"Handelsblatt"

IBM Deutschland könnte tausende Jobs "verflüssigen"

01.02.2012 von Joachim Hackmann und Thomas Cloer
IBM plant in Deutschland einem Pressebericht zufolge einen Job-Abbau im großen Stil, bei dem von 20.000 Arbeitsplätzen rund 8000 auf der Strecke bleiben könnten.
Eingang der Deutschland-Zentrale der IBM in Ehningen bei Stuttgart
Foto: IBM

Das sogenannte "Liquid"-Programm mache aus festen Jobs freie Tätigkeiten, berichtet das "Handelsblatt". Demnach wird in der hiesigen Landesgesellschaft des amerikanischen IT-Konzerns mittelfristig eine hohe vierstellige Zahl an Stellen verloren gehen. Aktuell beschäftigt das Unternehmen in Deutschland rund 20.000 Mitarbeiter. Die Zeitung beruft sich auf Quellen aus den obersten Führungsgremien. Dort gehe man davon aus, dass auf längere Sicht bis zu 8000 Stellen verloren gehen könnten. IBM wollte zu den konkreten Zahlen keine Stellung nehmen.

IBM wolle Projekte künftig viel stärker als bislang extern ausschreiben, heißt es weiter. Damit würden künftig Freelancer immer mehr Aufgaben übernehmen, die bislang von festangestellten IBM-Mitarbeitern erledigt wurden. Liquid sei ein weltweites Programm und Deutschland eines der Pilotländer. Gleichzeitig würden bei IBM in Deutschland derzeit die Zuständigkeiten neu sortiert und beispielsweise in der Beratung neue Kompetenz-Center errichtet, was laut Unternehmens-Insidern weitere Stellen kosten wird.

Gegenüber der COMPUTERWOCHE verwies ein Sprecher von IBM Deutschland auf die "IBM Policy" in solchen Fällen. Man kommentiere Gerüchte und Spekulationen generell nicht.

Der Abbau der Festanstellungen bei IBM Deutschland soll dem "Handelsblatt"-Bericht zufolge sukzessive und nicht über die üblichen Mittel eines Sozialplans geschehen. "Es gibt keinerlei Anträge über Sozialplanverhandlungen oder entsprechende Sozialtarifverträge", zitiert das Blatt Bert Stach, Verhandlungsleiter von Verdi bei den Tarifgesprächen mit IBM sowie Mitglied des Aufsichtsrats der deutschen IBM. Verdi werde mit seinen Mitgliedern dafür sorgen, dass die Mitbestimmung gewahrt bleibe, und sich massiv für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzen, so Stach weiter.

Alles muss flexibler werden

Rüdiger Spies, IBM: "Die Kosten für deutsche Arbeitnehmer sind enorm hoch."
Foto: IDC

Für IBM-Kenner Rüdiger Spies, Vice President bei IDC Central Europe, fügt sich der Plan in die Flexibilisierungs-Bestrebungen der vergangenen Jahre ein. Angefangen habe der Konzern vor geraumer Zeit damit, die festen Arbeitsplätze der Mitarbeiter aufzulösen, heute habe kaum noch ein IBMer einen eigenen Schreibtisch. "Die Flexibilisierung der Arbeitsverträge ist ein weiterer, konsequenter Weg in diese Richtung", beschreibt er die Hintergründe. Alles folge zudem dem Margenziel, dem sich IBM gegenüber den Investoren verpflichtet hat. Der Finanzindustrie wurde für das Jahr 2015 ein Gewinn von 15 Dollar pro Aktien in Aussicht gestellt. Dazu habe man bereits Entwicklungs- und Support-Aufgabe in Offshore-Länder verlagert und Backoffice-Dienste etwa für Finance- und Accounting nach Osteuropa vergeben. "Doch die Kosten für deutsche Arbeitnehmer sind nun einmal sehr hoch", beobachtet Spies. Zur finanziellen Belastung entwickele sich zudem die IBM-Rente, die den Konzern insbesondere in Deutschland künftig mehr und mehr belasten werde.

Das dürfte auch einer der Gründe dafür sein, dass IBM das Pilotprojekt zur Flexibilisierung gerade hierzulande startet. Der Standort Deutschland hat traditionell ein sehr hohes Lohnniveau und feste Arbeitsverträge. Schon in den vergangenen Jahren hat IBM Bemühungen für eine "atmende Organisation" gestartet, die in schlechten Zeiten weniger Mitarbeiter in Festanstellung beschäftigt und sich in guten Zeiten am Freiberufler- und Offshoring-Markt um Aushilfe bemüht. Dieser Weg wurde im sehr konjunkturanfälligen Projektgeschäft von nahezu allen IT-Dienstleister eingeschlagen und dürfte in den kommenden Jahren noch intensiver zu beobachten sein. Ausschlaggebend für lose Beschäftigungsverhältnisse im Projektgeschäft dürften auch die sich wandelnden Anforderungen der Anwender sein. Sie richten sich immer mehr auf Standardlösungen etwa aus der Cloud oder von Softwarehersteller ein. Der Markt für große Integrationsvorhaben schrumpft, der Trend geht zu kleinen Spezialprojekten.

Pilotprojekt in Deutschland

Doch möglicherweise wurde Deutschland noch aus einem weiteren Grund für das Pilotprojekt für mehr Flexibilität ausgewählt. IBM hat sich in den vergangenen Jahren immer in Länderorganisationen mit Problemen experimentierfreudig gezeigt. Anfang der 90iger Jahre startete der Konzern etwa in Großbritannien ein Erneuerungsprogramm, nachdem die Niederlassung in wirtschaftliche Bedrängnis geraten war. Dort probte man den flexiblen Arbeitsplatz und das Ausgliedern von Sparten in eigenständige Geschäfteinheiten, anfangs mit erheblichen Problemen und hoher Fluktuation. Die gewonnenen Erfahrungen nutzte IBM später, um das Modell weltweit einzuführen. Ob ähnliche Gründe auch in den aktuellen Plänen eine Rolle gespielt haben, ist offen. IBM nennt grundsätzlich keine auf Länder bezogenen finanziellen Eckdaten, die Branche munkelte aber schon seit längerem über Schwierigkeiten der deutschen Dependance.

Verdi-Verhandlungsleiter Stach dementiert das jedoch: "IBM hat im vergangenen Jahr einen deutlichen Gewinn und eine ordentliche Marge gemacht. Es wäre falsch, zu behaupten, IBM habe wirtschaftliche Probleme", sagte er gegenüber der COMPUTERWOCHE. Auch für Stach sind die nun öffentlich gewordenen Pläne Teil eines langfristig angelegten Programms, feste Arbeitsverhältnisse durch einen Pool an Freelancern zu ersetzen. Das ist nicht neu, diesbezügliche Überlegungen gibt es offenbar seit Jahren innerhalb der Organisation. "Wir sind uns sicher, dass irgendetwas derartiges passieren wird, über Ausmaß und Zeitpunkt wurden wir bislang nicht informiert", kommentierte er die bislang nicht bestätigten Meldungen. "Es wird Zeit, dass die Geschäftsleitung für Klarheit und Ruhe sorgt."