Oracle lässt i64-Superprozessor fallen

HP bekräftigt Itanium-Unterstützung

29.03.2011 von Klaus Manhart
Die Argumente, mit denen Oracle seine Entscheidung begründet, die Softwareentwicklung für Intels Itanium-Plattform einzustellen, werfen viele Fragen auf. Lesen Sie, was wirklich hinter der Oracle-Entscheidung steckt - und wie Itanium-Kunden mit der neuen Situation umgehen sollten.
Foto: Intel

In einer kurzen Pressemeldung teilte Oracle am 22. März der IT-Welt mit, der Software-Konzern werde die Entwicklung seiner Produkte für Intels Itanium-Prozessoren nicht weiterführen. HP als größter Anbieter von Itanium-Rechnern, auf denen nicht selten Software von Oracle läuft, ist von dieser Entscheidung besonders betroffen.

Die Itanium-CPUs sind für geschäftskritische Anwendungen optimiert und werden von Intel als Alternative zu den RISC-CPU-Eigenentwicklungen von IBM (Power7) und Sun ( Sparc) angeboten. Oracle begründet seine Entscheidung zum einen damit, dass Intel angeblich nicht mehr hinter der Itanium-CPU stehe und ein Ende absehbar sei. Das Intel-Management habe, so Oracle, klar zum Ausdruck gebracht, dass "der strategische Fokus von Intel auf seinen x86-Mikroprozessoren liege und die Itanium-Plattform sich dem Ende ihres Lebenszyklus nähere".

Zum anderen soll sich auch HP als größter Hersteller, der Itanium-Server im Angebot hat, aus Oracle-Sicht von der Itanium-Plattform abwenden: Immerhin habe HP-CEO Leo Apotheker kürzlich in seiner ausführlichen Strategiedarstellung den Itanium-Prozessor nicht erwähnt - was Oracle recht eigenmächtig als "Itanium-Aus" auch bei HP interpretiert.

Itanium - langfristige Roadmap

Doch davon kann keine Rede sein. Leo Apotheker hatte in seiner Strategie-Rede Mitte März überhaupt keine Prozessoren erwähnt, die Bedeutung der Entwicklung von Mission-Critical-Infrastrukturen für den Konzern aber sehr wohl klar herausgestellt. Entsprechend haben HP und Intel in den vergangenen Wochen mehrfach die langfristige Roadmap für Itanium und HPs Unix-Betriebssystem "HP-UX" bestätigt - eine Entwicklungsplanung, die mindestens die nächsten zehn Jahre abdeckt. "HP-UX und die Itanium-Entwicklung verfügen über die mit am weitesten in die Zukunft reichende Roadmap im Vergleich zu allen anderen Unix-Anbietern im Markt", sagt Albrecht Munz, Leiter des Geschäftsbereichs Business Critical Systems (BCS) bei HP Deutschland.

Umgehend nach Oracles Ankündigung erklärte Intel-Chef Paul Otellini, man arbeite definitiv weiter am Itanium und habe mehrere Generationen in Planung.
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Dass die beiden Marktschwergewichte HP und Intel über das nötige Know-how und die erforderlichen Ressourcen verfügen, zeigt neben der weit in die Zukunft gerichteten Roadmap nicht zuletzt der strategische Ansatz, den beide Konzerne seit geraumer Zeit erfolgreich gemeinsam am Markt verfolgen. Entsprechend vehement widerspricht auch Intel Oracles Sichtweise: Umgehend nach der Ankündigung erklärte Intel-Chef Paul Otellini, man arbeite definitiv weiter am Itanium und habe mehrere Generationen in Planung. Die nächste Itanium-Generation mit Codename "Poulson" liege im Zeitplan und sei auf einem guten Weg.

"Wir sind alle schockiert, dass Oracle so leichtfertig die Unternehmen und die öffentliche Hand gefährdet und ihnen gleichzeitig Kosten in Höhe von Hunderten Millionen Dollar aufzwingt", so HPs Hardware-Chef Dave Donatelli.
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Besonders scharf kritisierte Dave Donatelli Oracles umstrittene Entscheidung. In einer Stellungnahme spricht HPs Hardware-Chef von "kundenfeindlichem Verhalten" und sagt: "Wir sind alle schockiert, dass Oracle so leichtfertig die Unternehmen und die öffentliche Hand gefährdet und ihnen gleichzeitig Kosten in Höhe von Hunderten Millionen Dollar aufzwingt. Diese erklären sich durch die mittel- bis langfristig zu erwartenden Aufwände für Migrationen und die sich einstellenden Einschnitte in Betrieb und Produktion."

Oracle will Sun-Server pushen

Die wahren Gründe für Oracles Itanium-Abkehr vermutet HP indes an anderer Stelle: Vor dem Hintergrund, dass Sun-Systeme seit der Übernahme durch Oracle im zweistelligen Bereich Marktanteile eingebüßt haben, liegt für HP-BCS-Leiter Munz der Schluss nahe, "dass das Oracle-Manöver vielmehr dazu dient, die eigene Sparc-Hardwareplattform zu pushen." Das Oracle-Announcement sei "ein weiterer verzweifelter Versuch, dem Mitbewerb zu schaden und die Kunden zum Kauf von Sun-Servern zu zwingen".

