IBM - der heimliche Softwareriese

30.03.2005 von Martin Bayer
Neben der Integration der zahlreichen Zukäufe müssen sich Big Blues Softwerker auch noch mit dem Umbau des gesamten Produktportfolios herumschlagen.

Hier lesen Sie ...

  • welche Softwarestrategie IBM mit ihren Akquisitionen verfolgt;

  • was für Aufgaben der Softwarechef von Big Blue noch meistern muss;

  • warum es Kunden immer schwerer fällt, IBMs Vision zu folgen.

Der Einkaufszettel IBMs für den Softwaremarkt ist lang. Seit 2001 hat der weltgrößte IT-Anbieter 22 Firmen geschluckt. Spektakuläre milliardenschwere Übernahmen wie die von Rational, Informix oder kürzlich Ascential wechselten mit vielen kleineren Deals, deren finanzielle Details die Verantwortlichen nicht verraten wollen.

In diesem Jahr meldete IBM bislang drei Zukäufe. Nach Systems Research & Development und Corio landete zuletzt Ascential Software im Einkaufskorb der IBM. Rund 1,1 Milliarden Dollar in bar ließen sich die Armonker den langjährigen Partner und Spezialisten für ETL (Extraktion, Transformation und Laden von Daten) kosten.

Im Mittelpunkt von IBMs Softwarestrategie steht der Middleware-Stack rund um "Web- sphere", erläutert Andreas Tuerk, Vice President SMB & Channel der IBM Software Group in Europa. Mit den Zukäufen komplettiere IBM sein Produktportfolio. Dies geschehe an Stellen, an denen eine Eigenentwicklung zu lange dauern würde beziehungsweise nicht möglich sei. "Wir wollen organisch wachsen. Es geht nicht darum, Wachstum zu kaufen."

Ascential soll in IBMs Softwaresparte "DB2 Information Management" integriert werden. Damit werde eine Lücke im Portfolio geschlossen, erläutert Janet Perna, Leiterin dieser IBM-Sparte. Zwar verfüge IBM mit dem "Warehouse Manager" über ein eigenes ETL-Werkzeug im DB2-Umfeld, ein Tool für komplexe ETL-Prozesse und die Bewegung größerer Datenmengen habe dagegen bislang gefehlt.

Analysten loben IBMs Akquisitionspolitik als stimmig. So gebe zum Beispiel der Deal zwischen IBM und Ascential so viel Sinn, dass er eigentlich überfällig gewesen sei, urteilt Ian Wesley von Ovum. Die Übernahme sei die logische Konsequenz der jahrelangen Zusammenarbeit, ergänzt sein Analystenkollege Ted Friedman von Gartner. Damit erweitere IBM sein Integrationsangebot und werte seine Middleware-Plattform Websphere deutlich auf.

Probleme mit der Integration der zahlreichen Zukäufe scheint Big Blue nicht zu haben. Offenbar wurden Konsequenzen aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen. So hatten Marken wie Lotus und Tivoli noch vor wenigen Jahren ein Eigenleben innerhalb von IBMs Softwaresparte geführt. Darunter litt die angestrebte einheitliche Strategie. Ankündigungen wie beispielsweise ein J2EE-Server in "Domino" wurden gemacht und wieder zurückgezogen. Die Folge waren Ärger und Verunsicherung unter den Kunden.

Marken wie Lotus und Tivoli hatten noch vor wenigen Jahren ein Eigenleben innerhalb von IBMs Softwaresparte geführt.

"Ich will keine Subunternehmen", zog IBMs Softwarechef Steve Mills einen Schlussstrich unter diese Entwicklung. Unternehmen, die Big Blue kaufe, würden vollständig integriert. Mills favorisiert dabei eine schnelle Gangart. Tivoli und Lotus habe man gestattet, über einen gewissen Zeitraum hinweg unabhängig zu arbeiten, räumt der seit Juli 2000 amtierende Softwarechef ein. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass eine zügige Integration vorteilhafter sei.

Mills muss eine möglichst nahtlose Integration der verschiedenen Software-Divisions noch aus einem weiteren Grund vorantreiben: IBMs Softwareabteilung arbeitet seit geraumer Zeit an einem grundlegenden Umbau der Sparte. Ziel ist es, die Entwicklung effizienter zu machen. Dazu sollen die einzelnen Einheiten ihre Produkte stärker modularisieren. Diese Komponenten sollen sich dann in anderen Produkten wiederverwenden lassen.

