Wettbewerb Anwender des Jahres: Woolworth

Hopp oder topp im Handel

17.11.2005
Als Hartwig Hopfenzitz vor drei Jahren seinen Job als CIO bei der Deutschen Woolworth antrat, wusste er nur zwei Dinge: Er hatte die Unterstützung seiner Geschäftsführer für eine komplette IT-Restrukturierung und er musste erfolgreich sein. Jetzt ist Woolworth zum Anwender des Jahres in der Kategorie Mittelstand gekürt worden.

Das Geschäft der Waren- und Handelshäuser in Deutschland zeichnet sich schon seit Jahren durch rückläufige Preise und extrem niedrige Margen aus. Seit zehn Jahren stagnieren die Umsätze.

Hartwig Hopfenzitz (zweiter von links) und seine Mannschaft haben bei Woolworth Großes vollbracht: Sie krempelten die IT des Unternehmens um und sicherten so die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns.

Neben diesem Branchentrend musste die Deutsche Woolworth mit einem hausgemachten Problem kämpfen: Im Zuge eines Management-Buy-Outs hatte sie sich 1998 von der amerikanischen Mutter abgespalten und einen Kurswechsel versucht. Das nach eigenen Worten "sympathische Kleinpreiskaufhaus" wollte höherwertige Marktsegmente ansprechen. Diese Strategie schlug fehl und führte zu einem Wechsel in der Managementebene.

Das wiederum war ein glücklicher Umstand, denn mit zwei neuen Geschäftsführern zog auch ein neues Denken ein, das sehr stark die IT als Erfolgsfaktor in den Vordergrund jeglicher Unternehmensplanung rückte. Denn die veraltete IT von Woolworth hätte die Herausforderungen, die die gesamte Branche an Handelsunternehmen stellt, nicht mehr effizient unterstützt. Für Hopfenzitz war denn auch schon das Einstellungsgespräch mit Geschäftsführer Bernd Szymanski ein Erfolgserlebnis: "Die Woolworth-IT sollte State-of-the-Art werden", sagt dessen heutiger CIO, und er schiebt nach "und das so schnell wie möglich."

Herkulisches Vorhaben

Das Anfang 2002 gestartete herkulische Programm "Power 2005" - dieses Akronym steht für "Prozessoptimierungen machen Woolworth zu einem erfolgreichen Retailer in 2005" - gliederte sich in fünf Teilprogramme mit insgesamt 36 Modulen zu über 200 Einzelprojekte auf. Alle Projekte mussten aus dem eigenen Cashflow heraus finanziert werden.

Hopfenzitz und seine IT-Mannschaft, die bei seinem Amtsantritt 70, heute aber sogar 80 Mitarbeiter umfasst, konzentrierte sich bei der IT-Renovierung auf zwei Kernaufgaben: Allein für 13 der 36 Module mussten neue oder zumindest optimierte IT-Lösungen implementiert werden. Zum anderen sollte auch die IT-Plattform auf eine völlig neue Basis gestellt werden.

Die IT-Renovierung zog unter anderem den Aufbau eines DataWarehouse, eines Forecast- und eines Reporting-Systems, einer Einkaufsplanung und -abwicklung, eines Stammdatenmanagements und eines Warenwirtschafts- und eines Dokumentenmanagementsystems nach sich. Als wär's nebenbei, wurde 2003 zudem im ersten Schritt das Rechenzentrum outgesourced und im zweiten Schritt neu geordnet. Das führte dazu, dass dessen Funktionen nicht mehr nur an einen Dienstleister, T-Systems, sondern auch an die Lufthansa Systems ausgelagert wurden.

Deutsche Woolworth

  • Umsatz 2004: rund eine Milliarde Euro;

  • Filialen: 340 in Deutschland;

  • Einkaufsbüros: acht in Asien, eins in der Türkei;

  • Zentrale Distribution: Bönen;

  • Mitarbeiter: 2500 feste, 14.000 Mitarbeiter (incl. Teilzeit- und Aushilfskräften);

  • -IT-Mitarbeiter: 80

Für ein seit 1988 eingesetztes Lohn- und Gehaltssystem musste ebenfalls Ersatz gefunden werden, weil dessen Hersteller die Wartung für Ende 2003 aufgekündigt hatte. Die bei Woolworth benutzte Unternehmensplanung stellte sich zudem nicht als ein einheitliches System dar. Vielmehr wurden Managementinformationen in Excel zusammengeführt aus einem veralteten Warenwirtschafts- sowie dem SAP- und einem Einkaufsplanungssystem.

Der Start

Power 2005 startete mit der Erneuerung des Data-Warehouse-Projekts. In einem ersten Schritt wurde der Aufbau der Infrastruktur, in einem nächsten die Stabilisierung der Betriebsprozesse sichergestellt. In einem dritten Schritt folgte in 2005 mit Hilfe der Standardsoftware ARC der indischen Firma Manthan Systems die Implementierung eines Kennzahlensystems für das Retail-Geschäft. ARC ist eine Analyseplattform, die auf dem vorhandenen Data-Warehouse aufsetzt.

