Neue Horizonte durch horizontale Integration

Drei KI-Szenarien aus der Logistik

15.01.2019 von Torben Niemschke
Mithilfe von Künstlicher Intelligenz ergeben sich neue Möglichkeiten, wenn IoT-Daten mit grundlegenden Business-Anwendungen wie ERP oder CRM integriert werden. Drei Szenarien aus der Logistik.

KI und selbstlernende Algorithmen machen Geräte, Services und Maschinen immer schlauer. Vorteile wie vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) nehmen reale Gestalt an und lösen die ersten Versprechen des zukunftsträchtigen Konzepts "Industrie 4.0" ein. Smarte, vernetzte Geräte mit zahlreichen Sensoren sorgen für ein immer besseres Verständnis dafür, unter welchen Bedingungen sie die besten Ergebnisse erzielen.

Unternehmen werden einen vielfach höheren Nutzen erreichen, wenn sie KI in Prozesse integrieren.
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Und dennoch: Einen vielfach höheren Nutzen werden Unternehmen erreichen, wenn sie KI in Prozesse integrieren. Das heißt, die Unmengen von Sensoren-Daten nicht nur vertikal, sondern auch horizontal integriert. Auf diese Art macht der einzelne Sensor nicht nur eine Maschine schlauer, sondern das gesamte Unternehmen. Der Schlüssel dazu ist das intelligente Zusammenspiel mit Business-Anwendungen.

Hier drei Beispiele anhand von Use Cases aus der Logistik, die zeigen, was innovative Unternehmen in den nächsten Jahren erreichen können - durch konsequente Nutzung von Technologien, die heute schon verfügbar sind.

Beispiel 1: Individualisierte Verpackung ohne Lieferverzögerung

"Losgröße eins", das Versprechen von hochgradig individualisierten und erst auf Anfrage hergestellten Produkten, ist ein wichtiges Schlagwort der Industrie 4.0. In der Logistik gab es eine simple Variante der Einzelanfertigung schon immer: in der Etikettierung. So bekommt jedes Paket, das über einen Lieferdienst zu Endkunden oder Firmen gesendet wird, selbstverständlich sein individuelles Etikett.

Eine simple Variante der Einzelanfertigung gab es in der Logistik schon immer: in der Etikettierung. Darauf könnte man aufbauen...
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Zunehmend werden aber die Chancen erkannt, nicht nur ein zweckmäßiges, schmuckloses Paketlabel zu individualisieren, sondern die gesamte Verpackung auf den Adressaten oder das enthaltene Produkt maßzuschneidern. Innovative Online-Händler nutzen Versandverpackungen gezielt, um ihre Marke zu stärken und sich vom Wettbewerb abzuheben. Das beginnt mit eigenen Klebebändern des Shops, kann aber auch auf die Produkte abgestimmte Verpackungen oder personalisierte Kartons bedeuten.

Im Lebensmittelbereich könnte zum Beispiel ein Holzkisten- oder Korb-Look der Versandverpackung zu einem besseren Kundenerlebnis und höherer Kundenbindung verhelfen. In der Elektronikbranche spielen eher Fragen der Transportsicherheit eine Rolle: Die Verpackung muss den spezifischen Anforderungen des Verkehrsmittels und den erwartbaren klimatischen Bedingungen entsprechen.

Stellen wir uns im Rahmen unserer Überlegungen zur Künstlichen Intelligenz nun einen Premium-Hersteller von Sportschuhen vor, der für ein individuell konfigurierbares Paar Schuhe zwölf Farben zur Auswahl anbietet. Diese kann der Kunde jeweils als Hauptfarbe, Zweitfarbe und Schnürsenkel-Farbe bestimmen - insgesamt 1728 Kombinationen. Um dem Kunden das perfekte Kundenerlebnis zu bieten, sucht die Firma nach Möglichkeiten auch die Verpackungen in diesen passenden Farbkombinationen auszuliefern, etwa in der Form von rundum beklebten Schuhkartons mit Hauptfarbe, Zweitfarbe und Schnürsenkelfarbe.

Wenn man sich dieses Szenario herkömmlich vorstellt, würde der Prozess so ablaufen: Erst bestellt der Kunde sein Paar Schuhe, dann wird es produziert und ins Versandzentrum geschickt. Dort wird der Rundum-Aufkleber für die individualisierte Versandverpackung gedruckt und auf den Karton geklebt. Danach werden die Schuhe darin eingepackt, das Paket gelabelt und verschickt. Das kostet viel Zeit. Die Sendung kommt später beim Kunden an.

