Wissens-Management 2.0

Gedankenaustausch einmal anders

11.01.2010 von Hans Königes
Barcamps ermöglichen den besseren Wissensaustausch zwischen Teilnehmern einer Konferenz oder auch im Unternehmen, wie die Multimedia Solutions GmbH in einem Versuch festgestellt hat.

Konferenzen verlaufen in der Regel nach einem klassischen Vortragsmuster: Es besteht eine klare Rollenverteilung für Sprecher und Zuhörer, die allenfalls durch Rückfragen am Ende aufgebrochen wird. Das Problem dabei: Gerade bei langen Veranstaltungen sinkt die Aufnahmebereitschaft der Zuhörer merklich. Dies ist nicht nur frustrierend für Referenten. Der einseitige Wissenstransfer ignoriert auch das Know-how des Fachpublikums.

Wie aber lassen sich Möglichkeiten zur Interaktion mit den Teilnehmern realisieren? Zuhörer, die zugleich Referenten sind, auf einer Konferenz, die keine ist: "Barcamp" nennt sich ein solches, relativ neues Veranstaltungsformat, das einen besseren Wissensaustausch ermöglichen soll. Wichtigste Voraussetzungen für den Erfolg eines Barcamps sind das Mitmach-Prinzip sowie die Abkehr von drögen Powerpoint-Präsentationen.

Christiane Rogge, Multimedia Solutions: "Wir mussten am Anfang viel Überzeugungsarbeit leisten."

Das Prinzip: Der Veranstalter legt den Themenfokus bei der Ankündigung fest. Anschließend lotet die Gemeinschaft im Vorfeld die möglichen Themen und Sessions aus. Jede Meinung ist wichtig, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Die finale Agenda legen die Teilnehmer dann vor Ort selbst fest: Finden sich für ein Thema genug Interessenten, so erhält es einen Diskussions-Slot zugewiesen.

Barcamps zählen zum Format der sogenannten "Unkonferenzen". Dies sind auf dem Prinzip der Selbstorganisation basierende, inhaltlich und formal relativ offene Diskussionsveranstaltungen. Social-Media-Experte und IT-Berater Franz Patzig kommentiert die Entwicklung: "Im Zuge der Verbreitung neuer Internet-Kommunikationstools sind auch bestehende Unkonferenz-Formate wie das in den 80er Jahren entstandene Open Space wieder stärker in Erscheinung getreten. Die breite Kommunikation über Blogs und Wikis hat dabei geholfen, den Vorteil dieser Veranstaltungsformen aufzuzeigen und ihnen so zu neuer Popularität zu verhelfen."

Unternehmen fördern Wissensaustausch

Auch Unternehmen erkennen zunehmend den Wert von Unkonferenzen, um den internen und externen Wissensaustausch zu fördern. Firmen wie IBM oder Core Media nutzen die offenen Formate und treiben so mit ihren Mitarbeitern oder bestimmten Interessengruppen die Ideenentwicklung voran.

Dabei setzen sie zunehmend auf das einfache Regelwerk des Barcamp-Konzepts. Patzig betont dabei den Unterschied zu den öffentlichen, für jeden Interessenten zugänglichen Barcamps: "Im Gegensatz zu den offenen Veranstaltungen handelt es dabei um geschlossene Konferenzen mit einem vorab definierten Teilnehmerkreis. Deshalb werden auch die Ergebnisse nicht öffentlich mitgeteilt, sondern dürfen im Regelfall das Unternehmen nicht verlassen, da oft interne oder gar geheime Themen behandelt werden."

Zu den Unternehmen, die Unkonferenzen hierzulande bereits nutzen, gehört die T-Systems Tochter Multimedia Solutions, die Internet-basierende Lösungen für Unternehmen entwickelt und betreut. Die erste firmenweite Unkonferenz nach den Regeln des Barcamps fand im Sommer 2009 unter dem Namen "Digital Life Camp" in Dresden statt und wurde von Patzig betreut.

Christine Rogge, Leiterin Marketing, Communication und CRM bei T-Systems Multimedia Solutions, kommentiert: "Die Herausforderung bestand darin, die richtigen Leute aus verschiedenen Bereichen miteinander ins Gespräch zu bringen, um Synergien und neue Ansätze zu schaffen." Im Vorfeld des Events musste Rogges Team dafür zunächst einmal Überzeugungsarbeit leisten. In vielen Gesprächen galt es, die Mitarbeiter des Unternehmens für die Vorteile des Veranstaltungsformats zu begeistern.

