Geschäftsprozesse werden kommunikativ

16.07.2007 von Udo Sebald
Die Integration von Echtzeitkommunikation in Geschäftsanwendungen steigert die Produktivität.

Viele Vorgänge in Verwaltung, Dienstleistung, Warenwirtschaft und Produktion laufen heute immer stärker automatisiert ab, und ein elektronischer Geschäftsprozess greift nahtlos in den nächsten. Noch immer ist aber der Mensch gefragt, etwa um dringende Entscheidungen herbeizuführen, mit Kunden zu interagieren oder aktiv in Prozesse einzugreifen. Damit Geschäftsprozesse nicht ins Stocken geraten, müssen Mitarbeiter in der Lage sein, rasch den zuständigen Kollegen oder Geschäftspartner zu erreichen. Mit der Integration von Unified-Communications-Funktionen in die Geschäftsanwendungen sowie Groupware und Collaboration-Applikationen können Unternehmen die so genannte Human Latency reduzieren.

Unified Communications auf der Höhe der Zeit

Damit Geschäftsprozesse nicht ins Stocken geraten, müssen Mitarbeiter in der Lage sein, rasch den zuständigen Kollegen oder Geschäftspartner zu erreichen.
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Eine Vielzahl von Kommunikationskanälen sorgt theoretisch zwar für ständige Erreichbarkeit, macht das Kommunizieren in der Praxis aber nicht einfacher, sondern komplizierter. Wer heute dringend einen zuständigen Kollegen erreichen muss, hat es nicht leicht: Zunächst wird er es auf dem Bürotelefon versuchen, bei Abwesenheit eventuell dort eine Sprachnachricht hinterlassen. Der nächste Versuch – die Sache wird immer dringender – erfolgt über das Handy, erst per Anruf, dann per SMS. Am Ende versucht der Mitarbeiter, seinen Kollegen per E-Mail zu erreichen, wodurch er per Rückantwort erfährt, dass sein Kontakt für zwei Wochen im Urlaub weilt und an den Stellvertreter verweist. Im ungünstigsten Fall ist jetzt viel wertvolle Zeit verstrichen, bevor versucht wird, die Vertretung zu erreichen. Wichtig ist daher nicht nur die Integration aller möglichen Kanäle und die Möglichkeit des Zugriffs über eine vereinheitlichende Anwendung (Unified Communications = UC), sondern auch die Möglichkeit der Verwaltung der eigenen Erreichbarkeit und das Bereitstellen so genannter Presence-Informationen an Kollegen. Diese werden anhand selbsterklärender Icons angezeigt. Damit kann der Nutzer einer Unified-Communications-Anwendung auf einen Blick sehen, ob der gewünschte Ansprechpartner erreichbar ist und auf welchem Wege.

Qualitätszuwachs in der Zusammenarbeit

Die mit UC-Systemen verfügbaren Funktionen erhöhen vor allen Dingen die Qualität der Zusammenarbeit und verbessern damit die Produktivität der einzelnen Mitarbeiter, aber auch ganzer Gruppen. Mit einem Blick auf die Kontaktliste in seiner Oberfläche kann der Benutzer den Erreichbarkeitsstatus seiner Kollegen und den optimalen Kanal für eine Verbindung erkennen. Über nur einen Mausklick stellt er die Verbindung zum Gesprächspartner her (Click-to-Contact) oder beruft ganze Konferenzen für eine definierte Gruppe ein (Click-to-Conference). Er kann sie auch automatisch starten lassen, sobald alle Teammitglieder online sind. Der Verbindungsaufbau zu den jeweiligen Gesprächspartnern führt über eine einzige Telefonnummer. Automatische Spracherkenner (ASR) oder Text-to-Speech-Engines übertragen Nachrichten in unterschiedlichen Formen oder hinterlegen diese. Außerdem können beispielsweise mobile Mitarbeiter unterwegs ihr eigenes Portal über Sprachbefehle einstellen und steuern. Jeder Mitarbeiter kann seinen Kollegen situationsabhängige Präsenzprofile definieren, die er vom PC, über das Internet oder vom mobilen Endgerät aus aktivieren kann. Vielfältige Einstellungen sind möglich. So soll ein Mitarbeiter während eines Meetings nur für ganz bestimmte Personen direkt über sein Mobiltelefon oder seinen PDA erreichbar sein. Anrufe mit geringerer Priorität ließen sich an seinen Stellvertreter weiterleiten und Gespräche mit in dieser Situation sehr niedriger Relevanz könnten von der Voice-Mail aufgenommen werden. Damit aber noch nicht genug. Oft vergessen Mitarbeiter die Umstellung ihres Profils auf eine derartige Regel, bevor sie sich ins Meeting begeben. Solche Versäumnisse verhindert die Synchronisierung der Präsenz-Funktionalität mit dem Terminplaner. Dazu setzt der Mitarbeiter beispielsweise im Outlook-Kalender einen Kontext für die Kategorie des eingetragenen Termins. Die UC-Anwendung erhält dann aus einer Verbindung mit dem Exchange Server die Regel zum richtigen Zeitpunkt zugewiesen und das System stellt beispielsweise automatisch das Erreichbarkeitsprofil auf die Einstellung "Kundentermin außer Haus" um.

