Eingefahrene Strukturen aufbrechen

Digitalisierung braucht Wandel der Organisation

26.01.2016 von Urs M. Krämer
Digitale Technologien gelten als Mittel zur Steigerung von Effizienz und Produktivität. Aber nur, wenn die IT auch für die Umgestaltung von Organisationsstrukturen genutzt wird, werden Unternehmen agil genug für die Zukunft.
  • Zwischen den Kommunikationsgewohnheiten der Digital Natives und vielen konservativ geführten Unternehmen gibt es eine Kluft - letztere tun sich schwer, entsprechend ausgebildetes Personal zu rekrutieren.
  • Innovationsprojekte allein stehen noch nicht für die digitale Transformation im Unternehmen. Auch ein institutionalisierter Job wie ein Chief Digital Officer ist eher kontraproduktiv für Agilität.
  • Besser sind digitale Tochterunternehmen, in denen die Transformation von Anfang an verankert wird.

Der Einsatz digitaler Lösungen führt nicht per se zu digitaler Exzellenz. Banken beispielsweise setzen Technologien wie Cloud Computing oder In-Memory-Datenbanken in verschiedenen Anwendungsbereichen erfolgreich ein, ohne jedoch die inneren Organisationsstrukturen zu transformieren. Die Digitalisierung trägt daher kaum zu einer höheren Agilität im Wettbewerb bei.

Wer digital exzellent sein möchte, muss mehr tun als nur IT einzusetzen.
Foto: DrHitch - shutterstock.com

Axel Springer beispielsweise ist hingegen ein erfolgreiches Beispiel für eine erfolgreiche Transformation. Dem Unternehmen gelang es, sich durch die Umgestaltung der Organisation mit neuen digitalen Geschäftsmodellen am Markt zu positionieren. Trotz einbrechender Anzeigenerlöse in der Printbranche ist der Umsatz so im letzten Jahr um acht Prozent gestiegen. Der Studie "Digitale Exzellenz" von Sopra Steria Consulting und der Universität Hamburg zufolge spielen dabei das systematische Messen und Vorantreiben des Digitalisierungsgrades eine zentrale Rolle. Die Zielerreichung wird durch klar definierte Ziele erleichtert. Hierzu ist es erforderlich, bestehende, aber auch neue KPIs und Metriken zu identifizieren, die sowohl in der Innen- als auch in der Außenwahrnehmung für die digitale Exzellenz des Unternehmens stehen.

Studie von Sopra Steria und der Universität Hamburg über "Digitale Exzellenz"
Sopra Steria über Digitalisierung
Dass deutsche Unternehmen in puncto Digitalisierung zu langsam sind, bestätigen der Berater Sopra Steria und die Universität Hamburg in der gemeinsamen Studie "Digitale Exzellenz – eine Bestandsaufnahme zur Digitalisierung deutscher Unternehmen und Behörden". Deren Grundlage sind Gespräche mit 17 Experten (meist CIOs und Digitalisierungsverantwortliche) sowie eine zusätzliche quantitative Befragung von 90 Entscheidern.
Zehn Disziplinen
Die Berater identifizieren zehn Punkte einer digitalen Exzellenz. Diese ordnen sie in vier Kategorien ein.
Selbsteinschätzung
Die Befragten schätzen den Grad der Digitalisierung ihres Unternehmens sehr unterschiedlich ein.
Leadership
Selbst Unternehmen, die sich einen hohen Grad an digitaler Exzellenz zuschreiben, stellen ihrer Führung kein gutes Zeugnis aus.
Digitale Kanäle
Nicht alle Unternehmen messen die Nutzung digitaler Kanäle.
IT-Architektur
Wenig Zweifel bestehen am Änderungsbedarf bei der IT-Architektur.
Stand der Belegschaft
Erst wenige Unternehmen sehen ihre Belegschaft gut auf die Digitalisierung vorbereitet.

Digital Natives - kritische Masse

In der Finanzwirtschaft zeigt sich, dass die Digitalisierung ihre kritische Masse erreicht hat. Denn hier lässt der mobile Always-On-Lebensstil der Digital Natives alte Branchengrenzen erodieren und macht sie durchlässiger für Newcomer. Sichtbar wird dies zum Beispiel im Zahlungsverkehr: Als Paypal vor 15 Jahren in den Markt einstieg, ging es zunächst nur um Zahlungen im Onlinehandel. Heute hat das Geschäftsmodell den klassischen Interneteinkauf hinter sich gelassen und erstreckt sich auf jede Alltagszahlung. Auch andere digitale Player haben das Potenzial mobiler Zahlungen inzwischen als Geschäftsmodell entdeckt. Zudem sollen Smartphone und Smartwatch Bargeld und Plastikkarten in Zukunft überflüssig machen. Neben Google Wallet und Apple Pay versuchen unzählige kleinere Start-ups, Banken diese traditionelle Einnahmequelle streitig zu machen.

