HP betreibt Daimler-Chryslers Desktops

29.09.2003 von Joachim Hackmann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die meisten Aufträge, die Hewlett-Packard (HP) erhält, beschränken sich auf den Betrieb der Infrastruktur - so auch das jüngste Abkommen, das der Konzern mit Daimler-Chrysler schließen konnte. Geht es aber um die Auslagerung ganzer Geschäftsprozesse, kommt die Konkurrenz zum Zuge.

Daimler-Chrysler wird den weltweiten Betrieb von mehr als 150000 Desktops an HP auslagern. Das gab der Automobilhersteller auf einer HP-Kundenveranstaltung in St. Leon-Rot bekannt. Die Entscheidung unterstreicht die Abnabelung des Automobilherstellers von den IT-Diensten der T-Systems. Die Telekom-Tochter hatte mit der vor dreieinhalb Jahren erfolgten Akquisition der Daimler-Tochter Debis Systemhaus auch den RZ-Betrieb des Automobilbauers übernomen. Diese alten Familienbande scheinen bei der Vergabe des jüngsten Projekts keine Rolle mehr gespielt zu haben.

T-Systems zieht den Kürzeren

"Offenbar hat es eine echte und faire Ausschreibung gegeben", wundert sich Karin Henkel, Analystin bei Strategy Partners International, Scuol, Schweiz. "Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Da wurden häufig Angebote nur eingeholt um den Preis des Hauslieferanten zu drücken." Bei der Ausschreibung war T-Systems gemeinsam mit Dell zwar auf die Liste der letzten drei Konkurrenten gelangt. Allerdings hatte HP qualitativ und preislich bessere Konditionen zu bieten und überrundete mit der Offerte auch die IBM, die ebenfalls bis zum Schluss im Gespräch war. "Dort hätten wir aber zu viele IBM-Standards akzeptieren müssen", berichtete Dietrich Schreiner, Projektleiter des Auslagerungsvorhabens bei Daimler-Chrysler.

Die beiden großen Outsourcing-Anbieter konnten ihre Marktanteile ausbauen. Während HP sich als Alternative zu IBM und T-Systems versteht, räumen die Marktforscher von PAC dem Unternehmen nur einen Platz in der zweiten Reihe ein.

Doch Standards möchte Daimler-Chrysler gerne selbst definieren - ein durchaus berechtigstes Anliegen bei einer Zahl von 150000 bis 170000 PCs und Laptops, die es zu betreuen gilt. "Die genaue Zahl kennen wir aufgrund unserer dezentralen Organisation nicht", räumt Schreiner ein, womit bereits ein wichtiges Problem der Daimler-Chrysler-IT genannt wäre. Die weiteren Gründe, die die Verantwortlichen dazu bewegten, sich für das Outsourcing zu entscheiden, lauten: hohe Kosten bei niedriger Qualität, ausufernde Komplexität und reduzierte Flexibilität, fehlende Standards bei sich ständig verkürzenden Produktlebenszyklen, keine oder uneinheitliche Service-Levels, viele Lager und eine kaum zu durchschauende Bedarfsplanung. Kurz und gut: Die Desktop-Umgebung war konfus, unbeweglich und teuer, wie es auch in anderen Unternehmen bekannt ist.

Pilotphase bereitet Probleme

Bereits im Februar 2003 unterschrieben HP und Daimler-Chrysler den Vertrag, in dem sich der Outsourcing-Partner dazu verpflichtet, in den nächsten fünf Jahren die Desktop-Umgebung zu überarbeiten. Dabei obliegt dem IT-Dienstleister die Planung, die Bereitstellung und der Betrieb. HP wird künftig für alle Daimler-Chrysler-PCs und Notebooks das Bestands-, Problem- und Qualitäts-Management verantworten. Ziel ist es, Applikationen schneller einführen zu können, einheitliche Prozesse zu etablieren und die Kosten für Hardware und Services zu reduzieren. Feste monatliche Beträge schaffen zudem Kostentransparenz. "In zwei Jahren ist das Projekt abgeschlossen", versprach Schreiner, "dann haben wir 150000 PCs und Notebooks mit einheitlichem Packaging."

Derzeit befindet sich das Projekt in der Pilotphase, zwei Testläufe in Europa und den USA sollen die Praxistauglichkeit der bisherigen Überlegungen nachweisen beziehungsweise Fehler offen legen und Wege für Problemlösungen aufzeigen. Ganz reibungslos scheint diese Phase nicht zu verlaufen. Beide Partner haben den Aufwand unterschätzt und müssen nun mehr Ressourcen als geplant für das Projekt aufbringen. Zudem sind die Testkunden unzufrieden, weil viel versprochen wurde, es mit der Bereitstellung aber haperte. "Wir befinden uns in einer kritischen Phase", räumte Schreiner ein, ohne Details zu nennen. "Ich bin mir aber sicher, dass wir die Probleme in den Griff bekommen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen." Ende November sollen die Pilotprojekte abgeschlossen und ausgewertet werden. Mitte Dezember tagt dann das Board of Management, um eine endgültige Entscheidung über das Outsourcing-Projekt zu fällen, die entweder "weitermachen" oder "stoppen" lauten wird.

