Eine Linux-Migration will vorbereitet sein

08.06.2004 von Michael Hensche
Das Ende des Supports für bestimmte Softwareversionen und erzwungene Updates von Microsoft sowie mögliche Kostenvorteile von Open Source stellen Unternehmen früher oder später vor die Frage, ob sie auf Linux migrieren. Ob das tatsächlich möglich und sinnvoll ist, lässt sich in einem bewährten Verfahren klären, in einem Workshop.
Foto: IMSI

Anscheinend fallen weit mehr strategische Entscheidungen für Linux von kurzer Hand oder im Alleingang, als man annehmen sollte. Nach einer Studie von Forrester Research verwendet mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Großunternehmen das quelloffene Betriebssystem für geschäftskritische Anwendungen. Aber nur elf Prozent haben dazu einen internen Planungskreis eingerichtet. Dabei liegt es keineswegs von vornherein auf der Hand, ob die Systeme weiterhin mit Microsoft-Betriebssystemen laufen sollen, ob eine vollständige Migration von Servern und Desktops auf Linux angestrebt wird oder ob eine Mischung beider Szenarien die richtige Alternative ist.

Um das herauszufinden, gibt es einen bewährten Weg: Man bringe Manager und technische Fachleute des Unternehmens mit einem externen Berater zusammen und setze anhand einer strukturierten Agenda einen Workshop auf. In diesem soll erarbeitet werden, welche langfristige, positive Auswirkung die Entscheidung pro Microsoft oder pro Linux für das Unternehmen hat. Für den Erfolg des Workshops ist es wesentlich, dass die Zusammensetzung der Teilnehmer den "Hubschrauberblick" auf Unternehmensstrategie und Budget erlaubt. Außerdem gilt es, die technische Ausgangslage mit ihren spezifischen Abhängigkeiten zu berücksichtigen.

Der skizzierte Teilnehmerkreis schöpft seine Kreativität aus seiner heterogenen Zusammensetzung. Das erfordert einen erfahrenen Moderator, der die konstruktive Kommunikation fördert und an einer etablierten Agenda entlangsteuert. Er muss auf eine gemeinsame Wissensbasis für alle Teilnehmer hinarbeiten, auf deren Basis sich die alternativen Technologien bewerten lassen. Aufgrund dieser Bewertung wiederum wird in der Folge das Sollkonzept entwickelt. Der Berater muss deshalb Know-how über Rechenzentrumsarbeit, Betriebskonzepte und Prozessorganisation rund um den Einsatz sowohl von Linux als auch von Windows mitbringen. Erfahrungen aus vergleichbaren Unternehmenssituationen ("Best Practices") sollten als Praxisbeispiele ebenfalls zur Sprache kommen.

In dem Workshop gilt es zunächst, die Anforderungen an die IT für die nächsten Jahre zu definieren, die sich aus der unternehmerischen Zielsetzung ableiten. Welche Wachstumsstrategie verfolgt das Unternehmen? Welche Geschäftsprozesse gilt es künftig abzubilden? An wen richtet sich die IT, und welche Kostenstruktur ergibt sich? Welche Umgebung brauchen die Anwender, seien es Mitarbeiter (Business-to-Employee, B2E), Geschäftspartner (Business-to-Business, B2B) oder Endverbraucher (Business-to-Customer, B2C)? Welche Erfahrungen wurden bereits mit Linux gemacht? Sind die Ziele gestellt, werden daraus die Service-Levels abgeleitet, die den Anforderungen entsprechen. Daraus ergeben sich fast automatisch die technologischen Parameter wie Hochverfügbarkeit, Krisenfall-Szenarien und Backup/Recovery, die gleichzeitig kritische Erfolgsfaktoren für die IT-Strategie sind.

