ERP für Motorenbauer

28.02.2003 von Marianne Gillessen
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Aachener FEV Motorentechnik nahm sich Zeit, um den Markt für ERP-Software zu prüfen. Gesucht wurde ein durchgängiges System für das Projekt-Management und die kaufmännischen Abläufe. Die Integraton half, das Kerngeschäft weiter auszubauen.

Die Automobilindustrie hat sich einiges vorgenommen: Bis 2005 sollen Neufahrzeuge 70 Prozent weniger Stickoxide ausstoßen als bisher. Hinter dieser einfach klingenden Zielvorgabe verbirgt sich eine ingenieurtechnische Herausforderung ersten Ranges. Ein typischer Fall für den weltweit tätigen Engineering-Anbieter FEV Motorentechnik in Aachen. Denn Fahrzeugbauer und Motorenhersteller delegieren derartige Aufgaben immer häufiger an die 300 Ingenieure des Vorzeigeunternehmens, das sich im Austausch mit der benachbarten RWTH bei Design und Entwicklung von Verbrennungsmotoren einen Namen gemacht hat.

Foto: FEV

Ganz gleich, ob es dabei um weniger Schadstoffe, effizientere Motorleistungen oder neue Antriebsysteme geht - die Aufträge des Unternehmens erfordern eine vielschichtige Projektarbeit, die sich häufig über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstreckt. Lange Zeit stützte sich das 1978 gegründete Unternehmen auf eine selbst entwickelte Softwarelösung, mit der Projektverwaltung und Auftragsbearbeitung gesteuert wurden. Als Insellösung war das System Teil einer IT-Landschaft, in der auch die Anwendungen für Einkauf, Kostenrechnung und Finanzbuchhaltung getrennt voneinander betrieben wurden. So lief beispielsweise der Bestellprozess über MS Outlook. Diese Lösung war zwar leicht zu bedienen, doch mussten die Daten aufwändig mehrfach erfasst werden, sobald sie auch in anderen Systemen gebraucht wurden. Darüber hinaus führten die zahlreichen Systembrüche dazu, dass übergreifende Auswertungen zu lange auf sich warten ließen.

Mitte der neunziger Jahre waren sich Geschäftsführung, Fachbereiche und IT darin einig, dass ein durchgängiges System für das Projektmanagement und die kaufmännischen Abläufe her musste. Die Integration sollte dabei helfen, das Kerngeschäft weiter auszubauen und die sich immer schneller ändernden Marktanforderungen flexibler aufzugreifen.

Rollenbasiertes Projekt-Management

Die FEV Motorentechnik nahm sich zwei Jahre Zeit, um den Markt für betriebswirtschaftliche Standardsoftware (ERP) ausgiebig zu prüfen. Neben dem Marktführer SAP untersuchten die Aachener Ingenieure zahlreiche weitere Anbieter. Doch keines der Angebote deckte ihre Anforderungen für Projektarbeit ab. Deshalb fasste das Unternehmen den Entschluss, gemeinsam mit einem mittelständischen deutschen ERP-Unternehmen ein Projektmanagement als Add-on zu dessen Software zu entwickeln.

Das Unternehmen: Die in Aachen ansässige FEV-Motorentechnik GmbH ist ein unabhängiges, weltweit agierendes Engineering-Unternehmen mit weltweit etwa 1000 festen Mitarbeitern, davon 300 Ingenieure. In einem Tochterunternehmen in der Nähe von Detroit arbeiten zirka 120 Mitarbeiter. Hinzu kommen rund 20 Repräsentanten in Europa und verstärkt auch im asiatischen Raum. Zu dem weltweiten Kundenkreis zählen alle europäischen Automobil- und Motorenhersteller sowie Zulieferer, die amerikanischen „Big Three“ und asiatische Hersteller. Dabei geht es um Motoren für PKW und Nutzfahrzeuge sowie für Stationär-, Marine- und Off-Road-Anwendungen. Vom Konzept bis zur Serie führt FEV Motorentechnik Hightech-Entwicklungen auf dem gesamten Gebiet der Motorentechnik durch. Außerdem fertigt und vertreibt das

Unternehmen Mess- und Prüfstandsysteme.

Die Kooperation war bereits weit fortgeschritten, als FEV Ende 1997 auf das schwedische Softwarehaus IFS Industrial & Financial Systems aufmerksam wurde. Hier fanden die Aachener erstmals die Grundzüge ihres Projektmanagements in einem Standardsystem wieder. Die Schweden hatten langjährige Erfahrungen mit projektorientierten Fertigern von Kraftwerken und Ölplattformen in ihre betriebswirtschaftliche Lösung IFS Applications einfließen lassen.

Basierend auf diesen Erfahrungen war eine Gliederung der Projekte möglich, wie FEV sie brauchte. Zum Beispiel verfügt das integrierte System über ein Rollenkonzept, das vom Projektverantwortlichen über den Teilprojektleiter bis zum Teammitglied reicht. Deren Zugriffsrechte orientieren sich an der Aufgabenverteilung im Projekt und an den aktuellen Stati der Prozesse. Für FEV ist diese Differenzierungsmöglichkeit zentral, da sich das Ingenieur-Unternehmen in eine Vielzahl von technologisch ausgerichteten Sparten und branchen- beziehungsweise kundenspezifisch aufgestellten Geschäftsbereichen gliedert.

Aus dieser Organisationsmatrix heraus werden die Projektteams so zusammengestellt, wie es der jeweilige Kundenauftrag erfordert. Deshalb muss das Projektmanagementsystem eine flexible Vergabe der entsprechenden Kompetenzen erlauben. So zum Beispiel bei der Planung der Budgets oder der Bestätigung des Projektfortschritts. Hierzu werden den Projektaktivitäten auf der untersten Planungsebene Zeiten und Kosten exakt zugeordnet. Projektverantwortliche erhalten somit jederzeit eine aktuelle Budgetkontrolle.

