Gartner: Person-zu-Prozess-Interaktion beeinflusst ERP-Entwicklung

23.05.2006
Das von dem Beratungshaus erdachte Konzept des "Process of Me" verlangt nach auf den einzelnen Nutzer zugeschnittenen Prozessen und Methoden zum Austausch mit anderen Anwendern. Nach Überzeugung Gartners werden Oracle, SAP, Microsoft und IBM ihr Lösunsportfolio künftig daran ausrichten.

Nach Ansicht von Gartner stehen die Hersteller von Business-Software vor der Aufgabe, ihre Lösungen auf den individuellen Benutzer auszurichten. Statt sich auf die Automatisierung von Geschäftsprozessen im Unternehmen zu kümmern, müssten sich die Lösungen auf die Prozesse jedes einzelnen Anwenders ausrichten. Gartner spricht hier vom "Process of Me". Darunter fassen die Berater die Teilnahme an Geschäftsprozessen von unterschiedlichen Endgeräten aus, Instant-Messaging und Online-Diskussionen zusammen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, würden Hersteller die Anwendungsentwicklung, Business-Process-Management, Business-Applikationen und Collaboration-Funktionen miteinander verzahnen. Ein weiteres Element sind moderne Internet-Techniken ("Web 2.0"). Solche Oberflächen zeichnen sich durch hohe Flexibilität und Integrierbarkeit aus. Beispielsweise bietet das "Google Desktop" die Möglichkeit, Funktionsbausteine ("Gadgets") in die nutzerindividuelle Seite einzufügen. Gadgets liefern Kalenderfunktionen, gestatten einen Zugriff auf E-Mails und helfen bei der Verwaltung von Digitalfotos.

Laut Gartner reiche es nicht, bekannte Geschäftsprozesse auf die individuellen Bedürfnisse des Anwenders zuzuschneiden. Vielmehr müssten die Nutzer Werkzeuge erhalten, die es ihnen gestatten, Prozesse sowie die Tools, die diese Abläufe ermöglichen, zu manipulieren. Dies setze eine Kombination von vordefiniertem Content und an dem Anwender ausgerichteten Werkzeugen voraus.

Von dem Nutzen dieses Ansatzes ist Gartner mehr als überzeugt: Das Beratungshaus glaubt, dass Unternehmen, die sich um die Prozesse und Aktivitäten des einzelnen Anwenders kümmern, im Jahr 2010 der Konkurrenz um Längen voraus sein werden.

"Viele der erforderlichen Softwarefunktionen bestehen bereits, es geht darum, sie zu kombinieren", so Gartner-Analyst Simon Hayward im Gespräch mit der Computerwoche. Funktionen für die Zusammenarbeit mit anderen Anwendern gibt es bereits in Form von Groupware. Doch diese Programme sind meist nicht mit den transaktionsorientierten Business-Lösungen gekoppelt. Vielmehr verwenden Benutzer unterschiedliche Frontends. "Die Integration besteht mitunter darin, Inhalte aus einer in die andere Anwendung per Cut & Paste übertragen", meint Hayward.

Microsoft beispielsweise verfüge über alle erforderlichen Mittel, um Gartners Process-of-Me-Konzept zu realisieren. Dazu zählten Office, die Business-Applikationen ("Dynamics") sowie die Workflow- und Collaboration-Services von Sharepoint. Allerdings stehe der Konzern vor der Aufgabe, diese traditionell aus unterschiedlichen Richtungen stammenden Softwareprodukte zu integrieren.

Oracle habe eine Vielzahl an unterschiedlichen Applikationen im Programm, nebst Entwicklungsumgebungen und Collaboration-Werkzeugen. Jedoch könne sich das Unternehmen bislang nicht als Lieferant von nutzerindividuellen Tools hervortun. Beispielsweise spiele die "Collaboration Suite", eine Alternative zu Exchange von Microsoft und IBMs Lotus Notes keine herausragende Rolle am Markt. Doch grundsätzlich habe Oracle verstanden, wie Collaboration, Entwicklungswerkzeuge und Business-Software zu kombinieren sind.

Im Gegensatz dazu kann IBM kein vollständiges Portfolio anbieten. Zwar deckten "Workplace", "Websphere" und "Activity Explorer" Teilaspekte des Process-of-Me-Konzepts ab, es mangele Big Blue jedoch an eigener Business-Software. Möglicherweise werde sich das Unternehmen daher stärker auf die Software-Entwicklung konzentrieren. Die Bedeutung paketierter Prozesse, wie sie IBM mit den "Workplace Solutions" liefere, nehme im Rahmen von Process of Me zu, allerdings erforderten sie eine Kombination aus Entwicklung und Consulting.

SAP suche sich für die Umsetzung des Process-of-Me-Ansatzes Partner. Einer davon ist Microsoft. Das Produkt "Duet", resultiert aus dem gemeinsamen Entwicklungsprojekt "Mendocino". Doch von dieser Liaison würde Microsoft eher profitieren. Die Walldorfer stehen vor der Herausforderung, die Prozesse des einzelnen Anwenders besser zu verstehen, da sich der Softwarehersteller bisher nur um die Belange des gesamten Unternehmens gekümmert habe.

Voraussetzung für eine vom User getriebene Prozessgestaltung sind moderne Backends. Somit lassen sich Hayward zufolge Process-of-Me-Ideen nur in Service-orientierten Architekturen realisieren, an denen viele ERP-Anbieter bereits arbeiten.

Doch es drängt sich die Frage auf, inwieweit die IT-Leitung beziehungsweise die Geschäftsführung im Unternehmen überhaupt bereit ist, Prozesshoheit an die einzelnen Nutzer zu übertragen. Ein Motivator könnte Gartner-Mann Hayward zufolge sein, das Fachabteilungen besser als bisher Einfluss auf Abläufe in der IT ausüben können. (fn)