Cloud Computing

Ein neues IT-Konzept erobert die CeBIT

18.02.2009 von Wolfgang Herrmann
Die IT wird zum Gebrauchsgut wie Wasser oder Strom: Flexibel, skalierbar und billig. Mit dieser Vision locken Cloud-Anbieter Fachbesucher auf die Messestände.

Green IT, das mobile Internet , Mini-Notebooks und Energieeffizienz gehören aus Sicht der Fachpresse zu den Topthemen der CeBIT 2009. Das hat eine aktuelle Umfrage ergeben. Doch schon auf Rang 5 findet sich ein Schlagwort, das vor einem Jahr noch gar nicht auf dem Radarschirm professioneller Messebeobachter auftauchte: Cloud Computing. Dabei hat das Thema in der Unternehmens-IT schon eine steile Karriere hinter sich.

Bereits im Herbst 2007 kündigte IBM die Initiative "Blue Cloud" an und hält das Thema seitdem am Kochen. Der E-Commerce-Riese Amazon offeriert zwar schon seit mehr als zwei Jahren Cloud-Dienste über die Amazon Web Services (AWS), doch in der Öffentlichkeit blieb der Geschäftsbereich lange Zeit unbeachtet. Als Microsoft im Oktober 2008 seine Cloud-Plattform "Azure" vorstellte, bekam das mittlerweile zum Hype gereifte Konzept einen weiteren Schub. Inzwischen sind fast alle großen IT- und Serviceanbieter in irgendeiner Form auf den Zug aufgesprungen. "Der Markt ist aufgeregt, niemand will den Einstieg verpassen", beschreibt Frank Sempert vom Marktforschungs- und Beratungshaus Saugatuck Technology die gegenwärtige Aufbruchstimmung.

Obwohl die Definitionen und Erklärungsansätze auseinanderklaffen sind sich Experten in einem Punkt einig: Cloud Computing bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Anbieter IT-Dienste bereitstellen. Die Vision: IT wird zum Gebrauchsgut wie Wasser oder Strom. Gartner-Analyst Daryl Plummer vergleicht das Potenzial der Wolken-IT mit den Auswirkungen der industriellen Revolution des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Der umstrittene Autor Nicholas Carr ("IT doesn't matter") zieht gar Parallelen zu den Industriebetrieben Anfang des 20. Jahrhunderts, die erst allmählich von der eigenen Stromproduktion zu einem Versorgermodell wechselten. Selbst Microsofts Chief Software Architect Ray Ozzie ruft eine "neue Ära" aus, in der das Internet im Mittelpunkt stehe.

Was bringt Cloud Computing?

Glaubt man den Verheißungen der Anbieter, können Unternehmen in mehrfacher Hinsicht von Cloud Computing profitieren. So ließen sich die neuen Dienste nahezu unbegrenzt skalieren und rasch an veränderte Anforderungen anpassen. Über eine verbrauchsabhängige Abrechnung der Services könnten Kunden Fixkosten reduzieren. "IT-Verantwortliche werden häufig danach beurteilt und auch bezahlt, wie effektiv sie Kosten und Risiken reduzieren", kommentiert Saugatuck-Experte Sempert. "Cloud Computing ermöglicht es, beides zu tun." Frank Gens, Senior Vice President bei IDC, verweist auf den Einfluss des weltweiten konjunkturellen Abschwungs: "Das Cloud-Modell ermöglicht es Unternehmen, ihre IT wesentlich kostengünstiger zu erwerben und zu nutzen. Und das ist in Krisenzeiten ein bestechendes Argument." Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen könnten davon profitieren.

Doch was zeichnet den typischen Cloud-Computing-Anbieter aus? Welches sind die wichtigsten Player in dem noch jungen Markt, und wie unterscheiden sie sich voneinander? Die Antworten auf solche Fragen fallen selbst professionellen Marktbeobachtern schwer. Amazon, Google, IBM, Microsoft und Salesforce.com gelten derzeit als führende Anbieter. Gemeinsam ist ihnen, dass sie nicht nur einzelne Cloud-Services, sondern komplette Infrastruktur- oder Anwendungsplattformen zur Verfügung stellen. Kleinere Dienstleister spielen in der öffentlichen Wahrnehmung dagegen noch kaum eine Rolle.

Amazon.com

Der Pionier in Sachen Cloud Computing heißt Amazon.com. Schon vor mehr als zwei Jahren erkannte der Online-Händler, dass sich nicht nur Bücher vermarkten lassen, sondern auch die praxiserprobte IT-Infrastruktur der eigenen E-Commerce-Plattform. Daraus entstanden die Amazon Web Services (AWS). Kunden können die Dienste im Bausteinsystem beliebig kombinieren. Die Infrastruktur, sprich die nötige Rechenkapazität, stellt die Amazon Elastic Compute Cloud (Amazon EC2) zur Verfügung.

