Desktop-Virtualisierung

Hype oder Realität?

06.12.2010 von Wolfgang Sommergut
Klassischer PC oder virtueller Desktop? Wir zeigen, wie die Realität in deutschen Unternehmen wirklich aussieht.

Die Zentralisierung der Windows-Clients im Rechenzentrum gilt als einer der großen Trends beim Desktop-Computing. Die Analysten von Gartner prognostizierten VDI-Lösungen (Virtual Desktop Infrastructure) für 2013 ein Marktvolumen von 65 Milliarden Dollar, das wären 40 Prozent des weltweiten Markts für professionell genutzte PCs. Mit dem Abflauen des Hypes mehren sich aber die Zeichen, dass einige Versprechen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und der technischen Möglichkeiten oft nicht gehalten werden können. Auch wenn die Zeichen für zentralistische Desktop-Modelle günstig stehen, lässt sich derzeit schwer absehen, welche Bedeutung sie tatsächlich erlangen können.

Für die Unklarheit ist auch verantwortlich, dass Desktop-Virtualisierung dank wirksamer Marketing-Tätigkeit von Citrix und VMware allgemein mit Server Hosted Virtual Desktops (auch VDI) gleichgesetzt wird. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Ansätzen, die ebenfalls beanspruchen, unter den Begriff Desktop-Virtualisierung gerechnet zu werden. Sie reichen von den etablierten Terminaldiensten über die Applikations- und User-Virtualisierung bis hin zu innovativen Modellen von Startup-Unternehmen.

Hindernisse für die Desktop-Virtualisierung

Mit dem anfänglichen Hype schürten die Hersteller hohe Erwartungen an die neuen zentralen Desktops. Je mehr Erfahrungen Unternehmen mit VDI sammeln, umso klarer zeichnen sich auch die Nachteile und Beschränkungen dieses Modells ab.

Kosten: Das in Aussicht gestellte einfachere Management zentraler Desktops diente als Argument für insgesamt niedrigere Kosten im Vergleich zu herkömmlichen PCs. Eine von Microsoft zitierte Studie kam zum Ergebnis, dass VDI im Schnitt neun bis elf Prozent teurer ist als eine gut gemanagte herkömmliche PC-Umgebung. Als Preistreiber entpuppen sich die hohen Anfangsinvestitionen im Rechenzentrum und die zusätzlichen Lizenzgebühren.

Eingeschränktes Benutzererlebnis: Trotz aller technischen Fortschritte bereiten anspruchsvolle Anwendungen wie etwa grafikintensive Programme oder Videos in zentralistischen Modellen immer wieder Probleme. Wissensarbeiter und anspruchsvolle, technisch versierte Anwender müssen in solchen Umgebungen mit einer weiteren Einschränkung ihrer Freiheiten rechnen.

Fehlende Offline-Fähigkeiten: Notebooks sind dabei, normale Bürorechner als meistgenutzte Arbeitsgeräte abzulösen. Das Arbeiten von unterwegs ist aufgrund fehlender Offline-Unterstützung eine der Achillesfersen von VDI. Client-Hypervisoren sollen diese Lücke künftig schließen.

Andere zentralistische Optionen: Für aufgabenorientierte Tätigkeiten haben sich Terminaldienste (plus XenApp) etabliert und bieten ähnliche Vorteile wie VDI bei geringeren Kosten. Hinzu kommen mit der Anwendungsvirtualisierung neue Konkurrenten wie App-V und ThinApp.

Taktischer Einsatz von virtuellen Desktops

Die Hoffnungen aller Anbieter richten sich insbesondere auf die fällige Migration auf Windows 7, die Firmen zum Anlass nehmen könnten, ihre Desktop-Strategie grundsätzlich zu überdenken. Statt einfach XP durch das neueste Betriebssystem zu ersetzen, könnten sie sich durchgängig für ein zentralistisches Modell entscheiden.

Viele Unternehmen befinden sich bereits in der Planungsphase für den Umstieg auf Windows 7, der den Erwartungen von Gartner zufolge 2011 und 2012 im großen Stil erfolgen wird. Dennoch zeichnet sich kein klarer Trend weg von herkömmlichen Client-Installationen und hin zu virtuellen Desktops ab. Wenn Unternehmen VDI einsetzen, dann in der Regel nur taktisch.

