Firmen-Blogs zwischen PR und freier Rede

16.11.2005 von Constantin Gillies
Einerseits wollen Unternehmen in der Blogosphäre Präsenz zeigen und hip, authentisch und dialogbereit wirken. Andererseits fürchten Manager das zu offene Wort aus den eigenen Reihen und verfassen strenge Blogging-Richtlinien.

Wenn Bill Gates und Steve Ballmer nachts Alpträume haben, dann sicher wegen ihm: dem großen Unbekannten, der sich hinter dem Pseudonym Mini-Microsoft versteckt. Tagtäglich geißelt der Hobbyschreiber in seinem Weblog den Softwarekonzern, nennt ihn "einen gefühllosen, prozessvernarrten Idioten".

Hier lesen Sie ...

  • warum es Unternehmen mögen, wenn ihre Mitarbeiter bloggen, und warum sie es auch fürchten;

  • wer der bestinformierte Microsoft-Kritiker ist;

  • was bloggende Angestellte vermeiden sollten, wenn sie nicht ihren Arbeitsplatz riskieren wollen

Klaus Eck, Berater: "Viele Firmen haben Angst, bei Blogs etwas falsch zu machen."

Gleichzeitig macht das Phantom überraschend präzise Verbesserungsvorschläge. Diese Ausgewogenheit hat Mini-Microsoft zu einer Art Experten werden lassen. Das renommierte Wirtschaftsmagazin "Business Week" räumte dem Blogger unlängst fast eine ganze Seite Platz ein. Was Gates + Co. daran wohl am meisten irritieren dürfte, ist, dass sie ihren kompetentesten Kritiker selbst bezahlen. Denn Mini-Microsoft ist ihr Mitarbeiter. Er gehört zu jenen 1200 Angestellten beim Redmonder Riesen, die ein eigenes Internet-Tagebuch führen.

Corporate Blogging ist gewollt. Vorbei sind die Zeiten, in denen Presseabteilungen versuchten, den Informationsfluss nach außen komplett zu kontrollieren. Heute sprechen Unternehmen mit vielen Stimmen, und zwar mit denen ihrer Mitarbeiter. Immer mehr Firmen nutzen Weblogs, um sich nach außen oder innen darzustellen. 5000 Unternehmens- Blogger mit weißem Kragen gibt es in den USA bereits bis hin in die Führungsetagen. Vorstände bei Sun, GM oder Macromedia führen ein so genanntes CEO-Blog.

Rund 300 Corporate Weblogs

Deutschlands Wirtschaft erreicht der Trend zum Tagebuch gerade erst. Rund 300 reine Corporate Weblogs existieren hierzulande, hat der Münchner Kommunikationsberater Klaus Eck ermittelt. Dass sich das Phänomen eher zaghaft verbreitet, führt Eck auf die deutsche Mentalität zurück: "Viele Unternehmen prüfen erst einmal, ob Blogs für ihr Business überhaupt relevant sind." Dabei ist die Angst groß, etwas falsch zu machen.

So überrascht es auch nicht, dass vor allem Tochterfirmen amerikanischer Konzerne dem Thema aufgeschlossen gegenüberstehen. "Wir fördern das", sagt IBM-Sprecherin Christiane Schuetz. "Über 20 unserer Mitarbeiter bloggen", bestätigt Barbara Steiger, bei Microsoft für PR rund um die Developer Platform zuständig. Zu den aktivsten Bloggern in ihrem Haus gehören Softwareentwickler und Technologieberater, so genannte Evangelisten.

Ein überzeugt-bayerisches "Freilich" hört man auch bei Sun Microsystems, wenn man nach Corporate Weblogs fragt. "Das Medium kommt dem kurzfristigen Informationsbedürfnis entgegen", sagt Marketing Director Donatus Schmid, der einen eigenen internen Blog betreibt. Ende des Monats will er eine öffentlich zugängliche Version starten. "Für Kommunikation im Haus ist das toll - vorausgesetzt der Blog ist authentisch und persönlich", betont Schmid, "das Verfassen eines Weblogs können Sie nicht delegieren."

