Duell der ERP-Generationen

24.03.2005 von Frank Niemann
Ein direkter Vergleich förderte zutage, dass "Proalpha" und "Infor COM" solide Produkte alter Prägung sind, während "Semiramis" und "Axapta" modernen Konzepten folgen. Doch die Unterschiede sind nur gering.

Hier lesen Sie …

  • wie sich die ERP-Systeme Proalpha und Axapta sowie Infor COM und Semiramis im Vergleich schlugen;

  • warum sich ERP-Produkte im Laufe der Jahre immer mehr angeglichen haben;

  • welche Unterschiede die Datenbankkonzepte aufweisen.

Direkte Produktvergleiche im ERP-Umfeld sind rar. Umso spannender ist es, wenn Systeme der gleichen Leistungsklasse gegeneinander antreten. Einen solchen Wettbewerb veranstalte- ten die Gesellschaft zur Prü- fung von Software (GPS) aus Ulm und das in Aachen beheimatete Software-Analyst Trovarit AG auf der diesjährigen CeBIT. Dabei gab es zwei Duelle zwischen jeweils zwei ERP-Systemen: Proalpha vom gleich- namigen Hersteller trat gegen Microsofts "Axapta" an und "Infor COM 6.3" von Infor Global Solutions gegen "Semiramis" (CIS AG). Die teilnehmenden Teams mussten nacheinander die gleichen Aufgaben erfüllen (siehe Kasten "Die Aufgaben"). Alle vier Produkte spielen in derselben Liga: Sie richten sich unter anderem an mittelständische Firmen mit diskreter Fertigung, wozu auch der Maschinen- und Anlagenbau zählt.

Wertungsrichter bei dem Wettstreit waren die rund 50 Zuschauer, so dass die Ergebnisse vor allem den Eindruck wiedergeben, den die Präsentation bei ihnen hinterließ. Eine repräsentative Untersuchung fand somit nicht statt. Trotzdem gewährte die Vorführung einen Einblick in die Funktionsweise der Produkte. "Der Wettbewerb gleicht einer gut vorbereiteten Anbieterpräsentation bei der Softwareauswahl", so Trovarit-Vorstand Karsten Sontow.

Infor gegen Semiramis

Zwar fiel das Votum der Zuschauer bei der simplen Frage, welches Produkt sie am ehesten kaufen würden, hier zugunsten von Semiramis aus (rund 54 Prozent gegen gut 32 Prozent, der Rest waren Enthaltungen), doch dies bedeutet laut GPS-Geschäftsführer Werner Schmid nicht, dass die Produkte qualitativ weit auseinander liegen. "Eigentlich sind die funktionalen Wertungen gleich, es gibt nur graduelle Unterschiede." Eine gute Figur machte Infor COM insbesondere bei der Produktionssteuerung. Hier konnte das schon seit langem am Markt befindliche ERP-Produkt die präziseste Steuerung vorweisen. Dazu zählte zum Beispiel die multiple Fertigungsoptimierung, bei der Auslastung, Zeit und Kapazität berücksichtigt werden. Die Planungskomponente eignet sich dazu, einzelne Arbeitsschritte so einzureihen, dass die Maschinenstandszeiten möglichst gering sind. "Das war brillant", urteilt Schmid.

Mandantensteuerung

Ein deutlicher Unterschied zwischen Infor und Semiramis war jedoch bei der Intercompany-Steuerung zu erkennen. Gemeint ist damit der Datentransfer zwischen einem Stammhaus und einer Niederlassung, der auch Teil der Aufgabenstellung war. Während ältere ERP-Systeme ein Zweigwerk als weiteren Mandanten oder Buchungskreis in einer eigenen Datenbankinstanz speichern, verfügen modernere Produkte wie Semiramis über Funktionen, mit denen sich weitere Gesellschaften innerhalb einer Datenbankinstanz abbilden lassen. Unterschieden werden Datensätze des Stammhauses und solche anderer Buchungskreise durch entsprechende Parameter.

Die Aufgaben



Die Teilnehmer des ERP-Vergleichswettbewerbs ("Formel iT") mussten ein virtuelles Unternehmen mit Stammhaus und ausländischer Produktionsgesellschaft nachbilden, das ein Produkt im Kundenauftrag herstellt, "auf die Strecke" direkt zum Kunden ausliefert und buchhalterisch verbucht.

Die hierzu erforderlichen Beispieldaten und Prozessszenarien erhielten die teilnehmenden Teams rund sechs Wochen vor dem Wettbewerb. Dabei wurden auch die Arbeitsgänge (mit Minutenkosten für einzelne Maschinen) sowie der Lagerbestand von Teilen spezifiziert.

Die Aufgabenschritte umfassten unter anderem:

• Auftrag bearbeiten,

• Stücklisten und Arbeitspläne in das Fertigungswerk übertragen,

• die Fertigung planen,

• Material disponieren,

• Waren bei Lieferanten bestellen, einlagern (mit Seriennummer) beziehungsweise von dort entnehmen,

• das gefertigte Produkt aus dem Ausland zum Kunden liefern,

• die Intercompany-Verrechnung sowie die Fakturierung direkt vom Stammhaus.

Prinzipiell führen beide Ansätze zum Ziel und sollten bei Produktentscheidungen kein Ausschlusskriterium sein. Allerdings ist es für Unternehmen aufwändiger, Stammdaten der Firmenzentrale bei jeder Datenänderung in die Datenbankinstanz des Zweigwerks zu replizieren. Im Wettbewerb mussten beispielsweise nach Erteilung des Auftrags die Stücklisten und Arbeitspläne vom Stammhaus an die Produktionsgesellschaft übertragen werden.