Dann folgte die Implementierung des Forecast-Systems "Superstore" der schweizerischen Firma SAF. Mittels dessen sollen werden heute über statistische Verfahren Verkäufe prognostiziert werden. Auf diese Weise können so die Umsätze vorhergesagt und dadurch die Bestände in den Filialen optimiert werden.

Ein weiteres Problem, das Hopfenzitz und seine Männer Leute lösen mussten, war die wenig optimale Einkaufsabwicklung. Die Einkaufsprozesse besaßen keine Mandantenfähigkeit, die Prozesskette wies zudem Medienbrüche auf. Ein gemeinsames Verwaltungssystem für die Auftragsabwicklung mit acht Einkaufsbüros in Asien gab es ebenso wenig wie einen Datenaustausch mit Lieferanten. Ein erster Ansatz mit der amerikanischen Firma QRS und deren Software "QRS Sourcing" scheiterte, weil das Unternehmen Anfang 2004 den Vertrieb einstellte. Im April Herbst desselben Jahres startete Woolworth deshalb mit der ebenfalls amerikanischen Firma TradeStone und deren Produkt "Stepping Stone" durch. Im Spätsommer 2005 wurde Stepping Stone bei Woolworth weltweit ausgerollt.

Parallel zum Tradestone-Projekt wurde mit der "Crystal-Report"-Familie von Business Objects zudem die strategische Plattform für das unternehmensweite Berichtswesen eingerichtet.

Im Zuge dieser Projekte, lernten die bisher stark auf Eigenentwicklung fokussierte IT-Mitarbeiter den Wert von Standard-Software zu schätzen. Durch die Erfahrungen mit ausländischen Projektpartner sind heute auch komplexe Projekte im internationalen Kontext kein Problem mehr.

Best-of-Breed contra Standardsoftware

Am Beispiel der Entscheidung, welche Gehaltsabrechnungssoftware Woolworth in Zukunft einzusetzen gedachte, zeigt sich auch, wie strategisch deren IT-Verantwortliche denken. Die grundsätzlichen Alternativen hießen Best-of-Breed (also die beste Software am Markt für eine bestimmte Aufgabenstellung) oder Suite-Lösung, hier gleichbedeutend mit SAP-Architektur. Die Lohn- und Gehaltssoftware "Loga 2000" konkurrierte mit SAPs HR-Modul. Es zeigte sich überraschenderweise, dass trotz des prinzipiellen Einverständnisses für eine klarere Ausrichtung auf Standardsoftware (das Finanzsoftware-Modul "FI/CO" von SAP war schon im Einsatz) mit der Einführung von SAP-HR keine Synergieeffekte zu erzielen gewesen wären. Die Entscheidung fiel deshalb in diesem Fall zugunsten von Loga 2000 aus.

Ladeninfrastruktur - groß und mächtig

Das Projekt Ladeninfrastruktur stellte, so Hopfenzitz, das "größte und komplexeste Projekt der vergangenen drei Jahre dar". Die Kassensysteme in den 340 Filialen in Deutschland waren alle betagt und in der Regel zwölf Jahre alt. Bedienen ließen sie sich nur mit kryptischen Codes, die Einarbeitungszeit für Mitarbeiter dauerte bis zu vier Stunden. Vor allem aber unterstützten die Kassen keine Sonderpreisprogramme, weil es kein Rabattmodul für sie gab.

Der Austausch von rund 2000 Kassensystemen im Zuge des Ladeninfrastrukturprojekts steht dabei exemplarisch für die gesamte IT-Renovierung des Handelshauses. An ihm zeigt sich, wie die Woolworth-IT - so Hopfenzitz - "eine tradierte IT in eine moderne umwandelte, bei der wir auch mit unseren Geschäftspartnern in eine IT-gestützte Arbeitsbeziehung treten konnten."

Projektsteckbrief: Deutsche Woolworth

Die Deutsche Woolworth hat innerhalb von drei Jahren ihre komplette IT neu erfunden. Hierzu setzte sie unter anderem

  • fünf Teilprogramme mit insgesamt 36 Modulen auf;

  • Letztere untergliederten sich wiederum in über 400 Einzelprojekte;

  • Sie erneuerte ihre Ladeninfrastruktur in rund 340 Niederlassungen;

  • ersetzte das selbst entwickelte Datawarehouse durch eine zugekaufte Lösung;

  • führte ein Forecast- und ein Reporting- sowie ein Projekt- und ein Dokumentenmanagementsystem ein und

  • entwickelte eine neue Strategie für die Auslagerung seines Rechenzentrums an zwei Dienstleister.

In der Regel kamen Großrechner-Terminals als Medium für die Bedienung des Warenwirtschaftssystems zum Einsatz. Die dezentrale Netzinfrastruktur basierte auf Token-Ring-Technologie. Die Anbindung der größeren Zentralen erfolgte über teure Standleitungen. Moderne Bürokommunikation existierte nicht. Der Datentransfer von und zu den mobilen Datenerfassungsgeräten war störanfällig und kompliziert.

