Telemedizin via Azure

"Enormer Schritt nach vorne"

13.04.2011 von Klaus Manhart
Für den Austausch sensibler medizinischer Daten von Dialysepatienten setzt die knowledgepark AG auf Microsoft Windows Azure. Entwicklungsleiter Johann Meyer erklärt in diesem Interview warum - und welche Vorteile Ärzte und Patienten davon haben. Mehr Details, wie sich Cloud Computing erfolgreich in die Praxis umsetzen lässt, erfahren Sie im Webcast "Business-Optimierung mit Microsoft Windows Azure" am 20. Januar, 11 Uhr.
"Die Daten sollten möglichst schnell, zeitnah und zuverlässig beim Arzt ankommen. Statt eine Multi-zu-Multi-Verbindung aufzubauen schalten wir Windows Azure dazwischen", sagt Johann Meyer, Entwicklungsleiter bei knowledgepark.
Foto: Knowledgepark AG

CIO.de: Herr Meyer, Sie haben eine Telemedizin-Lösung für Dialysepatienten entwickelt. Warum gerade diese Patientengruppe?

Meyer: Unsere Lösung wurde für Heimdialysepatienten entwickelt, die die Blutwäsche zu Hause durchführen. Bei dieser Patientengruppe ist es wichtig, Messungen wie Blutdruck, Blutzuckerspiegel oder Körpergewicht kontinuierlich und zuverlässig zu erfassen. Darauf kann der Arzt dann seine Behandlung abstimmen.

Die Patienten dokumentieren ihre Werte handschriftlich auf Formularen und kommen nur alle sechs bis acht Wochen in die Arztpraxis oder das Dialysezentrum. In dieser Zeit verschlechtern sich die Werte oft. Der Arzt bekommt von den Patienten einen Stapel Papier und kann die - teilweise lückenhaften - Daten nur oberflächlich kontrollieren. Gleichzeitig soll er für die nächsten Wochen dem Patienten Handlungsanweisungen geben.

Zusammen mit unserem Partner, dem KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V., haben wir eine telemedizinische Monitoring-Lösung für diese Dialyse-Patienten implementiert. Vorrangiges Ziel des Projekts ist es, die Informationen schneller zum Arzt zu bringen. Und zwar so, dass der Arzt die Daten beim nächsten Besuch des Patienten bereits vorliegen hat. Das zweite Ziel ist, die Datenqualität zu verbessern. Denn die Formulare werden unterschiedlich gut gepflegt. Ein Teil der Patienten trägt alles ordentlich ein, ein anderer Teil macht das eher oberflächlich und lückenhaft. Zudem wollten wir mit dem Projekt auch die Patienten entlasten, indem wir die Datenerhebung automatisieren.

Vorteil Verfügbarkeit

CIO.de: Für den Datentransfer von Patient zu Arzt setzen Sie Azure ein. Welche Vorteile versprechen Sie sich von einer Cloud-Lösung?

Meyer: Die Daten sollten möglichst schnell, zeitnah und zuverlässig beim Arzt ankommen. Statt eine Multi-zu-Multi-Verbindung aufzubauen schalten wir Windows Azure dazwischen. Als Endgerät mietet jeder Patient ein Netbook oder einen Touch PC mit Software von uns. Die Rechner kommunizieren mit Peripheriegeräten wie Blutzuckergerät, Blutdruckmesser oder Waagen via Bluetooth.

Wir nutzen für Azure einen kleinen Datenrouter. Dieser bekommt vom Netbook die Daten per UMTS oder WLAN. Der Router schickt die Daten dann in die Cloud, die die Daten bereit hält und sie an die Arztpraxis-Software weiter reicht. Azure speichert selbst keine Daten, sondern gibt sie nach einer kurzen Pufferung nur weiter.

Der große Vorteil von Azure ist die hohe Verfügbarkeit. Wenn der Router die Daten per UMTS loswerden will, werden sie praktisch immer und sofort weitergeleitet. Unabhängig von der Erreichbarkeit einer Praxissoftware. Garantiert wird von Azure eine Verfügbarkeit von 99,95 Prozent. Seit Beginn des Testbetriebs im Oktober letzten Jahres konnten wir noch nie einen Ausfall feststellen.

CIO.de: Ein eigener Server beziehungsweise eine rein lokale Lösung waren also keine Alternativen?

Meyer: Wir hätten uns alternativ einen Server anmieten müssen, der möglichst hoch verfügbar ist. Aber so ein Server ist aufwändig zu betreiben, braucht Pflege, Updates und Fixes und verursacht hohe Kosten. Das wollten wir umgehen. Wir brauchen keine große Rechenleistung, uns interessiert nur die Infrastruktur und die Zuverlässigkeit. Mit Azure laden wir einfach unsere Anwendung hoch, starten sie und dann läuft sie, bis wir sie wieder stoppen.

