COMPUTERWOCHE Roundtable IT-Freiberufler

Freelancer sind keine Schuhe

04.11.2015 von Florian Kurzmaier
Menschen sind keine Handelsware – ihre Arbeitskraft, Talente und Kreativität aber schon. Erst recht gilt das für Freelancer. Dass die Vermittlung des perfekten Freiberuflers deutlich vielschichtiger ist, als der bloße Griff ins Schuhregal, hat einmal mehr der IT-Freiberufler Roundtable der COMPUTERWOCHE gezeigt.
  • Die Nachfrage nach IT-Security-Experten explodiert
  • Die Zertifizierung der Freelancer als Vergleichskriterium gewinnt zunehmend an Bedeutung
  • Dritter (und letzter) Teil des COMPUTERWOCHE-Roundtables zum Markt für IT-Freiberufler

"Ein IT-Spezialist ist ein Mensch", erklärt Shahin Pour von iPAXX, "den kann man nicht einfach nach Bestellung aus dem Regal holen." Was im Schuhgeschäft noch prima funktioniert, lässt sich also nicht zwangsläufig auch auf ein Geschäft wie die Freiberufler-Vermittlung anwenden. Zu wichtig und prägend ist die menschliche Komponente für dieses Geschäft. Überhaupt geht es bei diesem Freiberufler-Roundtable der COMPUTERWOCHE sehr Menschen-fixiert zu.

Freiberufler sind keine Turnschuhe. Die kann man nicht einfach nach Bestellung aus dem Regal holen.
Foto: Shutterstock/Guiseppe Costantino

People Business

Der Grund dafür dürfte wohl sein, dass unter den rund 20 eingeladenen Freiberuflervermittlern neben Branchengrößen wie Hays auch viele kleinere und spezialisiertere Häuser vertreten waren. Stephan Frohnhoff, Geschäftsführer der emagine, sieht die wichtigste Komponente für den Vermittlungserfolg bei den Freiberuflern selbst und sagt: "Solange der Markt so ist, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt, ist es notwendig, wie ein Account Manager zu handeln. Ich muss den Kandidaten heute vom Projekt begeistern können." Im People Business Personalvermittlung zählt also zuvorderst die persönliche Ebene.

Freiberufler-Markt 2016: Was Personaldienstleister erwarten, wurde auf dem COMPUTERWOCHE-Roundtable diskutiert.
Foto: IMG

Fehlt es allerdings an einem spannenden, herausfordernden Projekt, wird es für jeden Vermittler schwer. So jedenfalls schätzt Frank Shams von first solution den Markt ein. Aus seiner Sicht sei der Freiberuflermarkt derzeit ein "extremer Verkäufermarkt." Die Konsequenz: "Freiberufler können sich im Prinzip aussuchen, wo sie hinmöchten." Das Bewusstsein über die eigenen Qualitäten der Freelancer, das Shams hier zum Ausdruck bringt, sieht auch Maxim Probojcevic von der SOLCOM. Für den schwäbischen Personalvermittler ist klar: "Der Markt wächst auch deshalb, weil die Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr geschätzt wird."

Selbstbewusste Freelancer verlangen kreative Dienstleister

Gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels haben es die Vermittler mit einer zunehmend fordernden und anspruchsvollen Klientel zu tun - nachzulesen im vorherigen Artikel zum Freiberufler-Roundtable der COMPUTERWOCHE. Verstärkt wird der Druck dadurch, dass der deutsche Markt nach wie vor sehr stark lokal geprägt ist: "Die deutschen Unternehmen wollen vor allem deutschsprachige Mitarbeiter", so Carlos Frischmuth vom Marktführer Hays. Ein zunehmender Trend zur Internationalisierung im Freelancer-Markt - das jedenfalls stellen alle Diskutanten fest - ist spürbar. Dieser Trend führt jedoch nicht zu einem steigenden Handlungsdruck für die Dienstleister: "Das Thema Internationalisierung taucht seit Jahren immer wieder auf, wir verspüren da aber keinen Druck", bringt Maxim Probojcevic auf die Wahrnehmung der Diskutanten auf den Punkt.