Um die IT-Infrastruktur so zu modernisieren, dass alle rund 340 Standorte in die neuen Prozesse und Anwendungen vollständig und ohne Medienbrüche eingebunden werden konnten, musste unter anderem die komplette Netzinfrastruktur ausgetauscht werden. Die Anbindung an das ausgelagerte Rechenzentrum sollte über DSL- und VPN-Technologien sowohl leistungsfähiger als auch preiswerter gestaltet werden.

Nachdem ein erster Rollout-Versuch mit einem Dienstleister im Jahr 2003 scheiterte, weil dieser die Komplexität dieser Aufgabe unterschätzte, wurde das Projekt neu ausgeschrieben und an die Firma Arxes vergeben. Der zweite Anlauf im Jahr 2004 funktionierte dann perfekt.

Plattformstrategien

Alle Projekte hier detailliert zu erörtern, würde den Rahmen sprengen. Angeführt seien allerdings noch strategische Überlegungen zur Ausrichtung der IT-Plattform. Vor der Restrukturierung lag der Knowhow-Schwerpunkt der Woolworth-IT-Mannschaft auf AS/400-Systemen sowie AIX-basierten RS/6000-Maschinen der "SP/2"-Familie. Die SAP-Anwendungen liefen auf HP-UX, waren aber ausgelagert.

Hopfenzitz diskutierte mit seinen Mannen im Zuge der kompletten IT-Restrukturierung die Option, im Unternehmen eine Plattformstrategie "aus einem Guss" zu entwickeln. Letztlich fiel die Entscheidung zugunsten von AIX als Betriebssystemplattform sowie auf AS/400-respektive i2-Systeme sowie auf die DB/2-Datenbank. Letztere erhielt den Vorzug vor Oracle.

Eine weitere Entscheidung bei Woolworth ist, bei allen Vorzügen, die Standardsoftware bietet, doch den Weg einer Best-of-Breed-Strategie zu verfolgen. Bei solch einem Unterfangen stellt sich aber ein grundsätzliches Problem: Die denkbaren Schnittstellen wachsen exponentiell zur Anzahl der zu integrierenden Systeme.

Allerdings zeigte eine Untersuchung, dass diese Systeme nur an den Übergabepunkten der jeweiligen Prozessschritte Daten austauschen. Woolworth entschied sich zudem für eine redundante Haltung der Stammdaten oder von Teilen derselben. Hopfenzitz sagt, wegen des immer noch überschaubaren Datenvolumens seien die Mehrkosten für die redundante Datenhaltung vergleichsweise gering. Zu regeln war allerdings, dass die Stammdatenteile immer nur von einem einzigen System verändert und repliziert werden können. Woolworth musste hierfür also eine Datendrehscheibe (DDS) entwickeln.

Hier war zu entscheiden, ob die technologische Basis eher auf einem klassischen ETL-Produkt oder auf einem EAI-Konzept fußen sollte. Informatica als ETL-Anbieter und IBM mit dem "Websphere-Business-Integrator" standen hier im Wettstreit. Ein hartes aber faires Bewertungsverfahren, das von beiden Firmen mit hohem Einsatz unterstützt wurde, zeigte deutlich das die TCO (über drei Jahre gerechnet) bei einer ETL-Lösung vergleichbar mit einer EAI-Lösung waren. Die geringere Komplexität der ETL-Lösung gab dann den Ausschlag und führte zu der Entscheidung für die Informatica-Suite.

IT-Prozesse

Und als wenn all diese Projekte nicht schon genug gewesen wären, wurden auch die internen IT-Prozesse in den letzten drei Jahren komplett überarbeitet. Ein eigenständiger Betriebsbereich wurde aus über mehrere Abteilungen verstreuten Verantwortlichkeiten geschaffen, die internen Prozesse an ITIL ausgerichtet. Ein striktes Kostenmanagement führte dazu, das die Kosten für die IT (inklusive der Abschreibungen), trotz erheblicher Ausweitung von Systemen und Anwendungen, verbunden mit der kompletten Renovierung der Systemlandschaft, heute auf dem gleichen Niveau wie 2001/02 liegen. "Wir erledigen heute deutlich mehr mit dem gleichen Geld", beschreibt Hopfenzitz den Erfolg dieses Teils der Umstrukturierung.

Wenn man Hopfenzitz heute fragt, ob sich das Mammutprojekt für Woolworth ausgezahlt hat, gibt der CIO, der auch Mitglied der Geschäftsleitung ist, eine klare Antwort. Die umreißt auch die Tragweite einer Entscheidung für eine leistungsfähige und die Geschäftsprozesse eines Unternehmens befördernde IT-Strategie dieser Dimension: "Wenn wir vor drei Jahren nicht angefangen hätten mit dem Projekt zur Umwandlung unserer IT und all unserer Geschäftsprozesse, dann könnten sich Woolworth nicht mehr wettbewerbsfähig aufstellen und marktgerecht agieren."