Die Möglichkeiten der automatisierten Erreichbarkeitserkennung gehen aber noch viel weiter. Beispielsweise kann das System über die Verbindungsaufnahme der beiden Bluetooth-Schnittstellen des Mobiltelefons und des Rechners erkennen, ob sich der Mitarbeiter gerade in der Nähe seines Arbeitsplatzes befindet und dies in der Präsenz-Funktion entsprechend anzeigen. Flexibel programmierbare Schnittstellen der UC-Software machen diese und weitere spezifischen Lösungen möglich. Eine größere Herausforderung ist das Erreichbarkeits-Management mobiler Mitarbeiter. Was innerhalb firmeneigner WLANs ohne Probleme möglich ist, lässt sich in öffentlichen Mobilfunknetzen heute nur schwer umsetzen. Doch in naher Zukunft können die Mobilfunkanbieter mit IP-Multimedia-Subsystemen (IMS) problemlos Präsenz-Informationen bereitstellen. All dies trägt dazu bei, dass die Mitarbeiter keine wichtigen Anrufe mehr versäumen und dass es kein erfolgloses Durchprobieren unterschiedlicher Telefonnummern beziehungsweise Ansprechpartner gibt.

Kommunikation wird in Business-Prozesse integriert

Den größten Nutzen verspricht die direkte Integration solch innovativer Kommunikationsfunktionen in die Geschäftsprozesse. Eine solche Business Process Integration (BPI) geschieht normalerweise genau an den Punkten, an denen nach vorheriger Analyse der Vorgänge mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kontaktaufnahme erforderlich wird. Dabei bleibt die Geschäftsanwendung, beispielsweise eine SAP-basierende SCM-Software (SCM = Supply Chain Management) oder eine CRM-Applikation (CRM = Customer Relationship Management) - etwa von Salesforce.com - in ihrer bisherigen Form erhalten, es werden lediglich zusätzliche Mechanismen integriert, die eine Kommunikation in Echtzeit ermöglichen.

Aus dem aktuellen Kontext heraus erlaubt diese dem jeweiligen Mitarbeiter den schnellen und sicheren Kontaktaufbau zu einer zuständigen und erreichbaren Person oder Gruppe. Dies führt zur Verbesserung und Beschleunigung des gesamten Prozesses und gleichzeitig zu einer Optimierung der damit verbundenen Kosten, da wichtige Informationen schneller beschafft oder weitergegeben werden können. Solche Communications-enabled Business Processes (CEBP) beschränken sich nicht auf die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation aus Geschäftsanwendungen heraus. Die Maschine-zu-Mensch-Kommunikation kann auch dann zum Einsatz kommen, wenn etwa die SCM-Anwendung registriert, dass eine Lieferung wichtiger Bauteile überfällig ist. Die Applikation informiert dann den zuständigen Mitarbeiter per E-Mail- oder SMS-Alert, so dass dieser nach dem Verbleib der Lieferung forschen und Maßnahmen ergreifen kann.

