Offshoring bei TUI Infotec

Erfolgreiche Zusammenarbeit mit Indien dank Itil

10.07.2009 von Gregor Gold
Um die typischen Offshore-Risiken auszuschließen, setzt der IT-Dienstleister TUI Infotec auf eine deutschsprachige Schnittstelle und standardisierte IT-Prozesse. Von Gregor Gold
Foto: TUI

Wenn Michael Cares, Service-Manager des Offshore-Dienstleisters TUI Infotec, zu Gesprächen mit dem indischen Partner Sonata Software fliegt, muss er immer genug Zeit für private Kontakte einplanen. Denn in Indien legen die Menschen größten Wert auf eine familiäre Note - auch in den Geschäftsbeziehungen. "Ein Besuch zu Hause etwa wird als große Wertschätzung empfunden und kann entscheidend zur Qualität und Harmonie im Business beitragen", hat Cares in den letzten Jahren gelernt. Nicht nur in kultureller Hinsicht, auch bei der Körpersprache gibt es große Unterschiede: Wenn ein Inder den Kopf schüttelt, bekundet er damit keine Verneinung oder Ablehnung, sondern drückt lediglich seine Aufmerksamkeit aus.

"Offshoring kann zwar Einsparungen von 30 Prozent und mehr bringen. Doch die kulturellen und Mentalitätsunterschiede zwischen Indien und Deutschland bergen eine Menge unerwarteter Fallen", warnt Cares. Er muss es wissen: Nach dem Joint-Venture zwischen dem Reiseveranstalter TUI und dem indischen IT-Dienstleister Sonata Software musste das Unternehmen bei seinen ersten Schritten in das asiatische Land einiges an Lehrgeld bezahlen.

Um den Kunden solche zeitaufwändigen Lernprozesse zu ersparen, setzen immer mehr IT-Dienstleister auf Offshore-Modelle mit einem Brückenkopf im Heimatland. Auch bei TUI Infotech erhalten die Anwenderunternehmen eine deutsche Schnittstelle, "so dass sich die Zusammenarbeit wie ein Outsourcing mit einem hiesigen Provider anfühlt", erläutert Cares. "Mit den eigentlichen Offshore-Prozessen kommen sie kaum in Berührung, da wir alle Prozesse zwischen ihnen und dem indischen Partner steuern. Auf diese Weise sichern wir die Einsparungen durch die hierzulande gültigen Qualitätsstandards ab."

Nicht alles geht ins Ausland

Konkret bedeutet dies, dass die gesamte Kommunikation der derzeit rund 75 Kunden bei definierten Mitarbeitern von TUI Infotec aufläuft und diese dann die erforderlichen Maßnahmen mit dem indischen Partner steuern - sofern sie nicht hierzulande umgesetzt werden. Denn im Schnitt werden nur etwa zwei Drittel der IT-Leistungen im Offshoring erbracht, den Rest übernimmt neben der eigenen Entwicklungsabteilung das Hochleistungsrechenzentrum von TUI Infotec. Das gilt vor allem für Steuerungsaufgaben und Funktionen mit hoher datenrechtlicher und anderer Compliance-relevanter Bedeutung.

Auch Dienstleistungen, für die es in Indien an spezifischen Kompetenzen fehlt, werden von Deutschland aus erbracht. Ein Beispiel hierfür sind Services im Großrechnerumfeld: "Indien besitzt keine Mainframe-Kultur, ein Offshoring macht hier wenig Sinn", erläutert Cares. Die Stärken der Inder lägen vor allem in den Bereichen Windows und Unix, in der Anwendungsentwicklung sowie bei allem, wo besondere Fähigkeiten des Messens und Testens gefragt sind. Vor diesem Hintergrund ist Managed Testing ein wichtiger Geschäftsbereich von TUI Infotec.