Bestückt man nun das für die Verpackung zuständige System mit künstlicher Intelligenz, wäre es in der Lage, schnell die beliebtesten Farbkombinationen herauszufinden. Es könnte zum Beispiel immer die in den letzten vier Wochen beliebtesten 100 Farbkombinationen auf Vorrat drucken. Wenn das System frühzeitig Leerzeiten oder Standzeiten nutzt, um diese vorzubereiten, kann es sich Freiräume für Stoßzeiten schaffen, wenn es schnell gehen muss. Das wäre die vertikale Integration von künstlicher Intelligenz und würde einiges an Zeit sparen.

Viel mehr ist möglich, wenn das System mit der Business-Software integriert ist. Das ERP zeigt vorab, welche Schuhe aktuell in Produktion oder bestellt sind. Die Business Warehouse Management Anwendung zeigt, welche Schuhe vorproduziert auf Lager liegen und schon verpackt werden können. Das CRM erlaubt, Muster zu erkennen: Zu welcher Jahreszeit oder bei welchen Sportereignissen ordern Kunden welche Schuhe? Die Anbindung von Marketing-Systemen zeigt an, welche Farbkombinationen in den Promotions oder Anzeigen vorkommen.

Indem Künstliche Intelligenz horizontal über all diese Systeme gelegt wird und ständig dazulernt, kann sie mit der Zeit immer zuverlässiger voraussagen, welche Verpackungen benötigt werden. Es kann also die Produktion eines Großteils der Verpackungen vorausschauend veranlassen. Im Ergebnis könnte der Auslieferungsprozess mit individualisierter Verpackung ebenso schnell laufen wie der mit einem neutralen Karton. Und zugleich bräuchte das Unternehmen weniger Lagerfläche für die vorproduzierten Verpackungen.

Ähnliche Verfahren sind für funktional verschiedene Verpackungen für Elektronik oder verschiedene Verpackungsgrößen vorstellbar. Der Clou ist schlichtweg, dass die Daten nicht nur vertikal integriert werden, sondern horizontal mit dem gesamten Spektrum von Business-Applikationen, und dass man das Optimierungspotenzial mit einem Blick auf den End-to-End-Prozess analysiert.

Beispiel 2: Mehr Leistung im Hochregallager

Ein zweites Beispiel: In einem Hochregallager ist die Ordnung der Güter heute meist eher zufällig. Der Einlagerungsort hängt unter anderem davon ab, wann welche Waren eingetroffen sind und wo zu diesem Zeitpunkt gerade Platz war. In modernen, automatischen Hochregallagern kümmern sich längst smarte, autonome Roboter statt Gabelstaplerfahrer um die Einlagerung und Entnahme der Waren. Sie enthalten vielfältige Sensoren und Intelligenz, unter anderem damit kein Paket herunterfällt, keine Maschinen aneinanderstoßen und Verschleißteile vorausschauend ausgetauscht werden: Vertikale Künstliche Intelligenz.

Auch die Daten von Robotern, die Waren im Hochregallager lagern und entnehmen, lassen sich mit Hilfe von KI nutzen.
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Diese Roboter erfassen bereits zu diesen Zwecken eine Unmenge an Daten: Zu ihren Fahrwegen, ihrer Position, zur Auslastung, der Nutzlast, dem Energieverbrauch und so weiter. Wenn nun diese Daten mit Infos aus CRM oder ERP gekoppelt werden und Künstliche Intelligenz diese Datenmenge analysiert, lässt sich viel optimieren. Das horizontal integrierte System würde zum Beispiel dank vorausschauender Analyse ahnen, ob in den nächsten Wochen eher Regenmäntel oder Bademode gefragt sein werden. Es könnte - ähnlich den Kaufempfehlungen im E-Commerce - voraussehen, dass oft derjenige, der Weihnachtskugeln bestellt, auch Strohschmuck und Geschenkpapier braucht.

Solches Wissen lässt sich nutzen: In Stillstandszeiten, in denen keine Waren neu eingelagert oder entnommen werden, könnte der Roboter das Lager entsprechend der Prognose umsortieren. An den Stellen, die der Roboter besonders schnell und auf kurzen Wegen erreicht, schafft er Platz für die Artikel, für die in naher Zukunft viele Bestellungen zu erwarten sind. Ware, die nicht der Saison entspricht wird ins hinterste Eck verlagert. Artikel, die oft zusammen bestellt werden, würde er in der Nähe zueinander platzieren.

Neu eingetroffene Teillieferungen würde er zwischenlagern, weil er weiß, dass weitere Waren kommen; so spart er Zeit, wenn er dann alle zusammen an den endgültigen, optimalen Bestimmungsort im Hochregallager transportiert. Er würde möglicherweise nicht mehr einen Job nach dem anderen abarbeiten, sondern auf einer notwendigen Fahrt schon einmal eine andere Ware den halben Weg mitnehmen. All dies geschieht dann nicht mehr auf der Basis von Regeln, sondern auf der Basis von selbstlernenden Algorithmen.

