäft in neuen Wachstumsmärkten, wie etwa bei Personal Computern (PC), ist dem Vernehmen nach unbefriedigend ausgefallen (siehe auch CW Nr. 1/2 vom 5. Januar 1984). Hat sich die amerikanische Muttergesellschaft in diesem explosiven Markt bereits etabliert und die gesamte US-Konkurrenz an die Wand gespielt, so blieb der Erfolg bei der GmbH bislang aus. Wie es heißt, rangiert die GmbH als zweitgrößte Auslandstochter bei der PC-Vermarktung gar auf einem der hinteren Ränge unter den IBM-Gesellschaften. Spekulation bleibt vorerst, ob die Stuttgarter die von Armonk weltweit angepeilten Zuwachsraten von 14 Prozent (diese Zahl wollen Marktforscher der International Data Group in Erfahrung gebracht haben) in 1983 erreicht haben. Im Vorjahr war der Gesamtumsatz noch um 15,7 Prozent auf 9,135 Milliarden Mark gestiegen.

Als "herausragende Ergebnisse" für den Geschäftsverlauf des letzten Jahres hebt die IBM in einer Presseverlautbarung, neben der Einführung des Personal Computers auch die Auslieferung der ersten Highend-Prozessoren 3084 sowie die ersten Extended-Architecture-Installationen (XA) hervor. Doch diese Absatzbereiche können nach Ansicht von Kennern der Stuttgarter DV-Szene keineswegs die Säule des 10-Milliarden-Umsatzes gewesen sein: Sollte die GmbH tatsächlich 10 000 Einheiten verkauft haben, Eingeweihte sprechen von höchstens 7000, so ergebe sich auf der Grundlage eines durchschnittlichen Systempreises ein Umsatz von höchstens 120 Millionen Mark. Ebenso mager sehe es bei den erst seit Herbst verfügbaren 3084-Systemen aus. PCM-Marktbeobachter zählen bislang fünf Installationen. Bei einem Preis von rund 15 Millionen Mark für eine 32-Megabyte-Version belaufen sich die Einnahmen auf etwa 75 Millionen Mark. Furore gemacht hat die IBM hierzulande indes mit etwa 30 bis 40 XA-Auslieferungen. Bei jährlichen Einnahmen von 100 000 bis 150 000 Mark für eine Installation ergibt sich jedoch nur ein maximaler Umsatz von fünf Millionen Mark. Zum Vergleich: Ein System 3081 K kostet mit 16 Megabyte rund acht Millionen Mark. Das Ergebnis dieser drei Absatzbereiche ergibt zusammen somit einen Anteil am Gesamtumsatz von rund 20 Prozent.

Da die IBM nach eigenen Angaben zahlreiche XA- und 3084-Bestellungen für das laufende Geschäftsjahr vorliegen hat, dürfte die Kurskorrektur innerhalb der Vertriebsorganisation vor allem unter dem Druck zu einer erfolgreichen PC-Vermarktung erfolgt sein. Wie IBM-Kenner wissen wollen, bekamen die Stuttgarter von den Amerikanern für 1984 eine Absatzvorgabe von 65 000 Geräten aufgedrückt.

Die Aufteilung der neu strukturierten Unternehmenszweige gibt dennoch selbst renommierten EX-IBM-Managern Rätsel auf. So übernimmt Karl E. Michel, Geschäftsführer und bisheriger Leiter des gesamten Marketings der IBM, jetzt neben seinem Ressort"Neue Märkte" auch die Verantwortung für den neu strukturierten Informationsservice, die Industrieroboter, die biomedizinischen Systeme, das Programm-Entwicklungszentrum sowie den technischen Außendienst. Eine derartige Anhäufung von Kompetenzen soll nach Ansicht von Eingeweihten den Eindruck erwecken, man habe Michel nicht aufs Abstellgleis geschoben,nachdem er über mehr als zwei Jahre die unter Sparberg strategisch wichtigste Position innehatte.

Dabei ist der Bereich "Neue Märkte" innerhalb der IBM keineswegs eine völlig neue Institution. Mit vergleichbaren Funktionen war vor der Neustrukturierung bereits der Generalbevollmächtigte und Sparberg-Zögling Bernhard Dorn ausgestattet.

Unter dem Arbeitstitel "Vertrieb Neu" (VN) beackerte Dorn PC-und Btx-Märkte sowie das Gebiet der Telekommunikation. Dorn bewegte sich auf der gleichen hierarchischen Ebene wie Hans Kohn, der, ebenfalls unter Michel angesiedelt, dem Absatzzweig "Vertrieb Projekte" (VP) vorstand, jetzt aber in die Etage seines Ex-Chefs aufrückte.

Kohn steht nun dem Geschäftsbereich "Vertrieb Informationssysteme" vor, der als eigentlicher Umsatzträger der GmbH gilt. Mit dem erst 47jährigen Ex-Assistenten von IBM-Häuptling John R. Opel gelangt eine neue Managergeneration ans Ruder der Stuttgarter Deutschlandzentrale. Wie von offizieller Stelle zu erfahren ist, will die IBM mit dieser "Wachablösung" erreichen, daß ein erfahrener Manager (Michel) die neuen Wachstumsmärkte mit verstärktem Engagement angehen und ein begabter Newcomer (Kohn) die traditionellen Märkte weiter vorantreiben soll. Ob Sparberg aber insbesondere mit dem 53jährigen Michel auf das richtige Pferd gesetzt hat, ist unter IBM-Analysten umstritten. In Stuttgart halte sich das Gerücht, der altgediente Marketier wolle sich vorzeitig in den Ruhestand begeben.