Kundenservice verbessert sich deutlich

Ein typischer Anwendungsfall für möglichst zeitnahe und sichere Informationsgenerierung sind Call-Center. Oft sind die dort arbeitenden Agenten nicht die wirklichen Spezialisten, die dem Kunden bei seinem Problem sofort helfen können. Der Kunde möchte aber gerade bei kostspieligen Hotlines nicht über Gebühr lange warten oder mit einer weiteren Telefonnummer vertröstet werden. Deshalb wird möglichst beim ersten Anruf versucht, das Problem durch in die Geschäftsprozesse integrierte und intelligente Servicemechanismen zu lösen. Der Agent erhält dazu in seiner gewohnten Benutzeroberfläche automatisch Vorschläge, welche Sachbearbeiter, Entscheider oder Personen aus einem höheren Supportlevel er für die Lösung des Problems hinzuziehen kann und wer davon auf welchem Weg erreichbar ist. Die Kontaktaufnahme erfolgt dann einfach per Mausklick. Damit werden Supportanfragen schneller bearbeitet, was zu höherer Kundenzufriedenheit und Produktivität führt.

Anwendung in der Finanzwelt

Eine Kreditvergabe ist aufgrund der vielen Prüfungs- und Genehmigungsschritte mit relativ hohem Aufwand verbunden. Je automatischer dieser Prozess abgewickelt werden kann, desto günstiger wird er, was sich nicht zuletzt in den Konditionen für den Kunden auswirkt. Dafür gibt es im Back-Office ein Portal, das alle für die Kreditvergabe erforderlichen Arbeitsschritte integriert. Hierzu gehören komplexe Vorgänge wie die Schufa-Auskunft oder bankinterne Aspekte zur Kreditwürdigkeit des Kunden. Dieses Portal führt den Bankangestellten durch den gesamten Prozess und fordert ihn bei bestimmten Prozessschritten zur Kommunikation oder Collaboration auf. Das betrifft beispielsweise die weitere Verfahrensweise, ob er eine Autorisierung für den aktuellen Schritt erhält oder wen er für die Klärung wichtiger Fragen kontaktieren muss. An solchen Stellen findet der Bankangestellte eine Liste der zuständigen Ansprechpartner mit deren aktueller Verfügbarkeit in seiner Arbeitsoberfläche. Ein einfacher Klick auf einen Namen verbindet ihn direkt mit dem für diesen Schritt zuständigen Gesprächspartner.

Integration über offene Schnittstellen

Echtzeit-Kommunikationssysteme werden heute über Protokolle wie SIP (Session Initiation Protocol) und Simple (SIP für Instant Messaging und Presence Leveraging Extensions) realisiert. Diese Protokolle sind die Basis für alle Kennzeichnungs- und Vermittlungsfunktionen in einer Unified-Communications-Umgebung. Sie stellen Merkmale wie Presence für einzelne Teilnehmer und ganze Gruppen oder Verbindung über den optimalen Kommunikationskanal zur Verfügung.

Solche Systeme können als Stand-alone-Anwendungen betrieben werden. Sinnvoller ist aber die tiefe Integration in Business-Anwendungen wie CRM- oder ERP-Systeme oder auch in vertikale Applikationen unterschiedlichster Industriezweige. Dabei haben die Anwender die Möglichkeit, ein komplettes UC-System zu integrieren, das auch bereits fertige Symbole für die einzelnen Funktionen zur Verfügung stellt – etwa in Form einer Communications-Toolbar. Andererseits bieten derartige Produkte über ein SDK (Software Development Kit) und ihre offenen APIs (Application Programming Interfaces) die Möglichkeit, sich in jede beliebige Geschäftsanwendung integrieren zu lassen. SDKs bieten zudem Scripting-Funktionen für den VXML- (Voice Exchange Markup Language) und Salt- (Speech Application Language Tags)Standard, einen Applikationsersteller, einen Word-Web-Proxy sowie ein Dialogmodul und Tuning-Programme für die Spracheingabe. Zusätzlich enthalten sie umfangreiche Schnittstellenbeschreibungen, die beispielsweise die Oberflächenintegration in eine Microsoft-Umgebung mit Hilfe des .NET-Frameworks ermöglicht.