Zweifel sind allgegenwärtig

Zweifel und Bedenken gegenüber der offenen Veranstaltungsform sind allgegenwärtig, wie Patzig weiß: "In jedem Unternehmen gibt es Leute, die nicht glauben, dass die Veranstaltung mit so wenigen Regeln funktionieren kann. Sie glauben, dass es zu einem organisatorischen Chaos kommt oder die Vortragenden ihre Zeiten überziehen. Zudem findet die Veranstaltung ja während der Arbeitszeit statt, was manche als unwillkommene Unterbrechung wahrnehmen."

Trotz intensiver Kommunikation mit Multiplikatoren über einen Event-Blog und direkter Gespräche waren auch die T-Systems-Mitarbeiter anfangs skeptisch gegenüber dem geplanten Digital Life Camp. "Damit ein solch innovatives Format bei den Mitarbeitern gut aufgenommen wird, muss ein solides Fundament geschaffen werden", erläutert Patzig. "Die Organisatoren sollten die Regeln und die Ziele der Veranstaltung genau erklären und die Mitarbeiter ermutigen, eigene Ideen einzubringen und initiativ zu werden." So starteten Patzig und das Organisationsteam von T-Systems Multimedia Solutions eine Artikelserie im Event-Blog zu Geschichte und Auswirkung des Unkonferenz-Formats und gaben dort Tipps zum möglichen Aufbau von Sessions. Insgesamt schrieben sich rund 180 Mitarbeiter ein und bereicherten das Veranstaltungs-Wiki mit ihren Themenvorschlägen.

Im Wiki fließen alle Ideen zusammen

Im zentralen Wiki fließen alle Ideen im Vorfeld der Veranstaltung zusammen. Die Teilnehmer pflegen, erweitern und ändern die Einträge kollaborativ. Wer selbst eine Session leiten möchte, stellt das Thema dann am Morgen der Konferenz kurz vor.

Mit 37 Sessions, die jeweils in sechs Räumen parallel stattfanden, konnte auch auf dem Digital Life Camp ein breites Themenspektrum diskutiert werden. Es reichte von neuen Technologien wie Android und Google Wave bis hin zu Web-2.0-Themen wie Digital Employer Branding oder Reputations-Management. Selbstorganisation kann jedoch nur funktionieren, wenn sich die Teilnehmer für ihre jeweiligen Themen begeistern können. "Deshalb ist wichtig, dass jeder seine Interessen auch wahrnimmt", erklärt der Unkonferenz-Experte.

Ideen und Wissen vor Ort dokumentieren

Die ausführliche Dokumentation einer Unkonferenz ist unerlässlich und sollte gleich vor Ort durch die Teilnehmer in Angriff genommen werden. Beim Digital Life Camp von T-Systems Multimedia Solutions fühlten sich viele dazu berufen, den jeweiligen Stand der Debatte und ihre Eindrücke per Weblog festzuhalten. Bereits kurz nach Ende der Konferenz war auch ein "Camp Book" fertig, das alle besprochenen Themen kurz zusammenfasste. Abfotografierte Whiteboard-Seiten zeigen, worum es bei Unkonferenzen geht: Tabu sind langweilige, vorgefertigte Präsentationen.

Christine Rogge ist sich sicher, dass auch andere Unternehmen von den Vorteilen einer Unkonferenz profitieren können: "Wissensschätze lassen sich durch diese Art der Veranstaltung leicht heben." Für die Förderung von interdisziplinären Kompetenzen und den Aufbau einer aktiven Community innerhalb der Firma sei das Mitmach-Format perfekt geeignet. "Es lohnt sich deshalb auch, von Anfang an möglichst viele Mitarbeiter mit ins Boot zu holen", so Rogge.

Unternehmen wie Twitter haben die Technik bereits fest in ihrer Unternehmenskultur verankert, weiß der Social Media Experte Patzig: " Dort gehört es zum Arbeitsalltag, dass die Mitarbeiter spontan kurze Sessions für die Kollegen abhalten." Besonders spannend für international tätige Unternehmen: Auch über die Entfernung funktioniert das Format. So hat Patzig kürzlich mit Partnern aus Großbritannien eine Unternehmensberatung gegründet. "Wenn ein Kollege eine neue Idee hat, organisiert er spontan eine Telefonkonferenz und stellt das Thema vor", erläutert er. "Dann nutzen wir einen internen, kostenlosen Microblogging-Dienst für den weiteren Ideenaustausch. Dieser ermöglicht ausreichende Textlängen und wir vermeiden Verteiler-Rattenschwänze an E-Mails. Außerdem ist alles gleich online dokumentiert und lässt sich per Tagging einfach durchsuchen."

Patzigs Resümee zur Unkonferenz bei T-Systems Multimedia Solutions: "Ein Teilnehmer meinte im Nachhinein, er habe den Eindruck, dass diese Veranstaltung das Unternehmen nachhaltig verändert hat."