"IBM will Synergieeffekte besser nutzen", erklärt Danny Sabbah, Vice President des Bereichs Strategy and Technology innerhalb der Software Group. Dazu habe man die Entwicklungsressourcen über die Markengrenzen hinweg gebündelt. Dieser Wechsel werde mittlerweile seit rund eineinhalb Jahren betrieben. Erste Ergebnisse seien bereits sichtbar. So würden Websphere-Komponenten in über 150 verschiedenen IBM-Softwareprodukten verwendet.

Big Blue habe auf diesem Weg gute Fortschritte gemacht, bescheinigt Mike Gilpin, Analyst von Forrester Research, IBMs Softwareverantwortlichen. Die Aufspaltung der verschiedenen Softwareblöcke in kleinere Module erlaube es IBM ferner, seine Produkte künftig im Sinne einer Service-orientierten Architektur (SOA) als einzelne Services anzubieten. Kunden könnten sich so "on demand" eine auf ihre individuellen Bedürfnisse ausgerichtete Middleware-Plattform zusammenstellen.

Gute Geschäfte mit Software

IBMs Softwarerechnung geht bislang auf. Während andere Bereiche wie beispielsweise das Hardware-Business in den vergangenen Jahren öfter ins Trudeln gerieten, steigerte die Software-Division stetig Umsatz und Gewinn. Im zurückliegenden vierten Quartal 2004 meldete die Sparte einen Umsatz von 4,55 Milliarden Dollar (16,5 Prozent der Gesamteinnahmen) sowie einen Profit von 1,7 Milliarden Dollar vor Steuern - das entspricht über 40 Prozent des gesamten Vorsteuergewinns des IT-Riesen. Über die vergangenen Jahre hinweg wuchs der Softwareumsatz von 12,6 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 15,1 Milliarden Dollar. Das operative Ergebnis verbesserte sich im gleichen Zeitraum von 2,8 auf 4,5 Milliarden Dollar.

"Das wird jedoch keine leichte Aufgabe", warnt Gilpin. Die Zeiten, in denen IBM mit Websphere hauptsächlich einen Application Server und mit DB2 eine relationale Datenbank verkaufte, lägen weit zurück. Heute machten unzählige Produkte und Funktionen IBMs Softwarelandschaft komplex und verdeckten die dahinter stehende Vision. Die Softwareliste auf IBMs Website umfasst 220 Einträge. Den Anwendern falle es zunehmend schwer, den Durchblick zu behalten.

IBM müsse daran arbeiten, seine Kunden mit einer klaren Produktstrategie bei der Stange zu halten, fordert sein Forrester-Kollege John Rymer. Nach wie vor seien die meisten Kunden an konkreten Produkten interessiert. On demand sei zwar als übergeordnetes Konzept nett anzuhören, Kunden bräuchten jedoch handfeste Informationen über die Vorteile der Einzelprodukte. Auch intern müsse IBM noch einige Probleme lösen. Rymer berichtet von Kunden, die darüber klagten, einige der von IBM gelieferten Produkte weder zu verstehen noch wirklich zu brauchen. Ob dies mit Absicht oder aus Unwissenheit geschehen sei, ließ der Analyst offen.

Service für komplexe Software

Tatsächlich gibt es Kritiker, die dahinter Methode vermuten. Wenn die Produkte komplex genug seien, könne IBM mit seiner Dienstleistungssparte zu Hilfe eilen und zusätzlichen Umsatz generieren. "Das Softwaregeschäft funktioniert als Türöffner für das Servicegeschäft", sagt auch Andreas Zilch, Analyst von Techconsult.

Auch von Seiten der Wettbewerber drohe IBM Gefahr, prognostiziert Zilch. Zwar habe das Unternehmen einen technischen Vorsprung von etwa zwei Jahren, doch Konkurrenten aus dem Applikationslager, denen IBM mit seinem Rückzug aus dem Anwendungsgeschäft bereits seit Jahren aus dem Weg geht, drängen seit einiger Zeit verstärkt in das Middleware-Business.

Weitere Übernahmen stehen an

Für IBM-Manager Tuerk stellen die in das Integrationsgeschäft drängenden Applikationsanbieter keine Gefahr dar. Als Marktführer werde man immer von einer Horde Verfolger getrieben. Tuerk zufolge hat IBM noch einen beruhigenden Vorsprung und werde weiter in die Entwicklung der eigenen Plattform investieren. Übernahmen scheinen dafür ein probates Mittel. Analysten gehen davon aus, dass der IT-Riese seine Akquisitionsfrequenz halten, wenn nicht sogar erhöhen wird. Welches Softwareunternehmen wird sich wohl als nächstes im Portfolio von Big Blue wiederfinden?