Business Intelligence im Mittelstand

Firmengruppen benötigen transparente Geschäftsdaten

23.10.2009 von Hans-Thomas  Hengl
Weltweit aufgestellte mittelständische Unternehmen sehen Bedarf für grenzüberschreitende Analyse- und Reporting-Verfahren. Lösungen dafür sind vorhanden, doch die Umsetzung ist anspruchsvoll.

"Mit länderübergreifendem Reporting befassen sich erst einzelne Unternehmen", stellt Patrick Keller, Analyst bei BARC, ernüchternd fest. Viele Mittelständler seien zwar europaweit tätig, beschäftigten sich aber nicht mit internationaler Business Intelligence (BI). Sie kümmern sich lediglich um die handelsrechtlich vorgeschriebene Rechnungslegung und das Finanz-Management, so Kellers Zustandsbeschreibung. Sein Gartner-Kollege Andreas Bitterer bestätigt diese Sicht der Dinge: "Im grenzüberschreitend tätigen Mittelstand entwickelt sich gerade erst das Bewusstsein, BI international aufzusetzen."

Hohe Kosten

Diese Zurückhaltung ist nicht weiter verwunderlich, denn Business Intelligence über Ländergrenzen hinweg gestaltet sich finanziell aufwändig. Keller geht davon aus, dass, wie bei allen BI-Projekten, Datenanbindung und -versorgung die größten Kosten verursachen. Und Forrester-Analyst Boris Evelson rechnet detailliert vor, dass eine Lösung, die lediglich Reporting-, Abfrage-, OLAP- (Online Analytical Processing) und Dashboard-Tools bereitstellt, im Durchschnitt zwischen 150.000 und 300.000 Dollar kostet.

Hinzu kommen pro ausgegebenem Dollar für die Software mindestens fünf bis sieben Dollar für die dazu gehörigen Dienstleistungen. Und rechnet man schließlich BI-Komponenten für Datenqualität und -integration, Stammdaten-Management, Portale sowie Data Warehouses hinzu, sei es schwer, ein neues internationales BI-Projekt für weniger als eine Million Dollar zu realisieren.

SaaS-Lösungen sind derzeit keine Option

Ein Software-as-a-Service-Modell (SaaS), das gemeinhin als Kostenbremse gilt, ist keine Alternative, so die einhellige Meinung der Analysten: "Das Saas-Modell ist noch nicht sehr weit verbreitet und findet im BI-Umfeld noch kaum Verwendung", so Martin Barnreiter, Senior Consultant bei der Unternehmensberatung PAC. Das gelte auch für ein Szenario, wonach zum Beispiel die Finanzsoftware im Rahmen von SaaS betrieben und die dazugehörige BI-Lösung in diesem Rahmen gleich mit angeboten werde. "Wir sprechen hier von Zukunftsmusik, vor allem, wenn es um internationale Verflechtung geht." Kategorischer fällt die Ablehnung des SaaS-Modells durch Rüdiger Spies, Independent Vice President Enterprise Applications bei IDC Europe, aus: "Für die intensive Analyse von Finanzkennzahlen und operativen Daten ist ein ausgeprägtes Zusammenwirken von Business-Intelligence-Tools und Data Warehouse eine wesentliche Voraussetzung. Dies umzusetzen ist mit einem Software-as-a-Service-Modell derzeit nicht möglich."

Länderspezifische Besonderheiten erschweren Datenanalysen

Zu den unvermeidlich hohen Kosten kommt die Lösung der spezifischen Probleme, die mit internationaler BI verbunden sind: "Die Definition von Kennzahlen, zum Beispiel, wie der Umsatz errechnet wird, kann in verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich sein"; gibt Gartner-Analyst Bitterer zu bedenken. Hinzu kommen Probleme mit der Datenlogistik. "In der Regel besteht kein direkter Zugriff auf die Daten der Tochterunternehmen oder einzelner Betriebe", erläutert BARC-Experte Keller. Das bedeutet: "Tochterunternehmen oder Teilbetriebe im Ausland müssen die Daten aufbereiten und bereitstellen." Dabei komme es vor allem auf das Datenformat und die Datenqualität an. Doch damit nicht genug: "Der Detailgrad der Daten, die Datengranularität, ist häufig für einheimische Anwender nicht ausreichend", berichtet Keller.

BI-Software ist auf internationale Aufgaben vorbereitet

Die Hersteller jedenfalls trifft keine Schuld an den Schwierigkeiten mit länderübergreifender Auswertung von Geschäftsdaten. "Alle großen Anbieter von BI-Plattformen sind für internationale Analysen vorbereitet, was etwa Mehrsprachigkeit, die Arbeit mit verschiedenen Währungen oder auch Unicode-Zeichensätze betrifft", betont Bitterer. So verweist IBM auf sein gerade erst vorgestelltes Mittelstandsprodukt Cognos Express. Nach Herstellerangaben verfügt das Werkzeug über ein einheitliches Datenmodell, so dass auch in allen angeschlossenen Landesgesellschaften die gleichen Kennzahlen relevant seien und entsprechend bereit gestellt werden.

Aus SAP-Sicht besteht die Herausforderung für ihre international aufgestellten Mittelstandskunden in der Koordinierung und Harmonisierung: Sie verfügten üblicherweise über die verschiedensten Datenquellen, die konsolidiert und miteinander in Einklang gebracht werden müssten, um eine optimale Entscheidungsfindung zu ermöglichen, so Mindy Fiorentino , Vice President Solution Marketing bei SAP und zuständig für BI im Mittelstand. Dies ermögliche das Mittelstandsprodukt "SAP Business Objects Edge BI".