Beobachtung von Start-ups

Geldhäuser müssen daher einen partiellen Umsatzverlust fürchten. Zudem verschwinden sie zunehmend aus dem Blickfeld der Kunden. So werden Banken in vielen Lebenssituationen weniger wahrgenommen und verlieren Stück für Stück den Kundenkontakt. Sie müssen handeln und können von der neuen Konkurrenz einiges lernen: Unternehmen wie Apple, Facebook & Co. hüllen ihre Kunden in ein digitales Universum, das viele Start-ups mit neuen Geschäftsmodellen kontinuierlich erweitern. Die Studie "Digitale Exzellenz" zeigt, dass sich manche Unternehmen dies zu Nutze machen möchten und systematisch die Aktivitäten von Start-ups in ihrem Umfeld beobachten. Sie lassen diese ihre Geschäftsmodelle vorstellen oder beobachten sie auf Kongressen und Tagungen. Die Aktivitäten der Start-ups werden analysiert und bewertet. Auf diese Weise kann auch ein großes Unternehmen von den frischen Ideen der Start-ups profitieren. Geeignete Kandidaten können näher untersucht und eventuell übernommen werden.

Führung in Start-ups: 3 Stimmen
Start-Up-Kultur
Ist von Start-Ups die Rede, fallen schnell Assoziationen wie jung, hip, kreativ. Auf den folgenden Seiten finden Sie Zitate aus drei Perspektiven: von einer Gründerin, einem Management-Consultant und einem Professor.
Gründerin Nora Heer
"Start-Ups müssen oft in kurzer Zeit erfolgreich sein, um sich gegenüber Anderen zu beweisen. Dies ist nur möglich, wenn es die jeweiligen Führungskräfte schaffen, ihre Mitarbeiter zu motivieren und alle konsequent am gleichen Strang ziehen", sagt Nora Heer, Gründerin des Start-Ups Loopline Systems.
Berater Frederic Cuny
Für Frederic Cuny aus der Geschäftsleitung vom Management-Berater Kienbaum besteht Führung aus zwei Komponenten, Management und Leadership. "Mit Management wird prozessorientierte Führungsverhalten verbunden, mit Leadership die Fähigkeit, Leute für ein gemeinsames Unterfangen zu motivieren", erklärt Cuny. "Die erste Komponente der Führung ist innerhalb der Start-up Szene eher unerwünscht, in der Tat, die zweite Komponente wird eher überthematisiert. Da liegt der Widerspruch!"
Professor Thomas Schildhauer
IEB-Direktor Schildhauer beobachtet: „Alle wollen die smarten jungen Leute!“ Von daher könnten sich etablierte Unternehmen bei den Start-Ups etwas abgucken.

Kooperationen mit Plattformen

Darüber hinaus bauen Unternehmen Kooperationen mit relevanten Plattformen aus. Denn diese sind die digitalen Marktplätze der aktuellen Zeit. Hier kommen Partner und Kunden zusammen, um digitale Geschäfte anzubahnen und abzuwickeln. Unternehmen müssen sich eine gute Positionierung auf relevanten Plattformen erkämpfen und versuchen, Einfluss auf deren Weiterentwicklung zu nehmen, so eine Beobachtung der Studie.

Eingefahrene Prozesse schrecken Talente ab

Auffällig ist zudem die tiefe Kluft zwischen den privaten Kommunikationsgewohnheiten der Digital Natives und dem, was in vielen konservativ geführten Unternehmen erlaubt beziehungsweise verboten ist. Diese Restriktionen wirken aus der Sicht gut ausgebildeter Fachkräfte nicht attraktiv. Außerdem sollten Unternehmen wissen, dass sich ihre Mitarbeiter in sozialen Netzwerken über eine fehlende Agilität und Geschwindigkeit austauschen. Das ist der Preis, der für das Festhalten an eingefahrenen Kommunikations- und Entscheidungsprozessen zu bezahlen ist. Denn konventionelle Abstimmungszyklen über etliche Hierarchiestufen hinweg dauern zu lange, um neue Marktchancen früher als die Konkurrenz mit passenden Geschäftsmodellen zu beantworten.

Wollen Unternehmen agiler werden, müssen sie digitale Werkzeuge wie Microblogging oder Collaboration-Tools für das Tuning ihrer Organisationsstrukturen nutzen. Das setzt auf der Führungsebene massive Veränderungen voraus. Insbesondere im mittleren Management sind Widerstände zu überwinden. Denn mit der Einführung einer zeitgemäßen Social-Media-Kommunikation geht dort die Kommunikationshoheit verloren.

Innovationslabore errichten

Wie die Studie zudem aufweist, haben Unternehmen begonnen Innovationslabore zu errichten. Dafür ziehen sie sich komplett aus dem Alltagsgeschäft zurück, um den Kopf für die Entwicklung neuer Ideen frei zu haben. Die Innovationslabore sind interdisziplinär und themenbezogen, die sowohl räumlich als auch arbeitstechnisch von anderen Unternehmensbereichen abgegrenzt bleiben sowie insbesondere für Digital Natives anziehend wirken.