Auf dieser Plattform lassen sich Anwendungen in Amazon Machine Images (AMI) speichern. Die Daten liegen dabei im Amazon Simple Storage Service (S3). Für den strukturierten Zugriff auf Daten steht Amazon SimpleDB zur Verfügung. Der Clou dabei: Kunden zahlen nur die tatsächlich in Anspruch genommenen Dienste. So kostet beispielsweise eine Stunde Rechenleistung unter Linux in der günstigsten Variante zehn Cent. Den Begriff "Elastic" wählten die Amazon-Marketiers, weil sich die gewünschte Rechenleistung innerhalb von Minuten anpassen lassen soll.

IBM

Mit der im Herbst 2007 vorgestellten Initiative Blue Cloud gab IBM den Startschuss für eine ganze Reihe einschlägiger Angebote. Auf den ersten Blick positionierte sich der Konzern damit nicht primär als Anbieter von Cloud-Services. Im Mittelpunkt standen vielmehr Software-Tools, die es Unternehmen ermöglichen sollen, eine eigene Cloud-Infrastruktur aufzubauen. Blue Cloud steht für eine Palette von Werkzeugen, mit deren Hilfe Kunden ihren Rechenzentrumsbetrieb virtualisieren und automatisieren können. Die Basis dafür bildet die System-Management-Software "Tivoli Provisioning Manager" (TPM). Sie bietet etwa Funktionen für das Einrichten, Konfigurieren und Verwalten der IT-Infrastruktur im Rechenzentrum.

"Blue Cloud wird unseren Kunden dabei helfen, schnell eine Cloud-Computing-Infrastruktur aufzubauen", erläuterte Rod Adkins, Senior Vice President für den Bereich Development and Manufacturing. Folgerichtig unterscheidet IBM in öffentliche und private Clouds. Im Vergleich zu den via Internet bereitgestellten Diensten der ersten Kategorie brächten die privaten Wolken Vorteile, argumentiert der Anbieter. So reduzierten sich in der hausinternen Cloud beispielsweise Bandbreiten- und Sicherheitsprobleme. Nutzer der Dienste behielten weitgehend die Kontrolle über die Infrastruktur.

Google

Google ist vor allem als Suchmaschinenbetreiber und Anbieter einiger nützlicher Online-Tools für den privaten Gebrauch bekannt. Doch mit seiner Enterprise-Sparte zielt der Internet-Konzern eindeutig auf Unternehmenskunden. In der "Google Apps Premier Edition" schnürt der Konzern die wichtigsten Tools zu einem Paket für den professionellen Einsatz. Dazu gehören der Web-basierende E-Mail-Dienst Google Mail, der gemeinsam nutzbare Kalender und die Office-Suite Google Docs, die grundlegende Funktionen für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentation bereitstellt. Auch in diesem Kontext betont der Anbieter die Möglichkeit, Dokumente gemeinsam zu bearbeiten. Hinzu kommen weitere Werkzeuge wie das Instant-Messaging-System Google Talk und Google Sites. Letzteres soll es Unternehmen erleichtern, Team-Websites zu erstellen, über die sie diverse Informationen wie Videos, Präsentationen oder Texte publizieren können.

Salesforce.com

Auch Salesforce.com, ein Pionier in Sachen Software as Service (SaaS), entwickelt sich im Cloud-Zeitalter zu einem Plattformanbieter. Mit "Force.com" offeriert das US-Unternehmen Entwicklern eine Infrastruktur, auf der sie eigene Softwaredienste entwickeln und später zur Miete anbieten können. Entwicklungs- und Collaboration-Tools für die Plattformteilnehmer sowie ein Marktplatz für On-Demand-Applikationen ergänzen das Angebot. Ziel der Salesforce-Strategen ist es, Kunden eine möglichst komplette Softwarepalette zur Nutzung über das Web anzubieten.

Microsoft

Nach einigen eher zaghaften Anläufen in Richtung SaaS machte Microsoft mit der im Oktober angekündigten Azure Services Platform einen großen Schritt in Richtung Cloud Computing. Aus technischer Sicht lässt sich Azure mit Amazons "Elastic Compute Cloud" (EC2) vergleichen, die ebenfalls eine Infrastruktur bietet, auf der sich mehrere Instanzen eines Betriebssystems ausführen lassen. Während Amazon auf den quelloffenen Hypervisor "Xen" setzt, entwickelte Microsoft eine eigene Hardwareabstraktions- und Virtualisierungsschicht, auf der Windows Server 2008 ausgeführt wird. Über dem Betriebssystem bietet das Unternehmen eine Reihe von Web-Services an, darunter die unter der "Live"-Marke bekannten Dienste sowie .NET-, SQL-, Sharepoint- und Dynamics-CRM-Services. Ebenso wie der Konkurrent Amazon hat Microsoft ein verbrauchsabhängiges Abrechnungsmodell entwickelt, das sich an Kenngrößen wie Rechenzeit, Speicherplatz oder übertragenem Datenvolumen orientiert.