Die Lösung "Hyperion Enterprise" vom SAP-Konkurrenten Oracle stellt Analyse und Reporting von Finanzdaten in einem internationalen Umfeld in den Mittelpunkt. Als spezielle Produktfeatures hebt der Anbieter die Nutzerfreundlichkeit hervor, ebenso wie die Fähigkeit, auf Reorganisationen oder Fusionen schnell zu reagieren.

Einheitliche IT-Landschaft vereinfacht Analyse und Reporting

Bei der Auswahl des Anbieters kommt es laut Forrester-Analyst Evelson vor allem darauf an, dass der Hersteller intensive Erfahrungen mit lokalen Produktanpassungen vorweisen und mit regionalen Besonderheiten souverän umgehen kann. Doch das ist erst der zweite Schritt: "Unternehmen, die ihre BI international aufstellen wollen, sollten zuerst sicherstellen, das dies Teil einer genau definierten BI-Strategie ist", lautet der dringende Rat von Gartner-Mann Bitterer. "Dabei sollte besonders auf Datenmodelle, Datendefinitionen, Datenflüsse und gegebenenfalls auf notwendige Transformationen geachtet werden."

Bitterer empfiehlt weiter, die BI-Tool-Landschaft über das ganze Unternehmen zu vereinheitlichen. Diese Bemühungen sollten jedoch nicht auf Analyse und Reporting beschränkt bleiben: "Das geht natürlich einher mit der Harmonisierung der gesamten Applikationslandschaft über die Ländergrenzen hinweg", so Bitterer.

Hub and Spoke mit zentraler BI-Instanz

IBM Cognos Express richtet sich an mittelständische Unternehmen.

Als Implementierungsmodell für eine internationale BI-Lösung auch in mittelständischen Unternehmen schlägt Forrester-Analyst Evelson die aus dem Transportwesen bekannte Speichenarchitektur (Hub and Spoke) vor. Dabei wird die Verbindung zwischen zwei Datenquellen in zwei verschiedenen Ländern nicht direkt hergestellt, sondern über eine zentrale Instanz. "Die zentrale Nabe adressiert die unternehmensweiten Anforderungen, über die Speichen sind die Regionen angeschlossen", erläutert Evelson. Diese Nabe-Speichen-Architektur sorge für die notwendige Flexibilität und Agilität. Und IDC-Mann Spies ergänzt: "Daten aus verschiedenen in- und ausländischen Tochterunternehmen, Vertriebs- oder Verkaufsstandorten müssen vor der Analyse zentral zusammengeführt werden. Dafür liefert ein Data Warehouse die besten Voraussetzungen.

Steuergesetze und Compliance

Die richtige Architektur alleine ist jedoch kein Garant für eine erfolgreiche länderübergreifende BI-Lösung. "Verschiedene Datenstewards sollten sich um die Integrität der Daten kümmern", empfiehlt Bitterer. "Das heißt auch, dass länderspezifische Besonderheiten wie Steuergesetze oder andere rechtliche Regelungen (Compliance) in den Daten berücksichtigt werden." Diese Aufgabe könne jeweils auf Länderebene angesiedelt sein. Außerdem sei eine weitere Aufgabe der Datenstewards, für die nötige Datenqualität zu sorgen.

Analyse nah an den Prozessen

"Für Firmen ist die Analyse operativer Daten nahe am Transaktions- und Produktionsprozess nützlich", erklärt Andreas Bitterer, BI-Experte bei Gartner.
Foto: Andreas Bitterer

Bitterer erinnert auch mittelständische Unternehmen daran, mit ihrer internationalen BI "nicht in der Reporting-Steinzeit" stehen zu bleiben. Vielmehr gehe es darum, die Analyse mit entsprechenden Aktionen zu verbinden, um damit positiv auf Prozesse einzuwirken. Bitterer: "Nur so entsteht Mehrwert durch BI." Dazu zählt auch der Nutzen von Analysen operativer Daten nahe am Transaktions- und Produktionsprozess. Dieser Aspekt von BI steht derzeit hoch im Kurs und macht vor Ländergrenzen nicht halt: "Durch die Anforderung kürzerer Zyklen zwischen dem Sammeln von laufenden Transaktionsdaten und deren Auswertung hat das Konzept einer operativen BI deutlichen Aufwind bekommen", erläutert Rüdiger Spies. "Unternehmen sehen die Notwendigkeit, schnell auf geänderte Marktanforderungen zu reagieren, und das sowohl national als auch international." Dabei stünden die Anforderungen bestimmter Branchen - zum Beispiel des produzierenden Gewerbes, von Versorgungsunternehmen und Finanzdienstleistern - eher im Mittelpunkt als die geografische Lage, fügt Evelson einschränkend hinzu.

Mehrwert der BI-Lösung muss allen Firmenteilen klar werden

Den Mehrwert einer BI-Lösung auch den ausländischen Töchtern und Standorten zu vermitteln, ist Voraussetzung dafür, dort Verständnis für den großen Aufwand zu wecken, betont BARC-Analyst Keller. "Dieser Mehrwert könnte beispielsweise in einem Benchmarking verschiedener Produktionsunternehmen im In- und Ausland bestehen, oder in der besseren und leichteren Kommunikation im Reporting." Allerdings setzten viele Mitarbeiter mit Berichten und Vergleichbarkeit sofort auch immer Kontrolle gleich. Keller: "Die menschliche Komponente ist nicht zu unterschätzen." (fn)