Doch auch wenn der unmittelbare Druck aus der Internationalisierung keine Handlungszwänge erzeugt: Mit Plattformen wie LinkedIn, die zunehmend Einfluss auf das Arbeitsleben nehmen, erwächst den klassischen Dienstleistern auf dem internationalen Parkett ein Konkurrent mit Millionen von aktuellen Profilen. "Plattformen werden Einfluss nehmen. Und wir müssen unsere Services darauf ausrichten, personalisiert und stärker mit dem Menschen in Interaktion zu sein - das wollen auch die Freiberufler", erklärt Hays-Vertreter Frischmuth. Eine pragmatische Anpassung an die Wünsche und das Nutzungsverhalten der Freelancer sieht auch Frank Shams als Auftrag für die kreative Entwicklung von USPs.

Freiberufler-Markt 2016: Was Personaldienstleister erwarten
Freiberuflervermittler reden Klartext
Scheinselbständigkeit, Wachstumschancen 2016, Kandidatenmarkt - das waren nur einige der Themen, über die die rund 20 Personaldienstleister diskutierten, die die COMPUTERWOCHE im Oktober 2015 zum Freiberufler-Roundtable in die Redaktion geladen hatte.
Luuk Houtepen, Sthree
Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH bei Sthree. Das erste Wort, das er in Deutschland lernte, war "Passt ned!". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned".
Andreas Krawczyk, Freelancer.Net
Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, beobachtet, dass die viel zitierte Offenheit durchaus auch auf Seiten der IT-Freien fehlt. "Freiberufler sind auch oft passiv", sagt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise."
Marco Raschia, top itservices
Marco Raschia, Director des Global Competenc Center Finance bei top itservices, sagt über die konservative deutsche Unternehmenskultur: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten.
Christian Neuerburg, DIS AG
Ein weiterer großer Schmerzpunkt ist die unklare Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG, legt denselben Katalog an Prüfkiterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität".
Nikolaus Reuter, Etengo
Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo, engagiert sich gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. Er sagt: "Selbst Andrea Nahles hat mit dem Dialogprozess 'Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann."
Michael Girke, Q-Perior
Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt das Thema Scheinselbständigkeit ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen.
Daniela Kluge, Gulp
„Wir Dienstleister haben es mit zwei herausfordernden Zielgruppen zu tun. Auf der einen Seite steht der selbstbewusste Freiberufler, der weiß, was er kann und was er wert ist. Auf der anderen Seite sind die Endkunden nicht mehr bereit, jeden Preis zu zahlen. Trotzdem ist der durchschnittlich erzielte Stundensatz der IT- und Engineering-Freiberufler in 2015 laut unserer Stundensatz-Umfrage um 50 Cent marginal auf 80,50 Euro gestiegen - ein Anzeichen für einen starken Kandidatenmarkt."
Andreas Dittes, Talentwunder
„Die Fachkräfte wissen um ihren Wert. Vor allem die jüngere Generation hat nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern erwartet von ihrem Auftraggeber Flexibilität, etwa in Hinblick auf eine Vier-Tage-Woche oder eine Home-Office-Regelung.“
Sven Herzberg, Goetzfried
„Diese Erwartungen der Generation Y (Teilzeiteinsatz, Home Office, etc) decken sich häufig aber nicht mit denen des Kunden. Ein IT-Freiberufler hat in der Regel vor Ort zu sein, auch anderswo werden keine Kompromisse gemacht: So gilt Deutsch nach wie vor als Projektsprache. Ohne Deutschkenntnisse wird es für Freiberufler schwierig, ein Projekt zu finden.“
Carlos Frischmuth, Hays
„Deutsche Unternehmen wünschen sich zu einem überwiegenden Anteil den Einsatz deutschsprachiger Freiberufler in der IT - allerdings verzeichnen wir parallel dazu eine kontinuierliche Öffnung der internationalen Projektmärkte insbesondere für IT-Freelancer aus Deutschland!“
Andreas Nader, Questax
„Unsere Kunden erwarten nach wie vor, dass der Freiberufler bei Ihnen vor Ort im Einsatz ist, zum einen weil die freiberuflichen Experten ihr Wissen an die Mitarbeiter weitergeben sollen. Zum anderen erfordern etwa agile Methoden wie Scrum, dass alle Entwickler präsent sind und sie sich mitunter täglich austauschen und untereinander abstimmen.“
René Troche, Westhouse Consulting
„In großen Unternehmen entscheidet der Einkauf, welche Freiberufler beauftragt werden. Und sie arbeiten in der Regel nur noch mit vier bis fünf Personaldienstleistern zusammen. Mehr Offenheit und Breite findet man in kleinen und mittelständischen Betrieben.“
Stefan Frohnhoff, emagine
„Das Thema Scheinselbständigkeit sorgt sowohl bei Unternehmen als auch bei Freelancern schon seit geraumer Zeit für Unsicherheit.“
Shahin Rejaei Pour, iPAXX
„Ein IT-Experte ist ein Mensch, man kann ihn nicht wie eine Ware bestellen und aus dem Regal holen.“
Maxim Zvezdan Probojcevic, SOLCOM
„Der Markt wächst auch deshalb, weil die Auftraggeber mit der Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr zufrieden sind.“
Frank Shams, 1st Solution
"Ich habe den Eindruck, dass ein Freiberufler oft auf einen Skill reduziert wird. Dabei besteht das eigentliche „ Können" darin, ihn mit all seinen „Fähigkeiten" zu bewerten.“