Erst kürzlich veröffentlichte Marktführer VMware eine Stellungnahme, aus der hervorgeht, dass die Desktop-Virtualisierung die Erwartungen des Herstellers noch nicht erfüllt. COO Tod Nielsen gab anlässlich des letzten Quartalsberichts zu, dass er weder eine technische noch eine wirtschaftliche Trendwende zugunsten von VDI erkennen könne.

Plattformen noch nicht ausgereift

VMware muss sich den Vorwurf gefallen lassen, einige Ankündigungen bisher nicht umgesetzt zu haben. So ist mittlerweile unklar, ob der Client-Hypervisor "CVP" jemals fertiggestellt wird. Die Version 4.5 von View kam verspätet zur VMworld vorletzte Woche auf den Markt - ohne die von RTO gekaufte Software für das Management von User-Profilen. Und die mit Taradici gemeinsam entwickelte reine Software-Implementierung von PC-over-IP ist primär für LANs ausgelegt und für WAN-Verbindungen nur bedingt geeignet.

Das Problem funktionaler Defizite trifft jedoch nicht VMware alleine. Chris Wolf, Analyst der Burton Group, die mittlerweile von Gartner übernommen wurde, bescheinigte Citrix und VMware noch im Mai 2010, dass sie nicht alle Kriterien für den Enterprise-Einsatz erfüllen. Besondere Mängel diagnostizierte er bei der Administration der Software, die keine Delegierung von Aufgaben zulässt. Erst vor ein paar Wochen erhielt Citrix XenDesktop 4 Platinum von Gartner anlässlich der Freigabe des Service Pack 1 als erstes Produkt das Prädikat "Enterprise ready". VMware erfüllt jetzt mit View 4.5 ebenfalls die dafür notwendigen Kriterien und wird ebenfalls das Prädikat erhalten. Bei der Untersuchung wurde Späteinsteiger Red Hat nicht berücksichtigt, der sein Remoting-Protokoll SPICE - also eine zentrale VDI-Komponente - wahrscheinlich erst in einem Jahr abschließen kann.

Hersteller sind den Kunden voraus

Mit der Freigabe von XenDesktop 4 führte Citrix ein Lizenzmodell ein, das pro Benutzer statt pro Gerät abrechnet. Dieser Ansatz ging von einer strategischen Nutzung von VDI aus, bei der die meisten Mitarbeiter von einem beliebigen Endgerät auf ihren persönlichen zentralen Desktop zugreifen. Citrix folgte dabei den Empfehlungen von Analysten, die eine Device-bezogene Abrechnung für solche Szenarien als nicht angemessen betrachten.

Die heftigen Reaktionen der Citrix-Kunden, die den Hersteller zum Einlenken bewegten, zeigten jedoch, dass die meisten Firmen virtuelle Desktops nur taktisch einsetzen, beispielsweise für Offshore-Projekte, bestimmte Tätigkeitsbereiche oder um Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, von unterwegs oder vom Home Office auf den Unternehmens- Desktop zuzugreifen. Und dafür sind gerätebezogene oder konkurrierende Lizenzen günstiger.

Nicht nur mit dem Versuch eines benutzerbezogenen Lizenzmodells eilte Citrix der Realität in vielen Anwenderunternehmen voraus. Ähnliches gilt auch für die Propagierung des "Bring your own Computer" (BYOC), also der Idee, dass Mitarbeiter ihren privaten PC in der Firma nutzen. Der Client-Hypervisor XenClient soll dafür die technische Voraussetzung schaffen, indem er ein Nebeneinander von Enterprise- und privatem Desktop erlaubt, aber für bestimmte Nutzergruppen aufgrund der destruktiven Installation nicht in Frage kommt. Für diese Zielgruppe bietet Citrix seit kurzem mit XenVault einen verschlüsselten Speicher an, in dem XenApp- und App-V-Anwendungen ihre Daten ablegen können. Weniger spektakulär, aber insgesamt wichtiger ist in diesem Zusammenhang der Citrix Receiver, um möglichst viele (persönliche) Endgeräte mit dem zentralen Desktop zu verbinden. Die Realität in den meisten deutschen Unternehmen ist aber mehr der firmeneigene, weitgehend gegen Veränderungen abgeschottete PC als der von Citrix hochgejubelte iPad mit virtuellem Windows-7-Desktop.

