Dynamics: Microsofts nächste Großbaustelle

08.11.2006
Was heute noch eine Dachmarke für Redmonder ERP- und CRM-Software ist, soll in den nächsten Jahren zur Softwareumgebung reifen, auf der auch Geschäftsapplikationen von Drittherstellern aufsetzen.

Satya Nadella ist seit einigen Wochen neuer Leiter der Sparte Microsoft Business Solutions. Er erläuterte gemeinsam mit Doug Burgum, der diesen Posten zurvor inne hatte und nun Senior Vice President bei Microsoft ist, wie Dynamics weiterentwickelt werden soll.

Dynamics ist heute ein Markenname, unter der das Softwarehaus seine Business-Produkte (etwa Dynamics Nav, AX und CRM) zusammenfasst. Obwohl die Namensgebung schon jetzt gleiche Funktionen suggeriert, basieren die einzelnen Lösungen noch auf unterschiedlichen Techniken, Datenmodellen und Entwicklungswerkzeugen. Microsoft strebt eine weitgehende Harmonisierung der einzelnen Produkte an und hatte diese Pläne schon vor einiger Zeit skizziert. In den nächsten Jahren sollen zum Beispiel die Datenmodelle aller ERP-Lösungen, darunter die für den deutschen Markt relevanten Linien Nav und AX, zusammenwachsen.

Bereits angefangen hat der Hersteller mit der Entwicklung eines gemeinsamen Clients. Dieser soll Office- und Business-Software-Funktionen so miteinander verweben, dass der Nutzer praktisch keinen Unterschied mehr merkt. Heute verwenden die Lösungen jeweils eigene Frontends. Einen ersten Eindruck davon soll das Produkt "Dynamics CRM V3C" vermitteln, das für Dezember geplant ist. Im nächsten Jahr folgt mit Dynamics NAV 5.0 das ERP-Produkt mit neuem Client. Die Kopplung von Business-Software und Office kommt natürlich nicht von ungefähr: Microsoft möchte sich auf dem Desktop unabkömmlich machen. Indirekt will der Hersteller seinen Kunden so auch einen Grund liefern, ihre Office- und Betriebssysteminstallationen zu modernisieren, sprich auf Office 2007 und Windows Vista umzusteigen.

Was die enge Integration der Office-Produkte mit ERP- beziehungsweise CRM-Funktionen dem Nutzer auf Heller und Pfennig bringt, vermögen die Microsoft-Manager nicht zu sagen, kündigen aber für nächstes Jahr "konkrete Beispiele" an.

Office 2007 soll das Frontend für die Dynamics-Produkte werden. Office- und ERP-Funktionen werdem dem Nutzer in einer Art Portaloberfläche präsentiert.

Wenn die Standardprodukte von Microsoft demnächst neue Frontends erhalten, müssen auch die zahlreichen darauf aufsetzenden Partnerprodukte entsprechend angepasst werden. Problematisch sei dies nicht, verspricht Burgum, da bei einer Migration des ERP-Systems auf das nächste NAV-Release die Office-Integration quasi automatisch erfolgt, und zwar sowohl für das von Microsoft ausgelieferte Standardprodukt als auch die vertikalen Partneranwendungen.

Nicht so überzeugt davon ist hingegen David Bradshow, Principal Analyst beim Marktforschungsunternehmen Ovum. "Microsoft wird Schwierigkeit haben, ERP-Modifikationen und das neue Office-basierende Frontend aufeinander abzustimmen."

Auf einen ganz anderen Umstand weißt Bradshows Kollege Nigel Montgomery hin. "Mittelständische Firmen können sich entweder eine ERP-Migration oder ein Office- und Windows-Update leisten, beides gleichzeitig hingegen nicht", meint der Chefanalyst bei AMR Research.