Chance zum Dialog

Viele Firmen fördern das Bloggen ihrer Mitarbeiter, wissen aber nicht, wie sie auf Kritik reagieren sollen.

Aber was bringt die Selbstdarstellung nach außen? "Durch Weblogs eröffnet sich die Chance für einen Dialog, den es so sonst nicht gäbe", erklärt Martin Nitsche, CEO von Proximity, Hamburg, einer Agentur, die Firmen bei ihrem Auftritt im Netz berät. Vor allem in der Krise könne ein Blog helfen, die Lage zu entschärfen, meint der PR-Profi. "Stellen Sie sich vor, Josef Ackermann von der Deutschen Bank würde einen Blog führen", gibt Nitsche als Beispiel, "das stünde ihm gut zu Gesicht und böte die Möglichkeit, Sachen richtigzustellen."

Auch Blog-Berater Eck preist die Potenziale des Mediums: "Mitarbeiter können an ihrem Image arbeiten, selbst digitale Spuren hinterlassen, Themen setzen. Was dem Einzelnen nützt, kann auch für sein Unternehmen gut sein: Ein gut verlinkter Blog taucht in den Ergebnislisten der Suchmaschinen weit oben auf. Firmen, die in der Blogosphäre nicht mitmischen, laufen Gefahr, dieses Terrain ihren Kritikern zu überlassen.

Natürlich bringt die neue Offenherzigkeit auch Risiken mit sich, wie der Fall Mini-Microsoft zeigt. Obwohl dieser Kritiker seine eigene Internet-Seite zum Bloggen nutzt - und keinen vom Unternehmen gestellten Webspace - kann es durchaus vorkommen, dass auf Corporate Blogs auch kritische Äußerungen erscheinen. Eine Gefahr sehen Experten darin nicht. Sie wenden ein, dass abweichende Meinungen ohnehin vorhanden sind und sich sonst andere Kanäle nach außen suchten. "Mit Weblogs haben Sie die Möglichkeit, Kritik zu kanalisieren", meint Proximity-Chef Nitsche. Hinter vorgehaltener Hand gestehen allerdings fast alle Blog-freundlichen Firmen, "in seltenen Einzelfällen" schon einmal Beiträge gelöscht zu haben. Einem Mitarbeiter von Microsoft in den USA wurde aufgrund eines Tagebucheintrags gekündigt.

Online-Kollegenschelte

Richtlinien gibt es zwar, eigentlich sind sie hierzulande aber überflüssig, da das deutsche Arbeitsrecht den Bloggern ohnehin die Hände bindet. "Es gehört zur Treuepflicht des Arbeitnehmers, nicht über Vertrauliches in der Öffentlichkeit zu sprechen", erklärt Stefan Simon, Arbeitsrechtsexperte bei der internationalen Anwaltskanzlei Clifford Chance, Frankfurt am Main, "dabei spielt es keine Rolle, ob dies per Telefon, E-Mail oder Weblog geschieht". Wer echte Betriebsgeheimnisse ausplaudert, steht mit einem Bein auf der Straße. Dazu gehören etwa Händlerlisten, Details aus Verträgen oder Personalangelegenheiten.

Donatus Schmid, Sun: "Das Verfassen eines Weblogs lässt sich nicht delegieren."

Anders sieht die Sache bei Online-Kollegenschelte aus. Wer seinem Tagebuch Anvertraut, "Abteilungsleiter Müller spinnt", wird nicht sofort entlassen. Das Landesarbeitsgericht Köln (2 SA 816/03) etwa ließ im Fall einer Sekretärin, die in einer E-Mail über ihren Chef hergezogen hatte, Milde walten: Eine fristlose Kündigung sei nicht gerechtfertigt, beschieden die Richter. Lässt sich dagegen jemand in seinem Weblog zur echten Beleidigung hinreißen, kann das Schadensersatzansprüche und die Kündigung zur Folge haben.

Aber was passiert, wenn der Mitarbeiter nur sachliche Kritik, etwa an einem Produkt aus dem eigenen Haus äußert? "Wir erwarten von jedem Microsoftie, dass er dem gesunden Menschenverstand folgt", erklärt Sprecherin Steiger. Ein anderer Firmensprecher bringt es auf den Punkt, will aber nicht zitiert werden: "Wer bloggt sich schon um den eigenen Arbeitsplatz?"

