IBM-Beratungschef Jetter: "IT- und Strategieberatung gehen Hand in Hand"

21.03.2005
Mit Martin Jetter, Geschäftsführer der IBM Deutschland und Leiter des Bereichs IBM Business Consulting Services für Zentraleuropa, sprach CW-Redakteur Christoph Witte über die Herausforderungen im deutschen Service-Markt.

CW: Wie entwickelt sich der IT-Service-Markt in Deutschland weiter?

JETTER: Unsere Kunden sind immer schnelleren Veränderungen ausgesetzt, auf die auch die IT reagieren muss. Das führt dazu, dass sie in die Lage versetzt werden müssen, flexibel mit der IT umzugehen - sprich auf Über- und Unterkapazitäten schnell reagieren zu können. Die Serviceantwort der IBM auf diese Anforderungen lautet schon seit einigen Jahren E-Business on Demand. Doch mit dem Angebot allein ist es nicht getan, auch unsere Kunden müssen ihre Organisation und ihre Abläufe flexibilisieren, wenn sie wiederum ihre Kunden besser versorgen wollen.

Martin Jetter: "Wir betrachten die Unternehmen ganzheitlich."

CW: Bedeutet das für IBM eine Weichenstellung in Richtung Strategieberatung?

JETTER: Unser Angebot hört nicht bei den IT-Services auf, sondern umfasst auch strategische Beratung. Wir haben ein Modell entwickelt, das dem Kunden hilft, sein Unternehmen in verschiedene Komponenten zu gliedern, um dann überlegen zu können, welche Aufgaben als Kernkompetenzen begriffen werden und welche nicht zum Kern gehören.

Mit diesem so genannten Component Business Model unterscheiden wir uns von der bislang vorherrschenden linearen "Prozesssicht" des Reengineerings. Statt Prozesse stehen, wie der Name schon sagt, nun klar voneinander abgegrenzte Komponenten bei der Analyse eines Unternehmens im Vordergrund. Die Abbildung eines Unternehmens in Komponenten erlaubt es, ähnlich wie bei der Entschlüsselung der menschlichen DNS, Doppelungen zu erkennen und zusammenzuführen, differenzierende von nicht differenzierenden Komponenten zu unterscheiden sowie die wechselseitigen Beziehungen zu erfassen. Gleichzeitig ist die Verflechtung "Mitarbeiter - IT" innerhalb der Komponenten bereits erfasst - so werden nur technisch auch umsetzbare Soll-Prozesse definiert.

Daran schließt sich die Frage an, wie mit den verschiedenen Aufgaben umgegangen wird: Welche das Unternehmen komplett selbst erfüllen will, welche nur teilweise und welche vollständig ausgegliedert werden.

Genau in diesem Umfeld ist ein neuer Markt entstanden, den wir als "Business Performance Transformation Services" kategorisieren.

CW: Sie verbinden diese strategische mit der IT-Beratung?

JETTER: Ja. Wir betrachten die Unternehmen ganzheitlich. Ist die Komponentisierung gedanklich abgeschlossen, können wir dem Kunden helfen, mit unseren Transformation Services seine Pläne auch umzusetzen. Und weil es heute praktisch keine Geschäftsprozesse mehr gibt, die ohne IT-Unterstützung auskommen, stellt man sich sehr schnell die Frage, wie man die Organisation optimal mit IT unterstützt.

IDC schätzt diesen Markt auf eine Größe von 1,4 Billionen Dollar, das Volumen der klassi-schen IT-Industrie liegt weltweit mit 1,2 Billionen Dollar sogar niedriger. Das für die IBM relevante Marktsegment schätzen wir auf 500 Milliarden Dollar und wir haben dort bereits im letzten Jahr drei Milliarden Dollar umgesetzt.

CW: Was ist der Unterschied zwischen Business Process Outsourcing und Business Perfor-mance Transformation Services?

JETTER: Business Performance Transformation Services umfassen viel mehr als Prozess-Out-sourcing. Das Angebot reicht von der hausinternen Optimierung beim Kunden bis hin zum Outsourcing. Die Verzahnung mit dem Kunden ist sehr viel enger und es setzt viel früher ein. Die Transformation Services beinhalten Strategy and Change-Beratung, Technologie- und Engineering Services und Softwareangebote sowie das Component Business Model. Zunächst werden die Komponenten definiert, dann überlegt man, was damit geschehen soll und legt schließlich fest, wie der entsprechende Prozess optimal ablaufen soll und von wem er betreut wird. Ganz bedeutend ist dabei, dass wir die Komponenten dann überführen können in ein ausführbares Modell.

