Auslagerungsprojekte

Heimlicher Run aufs Offshoring

06.04.2011 von Daniela Hoffmann
Viele Anwender nutzen Offshore-Dienste. Darüber reden möchten sie nicht. Drei Firmen berichten dennoch über Erfahrungen.
Foto: Torsten Gründer
Foto: Torsten Gründer

Die Suche nach deutschen Offshoring-Kunden führt bei den großen indischen Dienstleistern und bei vielen deutschen Anbietern meist ins Leere: Die Scheu, offen über Offshoring zu kommunizieren, ist nach wie vor groß. Dabei zeigen Beispiele aus der Praxis, dass deutsche Unternehmen durch erschwingliches IT-Know-how aus Indien deutlich agiler werden können.

Fachkräfte sind Mangelware

Gemessen an Marktprognosen zum Fachkräftemangel in den nächsten Jahren - Schätzungen zufolge fehlen im Weltmarkt derzeit rund 30.000 SAP-Spezialisten - wird das Thema jedoch nicht nur aus Kostengründen langfristig auf den Agenden deutscher IT-Abteilungen landen. "Es gibt in einigen Bereichen wie der Cobol-Programmierung kaum Nachwuchs, so dass wir weiter mit einem Mangel an Fachkräften zu kämpfen haben werden", warnt Martin Joswig, Offshore-Manager beim IT-Beratungshaus Steria Mummert Consulting, das rund 5000 seiner 18.300 Mitarbeiter in Indien beschäftigt.

Einen Weg zurück gibt es für Joswig nicht: Der Grad der Offshore-Nutzung steige, wenn entsprechende Projekte sich einmal im Unternehmen etabliert hätten. Die Öffentlichkeit nehme die Vorhaben allerdings meistens nur wahr, wenn über schlechte Erfahrungen berichtet werde, beklagt der Experte. Offshoring sei eben immer auch ein politisches Thema.

"Praktisch alle großen deutschen Unternehmen haben mittlerweile Offshoring-Erfahrung gesammelt", vermutet Klaus Gronwald, Geschäftsführer bei Mahindra Satyam in Deutschland. "Innerhalb des letzten Jahres hat sich das Interesse des Mittelstands deutlich stärker entwickelt als zuvor." Das belegt auch die aktuelle Offshoring-Studie von Steria Mummert: Demnach ist die Abneigung der Mittelständler zuletzt gesunken. Die Auslagerung von Aufgaben in Niedriglohnländer hält zunehmend Einzug in interne IT-Abteilungen. Die Herausforderung besteht nun in dem Management der externen und entfernten Dienstleister.

Konkurrenz der Offshore-Regionen
Indien: Trend- und Taktgeber
Indien ist Pionier sowie Trend- und Taktgeber im Offshore-Markt. Doch das Land muss sich neuer Konkurrenz erwehren, denn Offshore-Services lassen sich weitgehend ortsunabhängig beziehen. Längst haben auch andere Länder das Geschäft entdeckt und bieten IT-Dienste an.<br/><br/> (Foto: T.Gründer)
Malaysia: Der Staat fördert die IT
Als Konkurrenz für Infrastrukturservices hat sich seit geraumer Zeit Malaysia positioniert. In Cyberjaya, einem staatlich eingerichteten IT-Park vor den Toren von Kuala Lumpur, haben sich vorwiegend Data-Center-Betreiber angesiedelt. Sie bieten von dort aus ähnliche RZ-Dienste an wie die Provider in Singapur, allerdings in der Regel zu etwas günstigeren Bedingungen.<br/><br/> Foto:Torsten Gründer
Dubai: Teueres Pflaster
Dubai startete vor wenigen Jahren mit der Gründung der Dubai Internet City in das Geschäft mit IT-Offshoring. Der Wüstenstaat vergibt für die Ansiedlung in dem Industriepark Lizenzen an internationale IT-Dienstleister. Die in den Emiraten für den globalen Markt betriebenen Services ranken sich vornehmlich um die IT-Infrastruktur und das Projekt-Management.<br/><br/> Foto:Torsten Gründer
Südafrika: Gute Voraussetzungen, wenig Ertrag
Die gleiche Zeitzone wie Mitteleuropa und eine enorme Sprachenfülle sind eigentlich ideale Voraussetzungen für einen erfolgreichen Offshore-Standort, doch bislang konnte Südafrika seine guten Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Das Land kommt kaum über den Betrieb von einfachen Call-Center-Services etwa für amerikanische Banken hinaus. Nach wie vor behindern große Bildungsunterschiede, ein aus historischen Gründen teilreglementierter Arbeitsmarkt sowie eine schwache IT-Branche die Entwicklung der Offshore-Industrie.<br/><br/> Foto:Torsten Gründer
Fundierte Standortwahl
Torsten Gründer: "Die Zahl der IT-Offshore-Standorte nimmt weiter rasch zu. Nicht alle lokalen Anbieter sind indes reif genug, um IT-Dienste für Anwender betreiben zu können. Die Offshore-Dienstleister unterscheiden sich erheblich, so dass Unternehmen, die IT-Services aus entfernten Regionen nutzen möchten, sich intensiv informieren sollten. Der Entscheidung sollte eine detaillierte Nutzenanalyse und eine fundierte Standort- und Dienstleisterwahl vorausgehen. Unbedingt dazu gehört ein Besuch vor Ort."

