EDI und Edifact: Vom Exoten zum anwenderorientierten Markt

23.10.1992

Von Michael Müller-Berg und Jürgen Otto, Lion Edinet Gesellschaft für Kommunikation mbH, Köln

Oft genug wurde eine bevorstehende EDI-Welle in den Medien prophezeit. Noch vor einigen Jahren für viele Anwender nur ein Schlagwort, entwickelte sich EDI mit Edifact seither zunehmend von einer Schrittmacher zu einer Basistechnologie. Die von Fachleuten schon seit Jahren prognostizierten Steigerungsraten von jährlich mehr als 50 Prozent sind Realität geworden. Allerdings spielen die vielen EDI-Orchester in der Regel noch in verschiedenen Tonlagen.

Der heutige EDI-Anwendermarkt spaltet sich in zwei Lager. Die eine Gruppe hat EDI und Edifact für sich als strategisches Instrument erkannt und eingesetzt. Dies sind zum einen große Anwendergruppen, wie sie durch Cefic, Edifice, Edifer, EAN, Swift, die Finanzdienstleistungsbranche, die Sanitär- oder die Bürobedarfsbranche etc. repräsentiert werden. Hinzu kommen große Konzerne wie Hapag Lloyd, Lufthansa, Daimler-Benz, Veba, Alusuisse Lonza, Preussag, Unilever etc.

Andererseits werden viele Unternehmen aufgrund der Marktposition ihrer Geschäftspartner zum Einsatz von EDI gezwungen, ohne dadurch im eigenen Organisationsumfeld unmittelbar Synergieeffekte realisieren zu können.

Klassische Beispiele hierfür sind die Automobilzulieferer. Diese müssen häufig, um den Serviceanforderungen ihrer Kunden gerecht zu werden, herstellerspezifische Anforderungen der Automobilhersteller - unter anderem Ford, VW, Mercedes-Benz (Ford-Net, RVS, DAX) - erfüllen, wobei der Nutzen des EDI-Einsatzes sehr einseitig bei den Automobilherstellern liegt.

Das ursprüngliche Hauptmotiv für die Implementierung einer EDI-Anwendung war der Realisierungswunsch von Anwenderforderungen im Bereich des Bestell- und Rechnungs-Datenaustausches. Basierend auf diesen Implementierungen, werden nun von seiten der Anwender verstärkt Anstrengungen in Richtung Integration der gesamten Wertschöpfungskette unternommen. Der Grund hierfür ist, daß die Anwender in den letzten Jahren erkannt haben daß ihre in der Regel heterogenen externen Kommunikationsbeziehungen nur durch den Einsatz offener Lösungen und international gültiger Standards bewältigt werden können.

Bisher ist eine stärkere Verbreitung von Edifact im deutschsprachigen Raum hauptsächlich aufgrund der unzureichenden Verfügbarkeit der entsprechenden Nachrichtentypen für die unterschiedlichen Geschäftsvorfälle in den einzelnen Branchen hinausgezögert worden.

Diesem Manko ist man seitens der internationalen Normierungsgremien. Ende 1991 insofern gerecht geworden, als eine hohe Anzahl von Nachrichten in den Status 2 beziehungsweise 1 erhoben wurde. Die heute existierenden Nachrichtentypen in den verschiedenen Normungsstati ermöglichen nun alle potentiellen EDI-Anwendern, sich mit ihrem Applikationen in der Edifact-Welt wiederzufinden.

Der zunehmende Realisierungsdruck in puncto standardisierte Lösungen ergibt sich nicht zuletzt auch aufgrund immer weiter optimierter Logistikkonzepte und komplexer Innovationen-Stichwort: Lean production. Im Rahmen einer qualitativen Arbeitsteilung wird hier ein immer höherer Wertschöpfungsanteil am Produkt vom Hersteller auf die Vorlieferanten verlagert, was die Anforderung an die Kommunikationsqualität innerhalb des bestehenden Beziehungsgeflechts stark erhöht.

Die Faktoren Service und Dienstleistung gewinnen also bei der Auswahl von Vorlieferanten unter Berücksichtigung der zunehmenden Automatisierung einen neuen Stellenwert; bedingen aber zugleich, daß die Kommunikationsfähigkeit auch für den Anwender bezahlbar sein und bleiben muß.

Hier ist vor allem zwischen den Investitionskosten und den laufenden Kosten zu unterscheiden, was von vielen Anwendern im ersten Schritt so nicht gesehen wird. Gerade der Begriff des Investitionsschutzes bekommt aufgrund des langfristigen Einsatzes von Edifact eine ganz andere Tragweite. EDI-Systeme sind keine Wegwerfsysteme, die sich ohne weiteres austauschen lassen. Nicht ohne Grund kommt daher das große Erwachen bei vielen Anwendern meist erst relativ spät und immer dann, wenn. die Einführung von EDI ohne konzeptionelle Vorgehensweise erfolgte.

Durch die zunehmende Internationalisierung und Globalisierung der Märkte wächst der Bedarf nach international gültigen Kommunikationsregularien. Dieser Anforderung wird auf seiten der Sprachstandards beziehungsweise Konventionen bisher nur Edifact gerecht. Allerdings muß jeder Anwender wissen, daß der Weg dorthin durch eine längere Migrationsphase führt.