Da werden dann ganz schnell Themen wichtig wie IT-Standards, Linux und Service Oriented Architectures. An dieser Stelle wird auch die Klammer deutlich zwischen dem Geschäft, dass ich verantworte - Business Consulting Services und dem Feld der Information Technology Services und dem Strategic Outsourcing, für das mein Kollege Rudolf Bauer zuständig ist. Auf diese Weise sind wir in der Lage, den Kunden strategisch zu beraten und gleichzeitig können wir bei Bedarf die Prozesse für den Kunden betreiben.

Martin Jetter: "Der Wettbewerbsdruck nimmt für unsere Kunden weiter zu."

CW: Zielen Sie mit diesen Angeboten nur auf Großunternehmen?

JETTER: Nein. Rund 70 Prozent der Beschäftigten arbeiten in mittelständischen Unternehmen. Von daher ist dieser Markt für uns genauso interessant wie der der Großunternehmen. Allein auf der CeBIT haben wir mit unseren Partnern 60 Lösungen für den Mittelstand gezeigt.

CW: Bis heute sind deutsche Unternehmen in Sachen Outsourcing sehr zurückhaltend. Was macht Sie so sicher, dass ihre Kunden diese noch weiter gehenden Services annehmen werden?

JETTER: Mit Business Performance Transformation Services werden die Kunden umfassender beraten. Wir sind sehr zuversichtlich, dass der Markt unser Angebot annehmen wird. Der Wettbewerbsdruck nimmt für unsere Kunden weiter zu. Das gleiche gilt für die Globalisierung und die Volatilität der Märkte. Deshalb erwarten wir einen massiven Trend zur Flexibilisierung bisheriger Fixkosten. Die großen Blöcke an Fixkosten sind einfach nicht mehr leistbar, weil die Märkte die Leistungen unserer Kunden aufgrund der hohen Volatilität nicht mehr permanent und gleichmäßig abnehmen. Mit unseren Services erhöhen sie einerseits ihre Reaktionsgeschwindigkeit und sie geben den Unternehmen die Möglichkeit, die Fixkosten zu reduzieren. Die so erzielten Einsparungen können unsere Unternehmen dann beispielsweise in Innovationen investieren.

CW: Sparen die Unternehmen denn überhaupt etwas? Die IBM lässt sich die Variabilisierung der Kapazitäten doch auch bezahlen, in dem sie beispielsweise ähnlich wie ein Stromlieferant die Spitzenkapazität höher bewertet als die Grundlast. Außerdem müssen die Kunden doch nach wie vor eine Grundlast in gewisser Höhe abnehmen.

JETTER: Wir essen ja auch unsere eigene Medizin. So haben wir beispielsweise in die Optimierung unserer Supply Chain in den letzten Jahren weltweit über sechs Milliarden Dollar investiert, unterm Strich aber durch viel bessere Performance dieses Prozesses elf Milliarden Dollar eingespart. Außerdem bieten wir mit den Business Performance Transformation Services auch flexible Preismodelle an, die sehr stark abhängen von den im Einzelnen bezogenen Leistungen. Sie können performance-abhängige Elemente einführen, wenn Sie also eine bestimmte Qualität wollen, zahlen sie entsprechend dafür. Zu diesen Services gehört natürlich auch die Flexibilität dessen, der es anbietet, damit er die entsprechend attraktiven Preismodelle dahinter legen kann.

CW: Das reicht also von rein transaktionsorientierten Abrechnungsmodellen bis hin zu Modellen, die fixe und variable Anteile in unterschiedlicher Ausprägung aufweisen?

JETTER: Ja, das kommt hier hinzu. [Nicht formatierte ZÜ??]

CW: Ich habe den Eindruck, dass es in aller Regel generische Prozesse wie Human Resources sind, die ausgelagert werden. Ändert sich das in Zukunft und welche Prozesse werden die ersten sein, bei denen sich das ändert?

JETTER: Wir haben sehr viele generische Prozesse im Markt - Help Desk zum Beispiel. Aber wir gehen auch da einen Schritt weiter. Beispielsweise haben wir in East Fishkill in der Nähe von New York eine Waferfabrik gebaut, die so viel Kapazität hat, dass wir dort auch Wafer für Dritte produzieren können. Für Infineon machen wir das beispielsweise schon. Solche industriespezifischen Prozesse wollen wir ebenfalls verstärkt anbieten. Und in der Hightech-Industrie liegt das auf der Hand, weil wir dort selbst zuhause sind.

CW: Das bringt natürlich auch der IBM zusätzliche Flexibilität.

JETTER: Klar, aber wir haben von Anfang an die Kapazität dieser Produktionsstätte so geplant, dass wir für Dritte fertigen können.