Bestens geeignet für die Integration der Kommunikations- und Geschäftsanwendungen ist die Kopplung über Web-Services in Service-orientierten Architekturen. Mit SOA-basierten SDKs für die Erstellung entsprechender Schnittstellen können Unternehmen Echtzeit- und Präsenz-basierende Kommunikations-Features in Geschäftsprozesse integrieren. Per SOAP (Simple Object Access Protocol) können beispielsweise auch Dienste wie Location Based Services einbezogen werden. All dies erlaubt also die Integration in Geschäftsprozesse und kundenspezifische Lösungen in heterogenen Umgebungen. Dies führt zu einer verbesserten Ausnutzung strategischer Software-Investitionen und ermöglicht die Integration in ein bestehendes IT-und TK-Umfeld.

Unified-Communications-Software as a Service

Manche Unternehmen scheuen den Aufwand der Administration und Pflege von IT- und TK-Systemen. Deshalb werden SaaS- (Software as a Service)-Modelle immer beliebter. Dabei betreibt ein Dienstanbieter das komplette System und stellt seinen Kunden die erforderlichen Funktionen zur Verfügung. Die modernen UC-Systeme bieten mit ihrer Mehrmandantenfähigkeit die beste Voraussetzung für solche Einsätze. Dabei werden dem Benutzer virtuell separate Anwendungen zur Verfügung gestellt und Funktionen wie Billing, Provisioning oder auch die Administration von Benutzern und ganzen Gruppen getrennt steuerbar. Die Dienstleister können dann ihre Abrechnungen problemlos an die unterschiedlichen Nutzungsbedingungen oder Verträge ihrer Kunden anpassen. Darüber hinaus lassen sich solche Systeme über ihre offenen Schnittstellen in übergeordnete Management-Systeme einbinden, wobei dann das UC-System als eine Art Middleware fungiert. Große und weltweit operierende Konzerne versorgen mit dieser Funktionalität alle Unternehmensbereiche aus dem eigenen Rechenzentrum heraus. Vom Hauptsitz bis in die einzelnen Landesgesellschaften oder organisatorischen Einheiten nutzen dann die Mitarbeiter einheitliche Kommunikationsfunktionen. Auch die interne Rechnungslegung vereinfacht sich, da die Kosten sehr leicht den jeweiligen Abteilungen und Kostenstellen zugewiesen werden können – ein Vorteil, der speziell bei projektgebundenen Teams zum Tragen kommt. Die jeweilige Gruppierung der Teammitglieder lässt sich im UC-System sehr leicht abbilden und jederzeit verändern.

Mit Kunden und Partnern in einem Boot

Das wohl komplexeste Zusammenspiel zwischen Kunden und Partnern findet sich in der Automobilbranche. Sehr viele Zulieferer arbeiten in einem Just-in-Time-Verbund mit ihren Kunden. Unerwartete Verzögerungen bei der Produktion oder Anlieferung bedeuten für beide Partner einen mitunter massiven Verlust. Hier spielt die rechtzeitige Information über mögliche Probleme oder Lieferverzögerungen und deren unmittelbare Lösung eine wichtige Rolle. Ein mit allen Partnern gemeinsam genutztes UC-System vereinfacht jede Art der Kommunikation und stellt den rechtzeitigen und ungehinderten Informationsfluss sicher. Dabei kann der Großkonzern selbst als Hoster auftreten und die Dienste an seine Partner vermieten oder alle Beteiligten beziehen die Funktionen von einem externen Serviceanbieter. Auf diese Weise lassen sich auch die Logistik-Dienstleister noch enger in die Lieferkette einbinden. Für alle Beteiligten führt dies zu einer kostengünstigen Lösung, da keine Investitionen für zusätzliches Equipment erforderlich sind und Gebühren nur für den Zeitraum der tatsächlichen Zusammenarbeit entrichtet werden. (mb)