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Grundsätzliche Vorteile sind reell

Dem anfänglichen Hype um die Desktop-Virtualisierung lagen berechtigte Hoffnungen zugrunde, mit VDI einige notorische Probleme des Client-Managements in den Griff zu bekommen. Außerdem versprach die Entkopplung des Desktops von der Hardware des Arbeitsplatz-PCs flexiblere Nutzungsmodelle und damit geschäftliche Vorteile.

In einer von Microsoft bei Freeform Dynamics in Auftrag gegebenen Studie bejahte erwartungsgemäß eine deutliche Mehrheit von 137 befragten VDI-Nutzern die Fragen, ob die Bereitstellung, die Absicherung und der Support von Desktops durch die Virtualisierung einfacher geworden seien. Genauso wenig überrascht jedoch, dass nur eine Minderheit der Auffassung war, dass VDI die Nutzer zufriedener und produktiver gemacht habe. Darin manifestiert sich das grundsätzliche Problem von Server Based Computing, dass es trotz aller Fortschritte kein mit herkömmlichen PCs gleichwertiges Benutzererlebnis bietet. Die Ablehnung durch die Endanwender gilt daher als eine der größeren Hürden für VDI, so die Umfrage.

Die Ablösung des Desktops von der Hardware sollte ebenfalls den sich ändernden Arbeitsgewohnheiten entgegenkommen, weil sie etwa das Teleworking vereinfacht und selbst den Zugriff von Smartphones auf den Desktop erlaubt. Gleichzeitig sind die mobilen Mitarbeiter aber eine der großen Herausforderungen für die Desktop-Virtualisierung, weil Notebook-Nutzer zumeist auch in der Lage sein müssen, offline zu arbeiten.

Angesichts solcher flexibleren Nutzungsmöglichkeiten überrascht es, dass die Untersuchung von Freeform Dynamics den fehlenden geschäftlichen Bedarf als eines der größten Hindernisse für die Desktop-Virtualisierung ermittelt. Verbindet man allerdings diese Einschätzung damit, dass die meisten Befragten VDI vor allem als Tool für aufgabenorientierte Tätigkeiten ("Transaction Worker") und weniger anspruchsvolle Office-Anforderungen sehen, dann erklärt sich, warum der Flexibilisierung des Desktops keine so große Bedeutung zugemessen wird. Schließlich sind diese Benutzergruppen in der Regel an den Büroarbeitsplatz gebunden.

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Bruch mit bisheriger Praxis

Der Umstieg auf ein zentrales Desktop-Modell bedeutet mehr, als die Clients ins Rechenzentrum zu verlagern. Vielmehr wirkt sich diese grundlegende Umorientierung auf fast alle Aspekte aus. Im Vergleich zu einem Update von XP zu Windows 7 sind unter anderem zusätzlich folgende Fragen zu klären:

Die Virtualisierung von Desktops verändert fast alle Bereiche des System-Managements, vom Betriebssystem-Deployment über die Verteilung der Anwendungen bis zur Verwaltung der Benutzerprofile. Auch über die Jahre eingespielte Services, etwa der Schutz der Clients vor Schadsoftware, müssen neu geplant werden. Die Installation eines Virenscanners in jeder virtuellen Maschine ist kein praktikabler Ansatz. Darüber hinaus erfordert der Umstieg die Fähigkeit, virtualisierte Server zu betreiben, eine Kompetenz, die dem herkömmlichen Desktop-Management fremd ist.

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Die Erfolgsgeschichte der x86-Plattform zeigt, dass sie immer wieder in der Lage war, sich an neue Anforderungen anzupassen und mit ihnen zu wachsen. Was einst als Stand-alone-PC ohne Netzanschluss, CD-Laufwerk oder gar Virtualisierungsunterstützung begann, ist heute das wahrscheinlich vielseitigste digitale Gerät für die unterschiedlichsten Zwecke.

Server Hosted Virtual Desktops dagegen erfordern gleich mehrere Brüche mit der etablierten Praxis. Einer davon besteht in der Konzentration der Clients auf zentralen virtuellen Infrastrukturen und den damit verbundenen Änderungen der Systemadministration. Ein weiterer Einschnitt liegt darin, dass sich der Desktop selbst ändern muss, um für VDI tauglich zu sein. Gemeint ist damit die nötige Modularisierung der traditionell monolithischen Installationen. Es ist indes ein Verdienst der VDI-Hersteller, die Ablösung von Anwendungen und Benutzerumgebungen ("Persona") vom Betriebssystem vorangetrieben zu haben.