Die ERP-Lösungen werden nicht nur einen gemeinsamen Client haben, sondern auch eine Reihe von Basisfunktionen, die heute noch in jedem Produkt in jeweils eigener Ausprägung vorhanden ist. Alle betriebswirtschaftlichen Applikationen werden beispielsweise ein in Dynamics verankertes Hauptbuch ("General Ledger") sowie Supply-Chain-Funktionen nutzen. Somit gingen in den nächsten Jahren die Eigenschaften der unterschiedlichen Business-Lösungen mehr und mehr in die übergreifende Dynamics-Infrastruktur über. "Irgendwann erhält der Dynamics-Nav-Kunde mit dem nächsten Release das neue Dynamics-System, das dann alle Funktionen des alten Produkts und einiges zusätzlich enthält", beschreibt es Burgum.

Bei der Integration der verschiedenen Softwareprodukte soll auch der Kunstgriff gelingen, die unterschiedlichen Programmierumgebungen - etwa "C/Side" (NAV) und "Morphx" (AX) - sowie .NET in eine Entwicklungsumgebung zu überführen, die nach den Prinzipien der Model-driven Architecture arbeitet. "In Zukunft wird es eine Art Plug-in Visual Studio .NET für C/Side geben", sagt Nadella. Fallen lassen wolle der Hersteller C/Side indes nicht. Es gebe gute Gründe, daran festzuhalten. Einer davon sind die Partner, die mit dem System vertraut sind und eigene Lösungen damit gebaut haben und diese pflegen müssen. Andererseits sei C/Side für das Programmieren von Geschäftsapplikationen ausgerichtet und daher vielfach effizienter als die .NET-Sprache "C#". "Fünf Codezeilen C/Side entsprechen mitunter 50 Zeilen C#", so Burgum.

Nadella zufolge soll Dynamics jedoch nicht nur die Betriebsumgebung der eigenen Business-Programme werden, sondern auch Partnern dazu dienen, eigene Geschäftsapplikationen zu bauen. Gemeint sind unabhängige Softwarehäuser, die heute beispielsweise eigene ERP-Lösungen auf .NET-Basis kreieren. Sie sollen nach den Vorstellungen Microsofts nur noch spezifische Funktionen etwa für eine Branche entwickeln, während die Basisfunktionen von Microsoft Dynamics kommt. "Es muss nicht tausend Hauptbücher am Markt geben", bringt es Burgum auf den Punkt, der offenbar schon fest damit rechnet, dass diese Softwareanbieter in Scharen ihre Produktentwicklung weitgehend einstellen und auf Dynamics umschwenken.

Burgum und Nadella machen zwar deutlich, dass es sich bei ihren Ausführungen noch um Konzepte und nicht um konkrete Produktankündigungen handelt. Dennoch wird klar, dass Microsoft auf eine Vereinheitlichung der eigenen Produkte und auf eine Business-Software-Infrastruktur als zusätzlicher Layer im .NET-Framework hinaus will. Was Windows für PCs und Server heute ist, soll Dynamics für Geschäftsapplikationen werden.

Etwas greifbarer sind die für das nächste Jahr angekündigten Produktneuheiten in Sachen Dynamics NAV. Bei der Version 5.1, die ebenfalls 2007 auf den Markt kommen soll, ändert sich auch unter der Haube etwas: Microsoft will sich dann vom veralteten Two-Tier-Konzept verabschieden und eine Drei-Schichten-Architektur einziehen.

Die Produktpläne von Microsoft in Sachen Dynamics ähneln in mancherlei Hinsicht denen der SAP. Auch die Walldorfer bauen mit "Netweaver" eine Umgebung für eigene Geschäftsapplikationen sowie für Partner, die damit Lösungen entwickeln sollen. Zwar arbeiten beide Firmen im Rahmen von "Duet" (Kopplung von "Mysap ERP 200x" und Office) zusammen, stehen aber in Sachen Busines-Software, Business-Intelligence und Portale im Wettbewerb. (fn)