Enterprise Content Management

Filenet-CEO kontert: "Die Leute haben nichts verstanden"

30.08.2006 von Sascha Alexander
Lee Roberts, President und Chief Executive Officer von Filenet, rechtfertigt im Gespräch mit CW-Redakteur Sascha Alexander den geplanten Verkauf an IBM.

CW: Die Übernahme von Filenet für 1,6 Milliarden Dollar durch IBM kam für viele Marktbeobachter unerwartet. Bis zuletzt hatten Sie öffentlich Optimismus verbreitet und gar über Zukäufe gesprochen.

Verärgerter Filenet-Chef Lee Roberts: "Da wird vieles aufgebläht und verzerrt."

Roberts: Als wir vor einigen Monaten den Anruf von IBM erhielten, waren wir damit beschäftigt, Firmen auf dem Markt für Enterprise-Content-Management (ECM) für mögliche Übernahmen zu begutachten. Dann zeigte sich, dass IBM und wir die gleichen Vorstellungen hatten und es sich anbieten würde, unsere Kräfte im Markt für ECM und Business-Process-Management (BPM) zu bündeln.

CW: Konnten Sie nicht mehr aus eigener Kraft wachsen? Es gibt Stimmen, die bei ihnen und anderen ECM-Anbietern eine entsprechende Marktstrategie vermissen.

Roberts: Wir wollten nicht übernommen werden. Unser Wachstum hat sich in den letzten vier Quartalen sogar beschleunigt. Wir suchten nach Wegen, unsere Umsätze durch organisches Wachstum und Zukäufe zu verdoppeln. Doch es gab wirtschaftlich und strategisch Sinn, mit IBM zusammenzugehen, da wir so schneller eine marktbeherrschende Position gewinnen.

CW: Aber nicht mehr mit der Marke Filenet.

Roberts: Das macht nichts. Unsere ECM-Plattform "P8" bleibt auch bei IBM ein strategisches Produkt.

CW: Sie machten letztes Jahr 90 Prozent Ihres Umsatzes mit Ihrem Kundenstamm von etwa 4300 Unternehmen. Können Sie keine neuen Kunden mehr hinzugewinnen?

Roberts: Das ist kein Zeichen von Schwäche. Wir konzentrieren uns seit jeher auf die Global-5000-Unternehmen. Der potenzielle Markt ist wesentlich größer. Selbst bei den vorhandenen Kunden gibt es eine starke Nachfrage. So entfielen 60 bis 70 Prozent der Umsätze mit Bestandskunden auf Neulizenzen. Das ist wie bei SAP, die ebenfalls viel in ihre Kundenbasis hinein verkauft.

CW: Was hat denn IBM an Filenet gefallen?

Roberts: Dass wir zu den Marktführern gehören und Lösungen insbesondere für die Versicherungsbranche und die öffentliche Verwaltung entwickeln, Marktsegmente, in denen IBM stärker präsent sein möchte. Außerdem war IBM von unseren Produkten beeindruckt.

CW: Und was sprach aus Ihrer Sicht für IBM als neue Mutter? Andere Softwarehersteller wie Oracle engagieren sich ja ebenfalls zusehends im ECM-Markt. Manche Analysten rechnen immer noch mit einem Gegenangebot.

Roberts: IBM war die beste Wahl, weil sich unsere Firmenkulturen ähneln und wir eine vergleichbare Strategie für ECM und BPM haben, die ebenfalls auf das Lösungsgeschäft setzt. Technisch können wir uns ergänzen.

CW: Den technischen Sinn der Fusion haben aber viele Marktbeobachter bezweifelt. Sie sehen erhebliche Überschneidungen zwischen den Angeboten von IBM und Filenet.

Roberts: Die Leute, die das sagen, haben den Deal nicht verstanden. Da wird vieles aufgebläht und verzerrt. Es gibt nur geringe Überschneidungen auf einzelnen Gebieten. Zudem gewinnt IBM durch uns Content-zentrische BPM-Technik hinzu, die sie vorher nicht hatte. Dies haben viele übersehen, ebenso wie den Aspekt, dass sich künftig mit der P8-Plattform viele neue ECM-Anwendungen entwickeln lassen.

CW: Was verstehen Sie unter Content-zentrischem BPM?

Roberts: IBMs BPM-Ansatz dient zur Prozesssteuerung zwischen Anwendungen, ist also transaktionsorientiert. Filenet automatisiert mit seiner Plattform dokumentenzentrierte Abläufe zwischen Mitarbeitern (Workflows), beispielsweise im Case-Management bei Versicherern oder in der Verwaltung.

CW: Trotzdem lassen sich nur wenige Features der Produktlinien sinnvoll kombinieren. Vieles ist nun doppelt vorhanden.