Leuchtturmprojekte allein sind nicht digitale Exzellenz

Viele Unternehmen setzten in den vergangenen Jahren digitale Leuchtturmprojekte um. In diesen Innovationsprojekten, Flagship-Stores und Filialen der Zukunft werden neue Technologien eingesetzt und medienwirksam vermarktet. Digitale Leuchtturmprojekte werden häufig mit digitaler Exzellenz verwechselt. Diese Projekte können zwar die interne und externe Wahrnehmung eines Unternehmens positiv beeinflussen, sie sind jedoch nicht das Ergebnis einer umfassenden Transformation, die in vielen Unternehmen erforderlich ist.

IDC-Umfrage zu digitaler Transformation in deutschen Unternehmen
Digitale Transformation
Beobachter erwarten, dass bestimmte Prozesse in Fabriken und Büroumgebungen digitalisiert werden. Doch in welchem Umfang das geschehen mag, ist bisher noch schwer abzuschätzen. Der Marktforscher IDC hat hierzu im Februar 2015 branchenübergreifend die Manager und CIOs von 251 deutschen Unternehmen aller Größen befragt.
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Stichwort digitale Transformation: So definieren deutsche Unternehmen ihr Geschäftsmodell.
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Die fünf wichtigsten IT-Themen der nächsten zwei Jahre.
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Diese Themen sind für deutsche Unternehmen besonders relevant.
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Diese unternehmensinternen Herausforderungen stehen für Unternehmen ganz oben auf der Liste.

Wer an der digitalen Transformation der Märkte partizipieren will, muss zuerst die eigene Unternehmensorganisation transformieren. Von Spotify wird berichtet, dass dort praktisch alle herkömmlichen Kontrollinstanzen abgeschafft sind und jeder Mitarbeiter nach einem basisdemokratischen Mehrheitsvotum eigene Projekte initiiert. Dadurch ist es beispielsweise Spotify gelungen, die Verwertungsmechanismen in der Musikindustrie umzukrempeln. Die modernen Angebote passen besser zu den Bedürfnissen der heutigen Kundengeneration als der Verkauf von CDs- und Langspielplatten. Wo der goldene Mittelweg zwischen altem Dirigismus und experimentellen Formen der internen Mitarbeiterkooperation liegt, hängt vom Marktsegment und von der Demografie der jeweiligen Belegschaft ab. Was jedoch für jedes Unternehmen gilt, ist die Bedeutung digitaler Technologien als Katalysator für die Unternehmenstransformation.

CDO zementiert alte Strukturen

Vielfach ist in diesem Kontext auch die Forderung nach einem eigenen Vorstandsressort zu hören - nach einem Chief Digital Officer. Allerdings ist moderne IT nicht in erster Linie dazu da, existierende Prozesse auf technologischer Ebene abzubilden. Stattdessen ist IT als strategisches Instrument zu verstehen, um neue Geschäftsmodelle zu gestalten. Wie die Studie zeigt, erfordert die Arbeit am digitalen Frontend häufig das Zusammenwirken von Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen. Neben Marketing und Vertrieb sind hier auch Produktentwicklung, IT, Data Scientists und weitere Bereiche beteiligt. Das Wissen und Können der Expertinnen und Experten muss zusammentreffen, damit gemeinsam neue Ideen entwickelt, umgesetzt sowie erprobt werden können. Um eine reibungslose Zusammenarbeit zu ermöglichen, ist der Aufbau interdisziplinärer Teams gefragt. Diese können dann gemeinsam die Verantwortung für einen Teilbereich der digitalen Interaktion übernehmen.

Digitale Tochterunternehmen gründen

Bei Neugründungen wird häufig ein komplett neues Unternehmen aufgebaut. Dabei werden jedoch teilweise IT-Systeme der Muttergesellschaft genutzt, sofern diese flexibel genug gestaltet sind und sich auf ihrer Basis Innovationen schnell realisieren lassen. Häufig lautet das Ziel allerdings auch, durch die Neugründung das Beharrungsvermögen von Strukturen in der Muttergesellschaft zu überwinden. In diesem Fall verzichten Unternehmen beispielsweise bewusst auf eine IT-Integration und setzen die neue Architektur mit State-of-the-Art-Technologien neu auf.

Zahlreiche Unternehmen haben in den vergangenen 10 bis 20 Jahren digitale Tochterunternehmen gegründet, zum Beispiel Direktbanken und -versicherer. Diese konnten bis heute erhebliches Wissen und geeignete Strukturen für eine überwiegend digitale Geschäftstätigkeit aufbauen. Sie sind in vielen Disziplinen der digitalen Exzellenz besser aufgestellt und werden inzwischen gerne von ihren Muttergesellschaften zur Unterstützung der Digitalisierung konsultiert. (sh)