Outsourcing im Mittelstand

Fehler sind teuer

26.01.2006 von Winfried Gertz
Das Überantworten von Informationstechnik an einen externen Partner darf nicht in Kuhhandel-Manier erfolgen. Vielmehr sind die Unternehmer gut beraten, ausreichend Zeit in die Vertragsgestaltung zu investieren.

In der Dienstleistungsbranche, die sich eigentlich keine Diskussion über mangelhafte Servicequalität leisten dürfte, ist nicht alles Gold, was glänzt, wie Monika Wendt bestätigt. Die Personalleiterin der in Wiesbaden beheimateten Soda Club GmbH, einer mittelständischen Firma mit rund 200 Mitarbeitern, schlägt sich mit einem IT-Outsourcing-Partner herum, dessen Leistungen oft zu wünschen übrig lassen. Am liebsten würde Wendt den Vertrag auflösen oder zumindest zu ihren Gunsten korrigieren. Doch dazu fehlen ihr die Mittel: Ihr Vorgänger hat sich zu einem langfristigen Kontrakt überreden lassen, der Soda Club keinerlei Ausstiegsoption eröffnet - es sei denn, man zahlt eine Konventionalstrafe. Wenn kleine und mittlere Unternehmen sich für die Auslagerung ihrer Informationstechnik beziehungsweise der IT-gestützten Personalverwaltung interessieren, ist oft eine gehörige Portion Naivität im Spiel.

Sorgen sind oft hausgemacht

Kompakt

• Warum die Soda Club GmbH ein hohes Lehrgeld bezahlen musste

• Was Outsourcing-Spezia-listen meinen

• Welche SLAs unbedingt zu verhandeln sind

Entweder gehen die Verantwortlichen geschickt argumentierenden Verkäufern auf den Leim, wie Brian Rogers von der Experton Group in Ismaning beobachtet, oder sie lassen sich von fragwürdigen Studien leiten, die den Mittelstand ermuntern, wie Lemminge dem vermeintlichen Heilsbringer Outsourcing zu folgen. "Viele Mittelständler", listet Rogers die größten Fehler auf, "lassen sich unter Druck setzen, forschen nicht nach alternativen Partnern, machen falsche Ausschreibungen und erhalten Angebote zu Mondpreisen."

Zweifellos ist die Auslagerung der IT, ob in Teilen oder im Ganzen, eine wirtschaftlich interessante Option für kleine und mittlere Firmen. Dank Outsourcing werden auf der einen Seite gezielt Kernkompetenzen ausgebaut, während es auf der anderen Seite gelingt, flexibler auf Auftragsschwankungen zu reagieren. "Es ist geradezu erstaunlich, welche Leistungsreserven durch gezielte Auslagerung der IT aktiviert werden können", sagt Ulrich Bode von der Gesellschaft für Informatik (GI) in Bonn. Doch gerade im Mittelstand, warnen Marktbeobachter eindringlich, werden besonders viele Fehler gemacht.

Die größten Fehler vermeidet, so Lutz Geisel, Chef der Münchener Unternehmensberatung GK Consult GmbH & Co. KG, wer Outsourcing sorgsam vorbereitet. Geisel weiß, wovon er spricht. Bevor der Informatiker seine eigene Firma gründete, steuerte er als Leiter IT und Back Office bei der Advance Bank zahlreiche externe Dienstleister. "Kleinere Unternehmen sollten sich an einen Provider wenden, der auf ihrer Augenhöhe ist", empfiehlt der Berater, der IBM oder T-Systems für die falschen Hausnummern hält. "Häufig können sie individuelle Lösungen nicht ausreichend darstellen."

