Fette Desktops auf Diät

17.06.2002 von Heiko Gloge
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Raiffeisen Hauptgenossenschaft Nord AG (Hage) suchte eine kostengünstigere und besser administrierbare Desktop-Lösung für die Arbeitsplätze in den Außenstellen. Mittlerweile kommen dort Linux-basierende Thin Clients zum Einsatz.

Die Raiffeisen Hage hat Tochterunternehmen in den Bereichen Handel, Futtermittelproduktion, Tierarzneimittel, Landtechnik, Energie und Ölsaatenverarbeitung. Ende 1999 begannen die Genossen mit der Einführung von „Agrar 2000“, eines auf Basis von Oracle Forms selbst entwickelten ERP (Enterprise Resource Planning)- und Warenwirtschaftssystems. Um den Anforderungen durch moderne Software gewachsen zu sein, suchte man nach Möglichkeiten, dem steigenden Hardwarebedarf gerecht zu werden und trotzdem einen Großteil der alten IT-Infrastruktur beibehalten zu können.

Die Steckkarte "Igel TC8" von Melchers verwandelt ältere PCs in Thin Clients.

Insgesamt ging es bei Raiffeisen in der ersten Projektphase um 160 Arbeitsplätze in der einfachen Pentium- und 486er-Klasse. In der Kieler Zentrale stehen den Clients sechs Server zur Verfügung, jeweils ein weiterer in den 15 größten Niederlassungen. Als Betriebssysteme sind Novell Netware und Microsoft Windows NT im Einsatz, als Applikationen Agrar 2000, Microsoft Office und SAP/R3. In der Zentrale sind Fat-Clients in ein Ethernet eingebunden, zu den Einzelstandorten bestehen ISDN-Standleitungen. Aus diesem Grund bot sich hierbei eine Server-based-Computing-Lösung an, da der ICA (Independent Computing Architecture)-Datenstrom mit sehr geringen Bandbreiten auskommt. ICA bedeutet, dass nur Bildschirmdaten, Tastatureingaben und Mausklicks übertragen werden. Die eigentliche Datenverarbeitung findet auf dem Citrix-Metaframe/NT-Server in der Zentrale statt, und auf den Arbeitsplatzrechnern werden keine Daten mehr gespeichert.

Als eine Hardwarekomponente entschied sich der Anwender für den Linux-basierenden Thin Client in Form einer Steckkarte „Igel TC8“ des Bremer Herstellers Melchers GmbH & Co.. Mit Hilfe dieser Karten war es möglich, die älteren PCs zu Thin Clients umzurüsten und so weiterzuverwenden. Die Thin-Client-Karte besteht im Wesentlichen aus einem Flash-Speicher, von dem der Rechner über eine Bios-Erweiterung bootet. Das Betriebssystem ist ein auf die Bedürfnisse des Server-based Computing angepasster Linux-Kernel. Der Flash-Speicher beinhaltet neben dem stark komprimierten Linux-Kernel den ICA-Client, den RDP-Client (Remote Desktop Protocol) und diverse weitere Protokolle, Emulationen und Gerätetreiber. Mit der Projektumsetzung wurde die Computer & Competence GmbH beauftragt.

Die Umstellung erfolgte so, dass in den größeren Niederlassungen zunächst die Server aufgestellt, installiert und konfiguriert wurden. Anschließend wurden die Terminals an den Arbeitsplätzen installiert und die Altdaten übernommen. Die Umwandlung der Alt-PCs zu Thin Clients erfolgte rotierend in der Zentrale in Kiel: Dort wurden die Endgeräte aus den Standorten gereinigt und bei dieser Gelegenheit mit den Steckkarten ausgestattet. Dazu wurden die Laufwerke der Rechner stillgelegt. Pro Standort dauerte die Umstellung je nach Größe ein bis drei Tage, wobei das Aufstellen und Konfigurieren der Terminals selbst keinen nennenswerten Anteil am Gesamtaufwand hatte.

160 PCs wurden bei Raiffeisen mit Hilfe der TC-Karten abgespeckt und in Thin Clients verwandelt. Einige kleinere Probleme mit der damaligen Version der Firmware konnten vom Integrator in Zusammenarbeit mit dem Hersteller gelöst werden. So war zum Beispiel die Übermittlung der Ethernet-MAC-Adressen der Netzwerkkarten an höhere Protokoll-Ebenen zunächst nicht möglich. Aus diesem Grund wurde eine Terminal-ID generiert, die eine eindeutige Identifizierung der Terminals ermöglichte.

Die Erwartungen, die man bei Raiffeisen in das neue System hatte, wurden erfüllt. Die Stabilität der IT hat sich erheblich verbessert, und auf Wünsche oder Probleme der Anwender kann schneller eingegangen werden.

Ältere Hardware muss nicht unbedingt zum Alteisen gehören - zumindest, wenn man wie die Raiffeisen Hauptgenossenschaft Nord die Arbeitsplätze mit Thin Clients ausstattet. Dort konnten die „veralteten“ PCs umgerüstet und weiter eingesetzt werden.

Bis auf wenige Ausnahmen in einigen Niederlassungen, in denen noch PCs mit besonders vielen oder sehr speziellen Applikationen stehen, werden in den Raiffeisen-Standorten ausschließlich Thin Clients eingesetzt. Seit Beginn des Projektes wurden 137 neue Thin Clients vom selben Hersteller in den Raiffeisen-Standorten installiert, wobei auch die umgerüsteten PCs größtenteils weiter im Einsatz bleiben. Die Thin Clients sind für den Einsatz in der rauen, staubigen Lagerumgebung ausgelegt: Dank eines flüssigkeitsgefüllten Kühlkörpers kommen sie ohne einen Lüfter aus, der Staub ins Gerät ziehen würde.

Michael Mielke, DV-Leiter der Raiffeisen Hauptgenossenschaft, ist vom Konzept des Server-based Computing überzeugt: „Gut zwei Jahre Erfahrung mit Server-based Computing und den Thin Clients haben die Effizienz der Installation gezeigt: Fast 300 Endgeräte in insgesamt 110 Standorten werden problemlos von nur drei Systemadministratoren betreut.“