HP will wachsen

Im Geschäftsjahr 2003 legte das Outsourcing-Geschäft von Hewlett-Packard in Deutschland um 40 Prozent zu. Absolute Zahlen nannte das Unternehmen nicht. Mit anteiligen 55 Prozent erzielte HP das Gros der Neuaufträge des letzten Jahres in der Fertigungsindustrie, gefolgt von der Prozessindustrie mit 25 Prozent. Zehn Prozent der Aufträge stammen von Banken- und Versicherungen. Die Zahl der Mitarbeiter im Bereich Managed Services wuchs durch Übernahmen von IT-Abteilungen im selben Zeitraum um 24 Prozent. Auch im kommenden Jahr rechnet HP-Deutschland mit einem starken Zuwachs, angestrebt ist ein Wachstum von mehr als 30 Prozent mit Auslagerungsdiensten. Hoffnung bereitet dem Unternehmen der Konsoliderungsprozess, vor allem unter den ausgegliederten IT-Abteilungen großer Konzerne.

Vermutlich wird HP seine ganze Kraft aufwenden, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen. Ein Aufgabe in dieser Größenordnung für einen weltweit bekannten Automobilhersteller mit hohen Qualitätsansprüchen ist Werbung in eigener Sache. Bereits die jüngsten Referenzprojekte mit Branchengrößen wie Procter & Gamble, Ericsson und Bank of Ireland haben dem Outsourcing-Neuling Renommee verschafft. HP ist in der Liga der großen Auslagerungsspezialisten angekommen. "Wir sind mittlerweile in allen wichtigen Projekten auf der Ausschreibungsliste" freut sich Jens Bohlen, Direktor HP Managed Services in Deutschland.

Große Abschlüsse stehen bevor

Nachdem sich Bohlen noch vor Jahresfrist vom hiesigen Outsourcing-Geschäft enttäuscht zeigte, weil viele angebliche Interessenten nur nach Preisen fragten, um ihre internen IT-Abteilungen besser einschätzen zu können, fällt das Urteil über die vergangenen Monate besser aus. Um 40 Prozent legten die Einnahmen mit Auslagerungsdiensten im noch laufenden Geschäftsjahr zu, 30 Prozent waren geplant. Auch für das kommende Jahr will HP im Outsourcing-Geschäft zwei- bis viermal stärker als der Markt wachsen, also um zirka 30 Prozent. In den nächsten Wochen, so kündigte der Manager bereits an, werden weitere Großprojekte unterschriftsreif sein. Wolfram Fischer, Geschäftsführer von HP Services in Deutschland, zeigte sich kämpferisch: "Im weltweiten Markt sind wir die Alternative zu IBM und im lokalen Markt zu T-Systems."

Dabei konzentriert sich das Unternehmen nur auf Kunden, die mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz aufweisen. Diese Zielgruppe will man verstärkt mit Komplett-Outsourcing-Diensten ansprechen. Dazu überarbeitet der Anbieter die internen Strukturen und stellt die Vertriebs-, Projekt- und Lieferabteilungen so auf, dass international agierende Kunden angesprochen werden können. Bereits zum 1. November soll dieser Prozess abgeschlossen sein. Am Mittelstand zeigt HP Services mit seinen Outsourcing-Angeboten hingegen nur gebremstes Interesse. "Unternehmen mit weniger als 1,5 Milliarden Euro Umsatz bieten wir selektive Outsourcing-Dienste an, oder wir schauen uns an, ob der jeweilige Auftrag besser zu unserer Abteilung Technology Support oder einem unserer Partner passt", erläutert Bohlen.

Beratungskompetenz fehlt

Eine genauere Betrachtung der bislang abgeschlossenen Großprojekte zeigt auf, was die Großkunden HP zutrauen - und was nicht: Daimler-Chrysler und Ericsson lagern das Desktop-Management aus, die Bank of Ireland übergibt HP die PCs, Midrange-Server, Mainframes, Netze und Drucksysteme. Procter & Gamble schließlich lässt die Rechenzentren, Desktops und Netze von HP betreiben, zudem übernimmt der Dienstleister Anwendungsentwicklung und -betreuung. Alles in allem sind sind es fast immer Infrastrukturprojekte, die HP gewinnt. "Hewlett-Packard wird zurzeit noch als Hardware- und Drucker-Company wahrgenommen", bremst Strategy-Partners-Analystin Henkel die euphorische Stimmung beim Anbieter.