Dies bestätigt auch der selbstständige Informatiker Bode. Er entwickelt Software für zahlreiche kleinere Betriebe und springt auch mal spät abends ein, wenn Not am Mann ist. "Große Dienstleister schätzen oft die Ressourcen ihrer Kunden völlig falsch ein." Wie ein von Sun Microsystems autorisierter Partner, der die Hardware einer kleinen Firma im Saarland betreut. In Windeseile, kritisiert Bode, würden die Maschinen installiert, und schon seien die Spezialisten wieder verschwunden. "Wenn dann etwas nicht funktioniert, muss der Kunde sich die Finger wund telefonieren, bis man sich bequemt, das Problem vor Ort zu lösen."

Doch solche Sorgen sind oft hausgemacht. Wer für die Suche nach einem angemessenen Partner keine Zeit aufbringt und in die Vertragsverhandlung zu wenig Sorgfalt investiert, darf sich nicht wundern, eines Tages wie die Münchener Südfleisch GmbH in existenzbedrohende Situationen zu geraten. Deren Lieferwagen, erinnert sich ein Insider, der nicht genannt werden möchte, konnte einen Tag lang nicht den Hof verlassen, weil plötzlich der Lieferscheindrucker ausgefallen war. Statt den unterbrochenen Geschäftsprozess umgehend wieder in Gang zu setzen, ergriff der für den Rechenzentrumsbetrieb zuständige Outsourcing-Partner erst dann die Initiative, als man in den beiden Chefetagen schon zum Nahkampf übergegangen war. Die Bilanz: ein Umsatzausfall empfindlichen Ausmaßes, gefolgt von einem langwierigen Rechtsstreit über unzureichend fixierte vertragliche Leistungen.

Die Ursache für solche Katastrophen ist oft mangelndes Gespür für die Bedeutung der IT auf Seiten der Anwender. "Unprofessionell gesteuerte Informationstechnik", warnt Rechtsanwalt Joachim Schrey von der auf IT- und Outsourcing-Recht spezialisierten Frankfurter Kanzlei Clifford Chance, "kann die Existenz eines Betriebs gefährden." Schrey entwirft ein Szenario, das jeden Mittelständler aufrütteln müsste: Könnten etwa die rund 380 Anwälte, mit denen Clifford Chance in Deutschland pro Jahr rund 160 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, wegen eines IT-Problems nur einen Tag nicht arbeiten, gingen rund 800000 Euro Umsatz verloren. Kein Pappenstiel für mittelständische Firmen. Schrey malt den Teufel an die Wand: "Kommt das öfter vor, geht es ans Eingemachte."

Existenz steht auf dem Spiel

Marktbeobachtern zufolge lässt dieses Problembewusstsein bei den meisten mittelständischen Unternehmern zu wünschen übrig. Häufig interessieren sie sich weder für das in Betrieb befindliche IT-Inventar noch für die Frage, welch wichtige Rolle die Systeme eigentlich für ihre Geschäftsprozesse spielen. Vielen behagt die Informationstechnik einfach nicht, sie wollen sich lieber heute als morgen davon trennen. Statt die IT-Landschaft, wie Rodgers die zentrale Vorbereitung aufs Outsourcing konkretisiert, erst zu sanieren und dann zu konsolidieren, "werden diese Aufgaben dem Dienstleister überlassen, was nicht ratsam ist". Viele Unternehmer freilich, meint zumindest die Softwareentwicklerin Gisela Bolbrügge, "wollen schlicht Kosten sparen".

Doch mit dieser Strategie komme man nicht weit, erläutert die Geschäftsführerin der PerfectMatch GmbH aus dem oberbayerischen Garching. Während die Obhut über historisch gewachsene heterogene Landschaften mit vielen Schnittstellen nicht ohne ausführliche Vorbereitung an einen Dienstleister übertragen werden dürfe, drohten die Unternehmen zudem "Business-Know-how zu verlieren, das in Anwendungen steckt, die obendrein oft schlecht dokumentiert sind und deren Entwickler häufig nicht mehr in der Firma arbeiten".

