Schwanz aus dem 3D-Drucker

Eine Prothese für den Alligator

22.01.2019 von Martin Bayer
Mister Stubbs hatte ein schweres Problem. Dem Alligator war sein Schwanz abhandengekommen. Helfen konnten Wissenschaftler und 3D-Experten aus Arizona. Mit Hilfe von 3D-Scanner und 3D-Drucker bastelten sie eine Schwanzprothese für Mister Stubbs.

Die Polizisten aus Arizona staunten nicht schlecht, als sie einen verdächtigen Truck kontrollierten. Im Laderaum fanden die US-Beamten 32 lebende Alligatoren. Etwas überfordert mit diesem nicht alltäglichen Fund, wandten sie sich an die Phoenix Herpetological Society. Deren Mitarbeiter adoptierten schließlich die Reptilien - auch das Sorgenkind aus dem illegalen Tiertransport: Mister Stubbs.

Alligator "Mister Stubbs" hat ein Problem. Der fehlende Schwanz schränkt seine Bewegungsmöglichkeiten stark ein.
Foto: Phoenix Herpetological Society

Mister Stubbs hatte keinen Schwanz, sondern nur noch einen Stummel. Diese Behinderung zog für den Alligator durchaus schwerwiegende Probleme nach sich. Der Schwanz ist für die Reptilien ein wichtiges Werkzeug zur Fortbewegung. Damit steuern und beschleunigen die Tiere beispielsweise beim Schwimmen, um blitzschnell auf ihre Beute einzustürmen und zuzupacken. Doch ohne Schwanz hatte Mister Stubbs immer das Nachsehen. Seine Artgenossen waren schneller und schnappten ihm beim Füttern die Beute weg. Der schwanzlose Alligator musste mit den Resten vorlieb nehmen.

Hilfe für Mister Stubbs

Russ Johnson, Präsident der Phoenix Herpetological Society, wollte etwas für Mister Stubbs tun und stellte ein Team von Spezialisten zusammen, das überlegen sollte, wie man eine Schwanzprothese herstellen könnte. Marc Jokofsky und seine Assistentin Sarah Jarvis vom Zentrum für orthopädische Forschung brachten ihre Erfahrungen in der Betreuung von Menschen mit orthopädischen Behinderungen ein. Justin Georgi, Assistant Professor of Anatomy an der Midwestern University in Arizona, der seit Jahren die Bewegung von Alligatoren und anderen Reptilien untersucht hatte, half bei der anatomischen Analyse von Mister Stubbs. Gemeinsam berechneten die Wissenschaftler Größe, Gewicht und Dichte eines Alligatorschwanzes, der im Verhältnis zum Restkörpers richtig ausgewogen sein sollte.

Spezialisten haben per 3D-Scan und 3D-Druck ein Modell für eine Schwanzprothese gebaut.
Foto: Stax3D

"Ohne seinen Schwanz kann Herr Stubbs kaum schwimmen und nur sehr schlecht gehen", beschrieb Georgi die Ausgangssituation. "Seine Haltung an Land und sein Gang sind so schlecht, dass man sich wirklich Sorgen um seine langfristige Gesundheit von Gelenken und Knochen machen musste."

An diesem Punkt kamen die 3D-Experten von Stax3D ins Spiel. "Als Justin uns anfangs kontaktierte, waren wir sehr neugierig und nicht sicher, worauf wir uns einlassen würden", sagte Michael Andrew, technischer Leiter von Stax3D. Das in Gilbert, einem Stadtteil von Phoenix, beheimatete Unternehmen hatte bereits Erfahrungen mit der Herstellung von Prothesen - bisher jedoch nur für Menschen.

Um Mister Stubbs zu helfen, fertigte Stax3D zunächst mit Hilfe eines 3D-Scanners von Artec 3D ein hochauflösendes 3D-Modell des "gegossenen Schwanzes" eines kurz zuvor verstorbenen, ähnlich großen Alligators. Der 3D-Scanner arbeitet mit Lichtstrahlen, die ein Muster auf die Oberfläche des Objekts werfen. Sobald dieses Lichtmuster auf den Scanner zurückfällt, wird das verzerrte Licht von der Software "Artec Studio" analysiert, die Form des Objekts identifiziert und in hoher Auflösung mit bis zu 16 Bildern pro Sekunde aufgezeichnet. Der Vorteil des Verfahrens: Der 3D-Scanner kann Details von nur 0,5 Millimetern Größe erfassen und so die Objekte sehr genau erfassen.

Bevor der Alligator seine neue Prothese anprobieren kann, muss er einige Vorbereitungsprozeduren über sich ergehen lassen.
Foto: Phoenix Herpetological Society

Mit Hilfe der Artec 3D-Software passten die Stax3D-Spezialisten das virtuelle Schwanzmodell in Größe und Passform an den Stummel an, der noch von Mister Stubbs Schwanz übrig war. "Die feine Kontrolle über Details von Größe und Form des Schwanzes, wie wir sie mit dem digitalen Verfahren erreichen, gibt uns die Möglichkeit, tatsächlich mit verschiedenen Eigenschaften zu experimentieren, so dass wir auf einer direkteren Ebene verstehen können, wie die Prothese Mister Stubbs beeinflusst," stellte Georgi fest.

Schwanzprothese aus Dragon Skin

Auf Basis des digitalen Alligatorschwanzes druckten die Spezialisten mit Hilfe eines 3D-Druckers ein Modell. Es diente als Grundlage für einen Silikonabdruck, mit dessen Hilfe sich mehrere Schwanzprotesen für Mister Stubbs herstellen ließen. Für die Oberfläche der Prothese wurde ein Material namens "Dragon Skin" verwendet. Dabei handelt es sich um ein leichtes, flexibles Silikon, das häufig zur Herstellung von Spezialeffekten und Animatronik im Film sowie in der Prothetik verwendet wird.

Die Wissenschaftler zeigten sich mit dem Ergebnis des Prothetik-Experiments sehr zufrieden. Wenn man Mister Stubbs seine Schwanzprothese anschnallt, verhält sich das Tier demnach so, als wäre sie schon immer da gewesen. Der Alligator zeige keinerlei Anzeichen von Stress oder Unannehmlichkeiten beim Tragen und verhalte sich immer mehr wie ein normaler Alligator, stellten die Wissenschaftler fest. Er schwimmt weit hinaus und taucht nach Beute, genau wie seine Artgenossen.

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Allerdings muss Mister Stubbs in den nächsten 50 bis 60 Jahren seines Lebens, wenn er größer wird - erwachsene Alligatoren können bis zu sechs Meter lang werden - mit bis zu 40 neuen Schwänzen ausgestattet werden. Mit Hilfe des 3D-Modells seien Anpassungen sowie das Drucken neuer Schwänze jedoch ein Kinderspiel, hieß es. "Er wird hier ein langes und glückliches Leben haben", sagte Johnson von der Phoenix Herpetological Society.

Mister Stubbs ist sichtlich zufrieden mit seiner Schwanzprothese und den neuen Bewegungsmöglichkeiten.
Foto: Phoenix Herpetological Society

Und auch die Prothetik-Spezialisten hoffen auf Fortschritte im Zuge ihres tierischen Experiments. "Wir kratzen bislang lediglich an der Oberfläche hinsichtlich dessen, was 3D-Scannen und 3D-Drucken im Bereich der Prothetik leisten können", konstatierte Georgi von der Midwestern University in Arizona. "Ich denke, das Wichtigste, was Mister Stubbs' Fall leisten kann, ist, die Phantasie anderer zu wecken und sie zu inspirieren, die Grenzen des Denkbaren noch weiter zu verschieben."