Von der Ist- zur Sollbeschreibung

Im nächsten Schritt sind die technologischen und organisatorischen Stärken und Schwächen der bestehenden IT-Infrastruktur herauszuarbeiten. Dieser Prozess verschafft den Workshop-Teilnehmern ein gemeinsames Verständnis der Ausgangslage. Angefangen bei der Raumsituation (Klima, Strom, Feuer- und Zugangsschutz etc.), werden die vorhandenen Konzepte für Server- und Speicherverfügbarkeit, Datensicherung und Katastrophenvorsorge, Change- und System-Management aufgezeichnet und den kritischen Erfolgsfaktoren gegenübergestellt.

Hier wird schnell deutlich, an welchen Stellen die bestehende IT bereits die unternehmerischen Ziele unterstützt. Gleichzeitig lassen sich die strategischen Lücken erkennen, also der Abstand vom heutigen Ist-Standpunkt zum Ziel-Standpunkt. Die Workshop-Teilnehmer werden anschließend die Stärken und Schwächen bewerten und aus der Gegenüberstellung der kritischen Erfolgsfaktoren Prioritäten ableiten, die eine Grundlage für den später zu erstellenden Maßnahmenplan bilden.

Gerade wegen seiner Popularität und aktuellen Medienpräsenz kommt es häufig zu Fehleinschätzungen, welche Ergebnisse sich durch den Einsatz von Linux erreichen lassen: Weder Windows noch Linux sind als Betriebssysteme prinzipiell in Kategorien wie "schlecht" oder "gut" einzuteilen. Orientiert sich das Management an der verbreiteten Vorstellung, mit Linux ließen sich generell und einfach Kosten senken, so interessiert sich der versierte Fachmann eher für die Möglichkeit, das Betriebssystem an spezifische Einsatzgebiete anzupassen. Beide Einschätzungen müssen aufgegriffen und in den Kontext eines produktiven Rechenzentrums und dessen grundsätzlicher Supportfunktion für die Geschäftsprozesse des Unternehmens gestellt werden.

Schwächen der Lösungen klarstellen

Anschließend müssen die "kritischen" Fragen geklärt werden: Ist es nötig, den Linux-Kernel zu verändern? Welche Anforderungen an das Change- oder Release- Management im Unternehmen ergeben sich daraus für einen sicheren Produktionsbetrieb? Wie werden Supportfragen gelöst bei einem Produkt, das niemandem "gehört"? Welche Rolle spielen die Distributionen? Wie stehen unabhängige Softwarehäuser, deren Produkte man verwendet, zu Linux?

In dieser Phase des Workshops sollte klar werden, wo Linux unbestreitbare Vorteile hat. Es ist bekannt, was erreicht werden soll (IT-Strategie), wo die strategischen Lücken bestehen (Standortbestimmung) und was technisch machbar und sinnvoll ist. Auf dieser Grundlage wird das Sollkonzept entwickelt. Es beschreibt, wie sich die strategischen Lücken schließen lassen.

Die verschiedenen Möglichkeiten und Lösungen lassen sich - beispielsweise auf einer Skala von eins bis fünf - danach bewerten, inwieweit sie den zuvor definierten Erfolgsfaktoren dienen. Ein Erfolgsfaktor könnte die Akzeptanz des Sollkonzepts bei den Anwendern sein. Unternehmen, die bereits gute Erfahrungen mit Linux gemacht haben, können hier eine höhere Wertung vornehmen als solche, die ohne Praxiserfahrung dem Betriebssystem eher neutral gegenüberstehen.

Die meisten Strategien scheitern, weil keine konkreten Maßnahmen vereinbart oder weil diese nicht konsequent umgesetzt werden. Sind Maßnahmen konkret geplant, scheitern viele Projekte an einem ungenau kalkulierten Budget. Ziel des Workshops muss es also sein, das Sollkonzept so zu konkretisieren, dass Maßnahmen, benötigte Ressourcen und Komponenten vordefiniert sind und zur Budgetplanung herangezogen werden können. Eine auf diese Weise entwickelte IT-Strategie orientiert sich an der Unternehmensstrategie und lässt sich budgetkonform umsetzen.