HP selbst fördert bewusst oder unbewusst dieses Ingenieurs-Image, immer steht die Technik im Mittelpunkt der HP-Strategie. Das HP-Motto für Geschäftskunden lautet "Der beste Return on Information Technology", Privatkunden versucht das Unternehmen mit dem Marketing-Slogan "Technology als Erlebnis" zu ködern. Während andere Anbieter die Werbetrommel für "E-Business on demand" rühren, spricht HP über "Storage on demand", "PC Lifecycle Services on demand" und "Application Management Services on demand".

Daher ist es kaum verwunderlich, dass HP vornehmlich als Anbieter für das Infrastruktur-Outsourcing gewählt wird und sich somit am unteren Ende der Wertschöpfungskette wiederfindet. Im Infrastrukturbereich sind die Margen gering, Gewinne sind nur über die Menge und Skaleneffekte zu erzielen. Doch allmählich gelingt es dem Dienstleister, in den Bereich höherwertiger Services vorzudringen. "HP ist mittlerweile im Application-Management-Umfeld gut aufgestellt und zählt aufgrund der Partnerschaft mit SAP und der hohen Hardware-Marktpräsenz zu den wichtigsten ERP-Outsourcern in Deutschland", so Henkel. "Das reicht aber noch nicht aus, um auch im Business-Process-Outsourcing-Markt erfolgreich zu sein. HP fehlt das eigene Know-how eines Strategieberaters, das erforderlich ist, um auch die Geschäftsprozesse der Kunden betreiben zu können."

Mit dem im Jahr 2000 gestarteten und wieder abgebrochenen Versuch, den Beratungsarm von Pricewaterhouse-Coopers (PWC) zu übernehmen, hatte HP seinerzeit Verbesserungsbedarf beim strategischen Consulting eingeräumt. Die Akquisition scheiterte, HP schluckte Compaq und stärkte damit das Hardwaregeschäft, die Lücke im Consulting-Bereich wurde hingegen nie geschlossen. Stattdessen schlüpften die PWC-Berater bei IBM unter und öffnen nun Big Blue die Türen zu den obersten Etagen der Großkonzerne. Genau das ist beispielsweise bei Procter & Gamble geschehen. Dort übernimmt IBM künftig den Betrieb der Personalabteilung. Zwar ist der Auftrag deutlich kleiner als das Abkommen, das der Konsumgüterhersteller mit HP abschloss, doch im BPO-Geschäft sind höhere Margen möglich, und es gilt als zukunftsträchtig. Dafür scheint HP derzeit noch nicht gewappnet.

"Das IT-Outsourcing, das vornehmlich unter dem Aspekt des Sparens betrachtet wird, ist allgemein akzeptiert", erläutert Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg und Geschäftsführer der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung in Bonn. "Der Markt verschiebt sich aber von den kurzfristigen Maßnahmen zur Kostensenkung hin zu langfristigen strategischen Partnerschaften." Im Rahmen dieser Entwicklung wird das IT-Outsourcing künftig von neuen Auslagerungsformen abgelöst, die stärker in die Geschäftsprozesse der Kunden eingreifen.

Als ein Indiz dafür, dass Outsourcing zunehmend zu einem stragegischen Faktor wird, wertet Fink auch das steigende Interesse auf Geschäftsführerebene. Mittlerweile befassen sich 95 Prozent der Unternehmenslenker mit Outsourcing-Entscheidungen, das ergab eine Befragung des von Fink geleiteten Instituts unter 200 Vorständen deutscher Unternehmen mit mehr als 250 Millionen Euro Jahresumsatz. Wer also Auslagerungsprojekte gewinnen will, muss künftig mit dem Topmanagement sprechen.

"Derzeit scheint es für HP sinnvoll, zunächst einmal die gute Position im Infrastruktur- und ERP-Outsourcing-Markt zu festigen und zu steigern", meint Henkel, "das Unternehmen konzentriert sich bisher immer noch schwerpunktmäßig auf Großkunden und weniger auf mittelständische Unternehmen. Dieser Markt ist aber sehr eng und hart umkämpft. Der nächste Schritt muss daher sein, auch eigene Beratungskompetenz aufzubauen."

Übernahme ist denkbar

Die Lücken in der Strategieberatung versucht der Hersteller derzeit noch mit Partnern wie Accenture, Cap Gemini Ernst & Young, Bearingpoint und Deloitte Consulting zu schließen, doch die akzeptieren HP nur als Lieferanten für Infrastrukturdienste, weil sie selbst auf BPO-Aufträge spekulieren. Mittelfristig muss es demnach HPs Ziel sein, auch aus eigenen Kräften Strategieberatung leisten zu können. "Denkbar ist durchaus, dass HP versucht, dieses Defizit durch eine Übernahmen zu beheben", vermutet Henkel. Konkrete Überlegungen bestehen angeblich nicht, doch sollten sich günstige Gelegenheiten ergeben, dürfte HP kaum zögern. "Wir beobachen die Marktkonsolidierung ganz genau", räumt Bohlen ein, "außerdem haben wir seit dem Merger mit Compaq Erfahrung mit der Integration von Firmen."