Das wäre nicht die erste Maßnahme von Seiten Oracles, um dem Verlust der Sun-Marktanteile entgegenzuwirken. So wurde unter anderem der Softwarelizenzfaktor des Itanium-Prozessors (Tukwila und Nachfolger) kürzlich von 0,5 auf 1 pro Core hochgesetzt. Mit diesen Faktoren möchten die Softwarehersteller monetären Gewinn daraus ziehen, dass ihre Anwendungen auf leistungsstärkeren Prozessoren einen höheren Kundennutzen bringen als die gleiche Software auf schwächeren Systemen. Diese Entscheidung von Oracle hat somit die Lizenzkosten für HP Integrity Systeme kurzfristig verdoppelt. Das primäre Ziel dabei ist jedoch, durch niedrigere Softwarekosten auf den eigenen Systemen den Verkauf dieser Rechner zu fördern.

Auf diese Weise lässt sich die Sun-Hardware zusammen mit den Oracle-Lizenzen günstiger anbieten als ein vergleichbares Bundle mit HP-Systemen. "Damit musste der HP-Kunde in den sauren Apfel beißen, da für unsere Systeme die Software jetzt auf einmal erheblich teurer wurde", klärt Munz auf.

Ungebremster Abwärtstrend

Die gewünschten Effekte ließen sich damit aber offenbar nicht erzielen: Laut den Marktzahlen von IDC und Gartner geht der Abwärtstrend von Sun ungebremst weiter. "Mittlerweile ist eine starke Erosion bei Kunden, Partnern und Mitarbeitern zu beobachten, welche sich potenziell in der nächsten Zeit noch beschleunigen wird", sagt Experton-Analyst Andreas Zilch über Sun-Server.

Als nächste Maßnahme folgte nun der Entwicklungsstop für alle neuen Oracle-Produkte auf Itanium-Systemen. "Nur weil Oracle eine Wettbewerbsplattform in der Zukunft streicht, wird die Leistungsfähigkeit der Sun-Server jedoch nicht besser", stellt Munz klar. Und angesichts der Tatsache, dass der Service für das Gros der aktuellen Produkte über viele Jahre von Oracle sichergestellt sei, werde auch das keine kurzfristige Änderung der Marktsituation für Oracles Hardwaresparte zur Folge haben.

Man würde nun die "Ellison Company" schlecht kennen, wenn in einer derartigen Situation nicht weiter reagiert werden würde, folgert Munz weiter. Aber was sind die nächsten Schritte, wenn sich der 7-Milliarden-Dollar-Deal mit Sun so gar nicht in mehr Umsatz und noch weniger in zusätzlichen Profit verwandeln lässt? Wobei man doch eigentlich nur das mit hohen Margen verbundene Software-Business - und das bei Oracle im Besonderen - kenne. Eine weitere künftige Handlungsmöglichkeit von Oracle sieht Munz in der Streichung der IBM-Unix-Plattform AIX mit deren Power-7-Prozessoren - und ganz zum Schluss blieben dann noch die hauseigenen Solaris/Sparc-Systeme.

Wenn die Erwartungen in Sachen Umsatz und Profit nicht erfüllt werden, wäre es für Munz denkbar, dass Oracle den Ausflug in das "margenschwache" Hardware-Business einfach wieder beendet. Dahingehende Gerüchte habe es in jüngster Vergangenheit bereits genügend gegeben. "Unabhängig davon, in welche Richtung die Überlegungen bezüglich möglicher Unix-Hersteller-Alternativen gehen - im Zusammenhang mit Oracle bleiben seit letzter Woche viele Fragen offen", so die Schlussfolgerung von Munz.

Was HP-Kunden tun können

Kurzfristig wird die Oracle-Entscheidung für HP-Kunden keine Auswirkungen haben. Die Datenbank-Services für die aktuelle Version etwa enden standardmäßig erst 2015, mit einer Option auf Verlängerung bis 2018. Damit haben Oracle-Kunden sieben Jahre Zeit sich zu überlegen, wie sie mit der neuen Situation umgehen wollen.

Anwender, die Oracle-Datenbanken in mission-critical Umgebungen einsetzen, haben mehrere Möglichkeiten, sich dieser abzeichnenden neuen Herstellerbindung langfristig zu entziehen. Zunächst gilt es, die IT-Umgebung zu analysieren und den individuellen Bedarf der Verfügbarkeit aller Applikationen zu prüfen. Wie strategisch wichtig ist die Oracle-Anwendung? Wie verfügbar muss sie sein? Kann sie komplett gegen eine andere Software ausgetauscht werden?

Muss die Anwendung nicht extrem hochverfügbar gehalten werden, lassen sich Oracle-Applikationen auch gut auf x86-Systemen einsetzen. Bei "High Availibility Applikationen" sollten sich HP-Kunden gegebenenfalls nach Ersatz umsehen. "Es sind ausreichend Alternativen am Markt vorhanden, und die Kunden haben genügend Zeit, diese Alternativen zu prüfen und zu implementieren. Erfolgreiche Datenbankmigrationen aus der Vergangenheit haben die Machbarkeit bereits hinreichend unter Beweis gestellt", erklärt HP-Leiter Munz.

Des Weiteren gab es in der Vergangenheit hinreichend Beispiele von Herstellern, die kundenunfreundliche Entscheidungen auf Druck der Anwender zurückgenommen haben, so auch Oracle. Insofern legt HP seinen Kunden nahe, direkt mit Oracle Kontakt aufzunehmen, um eventuell auch in diesem Fall ein Umdenken zu bewirken.

"Im Sinne unserer gemeinsamen Kunden wäre es besser, wenn Oracle versuchen würde, durch wettbewerbsfähige Rechner seinen Marktanteil zu erhöhen, als durch das Aufkündigen einer langjährigen Partnerschaft die Kunden zu einem Plattformwechsel zu zwingen", schließt Munz.