Ein neues Ökosystem?

Neben den Branchenschwergewichten sehen Markforscher ein ganzes Ökosystem von Cloud-Providern entstehen. Dazu gehören einerseits kleinere Plattformanbieter wie die Open-Source-Softwareschmiede 10gen. Andererseits könne sich eine ganze Reihe spezialisierter Dienstleister etablieren, die beispielsweise Sicherheits-, Abrechnungs- oder Integrationsdienste feilbieten. Zur letzteren Gruppe zählen die Auguren etwa das New Yorker Startup-Unternehmen Bluewolf, das sich auf Integrationsdienste für Cloud-Services spezialisiert hat.

Je nach Auslegung des Cloud-Begriffs gehören auch klassische SaaS-Provider und die inzwischen zahlreichen Anbieter von Online-Speichern "in die Wolke". So ist beispielsweise der Internet-Konzern Yahoo mit der aufgekauften Firma Zimbra in den Markt für online nutzbare Messaging- und Collaboration-Services eingestiegen. Yahoo kooperiert in Sachen Cloud Computing außerdem mit Hewlett-Packard und Intel. Geht es um Infrastrukturdienste, positionieren sich auch Telekommunikationsanbieter wie British Telecom oder die Telekom-Tochter T-Systems im Markt. Selbst große Hardwarehersteller wie Sun Microsystems sehen in der Vermietung der hauseigenen Infrastruktur eine Chance, das wegbrechende Stammgeschäft zu kompensieren.

Cloud Computing auf der CeBIT

T-Systems (Halle 26, Stand A01) zeigt in Hannover eine Cloud-Computing-Variante für Großkunden. Das Versprechen: Die "Dynamic Services" schaffen die nötige Flexibilität, um schnell auf neue Geschäftsanforderungen zu reagieren und IT-Kapazitäten innerhalb von 24 Stunden aufzustocken oder herunterzufahren.

Unternehmen könnten damit ihre Kosten um bis zu 30 Prozent verringern, so der Anbieter. Sie erhielten alle Dienste aus einer Hand, beispielsweise Netzleistung, Rechen- und Speicherkapazität. Sogar der Betrieb individueller Anwendungen lasse sich mit Hilfe von Dynamic Services abwickeln. Unterschiedliche Service Levels gehörten damit der Vergangenheit an. Für IT-Verantwortliche würden damit Kosten und die gesamten ITK-Ressourcen transparent.

In Halle 4, Stand A26, zeigt Microsoft unterschiedliche Aspekte des Cloud Computing. Bekannte Ansätze wie Office Live Small Business und Office Live Workspace präsentiert der Anbieter im neuen Layout. Die beiden Angebote richten sich an kleine Unternehmen und Selbständige, die ohne eigenen Server eine Web-basierende Zusammenarbeit, Dokumenten-Sharing oder eine Webpräsenz aufbauen wollen.

Darüber hinaus sind die kommenden Angebote der Business Productivity Online Suite (BPOS) zu sehen. Dahinter verbringt sich Microsofts Online Angebot für große und international tätige Unternehmen mit Web-basierenden Services wie SharePoint Online, Exchange Online und Office Communication Server Online. Mit Windows Azure präsentiert Microsoft zudem eine der Kerntechniken seiner Software+Services-Strategie. Der Konzern positioniert Azure als "Betriebssystem für das Web".

Auch IBM (Halle 2, Stand A10) zeigt einige seiner Ansätze für Cloud Computing in Demopunkten und einem interaktiven Showcase. So demonstriert der Hersteller anhand eines konkreten Beispiels, wie durch den intelligenten Einsatz von IT-Ressourcen in einer virtualisierten Umgebung IT-Prozesse unterstützt und gleichzeitig eine Optimierung ihrer Energiebilanz erreicht werden kann.

Cloud Computing steht zudem auf der Agenda zahlreicher Fachvorträge und Veranstaltungen auf der CeBIT. So referiert etwa Werner Vogels, Chief Technology Officer bei Amazon, am 6. März um 11:30 Uhr (Convention Center, Saal 2) zum Thema "Cloud Computing and its impact on Webciety".