Die Problematik, vor der die Benutzer heute stehen, zeigt sich sehr plastisch anhand der Situation in der Finanzdienstleistungsbranche. Der europäische Binnenmarkt 1993 erfordert dort für eine erfolgreiche Behauptung im Markt europäische Lösungen, die heute noch nicht verfügbar sind. So ist das Datenträgeraustauschformat (DTA) der Banken zwar in Deutschland etabliert, versagt in seiner Funktionsfähigkeit aber schon an den Landesgrenzen zu anderen europäischen Partnerländern, weil es dort nicht verwendet wird. Die großen deutschen Banken sind zwar ausnahmslos bemüht, Abhilfe zu schaffen, doch ist es bis dahin noch ein längerer Weg.

Ähnlich wie im Finanzdienstleistungssektor sieht es grundsätzlich auch in anderen Branchen aus, nur heißen die Anwendungsprobleme dort anders. Allerdings machen viele Anwender heute auch den Fehler, ihre existierende Applikationsproblematik in die EDI Welt zu verlagern, wo sie inhaltlich nicht hingehört - frei nach dem Motto: mit Edifact geht das doch alles - oder ?

Fest steht in jedem Fall, daß beim Einsatz von EDI beziehungsweise Edifact die Anwendungsschwachstellen für den Kommunikationspartner transparenter werden und deshalb bereits im Vorfeld zwingende behoben werden müssen. Da hier meist schon eine große Anzahl von Problemen zu lösen ist, sollte zumindest die EDI-Funktionalität für alle Anwender umfassend durch die Generierung internationaler - Standards bezüglich der unterschiedlichen, für EDI und Edifact relevanten Komponenten und Faktoren er zielt werden: Konverter, Ablaufsteuerung, Archivierung, Security, DIN UN/Edifact-Normdatenbank, Telekommunikation etc.

Im Rahmen dieser Marktunsicherheit sind in den letzten 18 Monaten viele Softwarehäuser auf den EDI-Zug aufgesprungen. Allein auf dem deutschen EDI-Systemmarkt tummeln sich derzeit schon mehr als dreißig Anbieter. Wie will man sich da als Anwender noch Markttransparenz verschaffen? Hinzu kommt das Angebot einer Vielzahl von EDI-Seminaren, deren Sinn für den halbwegs erfahrenen Edifact Anwender mehr als fragwürdig erscheint dienen sie doch - abgesehen vom wirtschaftlichen Nutzen für die Veranstalter - , mehr einer grundsätzlichen Sensibilisierung für die Edifact Thematik als einer konkreten Lösungshilfe.

Allerdings wird sich hier in den beiden nächsten Jahren ebenso wie im Bereich der EDI Systemanbieter sehr schnell die Spreu vom Weizen trennen. Der Anwender von heute kann schon wesentlich besser als noch vor zwei Jahren zwischen Quantität und Qualität unterscheiden. Dies zeigt sich zum einen daran, daß sich mittlerweile in Deutschland nur ein EDI Congress etabliert hat, zum anderen setzen sich vermehrt anwendungsspezifische EDI- und Edifact-Schulungen am Markt durch, die konkrete Implementierungsprobleme der Anwender aus verschiedenen Branchen behandeln, anstatt bunte Produkt- und Firmenimageshows zu präsentieren, die für EDI-Insider meist nur Unterhaltungswert besitzen.

Hinzu kommt, daß immer mehr Anwendungen aus dem Pilotprojektstatus herauskommen und sich damit auch die Prämissen bei der Auswahl der EDI-Software und des Dienstleisters ändern. Stehen bei kleinen Projekten immer noch die Kosten eindeutig im Vordergrund, so werden Anforderungen wie Sicherheit, Zukunftsorientierung und Stabilität bei gleichzeitig zunehmender Anzahl der Applikationen immer bedeutsamer.

Kleinere Software-Anbieter mit weniger als 20 Mitarbeitern werden daher auf lange Sicht die Anforderungen des Marktes und speziell der Großkonzerne in puncto Entwicklungssicherheit, Kontinuität, Innovation und Support nicht abdecken, geschweige denn internationale Projekte durchführen können.

Die EDI-Branche ist heute zu einer festen Institution innerhalb der Software-Industrie geworden, bei der Software-Entwicklungsbudgets von 50 Mannjahren und mehr keine Seltenheit sind. In den verschiedenen Applikationen sind wichtige Funktionen zu implementieren, die konzeptionell geplant und realisiert werden müssen. In erster Linie zu erwähnen sind hier Features wie Interaktiv EDI, elektronische Unterschrift, Schnittstellen zu Standarddatenbanken wie Oracle, Informix und DB2 sowie Kommunikation via OSI. Services wie X.400 und FTAM werden daher überall dort, wo es um die externe Kommunikation mit anderen Partnern geht, mehr und mehr zum K.o.-Kriterium für die diversen Anbieter werden.

Der Anwender wird sich innerhalb seines Lernprozesses im Bezug auf unternehmensübergreifendes Networking vermehrt den Anbietern proprietärer Netzdienste wie GE Informations Services und IBM widersetzen, die letztlich nichts anderes als große Insellösungen anbieten können. Gerade der Markt der Netzwerk-Carrier ist in den letzten Monaten durch die Aktivitäten neuer Anbieter l wie Debis, Inas, BT oder AT&T stark in Bewegung geraten - sehr zum Vorteil des Anwenders, der aus einem breiteren Angebot wählen kann, sofern er über das dafür notwendige Know how verfügt.