Kneipp: Offshoring auf eigene Faust

Jasmin Brandl, Head of Projects im Information Management bei Kneipp: "Um in der IT innovative Technologien zu nutzen, setzen wir bei Projekten, die nicht zur Kernkompetenz gehören, auf kostengünstigere Ressourcen."
Foto: Kneipp

"Wir haben als mittelständisches Unternehmen den Offshore-Gedanken in der IT-Strategie verankert. Um in der IT innovative Technologien zu nutzen, setzen wir bei Projekten, die nicht zur Kernkompetenz gehören, auf kostengünstigere Ressourcen", erläutert Jasmin Brandl, Head of Projects im Information Management bei Kneipp, das Vorgehen. Dazu arbeitet der Würzburger Hersteller von Arzneimittel- und Pflegeprodukten, der 350 Mitarbeiter beschäftigt, direkt mit dem indischen Dienstleister Calpine Technologies aus Kochi zusammen.

"Für die Auswahl des Dienstleisters haben wir einen relativ aufwendigen Evaluierungsprozess betrieben, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können", erinnert sich Brandl. Im Ranking hätten auch Aspekte wie Finanzkraft, Alter des Unternehmens und Referenzen eine Rolle gespielt. "Wir haben bisher sehr gute Erfahrungen gemacht - allerdings handelt es sich auch nicht um entscheidungskritische Aufgaben", schränkt die Kneipp-Managerin ein. Typisch seien Integrationsprojekte zwischen SAP-System und anderen Plattformen oder als aktuelles Projekt die Entwicklung eines neuen Webshops.

Für die Umsetzung eines pharmaspezifischen Prozesses beispielsweise hatten die Würzburger ein deutsches und ein indisches Angebot eingeholt. Die Wahl fiel auf den indischen Partner, bei dem die Kosten um 60 Prozent niedriger lagen. In der Regel ergäben sich jedoch Einsparungen im Rahmen von etwa 35 bis 40 Prozent durch das Offshoring - "trotz der nicht unbeträchtlichen Kosten für die Reisen nach Indien", betont die Projektleiterin.

Wie Kommunikation klappt

Mittlerweile reisen deutsche Kneipp-Mitarbeiter zweimal im Jahr nach Indien, um anstehende Projekte und Anforderungen zu besprechen. "Präsenz zu zeigen ist sehr wichtig", rät Brandl. Arbeitsweise und Kommunikation in Indien seien anders, es gebe keine Acht-Stunden-Meetings, zudem erwarte man dort gemeinsame Mahlzeiten und Unternehmungen. In den heißen Projektphasen arbeiten indische Entwickler rund vier Wochen in Würzburg. Der Ablauf sieht vor, dass Kneipp die Anforderungen formuliert, der Dienstleister sie umsetzt und das Ergebnis in Deutschland getestet wird.

Wichtig ist nach Brandls Einschätzung eine regelmäßige Kommunikation, zum Beispiel in Form wöchentlicher Statusberichte. In der Praxis hätten sich jedoch Diskussionen in Englisch als Herausforderung erwiesen. In Problemfällen musste schon mal der Calpine-Geschäftsführer einspringen, der 15 Jahre in den USA gelebt hat. Künftig will man bei Kneipp zudem verstärkt mit Videokonferenzen arbeiten. "Uns war es wichtig, mit einem mittelständischen Anbieter auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten", kommentiert Brandl.

Rund 80 Prozent der Entwicklungsarbeiten, vor allem im J2EE-Bereich, hat Kneipp nach Indien ausgelagert. Nur ein kleiner Rest bleibt in Deutschland. Dazu zählt etwa die Payment-Anwendung für den Webshop, weil hier Datenschutz und Sicherheit eine besondere Rolle spielen. Neben einem Rahmenvertrag, der allgemeine Modalitäten regelt, haben die Würzburger einen Jahresvertrag, in dem Programmierer-Zeiten gebucht werden. Meist arbeiten zwei indische Mitarbeiter fest an Kneipp-Projekten, im Fall des Webshops waren drei Programmierer drei Monate lang tätig.

Deutsche BP: Wechselhafte Erfahrungen

Deutsche BP: Mit Offshoring und externen Ressourcen schneller auf die immer dynamischeren Anforderungen in der Applikationsentwicklung reagieren.
Foto: Deutsche BP

In Zusammenarbeit mit Atos Origin hat die Deutsche BP AG seit 2002 ein Global-Sourcing-Konzept umgesetzt, bei dem rund 50 Prozent der Leistungen offshore vom IT-Dienstleister in Indien erbracht wird. In Deutschland sind über 5500 Mitarbeiter für BP tätig, die eine komplexe und heterogene Applikationslandschaft mit zirka 200 Systemen und verschiedenen Anwendungen nutzen. Ziel des Offshorings war nicht allein das Kostensparen. Von den externen Ressourcen hat sich BP zudem versprochen, schneller auf die immer dynamischeren Anforderungen in der Applikationsentwicklung zu reagieren.