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Mit dem Umzug der Desktops in das Rechenzentrum tauschen Unternehmen den billigsten verfügbaren Speicher, die lokale SATA-Festplatte, gegen den teuersten, den von SANs. Er wird dann paradoxerweise für Daten benutzt, denen Unternehmen den geringsten Wert beimessen, nämlich den Dateien von Windows und lokal installierten Programmen. Bekanntlich ist es gängige Praxis, fehlkonfigurierte PCs zu reparieren, indem sie mit einem Standard-Image überschrieben werden.

Während kaum jemand auf die Idee kommt, die Installation der Clients zu sichern, ist das Disaster Recovery bei VDI sehr wohl ein Thema. Es liegt auf der Hand, dass der Ausfall der zentralen Infrastruktur gravierende Auswirkungen haben kann, wenn dadurch Dutzende oder Hunderte Mitarbeiter keinen Zugang zu den IT-Systemen haben. Vereinzelte Ausfälle herkömmlicher Desktops hingegen sind keine Seltenheit und werden von IT-Abteilungen routinemäßig behoben. Insgesamt könnten Unternehmen die Einführung von VDI-Lösungen mit Service-Level-Agreements (SLAs) verknüpfen, die je nach Ansprüchen die Kosten in die Höhe treiben.

Erst Modularisierung, dann Virtualisierung?

Die Zentralisierung der Desktops durch VDI erfordert parallel den Abschied vom etablierten monolithischen Client, bei dem Hardware, Betriebssystem, Anwendungen und Benutzereinstellungen fest miteinander verschweißt sind. Ein persönliches Systemabbild einer solchen Installation für jeden Benutzer läuft allen Zielen einer Desktop-Virtualisierung entgegen.

Bei Techniken zur Modularisierung des Desktops handelt es sich dagegen um Formen der Virtualisierung, die sich auch auf herkömmliche Clients anwenden lassen. Während Microsoft bei VDI nur relativ wenig Ambitionen zeigt, forciert der Hersteller die Applikationsvirtualisierung mit App-V. Diese isoliert nicht nur die Anwendungen vom Betriebssystem und vermeidet damit die negativen Effekte herkömmlicher Installation. Zusätzlich führt sie mit dem bedarfsorientierten Streaming des Programmcodes einen neuen Distributionsmechanismus ein, der zentrales Management mit den Vorteilen lokaler Ausführung kombiniert.

Ähnliche Aktivitäten sind bei der Virtualisierung der Benutzerumgebung zu beobachten, die nicht nur die individuellen Einstellungen und Daten, sondern im Idealfall auch vom Anwender selbst installierte Software umfasst. Mittlerweile hat sich für diesen Bereich eine eigene Marktnische von innovativen Herstellern gebildet, aus denen sich die Branchengrößen immer wieder durch Zukäufe bedienen.

Im Sinne einer kontinuierlichen Weiterentwicklung des Desktops scheint es plausibel, dass Firmen zuerst das traditionelle Modell um derartige Ansätze ergänzen. Sie erreichen damit einen höheren Grad an Zentralisierung, ohne mit der bisherigen Praxis radikal brechen zu müssen. Ist der modulare Desktop erst einmal Realität, fällt es Unternehmen relativ leicht, ihn bei entsprechenden Anforderungen in das Rechenzentrum zu verlagern - schließlich besteht er im günstigsten Fall nur mehr aus einem standardisierten Windows-Image.

Fazit

Server Hosted Virtual Desktops sind eine Weiterentwicklung des etablierten Server Based Computings und eignen sich damit für eine Reihe von Unternehmen und Nutzungsszenarien. Die Hoffnung der VDI-Anbieter, dass virtuelle Desktops aus dem Rechenzentrum schon bald zum Standard in den Unternehmen werden, scheint sich nicht zu erfüllen.

Nicht bloß die immer noch beliebten Terminaldienste, sondern auch die Virtualisierung von Anwendungen und Benutzerprofilen zeigt, dass die Zentralisierung von Desktops mehrere Facetten hat. VDI ist nur eine davon, und zurzeit ist unklar, ob sie jemals Mainstream wird. Und schließlich sollte nicht übersehen werden, dass ein neues Interesse am oft schon totgesagten Desktop immer wieder zu neuen Erfindungen führt. Einige kleinere Technologiefirmen zeigen, dass in den nächsten Jahren mit neuen Entwicklungen zu rechnen ist. (ue)

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