FEV machte sich die Komponenten-Architektur der neuen Software zunutze und entschied sich für eine Einführung in überschaubaren Einzelschritten. Somit erstreckte sich die gesamte Implementierung zwar über einen Zeitraum von zwei Jahren. Andererseits wurden aber weniger Ressourcen gleichzeitig gebunden, so dass das laufende Geschäft weniger beeinträchtigt wurde als bei einem „Big Bang“. Positiv kam hinzu, dass die einzelnen Migrationen erfolgreich verliefen, so dass die jeweils neuen Anwendungsbausteine umgehend produktiv gingen.

Den Anfang machte die Finanzbuchhaltung. Hier vermissten eine Reihe von Anwendern allerdings ihre gewohnten Auswertungslisten. Das schwedische Softwarehaus hatte in dieser Frage zu sehr auf seine internationale Strategie gesetzt und anstelle der deutschen Listen frei konfigurierbare Masken angeboten. Mit dem Releasewechsel auf IFS Applications 2001 erwartet FEV, dass nahezu sämtliche Anforderungen erfüllt werden.

Im Anschluss an die Finanzbuchhaltung gingen Einkauf und Kostenrechnung live. Gleichzeitig gab es bereits einen Lesezugriff auf das Projektmanagementsystem. Somit konnten die Projektingenieure parallel zu dessen Einführung ihre Projekte in der neuen Lösung verfolgen, um sich so frühzeitig wie möglich an diese zu gewöhnen.

Foto:FEV

Im Verlauf der gesamten Einführung machte FEV Motorentechnik die Erfahrung, dass eine systematische Modellierung der Geschäftsprozesse von hohem Nutzen ist. Den Einkauf hatte das Hightech-Unternehmen mit dem IFS-eigenen Werkzeug, dem Business Modeler, modelliert, hatte dann aus Zeitgründen die anderen Anwendungen ohne Modelle eingeführt. Unternehmen sollten sich jedoch nicht davon leiten lassen, zum Zwecke kurzfristiger Fortschritte auf die systematische Erfassung der wichtigsten Prozesse zu verzichten. Insgesamt gesehen lohnt sich der Aufwand, da sich Abstimmungsprozesse deutlich verkürzen lassen und Redundanzen vermieden werden. FEV erkannte diese Vorteile und holte deshalb die Entwicklung der restlichen Modelle nach.

Derzeit arbeiten rund 500 Mitarbeiter mit der neuen Lösung. Darunter auch 150 Projektingenieure, die ihre Forschungsvorhaben in IFS Applications aufsetzen und steuern. Ein Drittel der Projekte sind langjährige Großprojekte. Hierzu zählen Komplettmotorentwicklungen vom ersten Konzept bis zur Unterstützung des Serienanlaufs, in letzter Zeit vornehmlich für Hersteller aus dem asiatischen Raum. Ein weiteres Drittel umfasst Projekte mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr, wozu unter anderem Motorentwicklungen von der Papierform bis zum ersten Prototyp innerhalb von neun Monaten gehören.

In einer Zusammenarbeit der Volkswagen AG, des Paul-Scherrer-Instituts und der FEV Motorentechnik wurde beispielsweise ein Elektrohybrid mit Brennstoffzellen und Superkondensatoren entwickelt und aufgebaut, der sowohl die angestrebte Energierückgewinnung ermöglicht als auch ausreichende Fahrleistungen aufweist. Das letzte Drittel umfasst Kleinprojekte mit einer Laufzeit von wenigen Monaten, in denen zum Beispiel das akustische Verhalten eines Motors optimiert wird. Insgesamt reicht die Spannweite der Budgets von 50 000 Euro bis zu dreistelligen Millionenbeträgen. Um den unterschiedlichen Anforderungen zu entsprechen, wurden im neuen System Musterprojekte angelegt, anhand derer die Ingenieure ihre Prozesse definieren können. Je nach Komplexität des jeweiligen Kundenauftrags nutzen sie die Möglichkeit des Systems, das Hauptprojekt beliebig tief in Unterprojekte zu

gliedern.

Durch die Verzahnung von Projektmanagement und Rechnungswesen erhält FEV seine Controlling-Informationen jetzt deutlich früher. Waren die Monatsabschlüsse bisher zumeist erst am 20sten des Folgemonats vorhanden, liegen sie heute bereits in der ersten Woche vor. Gleichzeitig hat sich durch den höheren Automatisierungsgrad der Erfassungsaufwand verringert. Nicht nur die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen werden transparenter, auch das Wissens-Management wird in Zukunft gestärkt werden.

Um die Vorteile der Integration von Projektmanagement, Controlling und Einkauf auch für eher sporadische Anwender im Unternehmen nutzbar zu machen, denkt FEV Motorentechnik derzeit darüber nach, zusätzlich zu den Windows-Clients auch Portalzugänge einzurichten. Da das Sys tem vollständig Web-fähig ist, können auch diejenigen Nutzer, die keinen eigenen Rechner haben, die Lösung über das Intranet nutzen. In individuell konfigurierbaren Portalen erschließen sie sich ausschließlich die Informationen, die sie für ihre Arbeit brauchen. FEV sieht in den Möglichkeiten der neuen Geschäftssoftware einen der Motoren für seine weitere Unternehmensentwicklung. Deshalb prüfen die Aachener Ingenieure auch den zusätzlichen Einsatz der HR-Lösung und des Dokumentenmanagementsystems von IFS.