Dabei hat die Deutsche BP laut Ralf Funder, Global Applications Manager des Unternehmens, unterschiedliche Erfahrungen gesammelt: "Unser Applikations-Management unterscheidet unter anderem zwischen Basisbetrieb und Projektarbeit; Offshore im industrialisierten Basisbetrieb hat sich insbesondere für Commodity-Aktivitäten gut und effizient realisieren lassen. Im Bereich der Projekte hingegen ist es schwieriger, da je nach Größe, Laufzeit und Auswirkung des jeweiligen Projekts die Offshore-Aktivitäten an Effizienz verlieren können. Die professionelle Übersetzung lokaler Anforderungen in Spezifikationen für das Offshore-Team ist ein kritischer Erfolgsfaktor."

Alles eine Frage der Vorbereitung

Im Vorfeld wurde viel Energie in die Industrialisierung des Applikations-Managements gesteckt, dazu gehörte eine Umstrukturierung der IT in übergreifende Kompetenz-Center und die Standardisierung der Abläufe nach Itil. Dies hat Atos Origin zufolge auf beiden Seiten Investitionen erfordert: Arbeitsabläufe mussten definiert, die Leistungserbringung dokumentiert, Teams neu organisiert und Know-how transferiert werden. Hierzu baute der IT-Dienstleister ein deutsches Front- und ein indisches Backoffice auf.

Dabei verlagerte BP keine kompletten Aufgabengebiete, sondern ergänzte die deutschen Teams um indische Kollegen. Der direkte Kundenkontakt blieb dadurch in deutscher Verantwortung. "Front-Office-Funktionen in Deutschland sind die wichtigste Voraussetzung für Kommunikation in Offshore-Projekten", schildert Funder. "Dabei ist es gleichgültig, ob man mit deutschen oder indischen Dienstleistern zusammenarbeitet. Entscheidend sind kompetente lokale Ansprechpartner und Koordinationsstrukturen."

4k Animation: Schnelle Bearbeitung

Auch das Berliner Unternehmen 4k Animation arbeitet mit einem indischen Partner zusammen. Beispielsweise wurden Projekte für den "Asterix"-Film und das Kinder-Edutainment "Marvi Hämmer" mit Offshore-Anbietern betrieben. In Deutschland hat der Trickfilmspezialist zehn Mitarbeiter, in Indien sind es 75 und in Spitzenzeiten bis zu 200 externe Spezialisten. Die in Berlin entwickelten Modelle von Figuren werden in Indien mit Animationssoftware weiterbearbeitet. "Für uns sind nicht unbedingt die geringeren Kosten relevant als vielmehr die Notwendigkeit, in sehr kurzer Zeit eine große Menge zu produzieren", erläutert Jan Schmidtgen, Geschäftsführer der 4k Animation GmbH.

"In Indien sind Mitarbeiter mit klassischem IT-Hintergrund, aber auch mit künstlerischer Ausbildung für uns tätig. Während einer laufenden Produktion ist jeweils ein deutscher Kollege sechs bis zwölf Monate in Indien vor Ort. Das ist ein nicht unbeträchtlicher Wechsel der Lebensumstände", sagt Schmidtgen. "Die Zusammenarbeit klappt sehr gut. Probleme mit der Kommunikation lassen sich am besten durch die Präsenz vor Ort lösen." Schon seit 1999 nutzen die Berliner indische Ressourcen, früher mit Satyam (heute Mahindra Satyam) als Partner, seit Ende 2009 mit VenSat.

Offshoring-Standort Deutschland

Die Beispiele zeigen, dass eine enge Absprache erforderlich ist. Zudem müssen sich die Auftraggeber von lieb gewonnenen Abläufen, manchmal auch von hohen Ansprüchen verabschieden: "Offshoring funktioniert gut, wenn 80 Prozent Qualität ausreichen. Die letzten 20 Prozent noch mit beträchtlichem Aufwand zu realisieren ist eher typisch für die Deutschen", sagt der Berater eines großen deutschen IT-Dienstleisters, der nicht genannt werden möchte.

Mittlerweile gebe es kaum noch Deals ohne Offshoring-Anteil, wobei die konkrete Ausgestaltung der Abläufe zumeist dem Serviceanbieter obliege. Erschwerend für solche Projekte ist, dass das Offshoring oft auf Management-Ebene angestoßen, die Entscheidung von den Fach- und IT-Abteilungen aber nicht mitgetragen werde. "Das sind keine guten Voraussetzungen für die Dienstleister, weil so Projekte von den Mitarbeitern ausgebremst werden", warnt der Berater. Generell werden seiner Meinung zufolge Offshoring-Projekte selten nüchtern analysiert, sondern häufig "schöngerechnet". (jha)

Bild: Torsten Gründer

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