CW: Gibt es über den IBM-Beritt hinaus, Beispiele wo sie solche Prozesse transformiert und übernommen haben.

JETTER: Für die Dresdner Bank bereiten wir Marktdaten auf für das Risk-Management der Bank. Das ist eine vertikale Prozessthematik.

CW: Das läuft seit etwa einem Jahr und ist ja eher ein kleiner Prozess. Das zeigt doch auch, dass dieses Thema hier in Deutschland noch sehr tief in den Kinderschuhen steckt.

JETTER: Gerade in Deutschland beginnt das sukzessive. Business Performance Transformation Services sind außerdem nicht automatisch mit einer Auslagerung des Prozesses verbunden. Es gibt ja auch die Möglichkeit einen Prozess neu zu definieren und ihn dann von einem Shared Service Zentrum unterstützen zu lassen. Das setzen wir zum Beispiel mit den Finanzprozessen bei unseren Kunden Degussa oder Bayer um. Aber diese Art von Services hat immer einen strategischen Teil. Schließlich sehen sich viele Unternehmen einschlägigen Umfragen zufolge überhaupt nicht in der Lage, einem permanenten Veränderungsprozess standzuhalten, wie ihn die heutige Ökonomie fordert. Die Unternehmen wollen die Hilfe von Beratern, die sowohl strategisch agieren als auch ihre Probleme auf operationaler Ebene lösen können.

CW: Wächst den früheren Mitgliedern von PricewaterhouseCoopers (PwC) durch die strategischere Ausrichtung der Business Consulting Services ein Leitrolle in Ihrer Organisation zu?

JETTER: Wir haben natürlich die besten Talente aus allen Bereichen genommen und die bilden jetzt die Speerspitze, die sich jetzt um das Thema Business Performance Transformation Services kümmert.

CW: Betrachten die Verschmelzung von PwC mit der IBM-Organisation als abgeschlossen und wo lagen die größten Schwierigkeiten?

JETTER: Wir haben nicht alles miteinander integriert. Neben der Technologieberatung und dem Outsourcing-Geschäft gibt es in der Global Services das Business Consulting. Wir haben uns bemüht, das Beste aus beiden Welten zu behalten. Eine große Herausforderung war es sicher, zwei unterschiedliche Unternehmenskulturen miteinander zu verbinden. Auf der einen Seite das an Börse und Quartalsergebnissen schnell getaktete Unternehmen und auf der anderen Seite ein Unternehmen, dass durch eine Partnerschaftsstruktur geprägt ist. Aber da haben wir besonders hier in Deutschland in den letzten zwölf Monaten große Fortschritte gemacht.

CW: Schlägt sich die Integration mit PwC auch schon in Zahlen und in Zukunftsperspektive nieder?

JETTER: Absolut. Wir wachsen. Das ist keine Diskussion mehr.

CW: Stichwort Marktentwicklung: Was sind Dinge, die Ihrer Meinung nach den hiesigen Markt prägen werden?

JETTER: Der Bitkom hat für das laufende Jahr ein Wachstum von 3,4 Prozent vorausgesagt, getragen vom Ansteigen im Software- und Service-Segment. Neben dem, was ich bereits beschrieben habe, also eine stark steigende Nachfrage nach Transformation Services sehe ich auch einen gewissen Investitionsstau bei den Anwendern, der in diesem Jahr in einigen Feldern wie ERP oder CRM abgebaut wird.

Als IBM schauen wir sehr optimistisch auf den Service-Markt Deutschland. Allerdings sehen wir auch, dass sich der Markt sehr viel kurzatmiger verhält als noch vor ein paar Jahren.

Anwender schauen sehr genau auf den Bereich, in dem sie sich engagieren wollen. Die Projekte sind in der Regel zunächst kleiner geschnitten und die Kunden wollen praktisch immer einen hohen Return on Invest. Allerdings machen wir in einigen Bereichen auch wieder wirklich spannende Sachen. Neben dem immer aktuellen Thema Kostensenken tritt wieder häufiger die Frage auf, was IT für das Wachstum der Unternehmen tun kann.

CW: Wollen Sie sich mit den 3,4 Prozent Marktwachstum begnügen?

JETTER: Nein, eine IBM will immer schneller wachsen als der Markt. Aber der Markt ist immer noch sehr kurzatmig.

CW: Aber ist das nicht genau für die eher langfristig angelegten Dienstleistungen der IBM ein Problem?

JETTER: Entscheidend ist das Aufzeigen der Perspektive. Außerdem müssen Sie mit den Kunden Meilensteine vereinbaren, Teilprojekte realisieren und einen möglichst schnellen ROI bringen.