Semiramis vermag beliebig viele Produktionsstätten innerhalb der gleichen Datenbank abzubilden. Dies ist allerdings auch erst seit der Version 4 möglich, so Schmid. Um in den Datenbestand des Zweigwerks zu wechseln, muss der Anwender lediglich einen Parameter ändern.

Fakturierung vereinfacht

Dies hat beispielsweise bei der firmenübergreifenden Verrechnung Vorteile: Während sich bei Infor die Fakturierung des Auftrags im Fertigungsbetrieb und das Buchen der Rechnung in der Zentrale in zwei getrennten Vorgängen vollziehen, lässt sich dies in der Semiramis-Umgebung in einem Schritt bewältigen. Der modernere Datenbankansatz hat unter Umständen jedoch auch Nachteile: So ist es nicht immer gleich ersichtlich, in welchem Datenstamm man sich gerade befindet. In den Infor-Masken war hingegen deutlich sichtbar, ob sich der Benutzer im Haupt- oder Zweigwerk aufhält.

"Infor COM ist das reifere, aber auch ältere Produkt. Vor zehn Jahren haben sich Anwender noch nicht in dem Maße mit der Intercompany-Steuerung befasst", bemerkt Schmid. Doch selbst mittelständische Firmen müssten heute innerhalb kurzer Zeit ein neues Werk einrichten. Da komme es ihnen zupass, wenn sie wenig Aufwand mit dem Einrichten ihrer ERP-Software hätten.

Proalpha gegen Axapta

Im Gegensatz zur Paarung Semiramis und Infor waren beim Vergleich zwischen Proalpha und Axapta technische Unterschiede kaum ersichtlich. Die Hersteller wurden jeweils von einem Partnerunternehmen vertreten. Für die Microsoft-Lösung trat Tectura aus Rimpar an, die Proalpha-Software stellte Alpha Business Solutions mit Sitz in Kaiserslautern vor. Zwar stimmte das Publikum mehrheitlich für Proalpha (etwa 53 zu 36 Prozent), das auch bei den einzelnen Aufgaben immer knapp vorn lag. Nach den Worten von GPS-Chef Schmid sind beide Produkte jedoch vergleichbar.

Die Proalpha-Software verfügt über ein klassisches ERP-Interface, das an den Windows Explorer erinnert: Benutzerführung immer links, Kopf- und Positionsdaten tauchen immer an der gleichen Stelle auf. Ähnlich wie bei Infor müssen auch bei diesem System Mandanten in einer eigenen Datenbankinstanz angelegt werden. Proalpha konnte bei der Fertigung genauso tief gehen wie Infor. Axapta bot wie Semiramis keine so hohe Detaillierung.

Konsolidierung

Eine für Firmenverbünde wichtige Funktion ist die Konsolidierung von Finanzdaten. Im ERP-Wettbewerb war diese Disziplin zwar nicht gefordert, in der Praxis ist sie aber durchaus ein Thema.

Bei der Konsolidierung geht es unter anderem darum, aus den Herstellungskosten eines Werkes und den Vertriebs- erlösen des Stammhauses die Salden zu ermitteln. Dies ist erforderlich, um den Gewinn innerhalb des Konzerns zu berechnen.

Nur wenige ERP-Produkte bieten eine integrierte Konsolidierung. Einige Anbieter verzichten auf eine eigene Buchhaltung und integrieren Partnersysteme, was nicht von Nachteil und für den Endbenutzer nicht ersichtlich ist. Infor COM zum Beispiel nutzt das System von Varial, beide Produkte gehören mittlerweile der Infor Global Solutions. Auch das mit Infor konkurrierende Produkt Semiramis setzt auf Varial.

Für große Firmen und weltweite Konzerne konzipierte Systeme von SAP und Oracle verfügen über integrierte Konsolidierungsfunktionen.

Ansprechendes Frontend

Das Microsoft-Produkt arbeitet am Windows-Frontend mit zahlreichen Teildialogen, die sich beliebig auf dem Bildschirm verschieben lassen. Mandanten werden wie bei Semiramis über eine Parametrisierung gekennzeichnet und erfordern keine zusätzlichen Datenbankinstanzen. "Axapta hatte nicht die bodenständige Überzeugungskraft wie Proalpha", kommentiert ERP-Experte Schmid.

Beide Produkte unterscheiden sich jedoch auch in der Datenbanktechnik, wobei dieser Aspekt lediglich für den Administrator von Belang ist, nicht jedoch für den ERP-Nutzer an sich. So setzt Proalpha auf der Progress-Datenbank und -Entwicklungsumgebung auf. Axapta dagegen verwendet Datenbanken von Oracle sowie Microsofts SQL Server. Die SQL-Datenbank von Progress hat sich laut Schmid bisher nie als Nachteil erwiesen. Karsten Sontow, Vorstand der Trovarit AG, kennt jedoch einige wenige Kundensituationen, in denen Proalpha wegen der zugrunde liegenden Datenbank aus dem Wettbewerb gefallen war.

Für GPS-Geschäftsführer Schmid hat der Wettbewerb gezeigt, dass die ERP-Systeme für den Mittelstand sich inzwischen nur noch graduell voneinander unterscheiden. Besonderheiten könnten nur wenige bieten. Spezielle Anforderungen wie etwa die EDI-Anbindung an die Systeme der Fahrzeughersteller sowie Funktionen für das Rating gemäß Basel II würden die Hersteller oft über Partnerprodukte realisieren.

Dem kann Sontow nur zustimmen: "Alle vier Systeme können etwa das Gleiche." Die Unterschiede lägen im Detail, so gebe es Projekte, bei denen eine Abbildung wachsender Stücklisten oder die Chargenrückverfolgung wichtig sei. Der Trovarit-Chef betont, dass neben den Funktionen auch die Preise der Lösung und die Zukunftsfähigkeit der Technik eine Rolle spielen.