Standardisierte IT-Prozesse sind das A und O

Das in der Praxis mitunter sehr komplexe Zusammenspiel von Kunden sowie hiesigen und indischen IT-Ressourcen erfordert zudem klar strukturierte und hochgradig standardisierte IT-Abläufe. "Die Prozesse müssen entlang aller Stationen so zielgenau und sicher wie auf Schienen laufen", beschreibt Cares die Anforderungen. Bei TUI Infotec wurde daher bereits Ende 2004 mit Unterstützung der Beratungsfirma Serview sukzessive ein IT-Service-Management (ITSM) gemäß Itil (IT Infrastucture Library) eingeführt. Damals war der IT-Dienstleister noch dabei, mit vorsichtigen Schritten den Nutzen und die Praktikabilität des Offshorings zu überprüfen und hatte zu diesem Zweck nur einige Kundenfunktionen nach Indien ausgelagert.

Die frühzeitige Investition in Itil-konforme Prozesse kamen bereits im Herbst 2006 zum Start des Joint-Ventures zum Tragen: "Bei der Transition von unserem früheren Partner auf Sonata zeigte sich, wie wichtig dokumentierte Prozesse sind", so Cares rückblickend. Ohne Itil hätte ein solcher Lieferantenwechsel mit der Übertragung spezifischer IT-Funktionen von Kunden kaum so reibungslos funktionieren können, ist der Manager überzeugt.

Länderübergreifende Qualitätssicherung mit Itil

Das eigentliche Motiv für die Standardisierung der IT-Prozesse nach Itil war allerdings die kundenorientierte Ausrichtung. Auf Empfehlung von Serview wurden dabei nicht alle elf Prozesse des Regelwerks gleichzeitig ins Visier genommen, sondern zunächst nur einige besonders relevante Themen. Hierzu gehörte etwa ein strukturiertes Incident-Management mit Single Point, bei dem es seitens TUI Infotec nur einen Ansprechpartner für alle Störungen aus den verschiedenen IT-Fachgruppen des Kunden gibt. Dieser übernimmt die interne Steuerung der Fehlerbeseitigung - egal ob die Fehler im Server-, Netzwerk- oder anderen Bereichen entstammen. "Durch diesen ganzheitlichen Ansatz muss der Kunde bei einer Störungsmeldung nicht erst aufwändig nach den richtigen Ansprechpartnern fahnden", so Cares.

Etwa zeitgleich mit dem Incident-Management wurden die Prozesse für das Change-, Problem- und Service-Level- Management standardisiert, so dass die Infrastruktur inzwischen ein klares Itil-Profil abbildet. Mit Blick auf die Kundenorientierung hat vor allem das Service-Level-Management als Instrument für die strukturierte Leistungssteuerung eine wesentliche Bedeutung. Dabei beschränkt sich TUI Infotec nicht auf ein Monitoring der SLAs (Service-Level-Agreements). Ergänzend dazu fragen die Mitarbeiter monatlich die Kundenzufriedenheit ab und lassen die Ergebnisse in einen kontinuierlichen Dialog münden. "Die permanente Kommunikation ist notwendig, weil es selbst bei perfekt erfüllten Service-Levels sein kann, dass beim Kunden noch Verbesserungsbedarf besteht", betont Cares. Viele Anwender setzten heutzutage andere Prioritäten: "Bei den Messgrößen geht es nicht mehr ausschließlich um die Verfügbarkeit, sondern immer häufiger um die Frage, wie sich die Incidents reduzieren lassen."

Genau dafür sind klar strukturierte und dokumentierte Prozesse vom Kunden bis zum indischen Partner nötig. "Itil ist beim Offshoring vermutlich noch erfolgskritischer als beim klassischen Outsourcing", so der Experte. "Durch eine dokumentierte Standardisierung lassen sich auch in unterschiedlichen Kulturen eine für alle Beteiligten verbindliche Benchmark setzen." (sp)
Gregor Gold ist freier Autor in Köln.