Zahnlose Tiger?

Genau deshalb sind Corporate Weblogs oft zahnlose Tiger. Allzu häufig lautet nämlich die unausgesprochene Blogging-Richtlinie wie ein bekanntes Mainzer Karnevalsmotto: "Allen wohl und keinem weh." Kritiker sehen hier die Grenzen des Mediums. "Warum soll ich im Corporate Weblog schreiben, was ich auf anderen Kanälen besser kommunizieren kann?", gibt Katja Schleicher, Pressechefin bei Logitech, München, zu denken. Der bekannte Hersteller von PC-Peripherie setzt deshalb auf ein anderes Modell: Logitech lässt ein Weblog von Technikjournalisten verfassen. "Hier geht es nicht um Produkte, sondern um Trends und Tendenzen zum Thema Digital Lifestyle, so Schleicher. Tatsächlich ähnelt das Logitech-Journal eher magazinartigen Blogs wie Gizmodo oder Engagdet.

Was bleibt also übrig vom Unternehmens-Blogging? Muss jeder Mittelständler künftig bei der Nabelschau im Netz mitmachen? "Sicher nicht", sagt Proximity-Chef Nitsche, "das muss schon zur Kultur passen." Auch wer selbst kein Online-Tagebuch führe, solle aber die Szene beobachten. "Wir haben herausgefunden, dass 90 Prozent der User von Firmen erwarten, dass sie Blogs lesen und auf Einträge antworten", so Nitsche.

Blogging-Richtlinien

  • Identifizieren Sie sich mit Namen und - wenn relevant - Position bei IBM.

  • Sie müssen klar machen, dass sie im eigenen und nicht im Namen von IBM sprechen.

  • Wenn Sie sich in einem Blog außerhalb von IBM äußern, verwenden Sie einen solchen Disclaimer: "Die Postings auf dieser Seite repräsentieren nicht notwendigerweise Positionen, Strategien oder Meinungen von IBM."

  • Respektieren Sie das Copyright und Veröffentlichungsregeln des Aktienrechts.Fragen Sie um Erlaubnis, bevor Sie Berichte oder Gespräche veröffentlichen, die für den privaten oder internen Bereich bestimmt sind.

  • Nennen Sie keine Kunden, Partner oder Zulieferer von IBM ohne vorherige Zustimmung.

  • Respektieren Sie Ihr Publikum. Äußern Sie keine Obszönitäten oder persönlichen Beleidigungen und seien Sie sensibel gegenüber Themen, die umstritten oder provozierend sind - wie Politik oder Religion.Finden Sie heraus, wer noch zum Thema bloggt, und zitieren Sie ihn.

  • Brechen Sie keinen Streit vom Zaun. Korrigieren Sie eigene Fehler als erster und verändern Sie keine früheren Einträge ohne entsprechenden Hinweis.

  • Schaffen Sie Wert. Stellen Sie lesenwerte Informationen und Perspektiven zur Verfügung.

(Quelle: IBM, Übersetzung Constantin Gillies, gekürzt)

Wie wenig sich Konzerne innerlich auf die Dialogkultur einlassen, zeigt das Beispiel Boeing. "Alle Mann antreten zum Bloggen", muss es wohl beim amerikanischen Flugzeughersteller geheißen haben. Zu den Rekrutierten gehört auch Marketing-Chef Randy Baseler, der seit einiger Zeit die lesende Öffentlichkeit an seinen Gedanken teilhaben lässt. Allerdings sind die stark werblichen Beträge nicht gut angekommen. Den Stil beschreibt ein anderer Blogger mit dem Vergleich "wie Papa in der Disco". Völlig uncool eben - und obendrein langweilig. Als sein oberster Chef Harry Stonecipher wegen einer Affäre mit einer Mitarbeiterin gefeuert wurde, vermerkte Baseler mit vierzehntägiger Verspätung in seinem Blog: "Wir hatten hier ein paar interessante Wochen."