Zertifikate, die die Welt bedeuten

In einer Branche, in der sich die Talente von Menschen nur schlecht in vergleichbare Standards pressen lassen, fällt die Auswahl der "perfekten Kandidaten" schwer. Um so wichtiger sind deswegen Zertifikate wie BSI Grundschutz, ITIL oder PRINCE2. Sie sorgen letztlich dafür, dass sich Skillsets von Freelancern vergleichen lassen und so auch beim Kunden Klarheit über die Fähigkeiten der Externen herrscht. "Die Freiberufler tun gut daran, up-to-date zu sein", ergänzt Carlos Frischmuth - vor allem in der Softwareentwicklung. Neben dem klassischen Development, das sich zunehmend von der Ebene der Querschnitttechnologien wie Cloud Computing oder Big Data löst, gilt der Trend zum Zertifikat auch für andere Bereiche. Frank Shams beispielsweise sagt: "Projektmanager müssen heutzutage zertifiziert sein." Mit dem Einzug von Zertifikaten stellte sich den Teilnehmern der Diskussion auch die Frage, inwiefern agile Methoden wie SCRUM den Freiberufler-Markt bewegen.

Eine ganze Reihe hochkarätiger Vertreter versammelten sich im Konferenzzentrum des Verlages.

Während für Maxim Probojcevic das Thema nicht mehr wirklich zu den Hype-Themen gehört ("SCRUM ist schon längst etabliert."), eröffnet Carlos Frischmuth eine neue Perspektive auf SCRUM, nämlich den Compliance-Aspekt: "SCRUM als agile Methode erfordert eine andere Einbindung von Ressourcen im Unternehmen. Sogar die Politik beschäftigt sich damit, wie SCRUM als Methodik aus der IT compliance-fähig werden kann." Der Hintergrund ist relativ einfach erklärt: Inwiefern lässt sich der Freelancer in ein SCRUM-basiertes System aufnehmen, ohne dass er aufgrund der Weisungen des Auftraggebers (die in einem agilen System durchaus vorkommen können) Gefahr läuft, in die Scheinselbständigkeit zu geraten.

IT-Security? Sicher!

"IT-Security hat enorm zugenommen." Mit diesen Worten leitet Frischmuth den letzten größeren Themenblock ein, den die Teilnehmer des COMPUTERWOCHE-Freiberufler-Roundtables diskutiert haben - Security. "Wir sehen bei uns in diesem Jahr bei der Zahl der Anfragen den mit Abstand größten Sprung im Bereich IT-Security - das explodiert förmlich. Die anderen Hype-Themen sind zwar da, spielen aber vom Business-Anteil keine wirkliche Rolle. Das Thema IT-Security liegt bei uns inzwischen im IT-Sektor bei zehn Prozent, ist also absolut wahrnehmbar", erklärt SOLCOM-Vertreter Probojcevic.

Neben der fachlichen Diskussion blieb auch reichlich Zeit für Networking.

Angesichts der zunehmenden Adoption bei Cloud-Computing-Lösungen (beispielsweise für Backup oder Disaster Recovery) oder BI und Data Analytics verwundert dieser Trend kaum, werden doch Daten in zunehmendem Maße eine missionskritische Komponente. Das haben laut Probojcevic inzwischen viele der Kundenunternehmen der Personalvermittler verstanden: "Es geht nicht mehr nur um irgendeine Sicherheitsthematik, sondern ums Überleben. Wir sprechen mittlerweile auf internationaler Ebene von Wirtschaftsspionage. Dementsprechend versuchen die Unternehmen denen es noch gut geht, sich entsprechend aufzustellen."

Insofern dürften IT-Security-Spezialisten in den Schuhregalen der Personaldienstleister künftig Gold wert sein - erst recht, wenn sie alle notwendigen Zertifikate mitbringen.

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