Ein dramatischer Rückgang der Wertschöpfung

07.05.1982

Dr. Andreas von Bülow, Bundesforschungsminister*

Leider stagniert bei der deutschen Telekommunikationsindustrie die Exportquote derzeit bei 25 Prozent. Auch in den für die Zukunft wichtigen Bereichen der Datenverarbeitung und der Mikroelektronik sind Schwächen nicht zu übersehen. Bei der Datenverarbeitung sind wir Importland, und wir beziehen zirka 50 Prozent unseres Bedarfs an integrierten Schaltkreisen aus dem Ausland. Eine starke Telekommunikationsindustrie, die mit steigenden Exportquoten neue Arbeitsplätze schafft, ist ohne starke Datenverarbeitung und ohne eine breite Basis in der Mikroelektronik nicht denkbar.

Warum sind wir im gesamten Bereich der Informationstechnik so viel schwächer im Export als etwa im Maschinenbau? Als für Forschung und Technologie zuständiger Minister habe ich mir natürlich die Frage vorgelegt, ob wir gegenüber anderen Industrienationen einen wesentlichen Rückstand in unseren FuE-Aufwendungen haben, der diese Schwäche erklären könnte. Ich habe in den letzten Monaten versucht, in einer Reihe von Gesprächen mit Vertretern aus Wissenschaft und Industrie hierauf eine Antwort zu finden. Danach drängt sich bei mit der Eindruck auf, daß wir bei einigen Spitzenprodukten so zum Beispiel bei der digitalen Vermittlungstechnik, einem Vergleich mit Ländern wie den USA und Japan zur Zeit im Markt nicht standhalten. Obwohl alle wirklich wichtigen Technologien bei uns technisch beherrscht werden. Stagnation im Telekommunikationsbereich kann also nicht mit fehlendem technischen Know how erklärt werden. Das gleiche ist übrigens für die Bauelementeindustrie anzunehmen.

Die Schwierigkeiten liegen woanders: Wenn wir uns nicht darauf beschränken wollen, die internationale Innovationsrate im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik nur noch wissenschaftlich nachzuvollziehen, sondern das internationale Wachstumspotential dieses Bereichs zum Erhalten vielleicht sogar zur Ausweitung des Arbeitsplatzangebots selbst voll ausschöpfen wollen, müssen wir neue Märkte erschließen. Und zwar innerhalb und außerhalb unseres Landes.

Ich habe inzwischen gelernt, daß der Telekommunikation bei der Entwicklung des Binnenmarkts auch für die Produkte der Datenverarbeitungs- und Bauelementeindustrie eine Schlüsselrolle zugefallen ist. Eine moderne Fernmeldeinfrastruktur ist das Rückgrat der "Geschäftlichen Kommunikation". Der entsprechende Endgerätebereich und damit auch in steigendem Umfang das Produktspektrum der informationstechnischen Industrie hängen davon ab.

Datenverarbeitung, Bürotechnik und Fernmeldewesen sind verschiedene Seiten desselben Gegenstands geworden. Insbesondere für die Unternehmen der kommunikationstechnischen Industrie bedeutet dies die Einstellung auf eine gegenüber früheren Jahren enorm gesteigerte Vielfalt von Technologien in Produktentwicklung und Fertigung.

Hieraus wiederum resultieren erhöhte Anforderungen bei den Entwicklungsaufwendungen, hohe Aufwendungen für zugekaufte Komponenten, und, dies ist entscheidend, ein dramatischer Rückgang in der Wertschöpfung.

Zusätzlich beobachten wir gerade im Telekommunikationsbereich das Phänomen, daß technologische Innovationen zunehmend von neuen Wettbewerbern vorangetrieben werden, so zum Beispiel von IBM bei Nebenstellenanlagen. In Deutschland hat gerade Nixdorf die Postzulassung für die erste PCM-Nebenstellenanlage in der Bundesrepublik Deutschland erhalten.

Die Probleme, die sich aus der verminderten Wertschöpfung, der vergleichsweise kurzen Produktlebensdauer und einer Reihe neuer Wettbewerber auf dem Telekommunikationsmarkt ergeben, sind von den Unternehmen zu lösen, die politischen und gesellschaftlichen Folgen zu bedenken und gegebenenfalls zu handeln ist Sache der Regierung und der politischen Öffentlichkeit.

Ich glaube, die Grenzen der Forschungs- und Technologiepolitik sind hierbei offenkundig. Die Bundesregierung hat die Industrie seit Anfang der 70er Jahre auf den Gebieten der optischen Nachrichtentechnik, der Digitalisierung von Netzen und Endgeräten und der Mikroelektronik gefördert, zugegeben mit im internationalen Maßstab bescheidenen Mitteln. Sie hat mit dem Beschluß zur Durchführung der beiden Sonderprogramme "Anwendung der Mikroelektronik" und "Komponenten der Optischen Nachrichtentechnik" im September letzten Jahres der Tatsache Rechnung getragen, daß nun erhebliche Anstrengungen notwendig sind, um die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse der 70er Jahre auf die Produktebene zu transformieren. Danach muß der Markt sich selbst helfen.

Allerdings, ein wichtiges vielleicht sogar entscheidendes Marktsegment wird von der Deutschen Bundespost bestimmt. Darauf wird auch in einer für den BMFT angefertigten Studie über Chancen und Probleme einer innovationsorientierten Beschaffungspolitik hingewiesen. Die Autoren der Studie von IABG und IFO** behaupten übrigens daß die fast vollständige Ausrichtung der Nachfrage der DBP auf den Inlandsmarkt zu; Errichtung und Konservierung marktmächtiger Angebotsstrukturen beigetragen haben, die die Innovationskonkurrenz behinderten. Ich halte diese Schlußfolgerung für zu einfach als Antwort auf die Frage, nach welchen, Kriterien das Interessen-Dreieck zwischen Postverwaltung, Industrie und den Nutzern fernmeldetechnischer Dienstleistungen auszubalancieren ist. Hier geht es um grundlegende Weichenstellungen.

* Teil des Grundsatzreferates, das der Forschungsminister, anläßlich des Kongresses des "Münchner Kreises" ( 19. - 20. April, 1982) in München zum Thema "Telekommunikation als Berufschance" gehalten hat. (Vergleiche CW Nr. 18, Seite 4)

** Industrieanlagen - Betriebsgesellschaft, Ottobrunn, und IFO - Institut für Wirtschaftsforschung, München