Es ist ein jährliches Ritual: Marktforscher und Analystenhäuser listen jeweils zum Jahresende die IT- und Technologie-Trends auf, die nach ihrer Ansicht für die zukünftige Entwicklung der Unternehmen von entscheidender Bedeutung sind - oder sein könnten. Nach der Gartner-Definition handelt es sich dabei um solche "strategischen" Technologien, die Teile der IT oder Unternehmensorganisation in den nächsten drei Jahren entscheidend verändern könnten ("disruptive technologies"), großer Investitionen bedürfen oder das Risiko mit sich bringen, als Zuspätkommer das Nachsehen zu haben.
Mehr als zwei Drittel der Befragten skeptisch
Zehn dieser Technologien zählte Gartner im letzten Winter als "Top 10 Strategic Technologies for 2009"auf. Von Virtualisierung und Cloud-Computing auf den ersten beiden Plätzen über Web-Oriented Architectures und Unified Communications bis zu "Social Software and Social Networking", Business Intelligence und Green-IT ist fast alles dabei, was in Technologie-Zirkeln derzeit die Runde macht. (Siehe Grafik: "Gartners Top 10 Strategic Technologies for 2009").
Die Freiberuflerbörse Gulp hat einige dieser Trends einem Reality-Check unterzogen: Mit einer Befragung von 311 IT-Freiberuflern und 39 IT-Projektanbieter wollten die Personalvermittler herausfinden, was die Praktiker von den IT-Trends halten. Auch wenn die Aussagekraft der Untersuchung begrenzt ist, eröffnet sie doch einen aufschlussreichen Blickwinkel. Denn während sich Marktforscher und Analysten sich bei ihren Prognosen im Wesentlichen auf Interviews mit Entscheidern bei Anbieter- und Anwenderunternehmen stützen, haben freiberufliche IT-Fachleute das Ohr am Puls des IT-Projektalltags.
Das Ergebnis: Die IT-Praktiker beurteilen die Mehrzahl der von Gartner genannten Zukunftstrends kritisch. Lediglich Business Intelligence und Desktop-Virtualisierung bewerten sie mit großer Deutlichkeit als ernst zu nehmende Trends, Cloud-Computing und Green-IT hält noch eine knappe Mehrheit für relevant, während die IT-Freiberufler die Themen Enterprise Mash-ups und Web 2.0/Social Software mit großer Deutlichkeit als Luftblase einstufen.
Wirtschaftskrise dämpft Investitionslust
Überbewerten sollte man diese Ergebnisse nicht. Denn Analysten richten sich gerade mit den Zukunftstrends an IT-und Business-Entscheider in den Unternehmen, die nicht nur für das Tagesgeschäft verantwortlich sind. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, Tendenzen frühzeitig zu erkennen und Strategien zu entwickeln, wie sie ihren Unternehmen mittel- und langfristig Wettbewerbsvorteile sichern können. Auf der anderen Seite sind gerade freiberufliche IT-Mitarbeiter eher selten in strategische Planungen eingebunden, sondern als Praktiker in der Regel im täglichen Projektgeschäft tätig, das erst mit zeitlicher Verzögerung den langfristigen Unternehmenszielen nachläuft.
Zudem hat die Wirtschaftkrise das Investitionsverhalten stark beeinflusst. In der wirtschaftlichen Flaute konnten es sich die wenigsten Unternehmen leisten, große Beträge in Zukunftstechnologien mit unsicherem RoI zu investieren. Im letzten Jahr war es deshalb nicht die Hauptsorge der CIOs, tatsächliche oder vermeintliche Zukunftstrends zu verpassen, sondern Einsparpotenziale im operativen Betrieb zu identifizieren. In Zeiten knapper Kassen wurden deshalb auch fast überall das Projektportfolio einer kritischen Prüfung unterzogen und die Vorhaben genauer als sonst in die Kategoriern "must have" und "nice to have" eingeteilt.
Aufgeschoben oder aufgehoben?
Also nur aufgeschoben, nicht aufgehoben? - Hat die Krise die Umsetzung der Zukunftstrends nur verzögert und wird der erwartete wirtschaftliche Aufschwung sie doch noch auf die Agenda der CIOs heben? - Schwer zu sagen. Wenn man davon ausgeht, dass die Meinung der IT-Freiberufler von ihrer Arbeit in gegenwärtigen oder kurzfristig anstehenden Projekten geprägt wird, lässt sich aus der Gulp-Befragung zumindest folgern, dass die Themen Business Intelligence und Desktop-Virtualisierung offenbar die besten Chancen auf Realisierung haben. Die sehr deutliche Ablehnung der Themen Enterprise Mash-ups und Web 2.0/Social Software durch die IT-Freiberufler legt indes die Vermutung nahe, dass zumindest noch einige Zeit vergehen wird, bis sie in Projekten umgesetzt werden und den Unternehmensalltag erreichen - oder auch bei vielen Unternehmen ganz von der Agenda verschwinden.