Der ohnehin schon recht intelligente, aber isoliert arbeitende Roboter wird also horizontal mit hochleistungsfähiger Business-Software verbunden, verknüpft über eine in Echtzeit arbeitende Prozess-Engine. Künstliche Intelligenz würde so unter dem Strich zu einer Optimierung des Fahrwegs und zu einem schnelleren Betrieb führen. Betriebswirtschaftlich sorgt dies für mehr Umsatz, weil Aufträge zu Stoßzeiten schneller abgearbeitet werden. Eine solche Optimierung könnte in manchen Branchen im Weihnachtsgeschäft für einen zusätzlichen Tag mit sattem Umsatz sorgen.

Statt, dass der Roboter nur arbeitet, wenn er eine konkrete Anforderung erhält, oder wenn ihm eine Regel den Befehl gibt, optimiert er nun ständig das Lager für die Aufgaben der nächsten Tage und Wochen. Mit dem Ergebnis, dass er zu Peak-Zeiten perfekt vorbereitet ist.

Beispiel 3: Umsatz statt Leerfahrten in der Spedition

Ähnliches gilt für das dritte Szenario - Flottenmanagement einer Spedition. In der Speditionsbranche bedeuten Leerfahrten immer unproduktive Zeit, dennoch machen sie rund ein Drittel aller LKW-Fahrten aus. Dabei sind moderne LKWs bereits smart, enthalten unzählige Sensoren für Elektronik, Motor und bieten riesige Datenmengen zu Position, Strecke, Geschwindigkeit, Kraftstoffverbrauch und vielen anderen Punkten.

Neben der Routenoptimierung kann KI dafür sorgen, dass die unproduktiven Leerfahrten vermieden werden.
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Auch diese Daten werden heute vor allem für eine gute Wartung und traditionelles Flottenmanagement genutzt: Vertikale Integration. Eine horizontale Integration der Daten würde den Nutzen potenzieren. Wenn zum Beispiel die Positions- und Geschwindigkeitsdaten einer größeren Flotte zur Verfügung stehen, entsteht schnell ein Datenpool, mit dem sich Verkehrsprobleme zu bestimmten Tageszeiten und an bestimmten Wochentagen oder zu saisonalen Ereignissen, wie dem Ferienbeginn eines Bundeslandes, voraussehen lassen. Bevor eine Staumeldung kommt, also der Stau überhaupt entsteht, hat der LKW schon eine bessere Route eingeschlagen. Eine Integration mit weiteren Datenquellen, wie Wetterdaten, könnte dazu führen, dass die LKWs der Spedition Straßen mit erhöhter Unfallquote bei bestimmten Wetter- und Lichtverhältnissen vorausschauend umfahren, um möglichen Problemen aus dem Weg zu gehen und Zeit zu sparen.

Auch hier würde aber die horizontale Integration mit den Business-Anwendungen die Möglichkeiten potenzieren. Neben der Routenoptimierung kann KI dafür sorgen, dass die unproduktiven Leerfahrten vermieden werden. Das beginnt bei der Preisoptimierung im Auftragswesen: Möglicherweise ist es sinnvoll, Strecken, auf denen häufig Leerfahrten vorkommen, mit automatisierter Preisfindung günstiger anzubieten und andere Strecken teurer.

Es wäre aber auch ein disruptives Modell der Auftragsakquise vorstellbar: Das System erkennt, dass in wenigen Tagen eine Leerfahrt von Köln nach Hamburg eingeplant ist. Es klärt: Welche Auftraggeber haben unter ähnlichen Bedingungen (zum Beispiel Wochentag, Jahreszeit) in der Vergangenheit Fahrten von Köln nach Hamburg gebucht. Über das CRM-System kann die Firma automatisiert ein attraktives Last-Minute-Angebot machen und bei Beauftragung alle nötigen Schritte einleiten. Das System kann Entscheidungen treffen und es lernt aus den daraus generierten Daten. Das heißt, wie wir Menschen lernt es aus Erfahrungen, inklusive Fehlern.

Auch für diesen Fall müssen die Sensordaten aus den Fahrzeugen auf der Basis von moderner In-Memory-Technologie in Echtzeit mit den Logistik- und Kunden-Daten kommunizieren können. Je mehr Daten zur Flotte und zur Geschäftstätigkeit der künstlichen Intelligenz zur Verfügung stehen, desto eher wird sie neue Muster erkennen. Aktualisierte Prozesse können dann die Wertschöpfung massiv positiv beeinflussen.

Diese drei Szenarien zeigen, dass Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zwar längst in Unternehmen Einzug gehalten haben, aber dass noch kaum jemand die Möglichkeiten der horizontalen Integration, der Einbindung in Prozesse, nutzt. Teil zwei dieses Beitrags geht darauf ein, wie Unternehmen jeder Branche vorgehen können, um den Schatz zu bergen, der in ihren Daten verborgen ist.