Früher gab es Projekte mit intelligenten Dialysemaschinen, die der Patient zu Hause stehen hatte. Dabei wurden die Daten der Maschine direkt ins Dialysezentrum gemeldet. Das waren im Prinzip Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. Diese enge Koppelung hat sich allerdings als ziemlich unzuverlässig erwiesen und war aufwändig zu warten. Mal brach die Verbindung ab, oder die Zentren waren nicht verfügbar.

Das ist bei Azure ganz anders. Der Dienst ist für beide Seiten immer erreichbar - auch unabhängig voneinander. Das ist ein enormer Schritt nach vorne. Als weiteren Schritt für die Zukunft denken wir daher auch darüber nach, diese Maschinen an die Homecare Hardware anzubinden und die Daten aus der Dialysemaschine zusammen mit den anderen Messdaten zu übertragen. Das ist aber noch Zukunftsmusik, im Moment versorgen wir nur PD-Patienten.

Sicherer Datentransfer

CIO.de: Welche Services von Azure nutzen Sie genau?

Meyer: Zum einen läuft die Überwachungstask als Web-Role. Enthalten ist dabei ein kleines Web-Interface, mit dem man abfragen kann, wie viele Daten vorhanden sind, wer die Daten abgeholt und wer sie nicht abgeholt hat. Die Daten selbst werden im Blob-Store zwischengespeichert.

CIO.de: Wie kommt der Service bei Ärzten und Patienten an?

Meyer: Die Ärzte fühlen sich durchgehend wohler, weil sie die Daten schneller und zuverlässiger bekommen. Von Patientenseite gab es ein gemischtes Feedback. Viele Patienten sind begeistert und sagen, sie wären viel motivierter als früher, die Daten zuverlässig einzugeben. Es gibt aber auch einige Patienten, die immer noch Probleme mit der Oberfläche haben, so dass wir diese noch weiter anpassen werden.

CIO.de: Medizinische Daten sind ja hochsensitive Informationen. Welche Sicherheitsvorkehrungen haben Sie getroffen?

Meyer: Grundsätzlich speichern wir die Patientendaten nicht in Azure, sondern nutzen den Cloud Service nur zur Datenübertragung. Beim Datentransfer werden zudem alle Daten verschlüsselt. Azure kann also keine Informationen bestimmten Patienten zuordnen. Für die Verschlüsselung enthält jeder Touch-Computer eine SD-Karte mit einem Public Key und einer ID als Identifizierer. Alle Daten werden mit dieser ID über Azure verschickt. Erst die Praxis-Software entschlüsselt die Daten. Die fischt sich aus Azure über die ihr bekannten IDs von Patienten die Daten heraus. In Azure sieht man nur, welche IDs liegen bleiben und welche verschickt und abgeholt wurden. Mit diesen Vorkehrungen konnten wir die medizinisch relevanten Daten bedenkenlos über Azure schleusen.

Schnell realisiert

CIO.de: Wie lange hat die Umsetzung des Projekts gedauert und wie aufwändig war das?

Meyer: Die Projektumsetzung hat drei Monate gedauert. Da wir bei Azure nur Standard-Komponenten wie den Blob-Store verwenden ließ sich der Azure-Teil in einer Woche realisieren. Weil wir schon lange mit Microsoft-Tools und -Programmiersprachen arbeiten war uns die Umgebung allerdings auch gut vertraut. Die meiste Zeit hat die Touch-Oberfläche in Anspruch genommen, weil sie im Zusammenspiel mit den Patienten immer wieder verändert werden musste.

Im Augenblick nehmen fünf Ärzte und 25 Patienten mit dem kompletten Gerätepark teil, inklusive Waage, Blutdruckmesser und Netbook. Die Test- und Entwicklungsphase lief jetzt drei Monate und dauert noch weitere drei Monate. Nach der Testphase soll eine Auswertung erfolgen und der Service großflächig vermarktet werden. Es gibt ja in Deutschland 2000-3000 Heimdialyse-Patienten. Dazu brauchen wir allerdings von den Krankenkassen einen Zuschuss und werden Gespräche mit den Kassen führen.

CIO.de: Lief denn tatsächlich alles glatt über die Bühne oder gab es auch cloudspezifische Hindernisse zu bewältigen?

Meyer: Wir bezahlten am Anfang Lehrgeld. Wir haben in der lokalen Azure-Umgebung entwickelt und die Anwendung dann hochgeladen. Leider zeigte sich später, dass unsere Überwachungssoftware fehlerhaft war, so dass immer wieder der Blob-Store durchsucht wurde - und zwar im Millisekundenbereich anstatt alle paar Minuten. Das Fatale war, dass das niemand gemerkt hat. Erst nach einer Mitteilung von Microsoft, wir hätten das Computing-Kontingent überschritten, wurden wir stutzig. Anhand der Rechnung konnten wir dann sehen, dass wir 40 GB Daten in der Cloud zwischen der Web-Role und dem Blob-Store hin und her transportiert haben. Aber das war unser Fehler, nicht der von Microsoft.