Eine zu starre Fixierung auf den vermeintlichen Kostenvorteil beim Outsourcing ist aber selbst unter finanziellen Aspekten völlig haltlos, wie Karl Heinrichs, Rechenzentrumsleiter einer norddeutschen Dienstleistungsfirma, erläutert. Aufwendungen für die Mehrwertsteuer und den Personalbedarf zur Steuerung des Dienstleisters einschließlich dessen angestrebter Eigenkapitalrendite machen Outsourcing zu einem teuren Vergnügen. "Diese Kosten sind ohne jeglichen Mehrwert für das auslagernde Unternehmen." Trotz der eher ungünstigen Voraussetzungen nimmt der Wunsch, sich von Teilen der IT zu trennen, unter mittelständischen Firmen unvermindert zu. Laut einer aktuellen Studie des Niedersächsischen Industrie- und Handelskammertages (NIKH) wollen Entscheider nicht nur Kosten sparen.

Attraktiv ist Outsourcing auch, weil man den Aufwand mindern möchte, der im eigenen Unternehmen für die Anwendungsentwicklung sowie den Service und Support von Systemen und Netzen gestiegen ist. Warum Ines Urbanski, Geschäftsführerin des Inkassounternehmens Merkur GmbH mit Sitz in München und Halle, weiterhin aufs Outsourcing schwört, klingt ebenso plausibel. "Weil unsere IT-Bedürfnisse sehr in die Tiefe gehen, werden wir auch in Zukunft Spezialisten in Netzwerken zusammenführen."

Die Firma, deren 23 Mitarbeiter rund 300000 Forderungsfälle betreuen, fährt seit zehn Jahren eine offensive Outsourcing-Strategie und kooperiert bei Hardware, Beschaffung, Administration und Wartung mit insgesamt vier Servicepartnern. "Wir drehen ein großes Rad", sagt Urbanski. Immer dann, wenn ein neuer Vertrag geschlossen werden soll, empfiehlt sie, die sich - wie im Mittelstand üblich - viel lieber per Handschlag und auf Vertrauensbasis einigen würde, sich nicht auf das Fingerspitzengefühl zu verlassen. Sie selbst musste viel Lehrgeld bezahlen. Denn ein ehemaliger Partner verlängerte stillschweigend den Servicevertrag, der aus Urbanskis Sicht aber längst abgelaufen war. "Wir konnten uns auf einen Kompromiss einigen", erinnert sich die Unternehmerin, "ein Rechtsstreit hätte uns organisatorisch aufgefressen."

Pacta sunt servanda: Sich ums Klein-Klein in den Verträgen zu kümmern zahlt sich also aus. Urbanski: "Wir vereinbaren präzise, mit welchen Reaktionszeiten wir rechnen können, wenn am Wochenende eine Maschine ausfällt." Andere Firmen, die beispielsweise virtuelle Serverkapazitäten beim Dienstleister nutzen, sollten genau festschreiben, dass ihnen unverzüglich weitere Ressourcen eröffnet werden, sobald das vereinbarte Volumen überschritten wird. "Empfehlenswert ist auch, die gesamte Dienstleistung inklusive Servicezeiten auf Papier abzubilden", sagt Rodgers. Zahlreiche Tools erleichtern die Vertragsgestaltung, werden aber laut Rodgers kaum genutzt.

Tools zur Vertragsgestaltung

Leider ist derlei Vorsorge vielen Mittelständlern unbekannt. Neun von zehn IT-Auslagerungsprojekten, schätzt der Münchener Outsourcing-Berater Torsten Gründer, würden sich ungünstig entwickeln, "weil Unternehmer die vertraglichen Fallstricke unterschätzen." Zwar habe man hohe Ansprüche an die Dienstleistungsqualität, versäume es aber, die wichtige "Funktionskette aus Leistungsmessung, Reporting und Kontrolle vertraglich bindend durchzusetzen". Dabei dreht sich alles um die "Service Level Agreements" (SLA). "SLAs sind nur präzise formuliert wirksam", warnt IT-Beraterin Bolbrügge. Unternehmer sollten unbedingt Dritte in Vertragsverhandlungen einbeziehen, die sich mit den vielfältigen Gefahren auskennen.