Roberts: Die Produktlinien werden parallel weiterexistieren, lassen sich technisch aber schon heute miteinander integrieren. Wenn Sie von Überlappungen reden, dann sollten Sie sich mal das Angebot von Open Text anschauen. Die haben bisher noch keine Übernahme erfolgreich umgesetzt und sind auch nicht organisch gewachsen.

CW: Es wäre also verkehrt zu behaupten, IBM wollte nur einen Wettbewerber wegkaufen beziehungsweise Konkurrenten davon abhalten, dies zu tun?

Roberts: Ich glaube nicht, dass IBM sich von solchen Überlegungen leiten lässt. Es geht bei dem Deal nicht um Konsolidierung, sondern um Wachstum.

CW: IBM hat jahrelang behauptet, die Infrastruktur für ECM stellen zu können. Dennoch schien das Angebot eher einem Bauchladen zu gleichen. Wird Filenet mit P8 nun dieses Versprechen erfüllen?

Roberts: P8 war der entscheidende Grund für die Übernahme. Wir haben die einzige Plattform für unternehmensweite ECM-Lösungen.

CW: IBM setzt bei der Infrastruktur vor allem auf seine Datenbank "DB2" und den Applikations-Server "Websphere". Ist die Perspektive von P8 künftig auf die Welt der IBM-Produkte beschränkt?

Roberts: Unsere zentrale Forderung in den Verhandlungen mit IBM war, P8 als strategische ECM-Plattform zu erhalten. Ich glaube nicht, dass IBM an einer monolithischen Produktarchitektur interessiert ist. Sie wol- len doch auch Kunden gewinnen, die Software von Oracle oder Microsoft einsetzen. Über 50 Prozent aller Filenet-Lösungen verwenden die Oracle-Datenbank als Repository. Bei den Applikations-Servern nutzt die eine Hälfte Websphere, die andere "Weblogic" von Bea Systems. Das wird auch so bleiben.

CW: IBM zerlegt seine Software immer mehr in Komponenten und macht sie als Web-Service verfügbar, die sich wiederum zu neuen Angeboten kombinieren lassen sollen. Könnte nicht Filenet das gleiche Schicksal ereilen und aus der Plattform eine Toolbox werden?

Roberts: P8 wird eine Plattform bleiben. Zudem ist sie die Basis für die Entwicklung von ECM-Anwendungen. Schon heute gibt es mehr als 1000 verschiedene Lösungen bei Kunden und von ISVs. IBM möchte diesen Trend weiterführen und für Kunden aus dem Branchen Pharma, Fertigung, Utilities und im Gesundheitswesen mehr Angebote schaffen. Darüber hinaus fragen immer mehr Kunden ein Content-zentrisches BPM nach.

CW: Wie war Ihr Verhältnis zu IBM bisher?

Roberts: Wir waren Konkurrenten und Partner. So arbeiten wir mit IBM Global Services sowie technisch bei der Hard- und Softwareintegration zusammen. Unsere größten Kunden sind auch IBMs größte Kunden. In Deutschland betreuen wir 400 Großkunden, dabei hatten wir auch dort einen anderen Branchenfokus als IBM.

CW: Können Sie in Ihrer Position überhaupt noch versprechen, dass Kunden sich keine Sorgen um die Zukunft ihrer Produkte machen müssen?

Roberts: Ich garantiere Ihnen, dass wir weiter massiv in P8 investieren werden. Anders lautende Gerüchte haben keine Substanz! Ebenso wird es bei den konkurrierenden Produkten für Document-Imaging keinen Austausch geben.

CW: Die Analysten von Gartner sagen, dass IBM zunächst einmal drei Jahre Support für Ihre Kunden bieten wird. Bei den Filenet- und IBM-Produkten für E-Mail-Archivierung und Records-Management könnte indes schon früher eine Migration anstehen.

Roberts: Ich frage mich, wie Gartner darauf kommt. Mit Sicherheit haben sie diese Informationen nicht von uns! Es gibt bereits Pläne für die Produktentwicklung, die fünf Jahre in die Zukunft reichen.

CW: Open Text will Hummingbird kaufen, Filenet gehört bald zur IBM. Erwarten Sie, dass der Kampf an der Marktspitze weitergeht?

Roberts: Das Rennen um die Vorherrschaft ist schon gelaufen, und zwar zugunsten der großen Softwarehersteller. Es wird sicher noch weitere Übernahmen kleinerer ECM-Anbieter geben. Andere könnten aufgeben. In Deutschland gibt es zwar immer noch mehr Anbieter als in anderen Ländern. Doch viele von ihnen haben finanzielle Probleme.

CW: Auch Filenet steht ein starker Wettbewerb bevor.

Roberts: Es gibt viel Konkurrenz, vor allem durch EMC/Documentum, SAP und künftig Oracle. Ebenso wird Microsoft stärker, wendet sich aber mehr an kleinere und mittelständische Kunden. Daneben wird es weiterhin Nischenanbieter geben. Doch den Markt werden die Großen unter sich aufteilen.