Ob sogar eine ausführliche betriebswirtschaftliche Prüfung des Dienstleistungsanbieters, kurz: Due Diligence, angemessen ist, darüber gehen die Meinungen zweifellos auseinander. Auf der sicheren Seite ist laut Bolbrügge zumindest, wer Berater und Juristen neben der Vertragsgestaltung auch zur Konfliktlösung mit ins Boot holt. Für Rechtsanwalt Manfred Better vom Münchener Consult Forum sollten sich Mittelständler gemeinsam mit ihren Partnern vertraglich verpflichten, im Falle von Streitigkeiten "zunächst einen Mediator oder Gutachter zu Rate zu ziehen, bevor es zu einem Rechtsstreit kommt".

Diese SLAs sind wichtig

• Zu welchen Zeiten und in welchem Umfang muss der Servicepartner eine definierte Leistung erbringen?

• Wie wird mangelhafter Service sanktioniert?

• Wie verständigen sich die Vertragsparteien im Falle unerwarteter Störungen und Konflikte?

• Wann ist ein Mediations- beziehungsweise Schlichtungsverfahren angezeigt, um eine gütliche Einigung herbeizuführen?

• Wann sollten die Parteien Rechtsmittel ergreifen?

• Unter welchen Bedingungen ist der Ausstieg aus dem Vertragsverhältnis angezeigt?

Outsourcing-Anbieter, dies versteht sich von selbst, wollen ihre Leistungen nicht gern messen lassen. Schließlich drohen bei Nichterfüllung empfindliche Einschnitte, wie Jens Wittkamp, Delivery Manager des Marktführers EDS, offen zugibt. "Ein massives Interesse, die ausgelagerten Leistungen zu überprüfen, hat lediglich der Kunde."

Sind die Probleme jedoch zu gravierend, etwa weil die Leistung des Partners kontinuierlich sinkt oder die vereinbarte Verfügbarkeit des Service wiederholt nicht eingehalten wurde, ist es laut IT-Rechtsanwalt Schrey besser, "wenn die Vertragspartner getrennte Wege gehen". Auch diese Variante sollte schriftlich definiert sein. Denn sind die Kosten und Pflichten bei einer Trennung nicht vertraglich festgelegt, erläutert Outsourcing-Experte Geisel, bestehe die Gefahr, dass der Einsatz und die Unterstützung des Providers während der Trennung deutlich nachließen. "Dies habe ich selbst in Projekten leidvoll erfahren müssen."

Der Ruf nach Präzision und stärkerer Kontrolle findet nicht überall Widerhall. Vielen Firmen ist es zuwider, jedes Leistungsdetail in dickleibigen Verträgen festzuschreiben. Gebe es dennoch einmal Grund zur Klage, heißt es honorig aus der Chefetage des Outsourcing-Dienstleisters TDS, Neckarsulm, "ist das Problem doch schnell durch ein Gespräch auf höchster Ebene aus der Welt zu schaffen". TDS-Kundin Wendt bleibt indes das Nachsehen. Hätte sie den Outsourcing-Vertrag persönlich verhandelt, stünde fest, wie schnell Eingaben im System zu verarbeiten und Fehler zu beheben sind, wie viele Fehler in der Abrechnung auftreten dürfen oder wann Abrechnungsläufe abgeschlossen sein müssen.

Die Misere geht weiter

Hätte, wäre, wenn. Tatsächlich ist die engagierte Personalmanagerin konfrontiert mit ständig wechselndem Personal, was die Abläufe erheblich beeinträchtigt. Und nur wenige Tage vor Weihnachten teilte ihr der Servicepartner mit, die Betreuung des personalwirtschaftlichen Softwareprogramms Loga zugunsten von SAP-Kunden kurzfristig nach Zwickau zu verlegen.

Winfried Gertz ist freier Journalist in Starnberg.